Verfassungsgerichtshof (VfGH)

Rechtssatz für B333/99

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Rechtssatz

Sammlungsnummer

16123

Geschäftszahl

B333/99

Entscheidungsdatum

09.03.2001

Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Leitsatz

Verletzung im Versammlungsrecht durch Verhängung einer Geldstrafe gegen den ausländischen Veranstalter einer Tierschutzkundgebung mangels rechtsförmlicher Entscheidung über die angezeigte Versammlung vor Erlassung des Strafbescheides

Rechtssatz

Der Beschwerdeführer als schweizer Staatsangehöriger vermag sich auf die Verfassungsbestimmung des Art12 StGG nicht zu berufen. Für ihn kommt Art11 EMRK zum Tragen.

Die Erlassung eines Strafbescheides setzt voraus, daß das Verfahren nach dem Versammlungsgesetz sowohl seitens der Behörde als auch seitens der Veranstalter ausgeschöpft wurde. Die Behörde hätte im Wissen um die Staatsangehörigkeit des Veranstalters (Leiters) über die Versammlungsanzeige im vorliegenden Fall bescheidmäßig entscheiden müssen, da der Beschwerdeführer keine Zweifel darüber ließ, daß er persönlich als Leiter der Versammlung auftreten werde.

Entscheidungstexte

  • B 333/99
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 09.03.2001 B 333/99

Schlagworte

Versammlungsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B333.1999

Dokumentnummer

JFR_09989691_99B00333_01

Entscheidungstext B333/99

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Sammlungsnummer

16123

Geschäftszahl

B333/99

Entscheidungsdatum

09.03.2001

Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Leitsatz

Verletzung im Versammlungsrecht durch Verhängung einer Geldstrafe gegen den ausländischen Veranstalter einer Tierschutzkundgebung mangels rechtsförmlicher Entscheidung über die angezeigte Versammlung vor Erlassung des Strafbescheides

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit (Art11 EMRK) verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihrer Rechtsvertreterin die mit öS 29.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

römisch eins. 1. Der Beschwerdeführer ist schweizer Staatsangehöriger.

Mit Straferkenntnis vom 21. September 1998 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von öS 1.000,--, weil er "als Obmann des 'Vereins gegen Tierfabriken Schweiz VgT' eine Tierschutzkundgebung am 16.7.1998 zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr in Bregenz, Platz der Wiener Symphoniker, geleitet (habe), obwohl (er) als schweizer Staatsbürger weder als Veranstalter noch als Ordner oder Leiter der Versammlung hätte auftreten dürfen, da für die Bekleidung derartiger Funktionen im Bundesgebiet die österreichische Staatsbürgerschaft erforderlich ist"; er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß §8 in Verbindung mit §19 VersammlungsG 1953 begangen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (im folgenden: UVS) keine Folge und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe, daß nach den Worten "schweizer Staatsbürger" noch die Worte "und damit als Ausländer" eingefügt werden. Der UVS legte seinem Bescheid insbesondere den Sachverhalt zugrunde, daß "die Teilnehmer an (der) Versammlung ... auf dem Platz der Wiener Symphoniker, somit an einem gerade zur Sommerzeit stark frequentierten Ort, ein ca. 20m x 1m langes schwarzes Transparent (angebracht hätten), auf welchem der Schriftzug angebracht war: 'Tierleid hinter Klostermauern'. Weiters wurde von den Versammlungsteilnehmern die Zeitschrift 'VgT-Nachrichten' an Passanten verteilt und wurde versucht, mit diesen ins Gespräch zu kommen. Einer der Versammlungsteilnehmer hatte sich eine Maske in Form eines Schweinskopfes übergestülpt".

2. Gegen diesen Bescheid des UVS richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Darin wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt. Weiters wird die Verfassungswidrigkeit des §8 VersammlungsG 1953 behauptet. Zur Begründung wird dazu folgendes ausgeführt:

"Gemäß §8 Versammlungsgesetz 1953 dürfen Ausländer weder als Veranstalter noch als Ordner oder Leiter einer Versammlung zur Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten auftreten.

Im vorliegenden Fall stützt die belangte Behörde, bzw. die Unterbehörde, ihr Straferkenntnis auf die angebliche Verletzung dieser Bestimmung durch den Beschwerdeführer und argumentiert, es läge gegenständlich eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes vor, die eben vom Beschwerdeführer als Ausländer weder veranstaltet noch geleitet werden hätte dürfen.

Dazu ist zunächst anzuführen, daß schon die grundsätzliche Qualifikation der vom Beschwerdeführer geleiteten Kundgebung als 'Versammlung' im Rechtssinne angezweifelt werden kann. Den Demonstrationsteilnehmern - allesamt Schweizer Tierschützer - ging es nicht um die Bildung eines gemeinsamen Willens, sondern brachten sie als Mitglieder, bzw. Sympathisanten des 'Vereines gegen Tierfabriken', lediglich ihre subjektive Überzeugung zum Ausdruck, daß Massen- bzw. Intensivtierhaltung, für die betroffenen Tiere mit Qualen verbunden sei.

Geradezu denkunmöglich erscheint auch die Auslegung des §8 Versammlungsgesetz im gegenständlichen Kontext. Auch wenn man davon ausgehen will, daß es sich bei der Kundgebung der Tierschützer um eine Versammlung im Gesetzessinne gehandelt hat, hatte diese mit Sicherheit nicht den Zweck, 'öffentliche Angelegenheiten zu verhandeln', wie im §8 leg. cit. gefordert. Bei der einstündigen angemeldeteten Kundgebung, die unbestritten friedlich und ruhig verlief, gab die Gruppe von ca. 10 Tierschützern durch Entfalten eines Transparentes ihrer Ansicht Ausdruck, die Haltung der Schweine im nahegelegenen Kloster Mererau sei unwürdig und tierquälerisch. Daneben wurden Drucksachen zu diesem Thema an interessierte Passanten verteilt. Inwieweit es sich hiebei um ein 'Verhandeln öffentlicher Angelegenheiten' handeln solle, ist unerfindlich und wurde weder von der belangten Behörde noch von der Unterinstanz auch nur mit einem Wort begründet.

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch noch, daß die Kundgebung durch den Beschwerdeführer ordnungsgemäß angemeldet worden war.

Jedenfalls aber wird durch die Bestimmung des §8 VersG. die verfassungsgesetzlich gewährleistete Demonstrationsfreiheit im Sinne des Art11 Abs1 EMRK verletzt. Die belangte Behörde führt hiezu aus, es sei zutreffend, daß die Demonstrationsfreiheit auch für Ausländer gelte. Dies bedeute aber lediglich, daß Ausländern erlaubt sei, an Versammlungen in Österreich teilzunehmen. §8 VersG. sei hingegen durch den Gesetzesvorbehalt gem. Art11 Abs2 EMRK gedeckt, wonach der Gesetzgeber eines Staates die Ausübung des Versammlungsrechtes mittels Gesetz einschränken könne, sofern dies in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der äußeren und inneren Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Verbrechensverhütung, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sei.

Dem ist entgegenzuhalten, daß nicht einzusehen ist, weshalb eine völlig unpolitische, friedliche Demonstration einer kleinen Gruppe von Tierschützern geeignet sein sollte, die äußere oder innere Sicherheit einer demokratischen Gesellschaft zu gefährden. Die schrankenlose und undifferenzierte Bestimmung des §8 VersG. verletzt mit ihrem Absolutheitsanspruch jedenfalls das Recht auf Demonstrationsfreiheit. Der Gesetzesvorbehalt zu Art11 EMRK kann ja nur den Sinn haben, außenpolitische Verwicklungen zu vermeiden, nicht aber, um einen Vorwand zu liefern, Grundrechte ohne Sinn und Notwendigkeit gegen Ausländer diskriminierend einzuschränken (vergl. Frohwein/Peukert, Kommentar zur EMRK2, S. 469). Die schrankenlose Fassung des §8 VersG., bzw. die gegenständlich denkunmögliche Auslegung durch die belangte Behörde beschneidet ein grundlegendes Menschenrecht in unzulässiger Weise, ohne daß dies durch ein erkennbares öffentliches Interesse gerechtfertigt würde."

3. Der UVS legte die bezughabenden Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er seinen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

4. Das Bundeskanzleramt (Verfassungsdienst) nahm über Einladung des Verfassungsgerichtshofes zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des §8 VersammlungsG 1953 wie folgt Stellung:

"Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst vermag das in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof geäußerte Bedenken, die schrankenlose und undifferenzierte Bestimmung des §8 Versammlungsgesetz verletze mit ihrem Absolutheitsanspruch das Recht auf Demonstrationsfreiheit, nicht zu teilen:

Zunächst ist davon auszugehen, daß die Ausübung der Versammlungsfreiheit durch sachbezogene Schranken begrenzt sein kann, welche ihre Deckung in Art11 Abs2 MRK finden. Bei Auslegung der Bestimmungen der Menschenrechtskonvention sind - neben innerstaatlichen Interpretationsregeln - auch spezielle völkerrechtliche, die Menschenrechte betreffende Interpretationsregeln zu beachten. Zu diesen zählt auch Art16 MRK vergleiche Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich (1988) Rz 27; sowie etwa VfSlg. 5134/1965). Diese Bestimmung normiert, daß keine der Bestimmungen der Art10, 11 und 14 MRK so ausgelegt werden darf, daß sie den Hohen Vertragsschließenden Parteien verbietet, die politische Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen. Diese Bestimmung soll es den Vertragsstaaten der MRK ermöglichen, die politische Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen, ohne dadurch das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit im Sinne der Art10 und 11 der Konvention sowie den Grundsatz der Gleichbehandlungen im Sinne des Art14 der Konvention zu verletzen vergleiche RV 451, BlgNR römisch VIII. GP).

Die Frage der Konventionsmäßigkeit des §8 Versammlungsgesetz ist daher im Hinblick auf Art11 i.V.m. Art16 MRK zu beurteilen. Im Zusammenhang damit ist zunächst zu klären, ob der Begriff der 'Versammlung zur Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten' in §8 Versammlungsgesetz mit jenem der 'politischen Tätigkeit' im Sinne des Art16 MRK gleichgesetzt werden kann.

Das Versammlungsgesetz selbst enthält keine Definition des Begriffes Versammlung, es setzt diesen vielmehr voraus. Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966, 8685/1979 und 9783/1983) ist eine Zusammenkunft mehrerer Personen dann als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes anzusehen, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Manifestation usw.) zu bringen, so daß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Der Zweck einer Versammlung im Sinne von §1 Versammlungsgesetz kann sich dabei auf jeglichen Inhalt beziehen. Er ist nicht nur auf politische Ziele oder Angelegenheiten beschränkt, ebenso ist eine Beschränkung auf 'Angelegenheiten der Allgemeinheit' abzulehnen vergleiche Hofer-Zeni in Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg), 40 Jahre EMRK, Grund- und Menschenrechte in Österreich, Band römisch II, Wesen und Werte, 363). Demgegenüber verwendet das Versammlungsgesetz den Ausdruck '(Verhandlung) öffentlicher Angelegenheiten' in eingeschränktem Sinne. Es erscheint demnach gerechtfertigt, den in §8 Versammlungsgesetz normierten Begriff 'Versammlung zur Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten' nicht extensiv zu interpretieren, sondern dem 'allgemeinen' Versammlungsbegriff des §1 leg. cit. gegenüberzustellen und daher in weiterer Folge den Ausdruck 'Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten' als einen Fall der 'politischen Tätigkeit' im Sinne von Art16 MRK zu verstehen (so auch Nowak in Ermacora/Nowak/Tretter,

Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte (1983) 494; diesem folgend Hofer-Zeni, EuGRZ 1984, 360 und 362 sowie Machacek, Pahr, Stadler, Grundrechte in Österreich, Bd römisch II, 349 (372); sowie Anderle, Österreichisches Versammlungsrecht (1988) RZ 194 ff und 294).

Darüber hinaus erscheint dem Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst die Bestimmung des §8 Versammlungsgesetz auch auf Grund der den Veranstaltern, Leitern und Ordnern von Versammlungen zukommenden besonderen Rechte und Pflichten gerechtfertigt:

§11 Versammlungsgesetz normiert, daß für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung zunächst deren Leiter und Ordner Sorge zu tragen haben.

§19 leg. cit. stellt die Pflicht der genannten Personen, gesetzwidrigen Äußerungen und Handlungen sofort entgegenzutreten, unter Strafsanktion. Leiter und Ordner sind dabei Erfüllungsgehilfen des Veranstalters, welcher letztlich für die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung verantwortlich ist vergleiche auch Hofer-Zeni in Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg), 40 Jahre EMRK, Grund- und Menschenrechte in Österreich, Band römisch II, Wesen und Werte, 383); bis zur Bestellung eines Leiters trägt der Veranstalter auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit für das ordnungsgemäße Versammlungsgeschehen. Aus dieser Übertragung der 'internen Versammlungspolizei' vergleiche Ginzinger in Bachmann et.al., Besonderes Verwaltungsrecht (1996) 52) an Veranstalter, Leiter und Ordner von Versammlungen ergibt sich deren besondere Stellung als eine Art'Bindeglied' zwischen Behörde einerseits und den Teilnehmern der Versammlung andererseits. Die Beschränkung des Zugangs von Ausländern zu den genannten Tätigkeiten als Veranstalter, Leiter und Ordner von Versammlungen kann daher auch im Hinblick auf den im Zusammenhang mit ihrer verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit bestehenden Bedarf des Zugriffes auf diese Personen und damit im Hinblick auf die Notwendigkeit der Sicherung der Strafverfolgung als materienspezifisch sachlich gerechtfertigt und adäquat angesehen werden. Ungeachtet der Bestimmung des Art16 EMRK erscheint sie daher zur Aufrechterhaltung der Ordnung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig.

Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst geht daher davon aus, daß die gegenständliche Beschränkung der Ausübung der Versammlungsfreiheit in §8 Versammlungsgesetz dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht und demnach in Art11 Abs2 (i.V.m. Art16 MRK) seine Deckung findet."

römisch II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit Schreiben vom 14. Juli 1998 meldete der Beschwerdeführer für den 16. Juli 1998 eine Tierschutzkundgebung "vor dem Festspielhaus" an und bezeichnete sich selbst als verantwortlichen Leiter dieser Kundgebung. Mit Telefax vom 15. Juli 1998 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß "nach §8 des öst.

Versammlungsgesetzes Ausländer weder als Veranstalter noch als Ordner oder Leiter auftreten dürfen". Für die Bekleidung dieser Funktionen sei die österreichische Staatsbürgerschaft erforderlich und zudem wäre der vom Einschreiter genannte Ort weiter zu präzisieren. Der Einschreiter wurde "zwecks Abklärung der angeführten Punkte um einen Rückruf ersucht". Einem Aktenvermerk vom selben Tag ist zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer per Fax der Behörde mitgeteilt hat, daß "diesfalls das österreichische Recht die Menschenrechtskonvention verletzt, die auch für Ausländer gilt". Weiters wurde auf Abhaltung der Versammlung auf dem ursprünglich vorgesehenen Platz "vor dem Festspielhaus" beharrt.

Aus einem Schreiben der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg an die Bezirkshauptmannschaft Bregenz, das Landesgendarmeriekommando für Vorarlberg, das Amt der Stadt Bregenz und an die Stadtpolizei Bregenz vom 15. Juli 1998 geht hervor, daß offensichtlich darüber hinaus noch eine weitere telefonische Rücksprache mit dem Beschwerdeführer stattgefunden hat, die ergeben hat, daß dieser die "Kundgebung jedenfalls abhalten will". Die Behörde ist - wie aus diesem Schreiben ersichtlich ist - davon ausgegangen, daß die Versammlung jedenfalls stattfinden wird. Die Versammlung fand in der Folge auch in der angezeigten Form statt.

Erst am 8. September 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer die Strafverfügung erlassen, da er als Obmann des "Vereins gegen Tierfabriken Schweiz VgT" eine Tierschutzkundgebung am 16. Juli 1998 zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr in Bregenz, Platz der Wiener Symphoniker, geleitet habe, obwohl er als schweizer Staatsbürger weder als Veranstalter noch als Ordner oder Leiter der Versammlung hätte auftreten dürfen, da für die Bekleidung derartiger Funktionen im Bundesgebiet die österreichische Staatsbürgerschaft erforderlich sei.

2. Gemäß §6 Versammlungsgesetz sind Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der zuständigen Versammlungsbehörde bescheidmäßig zu untersagen. Gemäß §13 Versammlungsgesetz hat die Behörde dann, wenn eine Versammlung gegen die Vorschriften des Versammlungsgesetzes veranstaltet wird, diese zu untersagen und nach Umständen aufzulösen. Wenngleich - wie dargestellt - zwischen dem Beschwerdeführer und der Behörde zahlreiche telefonische Kontakte stattgefunden haben - im Zuge derer dem Beschwerdeführer auch die geltende Rechtslage und Rechtsauffassung der Behörde zu §8 Versammlungsgesetz erläutert wurde -, so hat die Behörde letztlich die im Versammlungsgesetz selbst vorgesehenen rechtsförmlichen Verfahren nicht durchgeführt. Die Versammlungsbehörde hat die Eingabe nämlich weder zurückgewiesen noch sah sie sich veranlaßt, die Versammlung zu untersagen. Damit aber hat sie die beabsichtigte Versammlung zur Kenntnis genommen vergleiche VfSlg. 11.866/1988).

Der Beschwerdeführer als schweizer Staatsangehöriger vermag sich auf die Verfassungsbestimmung des Art12 StGG nicht zu berufen. Für ihn kommt Art11 EMRK zum Tragen, der allen Menschen das Recht gewährleistet, sich friedlich zu versammeln, dem einfachen Gesetzgeber aber die Beschränkung der Ausübung dieses Rechtes zu bestimmten, in Art11 Abs2 EMRK taxativ aufgezählten Zwecken gestattet. Ein solches unter Gesetzesvorbehalt stehendes Grundrecht wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur verletzt, wenn der Bescheid unter Heranziehung einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage erlassen wurde oder wenn er gesetzlos ist, wobei die denkunmögliche oder sonst verfassungswidrige Anwendung eines Gesetzes ebenfalls als Gesetzlosigkeit angesehen wird (VfSlg. 15.109/1998).

Der angefochtene Bescheid ist in Anwendung u.a. des §8 in Verbindung mit §19 VersammlungsG 1953 - und somit nicht gesetzlos - ergangen. Es ist daher lediglich zu prüfen, ob bei Erlassung des angefochtenen Bescheides verfassungswidrige Rechtsgrundlagen herangezogen wurden oder ob die belangte Behörde denkunmöglich oder willkürlich vorgegangen ist.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 11.436/1987).

Im hier zu beurteilenden Fall hat die Behörde ohne vorangegangene Untersagung der Versammlung - die Versammlung wurde weder nach §6 noch nach §13 Versammlungsgesetz untersagt - im September 1998 einen Strafbescheid erlassen. Strafbar ist z.B. die Durchführung einer Versammlung ohne Beachtung der Anzeigepflicht oder die Abhaltung einer Versammlung trotz behördlicher Untersagung. Die Erlassung eines Strafbescheides setzt voraus, daß das Verfahren nach dem Versammlungsgesetz sowohl seitens der Behörde als auch seitens der Veranstalter ausgeschöpft wurde. Die Behörde hätte im Wissen um die Staatsangehörigkeit des Veranstalters (Leiters) über die Versammlungsanzeige im vorliegenden Fall bescheidmäßig entscheiden müssen, da der Beschwerdeführer keine Zweifel darüber ließ, daß er persönlich als Leiter der Versammlung auftreten werde.

Da die Behörde vor Erlassung des Strafbescheides nicht rechtsförmlich über die angezeigte Versammlung entschieden hat, ist ihr im vorliegenden Fall vorzuhalten, daß sie bei Erlassung des Strafbescheides die Rechtslage in einem besonderen Maße verkannt und damit den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art11 EMRK verletzt hat.

Der angefochtene Bescheid war daher bereits aus diesem Grunde aufzuheben, ohne daß auf die vom Beschwerdeführer relevierte Frage der Verfassungsmäßigkeit des §8 Versammlungsgesetz näher einzugehen war.

römisch III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von öS 4.500,-- und die entrichtete Eingabegebühr in Höhe von öS 2.500,-- enthalten.

römisch IV. Dies konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Versammlungsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B333.1999

Dokumentnummer

JFT_09989691_99B00333_00