Verfassungsgerichtshof (VfGH)

Rechtssatz für B1034/03

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Rechtssatz

Sammlungsnummer

17261

Geschäftszahl

B1034/03

Entscheidungsdatum

30.06.2004

Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Leitsatz

Keine Verletzung des Versammlungsrechts durch Untersagung einer Demonstration gegen "Linke Intoleranz" in Bregenz aufgrund der Annahme eines rechtsradikalen Teilnehmerkreises (Skinheads) und der Befürchtung von Verletzungen des Verbotsgesetzes

Rechtssatz

Es kommt nicht darauf an, ob die von der Behörde zur Begründung der Untersagung der Versammlung genannten (früheren) Vorfälle dem Veranstalter als Person anzulasten sind oder nicht (hier: "Sieg-Heil"-Rufe während eines Skinhead-Konzerts).

Die belangte Behörde hat sich zutreffend an der Verfassungsbestimmung des §3 VerbotsG orientiert.

Die Abhaltung einer Versammlung gefährdet etwa dann das öffentliche Wohl, wenn geplante Vorträge nationalsozialistische Bestrebungen und Gedankengänge stärken könnten.

Im vorliegenden Fall ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie in ihrer Prognose zum Ergebnis kam, dass sich bei der angezeigten Versammlung ein ähnlicher Teilnehmerkreis einfinden würde wie bei dem im Bescheid genannten Skinhead-Konzert im Oktober 2002. Einerseits ist nämlich auch in dessen Vorfeld der Beschwerdeführer als Ansprechperson aufgetreten, andererseits berechtigt die Wortwahl der Anzeige zur Annahme, dass ein derartiger Teilnehmerkreis angesprochen werden soll.

Entscheidungstexte

  • B 1034/03
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 30.06.2004 B 1034/03

Schlagworte

Versammlungsrecht, Nationalsozialistengesetzgebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1034.2003

Dokumentnummer

JFR_09959370_03B01034_01

Entscheidungstext B1034/03

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Sammlungsnummer

17261

Geschäftszahl

B1034/03

Entscheidungsdatum

30.06.2004

Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Leitsatz

Keine Verletzung des Versammlungsrechts durch Untersagung einer Demonstration gegen "Linke Intoleranz" in Bregenz aufgrund der Annahme eines rechtsradikalen Teilnehmerkreises (Skinheads) und der Befürchtung von Verletzungen des Verbotsgesetzes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

römisch eins. 1.1. Mit Eingabe vom 5. Dezember 2002 zeigte der Beschwerdeführer der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg die beabsichtigte Abhaltung einer Demonstration zum Thema "Gegen Linke Intoleranz" und "Meinungsfreiheit" für den 14. Dezember 2002 um 15.00 Uhr in Bregenz an. In der Versammlungsanzeige wird dazu ausgeführt:

"Zweck dieser Aktion ist es der Hetze der Medien und den ständigen Diffamierungen in der Öffentlichkeit linker Aktivisten entgegen zu treten.

In letzter Zeit wurde jeder aufrechte Nationalist mit patriotischer Gesinnung, vor allem durch linksradikale Organisationen und kommunistisch veranlagten Schreiberlingen, attackiert und diffamiert. Nunmehr finden wir es an der Zeit öffentlich gegen diese Hexenjagd vor zu gehen und öffentlich auf zu zeigen, das[s] hier im Lande mit zweierlei Maß gemessen und diskriminiert wird. Weiters können und wollen wir nicht länger diese[r] roten Propaganda schweigend gegenüber stehen.

Die vorgesehene Route wird bis spätestens 12.12.2002 schriftlich nachgereicht.

Um einen reibungslosen Verlauf zu gewährleisten stellen wir eigens ein Security-Team, welches sich beim Treffpunkt als solches zu erkennen geben wird.

Alkoholisierte und aggressive Teilnehmer sind von dieser Demonstration ausgeschlossen."

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2002 gab der Beschwerdeführer die Route der Demonstration bekannt.

1.2. Diese Versammlung wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg mit Bescheid vom 13. Dezember 2002 - gestützt auf §16 litb Versammlungsgesetz 1953 (im Folgenden bloß: VersG) - gemäß §6 leg.cit. in Verbindung mit Art11 Abs2 EMRK untersagt.

1.3. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 5. Juni 2003 keine Folge.

Begründend wird im Bescheid ausgeführt, dass vom Beschwerdeführer und von Personen aus seinem Umfeld in den letzten eineinhalb Jahren "mehrere einschlägige Skinhead-Vorhaben" organisiert worden seien. Bei der bisher größten Skinhead-Veranstaltung am 12. und 13. Oktober 2002 in Hohenems habe anlässlich einer Kontrolle des Veranstaltungsortes in der Zeit von 02.40 Uhr bis 02.50 Uhr von außen wiederholt festgestellt werden können, dass in der Veranstaltungshalle von der Musikgruppe und dem Publikum lautstark "Sieg-Heil"-Rufe ertönten. Aufgrund der Gesamtsituation sei zwar ein polizeiliches Einschreiten nicht möglich gewesen, es sei jedoch von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg gegen Unbekannt Anzeige wegen des Verdachts des Verbrechens nach §3h Verbotsgesetz erstattet worden. Bei Kontrollen der zum Konzert anreisenden Veranstaltungsteilnehmer aus Deutschland sei von der Polizeidirektion Kempten "einschlägiges Material (CDs und Schriftmaterial)" beschlagnahmt worden. Der Beschwerdeführer sei im Vorfeld dieses Konzerts als Ansprechperson aufgetreten und sei jedenfalls mitverantwortlich für die Organisation gewesen. Im Hinblick auf die verbotsgesetzwidrigen Vorgänge im Zuge der Skinhead-Veranstaltung am 12. und 13. Oktober 2002 habe die Behörde erster Instanz zu Recht davon ausgehen können, dass es wieder zu derartigen Vorfällen kommen werde. Die Untersagung der Veranstaltung sei daher im Interesse des öffentlichen Wohles dringend geboten gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Versammlungsfreiheit und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie - ohne nähere Begründung - die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

römisch II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 12.257/1990 und 15.109/1998 sowie die dort zitierte Vorjudikatur) ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechts betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem österreichischen Staatsbürgern gegenüber die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das Gesetz unrichtig angewendet wurde.

1.2. Die belangte Behörde hat den Bescheid, mit dem sie die angezeigte Versammlung untersagte, auf §6 VersG gestützt. Diese Bestimmung lautet:

"Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen."

Diese Bestimmung ist angesichts des materiellen Gesetzesvorbehalts in Art11 Abs2 EMRK im Einklang mit dieser Verfassungsnorm zu interpretieren. Die Behörde ist daher zur Untersagung nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der im Art11 Abs2 EMRK genannten Gründe notwendig ist (s. etwa VfSlg. 10.443/1985, 12.155/1989, 12.257/1990).

Dabei hat die Behörde bei ihrer Entscheidung die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist eine Prognoseentscheidung, die die Behörde auf Grundlage der von ihr festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen hat.

2.1. Im vorliegenden Fall hat die Behörde die Untersagung damit begründet, dass bei einem Skinhead-Konzert, das zwei Monate vor der geplanten Demonstration stattfand und für dessen Organisation der Beschwerdeführer zumindest mitverantwortlich gewesen sei, in der Zeit von 02.40 Uhr bis 02.50 Uhr "Sieg-Heil"-Rufe aus der Veranstaltungshalle zu hören gewesen seien. Bei Kontrollen der zum Konzert anreisenden Veranstaltungsteilnehmer aus Deutschland sei von der Polizeidirektion Kempten auch "einschlägiges Material (CDs und Schriftmaterial)" beschlagnahmt worden. (Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, dass dies wegen des Verdachts von Vergehen gemäß §86a des deutschen Strafgesetzbuches - "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" -erfolgte.) Die Behörde habe daher zu Recht davon ausgehen können, dass es wieder zu derartigen Vorfällen kommen werde. Die Untersagung der Veranstaltung sei daher im Interesse des öffentlichen Wohles dringend geboten gewesen.

2.2. In der Beschwerde wird dazu vorgebracht, dass der Beschwerdeführer nicht Veranstalter dieses Konzerts gewesen sei, weshalb er nicht für ein allfälliges rechtswidriges Verhalten eines oder mehrerer Veranstaltungsteilnehmer verantwortlich gemacht werden könne. Auch ein allfälliges Fehlverhalten der anreisenden Teilnehmer sei nicht dem Beschwerdeführer anzulasten. Überdies sei es laut dem Schlussbericht der Polizeiinspektion Lindau vom 14. Oktober 2002 bei dem Konzert nicht zu Ausschreitungen oder Störungen gekommen. Die Prognose der Behörde sei daher nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer habe bereits einmal eine Versammlung veranstaltet (einen Trauermarsch am 4. August 2001), bei der es zu keinerlei Problemen gekommen sei.

3.1. Bei dieser Argumentation wird zunächst übersehen, dass es nicht darauf ankommt, ob die von der Behörde zur Begründung der Untersagung der Versammlung genannten (früheren) Vorfälle dem Veranstalter als Person anzulasten sind oder nicht. Ist aufgrund konkreter Umstände eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder des öffentlichen Wohles durch die Abhaltung der Versammlung zu befürchten, so ist die Versammlung gemäß §6 VersG jedenfalls zu untersagen.

3.2. Vorauszuschicken ist, dass sich die belangte Behörde zutreffend an der Verfassungsbestimmung des §3 VerbotsG orientiert.

Der Verfassungsgerichtshof hat dazu etwa im Erkenntnis VfSlg. 12.646/1991 ausgesprochen:

"Die Verfassungsbestimmung des §3 VerbotsG verbietet jedermann, sich für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen; sie erklärt damit derartige Akte der Wiederbetätigung ausnahmslos für rechtswidrig: Die kompromißlose Ablehnung des Nationalsozialismus ist ein grundlegendes Merkmal der wiedererstandenen Republik. Wie der Verfassungsgerichtshof dazu bereits in seinem richtungweisenden Erkenntnis VfSlg. 10.705/1985 aussprach, hat sich jedes staatliche Handeln an diesem Verbot als unmittelbar anwendbarem Verfassungsrecht zu orientieren. Es darf folglich kein behördlicher Akt ergehen, der eine Mitwirkung des Staates an nationalsozialistischer Wiederbetätigung bedeuten würde."

In diesem Sinne wurde zuletzt im Erkenntnis VfSlg. 16.054/2000 bekräftigt, dass §3 VerbotsG ein unmittelbar wirksames, von jedem Staatsorgan im Rahmen seines Wirkungsbereiches - sohin auch von der Versammlungsbehörde - zu beachtendes Verbot enthält.

Im Lichte dessen wird im Bescheid auch zutreffend ausgeführt, dass die Abhaltung einer Versammlung etwa dann das öffentliche Wohl gefährdet, wenn geplante Vorträge nationalsozialistische Bestrebungen und Gedankengänge stärken könnten vergleiche VfSlg. 2002/1950) oder wenn Zweck der Versammlung die Pflege der Tradition der ehemaligen deutschen Wehrmacht wäre vergleiche VfSlg. 4524/1963).

3.3. Im vorliegenden Fall ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie in ihrer Prognose zum Ergebnis kam, dass sich bei der angezeigten Versammlung ein ähnlicher Teilnehmerkreis einfinden würde wie bei dem im Bescheid genannten Skinhead-Konzert im Oktober 2002. Einerseits ist nämlich auch in dessen Vorfeld der Beschwerdeführer als Ansprechperson aufgetreten, andererseits berechtigt die Wortwahl der Anzeige zur Annahme, dass ein derartiger Teilnehmerkreis angesprochen werden soll.

Der Beschwerdeführer bringt zwar vor, dass er das in Rede stehende Konzert nicht selbst veranstaltet habe (s. dazu bereits oben Pkt. 3.1.), hat im Übrigen aber dieser Einschätzung der Behörde nicht widersprochen. Bei diesem Konzert kam es seitens einiger Teilnehmer zu Vorkommnissen ("Sieg-Heil"-Rufen), die zu Anzeigen wegen Verdachts der Wiederbetätigung iSd. §3h VerbotsG führten; berücksichtigt man zu dem die in der Versammlungsanzeige verwendete Terminologie (s. oben Pkt. römisch eins.1.1.), ist der Behörde im Ergebnis nicht entgegenzutreten (zur Bedeutung der Terminologie einer Anzeige vergleiche VfSlg. 12.646/1991).

Dass die Behörde nämlich bei Würdigung all dieser Umstände - in ihrem Zusammenhang und Zusammenhalt - zur Einschätzung gelangte, dass es auch bei der angezeigten Versammlung zu Verletzungen des VerbotsG kommen würde, ist nicht zu beanstanden.

Die angezeigte Versammlung wurde somit zu Recht untersagt. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Versammlungsrechts ist nicht erfolgt.

Im Hinblick darauf, dass die Behörde rechtsrichtig entschieden hat und dass gegen die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, ist es ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof konnte deshalb nicht Folge gegeben werden, weil das Versammlungswesen seine Regelung im gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz geltenden Art12 StGG findet, weshalb - da jede Rechtsverletzung auf diesem Gebiet unmittelbar das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt - für die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes kein Raum bleibt (zB VfSlg. 14.365/1995, 15.680/1999).

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Versammlungsrecht, Nationalsozialistengesetzgebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1034.2003

Dokumentnummer

JFT_09959370_03B01034_00