Verfassungsgerichtshof (VfGH)

Rechtssatz für G114/11

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Rechtssatz

Sammlungsnummer

19653

Geschäftszahl

G114/11

Entscheidungsdatum

28.06.2012

Index

20 PRIVATRECHT ALLGEMEIN
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
EMRK Art8, Art14, Art46
ABGB §166, §167, §176, §177a
BVG über die Rechte von Kindern Art2
  1. B-VG Art. 140 heute
  2. B-VG Art. 140 gültig ab 01.01.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2008
  5. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  6. B-VG Art. 140 gültig von 06.06.1992 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 276/1992
  7. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.1991 bis 05.06.1992 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  8. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1988 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  9. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1976 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  10. B-VG Art. 140 gültig von 19.12.1945 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 140 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. B-VG Art. 140 heute
  2. B-VG Art. 140 gültig ab 01.01.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2008
  5. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  6. B-VG Art. 140 gültig von 06.06.1992 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 276/1992
  7. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.1991 bis 05.06.1992 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  8. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1988 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  9. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1976 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  10. B-VG Art. 140 gültig von 19.12.1945 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 140 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. ABGB § 166 heute
  2. ABGB § 166 gültig von 01.02.2013 bis 31.01.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2012
  3. ABGB § 166 gültig ab 01.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 15/2013
  4. ABGB § 166 gültig von 01.07.2001 bis 31.01.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2000
  5. ABGB § 166 gültig von 01.07.1989 bis 30.06.2001 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 162/1989

Leitsatz

Aufhebung der Regelung des ABGB über die alleinige Obsorge der Mutter für das uneheliche Kind wegen Verstoßes gegen die EMRK folgend einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mangels bestehender Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung unter maßgeblicher Beachtung des Kindeswohles

Rechtssatz

Aufhebung des Satzes "Mit der Obsorge für das uneheliche Kind ist die Mutter allein betraut." in §166 ABGB idF

Bundesgesetzblatt Teil eins, 135 aus 2000,.

Zulässigkeit des Antrags des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien auf Aufhebung des §166 erster Satz

ABGB.

Kein untrennbarer Zusammenhang des ersten und zweiten Satzes des §166 ABGB. Kein völlig anderer Sinn des verbleibenden zweiten Satzes. Keine Unanwendbarkeit anderer, im Rechtsbestand verbleibender Bestimmungen, wie etwa §167 Abs1

ABGB.

Angesichts der Anordnung der Geltung der das eheliche Kind betreffenden Bestimmungen über den Unterhalt und die Obsorge auch für das uneheliche Kind in §166 zweiter Satz ABGB (die nach allenfalls erfolgender Aufhebung des ersten Satzes einen weiteren Anwendungsbereich erlangt) bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass §177a ABGB auf uneheliche Kinder nicht anzuwenden wäre, und zwar auch dann, wenn diese nicht in häuslicher Gemeinschaft mit den Eltern leben.

Eine Bestimmung wie die angefochtene, die das Recht der Obsorge der Eltern eines unehelichen Kindes betrifft, fällt in den Anwendungsbereich von Art14 in Verbindung mit Art8 EMRK.

Das Fehlen der Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung im Gefolge der Anordnung des §166 erster Satz ABGB stellt eine den Schranken des Art14 in Verbindung mit Art8 EMRK unterliegende Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Achtung des Familienlebens dar.

Eine unmittelbare Verpflichtung der Republik Österreich und ihrer Organe aus Art46 EMRK (zur Befolgung eines endgültigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) erfließt nur aus dem Urteil vom 03.02.11, Fall Sporer gegen Österreich, Appl 35637/03 (nicht aus dem Urteil vom 03.12.09, Fall Zaunegger gegen Deutschland, Appl 22028/04).

Der Verfassungsgerichtshof hält die angefochtene Regelung - im Einklang mit den Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Urteil Sporer - dann für mit Art14 in Verbindung mit Art8 EMRK vereinbar, wenn eine wirksame gerichtliche Überprüfung eröffnet ist, die dem Vater die Möglichkeit gibt, die Obsorge - unter maßgeblicher Beachtung des Kindeswohls vergleiche Art2 Abs1 BVG über die Rechte von Kindern, Bundesgesetzblatt Teil eins, 4 aus 2011,) - nicht nur in Fällen der Zustimmung der Mutter, sondern auch in Fällen zu erlangen, in denen dies im Interesse des Kindeswohls liegt.

Eine solche wirksame gerichtliche Überprüfung steht dem Vater eines unehelichen Kindes nach geltendem Recht nicht zu. Insbesondere bietet §176 Abs1 ABGB keine Rechtsgrundlage für eine konventionskonforme Überprüfung und eine allfällige vom gesetzlichen Grundsatz des §166 erster Satz ABGB abweichende Regelung.

Durch die angefochtene Bestimmung kommt es zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung des Vaters eines unehelichen Kindes sowohl gegenüber der Mutter dieses Kindes als auch gegenüber Vätern ehelicher Kinder. §166 erster Satz ABGB verstößt daher gegen Art14 in Verbindung mit Art8 EMRK.

Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle (31.01.13), um dem Gesetzgeber eine Neuregelung - gegebenenfalls unter Beibehaltung des aufgehobenen Satzes - zu ermöglichen, die mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht. Die Dauer der Frist trägt dem Umstand Rechnung, dass durch die Fristsetzung eine als konventionswidrig erkannte Rechtslage nur für einen gewissen Übergangszeitraum aufrecht bleiben soll.

Entscheidungstexte

  • G 114/11
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 28.06.2012 G 114/11

Schlagworte

Zivilrecht, Kindschaftsrecht, Sorgerecht, Privat- und Familienleben, Kinder, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:G114.2011

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2013

Dokumentnummer

JFR_09879372_11G00114_01