Rechtssatz für Bsw16012/06

Gericht

AUSL EGMR

Dokumenttyp

Rechtssatz

Rechtssatznummer

RS0127474

Geschäftszahl

Bsw16012/06

Entscheidungsdatum

15.12.2009

Norm

MRK Art6 II1b

Rechtssatz

Der strafrechtliche Aspekt von Artikel 6, Absatz eins, MRK umfasst Strafverfahren in ihrer Gesamtheit, also auch die Erhebung von Rechtsmitteln und die Festsetzung der Strafe. (Bem: Gurguchiani gegen Spanien)

Entscheidungstexte

  • Bsw 16012/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 15.12.2009 Bsw 16012/06
    Veröff: NL 2009,362

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:AUSL002:2009:RS0127474

Im RIS seit

08.02.2012

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2012

Dokumentnummer

JJR_20091215_AUSL002_000BSW16012_0600000_001

Rechtssatz für Bsw15917/89; ...

Gericht

AUSL EGMR

Dokumenttyp

Rechtssatz

Rechtssatznummer

RS0122526

Geschäftszahl

Bsw15917/89; Bsw16012/06; Bsw19359/04; Bsw4646/08; Bsw42750/09; Bsw7345/12; Bsw42875/10; Bsw23279/14; Bsw1828/06; Bsw10211/12 (Bsw27505/14); Bsw12096/14

Entscheidungsdatum

04.06.2019

Norm

MRK Art7 Abs1

Rechtssatz

Der Begriff der Strafe in Artikel 7, Absatz eins, MRK ist autonom auszulegen. Dabei muss untersucht werden, inwieweit die Maßnahme mit dem Kriminalstrafrecht zusammenhängt, weiters sind ihre innerstaatliche Qualifizierung, ihre Beschaffenheit und ihr Zweck, das Verfahren bei ihrer Verhängung und ihrem Vollzug sowie die Strenge der Maßnahme relevant. Die Schuldnerverzugshaft gemäß französischem Artikel 750, StPO ist eine Strafe iSd Artikel 7, Absatz eins, MRK.

Entscheidungstexte

  • Bsw 15917/89
    Entscheidungstext AUSL EGMR 08.06.1995 Bsw 15917/89
    Bemerkung: Jamil gegen Frankreich (T1a); Veröff: NL 1995,157
  • Bsw 16012/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 15.12.2009 Bsw 16012/06
    nur: Der Begriff der Strafe in Art 7 Abs 1 MRK ist autonom auszulegen. (T1)
    Beisatz: Die Strafe muss jedenfalls in Folge einer Verurteilung wegen Begehung einer Straftat verhängt worden sein. Der EGMR unterscheidet zwischen Maßnahmen, die in ihrer Substanz eine Strafe darstellen, und solchen, die sich auf den Vollzug oder auf die Anwendung einer Strafe beziehen. (Gurguchiani gegen Spanien) (T2)
    Beisatz: Der Ersatz einer Freiheitsstrafe durch eine Ausweisung und ein Aufenthaltsverbot stellt eine Strafe iSv. Art 7 MRK dar. (T3)
    Veröff: NL 2009,362
  • Bsw 19359/04
    Entscheidungstext AUSL EGMR 17.12.2009 Bsw 19359/04
    nur T1; Beis wie T2 nur: Der EGMR unterscheidet zwischen Maßnahmen, die in ihrer Substanz eine Strafe darstellen, und solchen, die sich auf den Vollzug oder auf die Anwendung einer Strafe beziehen. (T4)
    Beisatz: Der EGMR ist bei der Prüfung, ob eine bestimmte Maßnahme als Strafe zu bezeichnen ist, nicht an die Qualifikation derselben im innerstaatlichen Recht gebunden. (M. gegen Deutschland) (T5)
    Beisatz: Die Verlängerung der Sicherheitsverwahrung durch die Strafvollzugsgerichte nach der Änderung des § 67d deutsches StGB betrifft nicht nur die Vollstreckung der Strafe, die entsprechend dem zur Zeit der Tatbegehung anwendbaren Recht verhängt wurde, sondern stellt eine zusätzliche, rückwirkend verhängte Strafe dar, die auf einem nach der Tatbegehung erlassenen Gesetz beruhte. (M. gegen Deutschland) (T6)
    Veröff: NL 2009,371
  • Bsw 4646/08
    Entscheidungstext AUSL EGMR 24.11.2011 Bsw 4646/08
    Vgl auch; nur T1; Beis wie T6
    Veröff: NL 2011,360
  • Bsw 42750/09
    Entscheidungstext AUSL EGMR 10.07.2012 Bsw 42750/09
    nur T1; Veröff: NL 2012,240
  • Bsw 7345/12
    Entscheidungstext AUSL EGMR 28.11.2013 Bsw 7345/12
    nur T1; Beis wie T5; Beis wie T6; Veröff: NL 2013,436
  • Bsw 42875/10
    Entscheidungstext AUSL EGMR 03.09.2015 Bsw 42875/10
    Vgl auch; Beis wie T2 nur: Die Strafe muss jedenfalls in Folge einer Verurteilung wegen Begehung einer Straftat verhängt worden sein. (T7)
    Beisatz: Hier: Die Zwangseinweisung einer wegen Person, die für eine von ihr begangene Gewalttat wegen einer psychischen Störung strafrechtlich nicht verantwortlich ist, in ein Krankenhaus ist keine Maßnahme, die nach der Verurteilung wegen einer „Straftat“ angeordnet wurde. (Berland gg. Frankreich) (T8)
    Veröff: NL 2015,416
  • Bsw 23279/14
    Entscheidungstext AUSL EGMR 07.01.2016 Bsw 23279/14
    nur: Der Begriff der Strafe in Art 7 Abs 1 MRK ist autonom auszulegen. Dabei muss untersucht werden, inwieweit die Maßnahme mit dem Kriminalstrafrecht zusammenhängt, weiters sind ihre innerstaatliche Qualifizierung, ihre Beschaffenheit und ihr Zweck, das Verfahren bei ihrer Verhängung und ihrem Vollzug sowie die Strenge der Maßnahme relevant. (T9)
    Beisatz: Ob die umstrittene Maßnahme in Folge einer Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung verhängt wurde, ist bei der Einschätzung des Vorliegens einer Strafe Ausgangspunkt und ein sehr gewichtiger Faktor. (Bergmann gg. Deutschland) (T10)
    Veröff: NL 2016,30
  • Bsw 1828/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 28.06.2018 Bsw 1828/06
    nur T9; Beis wie T7; Beis wie T10
    Beisatz: Während eine Verurteilung durch die innerstaatlichen Strafgerichte ein Kriterium unter anderen für die Einschätzung darstellen kann, ob eine Maßnahme als „Strafe“ iSv Art 7 MRK anzusehen ist, reicht das Fehlen einer Verurteilung nicht aus, um die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auszuschließen. (G.I.E.M. S.r.l. u.a. gg. Italien [GK]) (T11);
    Veröff: NL 2018,228
  • Bsw 10211/12
    Entscheidungstext AUSL 04.12.2018 Bsw 10211/12
    vgl; nur T9
    Beisatz: Damit Art 7 MRK effektiven Schutz bietet, muss es dem EGMR freistehen selbst einzuschätzen, ob eine bestimmte Maßnahme ihrem Wesen nach eine „Strafe“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt. (Ilnseher gg Deutschland [GK]) (T12)
    Beisatz: Die spezifischen Bedingungen der Durchführung der fraglichen Maßnahme können insbesondere für ihre Art und ihren Zweck sowie für die Schwere der Maßnahme relevant sein und damit für die Einschätzung, ob die Maßnahme als Strafe iSv Art 7 Abs 1 MRK einzustufen ist. Diese Bedingungen der Durchführung können sich während einer Zeitspanne ändern, die von ein und derselben gerichtlichen Anordnung umfasst ist. (Ilnseher gg Deutschland [GK]) (T13)
    Anm: Veröff: NL 2018,526
  • Bsw 12096/14
    Entscheidungstext AUSL 04.06.2019 Bsw 12096/14
    nur T9
    Beisatz: Hier: Der Entzug der Berechtigung, als Konkursverwalter tätig zu sein, ist nicht als Strafe iSv Art 7 MRK anzusehen. (Rola gg Slowenien) (T14)
    Anm: Veröff: NL 2019,210

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:AUSL000:1995:RS0122526

Im RIS seit

15.06.1997

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2023

Dokumentnummer

JJR_19950608_AUSL000_000BSW15917_8900000_001

Rechtssatz für Bsw18892/91; ...

Gericht

AUSL EGMR, OGH

Dokumenttyp

Rechtssatz

Rechtssatznummer

RS0120945

Geschäftszahl

Bsw18892/91; Bsw20919/92; Bsw24194/94; Bsw26780/95; Bsw27783/95; Bsw39665/98; Bsw34619/97; Bsw39665/98 (Bsw40086/98); 16Ok4/07; Bsw73053/01; Bsw69917/01; Bsw69917/01; Bsw14939/03; Bsw16012/06; Bsw13079/03; Bsw27804/05; Bsw21539/07; Bsw47195/06; Bsw20688/04; Bsw18640/10 (Bsw18647/10; Bsw18663/10; Bsw18668/10; Bsw18698/10); 24Os6/16m; 6Ob213/17t; Bsw19844/08; Bsw47152/06; Bsw33060/10; Bsw24130/11; Bsw19600/15; 15Os106/21h (15Os107/21f); Bsw54012/10; Bsw58812/15

Entscheidungsdatum

20.10.2021

Norm

MRK Art6 Abs1 II1b
MRK Art6 VI2
MRK Art7
7.ZPMRK Art4
ZPO §69
ZPO §220
  1. ZPO § 69 heute
  2. ZPO § 69 gültig ab 08.08.2001 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 98/2001
  3. ZPO § 69 gültig von 01.12.1973 bis 07.08.2001 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 569/1973
  1. ZPO § 220 heute
  2. ZPO § 220 gültig ab 01.07.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 52/2009
  3. ZPO § 220 gültig von 01.01.2003 bis 30.06.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 76/2002
  4. ZPO § 220 gültig von 01.01.2002 bis 31.12.2002 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 98/2001
  5. ZPO § 220 gültig von 08.08.2001 bis 31.12.2001 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 98/2001
  6. ZPO § 220 gültig von 01.08.1989 bis 07.08.2001 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 343/1989

Rechtssatz

Die Frage der Anwendbarkeit von Artikel 6, MRK im Bereich „strafrechtliche Anklage" ist anhand von drei Kriterien zu prüfen: Feststellung, ob der Gesetzestext, der die Zuwiderhandlung definiert, nach dem Rechtssystem des belangten Staates dem Strafrecht zugehört; Ermittlung der wahren Natur der fraglichen Zuwiderhandlung; Natur und Schwere der angedrohten Sanktion.

Entscheidungstexte

  • Bsw 18892/91
    Entscheidungstext AUSL EGMR, OGH 22.02.1996 Bsw 18892/91
    Bemerkung: Putz gegen Österreich (T1a); Veröff: NL 1996,46
  • Bsw 20919/92
    Entscheidungstext AUSL EGMR 29.08.1997 Bsw 20919/92
    nur: Die Frage der Anwendbarkeit von Art 6 MRK im Bereich „strafrechtliche Anklage" ist anhand von drei Kriterien zu prüfen: Feststellung, ob der Gesetzestext, der die Zuwiderhandlung definiert, nach dem Rechtssystem des belangten Staates dem Strafrecht zugehört; Ermittlung der wahren Natur der fraglichen Zuwiderhandlung; Natur und Schwere der angedrohten Sanktion. (T1)
    Beisatz: Der Begriff der strafrechtlichen Anklage iSd Art 6 MRK wird autonom, d. h. unabhängig vom innerstaatlichen Recht, bestimmt. Die Verhängung einer Geldstrafe von über 5.000,- SFr wegen Steuerhinterziehung betrifft eine „strafrechtliche Anklage". (T2)
    Veröff: NL 1997,220
  • Bsw 24194/94
    Entscheidungstext AUSL EGMR 21.10.1997 Bsw 24194/94
    nur T1; Beisatz: Keine „strafrechtliche Anklage" in einem Verfahren zur Überprüfung von Wahlkampfausgaben, wobei das Überschreiten der gesetzlichen Höchstgrenze den Ausschluss von Wahlen für ein Jahr, die Aberkennung des Parlamentssitzes und die Bezahlung des Differenzbetrages nach sich ziehen kann. (Pierre-Bloch gegen Frankreich) (T3)
    Veröff: NL 1997,269
  • Bsw 26780/95
    Entscheidungstext AUSL EGMR 28.10.1999 Bsw 26780/95
    nur T1; Beisatz: Sofortige Beschlagnahme des Führerscheins wegen Alkoholisierung: Nur weil eine Maßnahme in einem Strafgesetz vorgesehen ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass sie in den Anwendungsbereich von Art 6 MRK fällt. Wird die strafrechtliche Anklage grundsätzlich als amtliche Mitteilung durch die zuständige Behörde über den Vorwurf, eine Straftat begangen zu haben, definiert, so kann sie auch in gewissen Fällen die Form anderer Maßnahmen annehmen, die einen solchen Vorwurf beinhalten und ebenfalls Auswirkungen auf die Lage des Verdächtigen nach sich ziehen. Grundsätzlich sind die Verfahrensgarantien des Art 6 MRK auf die vorläufigen Maßnahmen im Zuge einer Untersuchung vor Einbringung einer strafrechtlichen Anklage - wie Festnahme oder Vernehmung eines Verdächtigen - nicht anwendbar. Bei Beschlagnahme des Führerscheins als reine Vorsichtsmaßnahme ohne pönalen Charakter, für eine Dauer von maximal 15 Tagen (45 Tagen unter besonderen Umständen), liegt keine „strafrechtliche Anklage" vor. (Escoubet gegen Belgien) (T4)
    Veröff: NL 1999,188
  • Bsw 27783/95
    Entscheidungstext AUSL EGMR 14.11.2000 Bsw 27783/95
    nur T1; Beisatz: Hier. Österreichisches Zivilverfahren - Mutwillensstrafe in Höhe von ATS 30.000,- wegen Erschleichung der Verfahrenshilfe mit anschließender Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe. Aufgrund der Art und Schwere der möglichen Strafe ist von einer „strafrechtlichen Anklage" auszugehen, Art 6 MRK ist daher anwendbar. (T5)
    Veröff: NL 2000,226
  • Bsw 39665/98
    Entscheidungstext AUSL EGMR 15.07.2002 Bsw 39665/98
    nur T1; Beisatz: Hier: Unterscheidung zwischen disziplinar- und strafrechtlicher Bestrafung wegen Delikten, die während einer Strafhaft begangen wurden. Die Kriterien der Art des Vergehens und der Art und Schwere der angedrohten Sanktion müssen nicht kumulativ vorliegen. Bei der Bestimmung der Natur des Vergehens kommt es darauf an, wie schwerwiegend es ist und ob seine Strafbarkeit davon abhängt, dass es in einem Gefängnis begangen wurde. Bei der Beurteilung der Art und Schwere der Strafe ist die höchstmögliche Strafe, die für das dem Bsf vorgeworfene Delikt verhängt werden kann, zu beachten. Freiheitsentziehungen, die als Strafe oder zur Abschreckung verhängt werden, fallen grundsätzlich in den Bereich des Strafrechts, außer sie können nach ihrer Art oder Dauer oder der Art und Weise ihrer Vollstreckung keinen wesentlichen Nachteil verursachen. Eine zusätzliche Freiheitsstrafe für ein während der Strafhaft verübtes Delikt kann nur in Ausnahmefällen als rein disziplinarrechtlich beurteilt werden. (Ezeh ua gegen das Vereinigte Königreich) (T6)
    Veröff: NL 2002,150
  • Bsw 34619/97
    Entscheidungstext AUSL EGMR 23.07.2002 Bsw 34619/97
    nur T1; Beis wie T6 nur: Die Kriterien der Art des Vergehens und der Art und Schwere der angedrohten Sanktion müssen nicht kumulativ vorliegen. (T7)
    Beisatz: Zahlung von Steuerzuschlägen wegen unrichtiger Steuererklärungen. Das entscheidende Merkmal strafrechtlicher Sanktionen ist, dass sie ahnden sollen. Steuerzuschläge, die sowohl abschrecken als auch ahnden sollen, fallen unter den Begriff der „strafrechtlichen Anklage". (Janosevic gegen Schweden) (T8)
    Veröff: NL 2002,156
  • Bsw 39665/98
    Entscheidungstext AUSL EGMR 09.10.2003 Bsw 39665/98
    nur T1; Beis wie T6; Veröff: NL 2003,260
  • 16 Ok 4/07
    Entscheidungstext OGH 12.09.2007 16 Ok 4/07
    Beisatz: Hier für Geldbuße nach § 29 KartG 2005 offengelassen. (T9)
    Bem: Mit ausführlicher Begründung. (T10)
  • Bsw 73053/01
    Entscheidungstext AUSL EGMR 23.11.2006 Bsw 73053/01
    nur T1; Beis wie T7; Beisatz: Im Fall Bendenoun/F, in dem es um die Vorschreibung einer Steuernachzahlung ging, bezog sich der GH nicht ausdrücklich auf die drei Engel-Kriterien, sondern führte vier Elemente an, die im gegenständlichen Fall für eine Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK sprachen, nämlich dass die gesetzlich vorgesehene Strafsanktion alle Bürger in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler beträfe, der Steuerzuschlag nicht die Leistung von Schadenersatz bezwecke, sondern als Strafe mit dem Ziel der Abschreckung zu verstehen sei, die betreffende Strafe nach einer allgemeinen Rechtsvorschrift verhängt werde, die sowohl der Abschreckung als auch der Bestrafung diene, und das Ausmaß des Steuerzuschlages beträchtlich sei. Diese Faktoren können für eine Beurteilung der Anwendung des zweiten und dritten Engel-Kriteriums relevant sein (siehe T1). (T11)
    Veröff: NL 2006,303
  • Bsw 69917/01
    Entscheidungstext AUSL EGMR 05.07.2007 Bsw 69917/01
    Vgl nur T1; Vgl Beis wie T4; Beisatz: Angelegenheiten der Vollstreckung einer Strafe fallen nicht in den strafrechtlichen Anwendungsbereich von Art. 6 MRK. (Stephen Anthony Saccoccia gegen Österreich) (T12)
    Beisatz: Art 6 MRK ist nicht auf Verfahren über Beschlagnahmungen anwendbar, die in keinem Zusammenhang zu einem Strafverfahren gegen den Bf. stehen. Hingegen ist Art. 6 MRK anwendbar, wenn das Verfallsverfahren auf die Verurteilung des Bf folgt, da Art. 6 MRK sich auf das gesamte Verfahren über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage bezieht. (Stephen Anthony Saccoccia gegen Österreich) (T13)
    Veröff: NL 2007,178
  • Bsw 69917/01
    Entscheidungstext AUSL EGMR 18.12.2008 Bsw 69917/01
    Vgl aber; Beis wie T12; Beisatz: Die Vollstreckung der Verfallsanordnung fällt zwar nicht in den strafrechtlichen, sehr wohl aber in den zivilrechtlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK. (Saccoccia gegen Österreich) (T14)
    Veröff: NL 2008,362
  • Bsw 14939/03
    Entscheidungstext AUSL EGMR 10.02.2009 Bsw 14939/03
    Beis wie T6 nur: Bei der Beurteilung der Art und Schwere der Strafe ist die höchstmögliche Strafe, die für das dem Bsf vorgeworfene Delikt verhängt werden kann, zu beachten. Freiheitsentziehungen, die als Strafe oder zur Abschreckung verhängt werden, fallen grundsätzlich in den Bereich des Strafrechts, außer sie können nach ihrer Art oder Dauer oder der Art und Weise ihrer Vollstreckung keinen wesentlichen Nachteil verursachen. (T15)
    Veröff: NL 2009,37
  • Bsw 16012/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 15.12.2009 Bsw 16012/06
    Vgl auch; Beis wie T12; Beisatz: Die Entscheidung über den Ersatz einer verhängten Freiheitsstrafe durch eine Ausweisung und ein Aufenthaltsverbot fällt in den Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 MRK. (Gurguchiani gegen Spanien) (T16)
    Veröff: NL 2009,362
  • Bsw 13079/03
    Entscheidungstext AUSL EGMR 16.06.2009 Bsw 13079/03
    Beis wie T6 nur: Die Kriterien der Art des Vergehens und der Art und Schwere der angedrohten Sanktion müssen nicht kumulativ vorliegen. (T17)
    Beisatz: Es reicht aus, wenn die Straftat ihrer Art nach als strafrechtlich anzusehen ist oder wenn sie mit einer Sanktion bedroht ist, die ihrer Art oder Schwere nach in den allgemeinen strafrechtlichen Bereich fällt. Ein kumulativer Ansatz ist jedoch nicht ausgeschlossen, wenn die gesonderte Analyse jedes dieser Kriterien für sich keine eindeutige Schlussfolgerung erlaubt. (Ruotsalainen gegen Finnland) (T18)
    Veröff: NL 2009,165
  • Bsw 27804/05
    Entscheidungstext AUSL EGMR 01.04.2010 Bsw 27804/05
    Auch; nur T12; Veröff: NL 2010,115
  • Bsw 21539/07
    Entscheidungstext AUSL EGMR 17.04.2012 Bsw 21539/07
    Veröff: NL 2012,126
  • Bsw 47195/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 19.02.2013 Bsw 47195/06
    Vgl auch; Beisatz: Hier: Ein Delikt nach § 1 Abs 1 Disziplinarstatut der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter ist nicht strafrechtlicher, sondern disziplinarrechtlicher Natur. (Müller-Hartburg gg. Österreich) (T19)
    Veröff: NL 2013,43
  • Bsw 20688/04
    Entscheidungstext AUSL EGMR 17.12.2013 Bsw 20688/04
    Vgl auch; Beisatz: Verfahren über die Entlassung von Beamten wegen der Begehung von Disziplinarvergehen beziehen sich nicht auf eine strafrechtliche Anklage iSv Art 6 MRK. (Nikolova und Vandova gg. Bulgarien) (T20)
    Veröff: NL 2013,448
  • Bsw 18640/10
    Entscheidungstext AUSL EGMR 04.03.2014 Bsw 18640/10
    Beis wie T6 nur: Bei der Beurteilung der Art und Schwere der Strafe ist die höchstmögliche Strafe, die für das dem Bf vorgeworfene Delikt verhängt werden kann, zu beachten. (T21)
    Beisatz: Die Bedeutung der nationalen Einstufung ist relativ und daher nicht entscheidend für die Anwendung von Art 6 MRK. (Grande Stevens u.a. gg. Italien) (T22)
    Veröff: NL 2014,117
  • 24 Os 6/16m
    Entscheidungstext OGH 22.03.2017 24 Os 6/16m
    Vgl auch; Beisatz: Disziplinarverfahren der österreichischen Rechtsanwälte sind keine Strafverfahren im Sinn des Art 4 7.ZPMRK. (T23)
  • 6 Ob 213/17t
    Entscheidungstext OGH 17.01.2018 6 Ob 213/17t
    Vgl; Beis wie T7; Beis wie T18; Beis ähnlich wie T23; Beisatz: Was die Natur des Vergehens betrifft, so ist insbesondere der sachliche und persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift bedeutsam; vor allem der Adressatenkreis einer Regelung ist entscheidend: Richtet sich eine Regelung (wenigstens potenziell) an die Allgemeinheit, spricht das für den strafrechtlichen Charakter des Vergehens (Hier: Ausschluss aus einem Verein ist keine strafrechtliche Entscheidung). (T24)
    Beisatz: Art 6 und 7 EMRK sowie Art 4 7. ZPEMRK verwenden den selben Begriff des „straf­rechtlichen Verfahrens“. (T25)
  • Bsw 19844/08
    Entscheidungstext AUSL EGMR 11.06.2018 Bsw 19844/08
    Auch; Beisatz: Keine Anwendbarkeit von Art 6 Abs 1 MRK in seinem strafrechtlichen Aspekt auf ein Verfahren über den Entzug der Lenkberechtigung. (Becker gg. Österreich) (T26)
    Veröff: NL 2015,213
  • Bsw 47152/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 23.03.2016 Bsw 47152/06
    Auch; Beisatz: Die in einem Verfahren drohende Unterbringung in einem geschlossenen Zentrum für jugendliche Straftäter weist klare Elemente der Abschreckung und der Bestrafung auf, weshalb auf ein solches Verfahren Art 6 MRK anwendbar ist. (Blokhin gg. Russland [Große Kammer]) (T27)
    Veröff: NL 2016,118
  • Bsw 33060/10
    Entscheidungstext AUSL EGMR 05.04.2019 Bsw 33060/10
    Vgl auch; Beis wie T19; Veröff: NL 2016,129
  • Bsw 24130/11
    Entscheidungstext AUSL EGMR 15.11.2016 Bsw 24130/11
    Ähnlich; Beisatz: Dieselben Kriterien gelten auch für die Beurteilung, ob das Verfahren im Hinblick auf Art 4 7.ZPMRK strafrechtlich war. (A. und B. gg. Norwegen [GK]) (T28)
    Beisatz: Dabei sind das zweite (Natur der Straftat) und das dritte Kriterium (Schweregrad der Strafe) alternativ und nicht unbedingt kumulativ anzuwenden. (A. und B. gg. Norwegen [GK]) (T29); Veröff: NL 2016,556
  • Bsw 19600/15
    Entscheidungstext AUSL EGMR 28.03.2017 Bsw 19600/15
    Vgl auch; Beisatz: Disziplinarverfahren gegen Soldaten wegen Dienstpflichtverletzungen, die mit einer Gehaltskürzung oder einer Beförderungssperre geahndet werden können, fallen nicht in den strafrechtlichen Anwendungsbereich von Art 6 Abs 1 MRK. (R:S. gg. Deutschland) (T30); Veröff: NL 2017,222
  • 15 Os 106/21h
    Entscheidungstext OGH 20.10.2021 15 Os 106/21h
    Vgl
  • Bsw 54012/10
    Entscheidungstext AUSL 08.07.2019 Bsw 54012/10
    vgl; Beisatz wie T7; Beisatz wie T28
    Anm: Veröff: NL 2019,330
  • Bsw 58812/15
    Entscheidungstext AUSL 17.10.2019 Bsw 58812/15
    Anm: Veröff: NL 2019,410

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:AUSL000:1996:RS0120945

Im RIS seit

15.06.1997

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2024

Dokumentnummer

JJR_19960222_AUSL000_000BSW18892_9100000_001

Rechtssatz für Bsw17862/91 Bsw16012/06...

Gericht

AUSL EKMR, AUSL EGMR, OGH

Dokumenttyp

Rechtssatz

Rechtsgebiet

Zivilrecht, Strafrecht

Rechtssatznummer

RS0122524

Geschäftszahl

Bsw17862/91; Bsw16012/06; Bsw50425/06; 15Os52/12d; Bsw42750/09; Bsw42750/09; 1Ob100/17p; Bsw59552/08; 15Os133/21d

Entscheidungsdatum

27.04.2022

Norm

MRK Art7 Abs1

Rechtssatz

Um als Gesetz iSd Artikel 7, Absatz eins, MRK zu gelten, muss eine Norm die Erfordernisse der Zugänglichkeit und Vorhersehbarkeit erfüllen. Sie muss so klar formuliert sein, dass jedermann - allenfalls nach sachkundiger Beratung - in der Lage ist, sein Verhalten darauf abzustellen. Wenn viele Gesetze sich vager Formulierungen bedienen, um allzu große Starrheit zu vermeiden und eine Anpassung an neue Entwicklungen zu gestatten, so obliegt es der Praxis, diese auszulegen.

Entscheidungstexte

  • Bsw 17862/91
    Entscheidungstext AUSL EKMR 12.04.1995 Bsw 17862/91
    Veröff: NL 1995,112
  • Bsw 16012/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 15.12.2009 Bsw 16012/06
    Auch; nur: Um als Gesetz iSd Art 7 Abs 1 MRK zu gelten, muss eine Norm die Erfordernisse der Zugänglichkeit und Vorhersehbarkeit erfüllen. (T1)
    Veröff: NL 2009,362
  • Bsw 50425/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 06.10.2011 Bsw 50425/06
    Auch; Beisatz: Im Hinblick auf das Prinzip der Allgemeinheit von Gesetzen kann deren Wortlaut keine absolute Präzision aufweisen. Die Verwendung von Kategorien lässt häufig Grauzonen für die Grenzen einer Definition. Für sich allein reichen diese Zweifel betreffend Grenzfälle nicht aus, um eine Bestimmung unvereinbar mit Art 7 MRK werden zu lassen. (Bem: Soros gg. Frankreich) (T2)
    Veröff: NL 2011,294
  • 15 Os 52/12d
    Entscheidungstext OGH 11.12.2013 15 Os 52/12d
    Auch
  • Bsw 42750/09
    Entscheidungstext AUSL EGMR 10.07.2012 Bsw 42750/09
    Vgl auch; Veröff: NL 2012,240
  • Bsw 42750/09
    Entscheidungstext AUSL EGMR 21.10.2013 Bsw 42750/09
    Vgl auch; Beisatz: Eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung muss ausreichend vorhersehbar sein. Eine nicht vorhersehbare Abweichung von der bisherigen ständigen Rechtsprechung stellt keine Weiterentwicklung dar. (Del Rio Prada gg. Spanien [GK]) (T3)
    Veröff: NL 2013,358
  • 1 Ob 100/17p
    Entscheidungstext OGH 28.06.2017 1 Ob 100/17p
    Vgl
  • Bsw 59552/08
    Entscheidungstext AUSL_EGMR 27.01.2015 Bsw 59552/08
    Auch; Veröff: NL 2015,32
  • 15 Os 133/21d
    Entscheidungstext OGH 27.04.2022 15 Os 133/21d

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:AUSL000:1995:RS0122524

Im RIS seit

15.06.1997

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2022

Dokumentnummer

JJR_19950412_AUSL000_000BSW17862_9100000_003

Rechtssatz für Bsw20166/92 (Bsw20190/92)...

Gericht

AUSL EGMR, OGH

Dokumenttyp

Rechtssatz

Rechtsgebiet

Zivilrecht, Strafrecht

Rechtssatznummer

RS0122531

Geschäftszahl

Bsw20166/92 (Bsw20190/92); 14Os55/09h (14Os65/09d, 14Os66/09a); Bsw69917/01; Bsw36376/04; Bsw9174/02; Bsw10249/03; Bsw16012/06; Bsw12157/05; Bsw36376/04; Bsw2615/10; 15Os52/12d; Bsw42931/10; 1Ob100/17p; Bsw59552/08; 15Os133/21d

Entscheidungsdatum

27.04.2022

Norm

MRK Art7 Abs1

Rechtssatz

Artikel 7, Absatz eins, MRK soll in Anlehnung an sein Ziel und seinen Zweck so ausgelegt und angewendet werden, dass er einen wirksamen Schutz gegen willkürliche Verfolgung, Verurteilung und Bestrafung darstellt. Er beinhaltet das Verbot der rückwirkenden Anwendung von Strafnormen zum Nachteil des Angeklagten. Ferner bestimmt er, dass nur das Gesetz ein Delikt definieren und Strafen vorschreiben kann. Der Einzelne muss aus dem Wortlaut einer Strafnorm erkennen können - gegebenenfalls unter Heranziehung der Auslegung durch die Gerichte -, welche Handlungen strafrechtliche Verantwortlichkeit auslösen, die Strafnorm muss darüber hinaus den qualitativen Anforderungen der Vorhersehbarkeit und des Zugangs entsprechen.

Entscheidungstexte

  • Bsw 20166/92
    Entscheidungstext AUSL EGMR 22.11.1995 Bsw 20166/92
    Veröff: NL 1995,223
  • 14 Os 55/09h
    Entscheidungstext OGH 04.06.2009 14 Os 55/09h
    Vgl auch; Beisatz: Art 7 MRK ist in sachlicher Hinsicht auf Verurteilungen und die Verhängung von Strafen beschränkt (Grabenwarter EMRK³ § 24 Rz 129). (T1)
  • Bsw 69917/01
    Entscheidungstext AUSL EGMR 05.07.2007 Bsw 69917/01
    Vgl auch Beis wie T1; Beisatz: Art. 7 MRK ist auf die Strafvollstreckung nicht anwendbar. (Stephen Anthony Saccoccia gegen Österreich) (T2)
    Veröff: NL 2007,178
  • Bsw 36376/04
    Entscheidungstext AUSL EGMR 24.07.2008 Bsw 36376/04
    nur: Der Einzelne muss aus dem Wortlaut einer Strafnorm erkennen können - gegebenenfalls unter Heranziehung der Auslegung durch die Gerichte -, welche Handlungen strafrechtliche Verantwortlichkeit auslösen. (T3)
    Veröff: NL 2008,225
  • Bsw 9174/02
    Entscheidungstext AUSL EGMR 19.09.2008 Bsw 9174/02
    Veröff: NL 2008,262
  • Bsw 10249/03
    Entscheidungstext AUSL EGMR 17.09.2009 Bsw 10249/03
    nur: Er beinhaltet das Verbot der rückwirkenden Anwendung von Strafnormen zum Nachteil des Angeklagten. Ferner bestimmt er, dass nur das Gesetz ein Delikt definieren und Strafen vorschreiben kann. (T4)
    Veröff: NL 2009,260
  • Bsw 16012/06
    Entscheidungstext AUSL EGMR 15.12.2009 Bsw 16012/06
    nur: Art 7 MRK beinhaltet das Verbot der rückwirkenden Anwendung von Strafnormen zum Nachteil des Angeklagten. Ferner bestimmt er, dass nur das Gesetz ein Delikt definieren und Strafen vorschreiben kann. (T5)
    Veröff: NL 2009,362
  • Bsw 12157/05
    Entscheidungstext AUSL EGMR 25.06.2009 Bsw 12157/05
    nur: Ferner bestimmt Art 7 MRK, dass nur das Gesetz ein Delikt definieren und Strafen vorschreiben kann. Der Einzelne muss aus dem Wortlaut einer Strafnorm erkennen können - gegebenenfalls unter Heranziehung der Auslegung durch die Gerichte -, welche Handlungen strafrechtliche Verantwortlichkeit auslösen, die Strafnorm muss darüber hinaus den qualitativen Anforderungen der Vorhersehbarkeit und des Zugangs entsprechen. (T6)
    Veröff: NL 2009,167
  • Bsw 36376/04
    Entscheidungstext AUSL EGMR 17.05.2010 Bsw 36376/04
    nur T6; Veröff: NL 2010,151
  • Bsw 2615/10
    Entscheidungstext AUSL EGMR 21.06.2011 Bsw 2615/10
    nur: Art 7 Abs 1 MRK soll in Anlehnung an sein Ziel und seinen Zweck so ausgelegt und angewendet werden, dass er einen wirksamen Schutz gegen willkürliche Verfolgung, Verurteilung und Bestrafung darstellt. (T7)
    Veröff: NL 2011,203
  • 15 Os 52/12d
    Entscheidungstext OGH 11.12.2013 15 Os 52/12d
    Auch
  • Bsw 42931/10
    Entscheidungstext AUSL EGMR 22.01.2013 Bsw 42931/10
    Auch; nur: Der Einzelne muss aus dem Wortlaut einer Strafnorm erkennen können - gegebenenfalls unter Heranziehung der Auslegung durch die Gerichte -, welche Handlungen strafrechtliche Verantwortlichkeit auslösen, die Strafnorm muss darüber hinaus den qualitativen Anforderungen der Vorhersehbarkeit und des Zugangs entsprechen. (T8)
    Beisatz: Sieht eine strafrechtliche Bestimmung zwei Strafvarianten mit unterschiedlichen Strafrahmen vor, so muss für einen Beschuldigten – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Rechtsbeistands – erkennbar sein, welche der beiden Varianten auf ihn Anwendung finden wird. Legt das Gesetz nicht fest, unter welchen Voraussetzungen die jeweilige Strafvariante zur Anwendung kommt, so liegt eine Verletzung von Art 7 MRK vor. (Camilleri gg. Malta) (T9)
    Verröff: NL 2013,27
  • 1 Ob 100/17p
    Entscheidungstext OGH 28.06.2017 1 Ob 100/17p
    Vgl auch
  • Bsw 59552/08
    Entscheidungstext AUSL_EGMR 27.01.2015 Bsw 59552/08
    Beisatz: Hier: Vorhersehbarkeit der Anwendung des neu eingeführten Dauerdelikts des Missbrauchs einer im selben Haushalt lebenden Person auch auf Tathandlungen, die vor Einführung dieses Tatbestands begangen wurden. (Rohlena gg. Tschechien) (T10)
    Veröff: NL 2015,32
  • 15 Os 133/21d
    Entscheidungstext OGH 27.04.2022 15 Os 133/21d
    Vgl

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:AUSL000:1995:RS0122531

Im RIS seit

15.06.1997

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2022

Dokumentnummer

JJR_19951122_AUSL000_000BSW20166_9200000_001

Entscheidungstext Bsw16012/06

Gericht

AUSL EGMR

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Fundstelle

Newsletter Menschenrechte NL 2009,362

Geschäftszahl

Bsw16012/06

Entscheidungsdatum

15.12.2009

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch III, Beschwerdesache Gurguchiani gg. Spanien, Urteil vom 15.12.2009, Bsw. 16012/06.

Spruch

Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Artikel 7, EMRK - Rückwirkender Ersatz einer Haftstrafe durch Ausweisung und Einreiseverbot.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Verletzung von Artikel 7, EMRK (einstimmig).

Keine gesonderte Untersuchung der behaupteten Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK und Artikel 13, EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: € 5.000,– für immateriellen Schaden (4:3 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Am 18.9.2002 wurde der Bf. in Barcelona festgenommen und tags darauf in Untersuchungshaft genommen. Am 7.10.2002 verurteilte ihn der Strafrichter Nr. 20 von Barcelona zu 18 Monaten Haft wegen versuchten Diebstahls im September 2002. Am selben Tag wurde der Bf. auf Bewährung freigelassen. Das Urteil wurde am 31.1.2003 vom zuständigen Gericht, der Audiencia Provincial Barcelona, bestätigt, das vom Bf. beim Verfassungsgericht eingebrachte Rechtsmittel am 21.7.2004 abgewiesen.

Am 8.7.2003 beantragte die Generaldirektion der Polizei beim für das Vollstreckungsverfahren zuständigen Strafrichter Nr. 21, anstelle der Haftstrafe die Ausweisung des Bf. durchzuführen. Anmerkung, Artikel 89, spanisches StGB in der Fassung 23.11.1995 sieht vor, dass Freiheitsstrafen unter sechs Jahren, die einem sich illegal im Staatsgebiet aufhaltenden Ausländer auferlegt wurden, durch dessen Ausweisung und ein drei- bis zehnjähriges Einreiseverbot ersetzt werden können.) Dem Antrag war eine Entscheidung der Unterdelegation der Zentralregierung in Barcelona beigefügt, mit der die Ausweisung des Bf., der sich als georgischer Staatsbürger illegal in Spanien aufhalte, verwaltungsrechtlich angeordnet wurde.

Am 11.7.2003 fand vor dem Strafrichter Nr. 21 eine Anhörung statt, in der sich der Bf. gegen eine Ausweisung aussprach, die Staatsanwaltschaft jedoch diese und ein Einreiseverbot für vier Jahre forderte. Der Strafrichter entschied, die Ausweisung nicht vorzunehmen und stattdessen die auferlegte Strafe zu vollstrecken. Ein Grund dafür war der vom Bf. erbrachte Nachweis der Eintragung seines Wohnsitzes in Barcelona.

Die Staatsanwaltschaft brachte daraufhin einen Abänderungsrekurs ein. Dieser wurde vom Strafrichter Nr. 21 mit der Begründung abgewiesen, dass es in seinem Ermessen liege zu entscheiden, ob anstatt der Strafvollstreckung eine Ausweisung erfolgen solle. Die in der Folge angerufene Audiencia Provincial gab dem Antrag der Staatsanwaltschaft jedoch statt und ordnete die Ausweisung des Bf. und ein Einreiseverbot für die Dauer von zehn Jahren an. Sie stützte sich dabei auf die neue Fassung des Artikel 89, spanisches StGB vom 1.10.2003, der nun, außer in Ausnahmefällen, zwingend vorsah, anstelle der Strafe eine Ausweisung durchzuführen. Die Tatsache, dass der Bf. als in Barcelona wohnhaft registriert war, spreche nicht dagegen, da nun personelle Umstände nicht mehr zu berücksichtigen seien und der Bf. außerdem angegeben habe, in einem besetzten Haus zu leben.

Gegen diese Entscheidung brachte der Bf. eine Amparo-Beschwerde beim Verfassungsgericht ein. Dieses wies das Rechtsmittel am 25.10.2005 ab. Wie es ausführte, sei nicht von der rückwirkenden Anwendung eines nachteiligen Strafgesetzes durch die Audiencia Provincial auszugehen. Diese habe ihre Entscheidung auf Motive gestützt, die auch im Lichte der alten Fassung des Artikel 89, StGB gültig gewesen wären. Auch sei die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Abhaltung einer öffentlichen Verhandlung in zweiter Instanz nicht anwendbar, da das umstrittene Verfahren nicht der Feststellung der Schuld, sondern der Festlegung der Art und Weise der Strafvollstreckung gedient habe.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. beschwert sich über das Fehlen einer öffentlichen Verhandlung in zweiter Instanz vor der Audiencia Provincial Barcelona. Weiters ist er der Ansicht, die während der Begehung der Straftat herrschende Rechtslage sei für ihn günstiger gewesen als die danach im Rahmen der Strafvollstreckung von der Berufungsinstanz herangezogene. Er rügt die rückwirkende Anwendung von Artikel 89, spanisches StGB. Der Bf. macht eine Verletzung von Artikel 6, EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), Artikel 7, EMRK (Nulla poena sine lege) und von Artikel 13, EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz) geltend.

Zur Zulässigkeit:

Artikel 6, EMRK ist auf Strafvollstreckungsverfahren grundsätzlich nicht anwendbar. Der strafrechtliche Aspekt von Artikel 6, Absatz eins, EMRK umfasst jedoch Strafverfahren in ihrer Gesamtheit, also auch die Erhebung von Rechtsmitteln und die Festsetzung der Strafe. Der GH hat erstens zu klären, ob die umstrittene Ausweisung insoweit als Strafe einzustufen ist, als sie an die Stelle der verhängten Strafe gesetzt würde, und folglich in den Anwendungsbereich von Artikel 7, EMRK fiele. Zweitens muss er untersuchen, ob das Verfahren zur Vollstreckung des gegen den Bf. gerichteten Urteils der Festlegung einer Strafe diente und unter Artikel 6, Absatz eins, EMRK fällt.

Der Strafrichter Nr. 21 war grundsätzlich nicht dazu berufen, eine Strafe festzulegen, sondern lediglich die internen Regeln für deren Vollzug. Artikel 89, StGB in der Fassung vom 29.9.2003 zwingt den Strafvollzugsrichter jedoch dazu, die Ausweisung eines zu weniger als sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Ausländers anstelle der gegen ihn verhängten Strafe anzuordnen, ohne – außer in Ausnahmefällen – auf dessen persönliche Umstände Rücksicht zu nehmen. Da diese Bestimmung vorliegend zur Anwendung kam, geht der GH davon aus, dass die eben gestellten Fragen eng mit dem Inhalt der vorgebrachten Beschwerden verbunden sind und deshalb gemeinsam mit der Entscheidung in der Sache behandelt werden sollen. Die Beschwerden sind weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie müssen für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Artikel 7, EMRK:

Artikel 7, EMRK verlangt, dass ein Gesetz nicht rückwirkend zum Nachteil des Angeklagten angewendet werden darf. Delikte und Strafen müssen gesetzlich vorgesehen und klar determiniert sein. Der Begriff der Strafe iSv. Artikel 7, EMRK ist autonom auszulegen. Sie muss jedenfalls in Folge einer Verurteilung wegen Begehung einer Straftat verhängt worden sein. Der GH unterscheidet zwischen Maßnahmen, die in ihrer Substanz eine Strafe darstellen, und solchen, die sich auf den Vollzug oder auf die Anwendung einer Strafe beziehen. Eine Abgrenzung ist in der Praxis nicht unbedingt einfach.

Artikel 89, StGB alte Fassung gab dem für die Urteilsvollstreckung zuständigen Strafrichter die Möglichkeit, die dem Bf. auferlegte Freiheitsstrafe durch dessen Ausweisung und ein drei bis zwölf Jahre gültiges Einreiseverbot zu ersetzen. Der Richter verfügte über das notwendige Ermessen, eine solche Entscheidung im Einzelfall zu treffen oder nicht.

Richtig ist, dass die Generaldirektion der Polizei beim Richter Nr. 21 beantragt hat, die Ausweisung des Bf. durchzuführen, über welche auch bereits von der Unterdelegation der Zentralregierung in Barcelona entschieden worden war. Dieser Antrag war allerdings mit dem Strafvollstreckungsverfahren verbunden. Der Richter Nr. 21 entschied, die Ausweisung des Bf. nicht zu genehmigen und stattdessen die verhängte Strafe zu vollziehen. Grund dafür war unter anderem der vom Bf. vorgelegte Nachweis seines Wohnsitzes in Barcelona.

Unter Anwendung der neuen Fassung des Artikel 89, StGB ordnete die Audiencia Provincial Barcelona danach jedoch die Ausweisung des Bf. und ein Aufenthaltsverbot für zehn Jahre an. Der Neufassung zufolge musste die Haftstrafe – außer in Ausnahmefällen – durch die Ausweisung ersetzt werden. Die Ausweisung wurde damit zur Regel und hing, außer im Falle besonderer Umstände, die der Bf. mangels Erscheinens vor Gericht nicht mehr geltend machen konnte, nicht mehr vom Ermessen des Richters ab.

Der GH muss nun klären, ob die gesetzliche Bestimmung in Zusammenschau mit der sie auslegenden Rechtsprechung zugänglich und vorhersehbar war.

Als der Bf. als sich illegal in Spanien aufhaltender Ausländer im September 2002 eine Straftat beging, sah das StGB klar die Möglichkeit vor, eine geringere als sechsjährige Freiheitsstrafe durch eine Ausweisung zu ersetzen. Je nach Einschätzung des Richters konnte eine Haftstrafe daher mit einer Ausweisung gleichwertig sein. Am 1.10.2003 trat dann die neue Fassung des Artikel 89, StGB in Kraft. Diese war Grundlage für die Entscheidung der Audiencia Provincial. Sie hatte die quasi automatische Ausweisung des Verurteilten zur Folge.

Die Regierung weist auf die Ausweisungsentscheidung von Dezember 2002 hin, die von der Unterdelegation der Zentralregierung, einem Verwaltungsorgan, getroffen wurde. Diese Angelegenheit ist aber von der hier zu behandelnden zu unterscheiden, da vorliegend allein der Ersatz der Strafe auf Grundlage von Artikel 89, StGB zur Debatte steht.

Der neue Artikel 89, StGB sieht vor, dass der Ersatz der Freiheitsstrafe durch die Ausweisung im Strafurteil angeführt werden muss. Dies war im gegen den Bf. erlassenen Strafurteil jedoch nicht der Fall, was von der Audiencia Provincial bei ihrer Entscheidung über die Berufung im Vollstreckungsverfahren nicht berücksichtigt wurde. Artikel 89, StGB in seiner alten Fassung sah nur die Möglichkeit, nicht aber die Pflicht vor, die Freiheitsstrafe durch eine Ausweisung zu ersetzen. Obwohl von der Staatsanwaltschaft lediglich ein vierjähriges Einreiseverbot gefordert worden war, entschied die Audiencia Provincial darüber hinaus, ein zehnjähriges zu verhängen, so wie dies auch im neuen Artikel 89, StGB vorgesehen war.

In Anbetracht des Gesagten schließt der GH, dass der Ersatz der dem Bf. auferlegten Freiheitsstrafe durch dessen Ausweisung und ein zehnjähriges Einreiseverbot – ohne Anhörung des Bf. und ohne die Heranziehung anderer Gründe als die quasi automatische Anwendung der Neufassung des Artikel 89, StGB – als eine Strafe angesehen werden muss, die in ihrer Art jener der aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Bf. verhängten entspricht.

Der Bf. ist der Ansicht, dass zum Zeitpunkt seiner Tatbegehung ein solcher Ersatz nicht vorhersehbar war und ihm daher rückwirkend eine schwerere Strafe auferlegt wurde. Der GH erinnert, dass der Vollzugsrichter zunächst von einer Ausweisung abgesehen und diese Entscheidung später bestätigt, infolge einer Berufung der Staatsanwaltschaft die Audiencia Provincial jedoch unter Anwendung der neuen Gesetzeslage die Ausweisung angeordnet hat. Die Neufassung des Artikel 89, StGB nimmt dem Richter die Möglichkeit zu entscheiden, ob eine Ausweisung verfügt oder die Haftstrafe vollstreckt werden soll. Gleichzeitig hat sie den Bf. daran gehindert, vor Gericht zu erscheinen, um gegen seine Ausweisung vorzugehen. Zudem stellt das im neuen Artikel 89, StGB vorgesehene Rückkehrverbot von zehn Jahren eine schwerere Strafe dar als das in der alten Fassung vorgesehene von drei bis zehn Jahren, das zudem vom Ermessen des Richters abhing.

Aufgrund seiner Ausführungen kommt der GH zu dem Schluss, dass eine Verletzung von Artikel 7, EMRK vorliegt, da dem Bf. eine schwerere Strafe auferlegt wurde als die, mit der er in Anbetracht seiner strafrechtlichen Verurteilung rechnen musste (einstimmig; im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum von Richter Myjer, gefolgt von Richterin Fura).

Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, Absatz eins und Artikel 13, EMRK:

Nach Ansicht des Bf. hätte im Verfahren vor der Audiencia Provincial eine öffentliche Verhandlung stattfinden müssen. Der GH hat bereits entschieden, dass der Ersatz der Freiheitsstrafe durch die Ausweisung und das zehnjährige Aufenthaltsverbot eine Strafe iSv. Artikel 7, EMRK darstellte. Außerdem liegt noch keine Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage iSv. Artikel 6, Absatz eins, EMRK vor, solange nicht auch die Strafe definitiv festgelegt ist. Diese Gründe reichen, um Artikel 6, Absatz eins, EMRK für anwendbar zu erklären. Trotzdem hält es der GH in Anbetracht der vorhergehenden Feststellung einer Verletzung von Artikel 7, EMRK nicht für nötig, eine eigenständige Untersuchung dieses Beschwerdepunkts vorzunehmen (einstimmig).

Aus denselben Gründen wird auch die behauptete Verletzung von Artikel 13, EMRK nicht gesondert untersucht (einstimmig).

Entschädigung nach Artikel 41, EMRK:

€ 5.000,– für immateriellen Schaden (4:3 Stimmen; Sondervotum von Richter Zupancic, Sondervotum von Richter Myjer, gefolgt von Richterin Fura).

Vom GH zitierte Judikatur:

Eckle/D v. 15.7.1982, A/51, EuGRZ 1983, 371.

Guizani/F v. 9.3.1990 (ZE).

Maaouia/F v. 5.10.2000 (GK), NL 2000, 190; ÖJZ 2002, 109.

Grava/I v. 5.12.2002 (ZE).

Sannino/I v. 24.2.2005 (ZE).

Kafkaris/CYP v. 12.2.2008 (GK), NL 2008, 24.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 15.12.2009, Bsw. 16012/06, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2009, 362) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im französischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/09_6/Gurguchiani.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Textnummer

EGM00953

Im RIS seit

02.04.2010

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2017

Dokumentnummer

JJT_20091215_AUSL000_000BSW16012_0600000_000