1 Mit Bescheid vom 13. Mai 2024 sprach die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) der Mitbeteiligten auf Grund ihres Antrags vom 15. April 2024 Arbeitslosengeld ab dem 8. Mai 2024 zu. Das wurde damit begründet, dass die Mitbeteiligte „aufgrund der aktuellen Bestimmungen zum § 12/3h AlVG“ sämtliche Voraussetzungen für das Arbeitslosengeld (erst) ab 8. Mai 2024 erfüllt habe.
2 Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Sie machte geltend, dass ihr das Arbeitslosengeld schon ab dem 15. April 2024 zuzuerkennen gewesen wäre.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt. Es änderte den Bescheid des AMS dahingehend ab, dass der Mitbeteiligten Arbeitslosengeld ab dem 16. April 2024 zuerkannt wurde.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass die Mitbeteiligte im Zeitraum 27. November 2023 bis 15. April 2024 eine vollversicherte Beschäftigung bei der Dienstgeberin T. ausgeübt habe. Davor sei sie von 19. April 2021 bis 24. November 2023 bei der Dienstgeberin D. vollversichert beschäftigt gewesen. Weiters sei sie von 1. Juni 2016 bis 7. Mai 2024 in einem geringfügigen Dienstverhältnis beim Dienstgeber B. gestanden. Ihr monatliches Einkommen sei im Jahr 2024 stets unter € 518,44 gelegen.
5 In seiner rechtlichen Beurteilung widersprach das Bundesverwaltungsgericht mit ausführlicher Begründung der dem Bescheid des AMS zugrunde liegenden Auffassung, wonach ein Fall des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG vorliege, wenn durch Wegfall eines parallel bestehenden vollversicherten Dienstverhältnisses die Vollversicherungspflicht für das geringfügige Dienstverhältnis ende. Mangels Anwendbarkeit des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG sei die Mitbeteiligte bereits ab dem 16. April 2024 arbeitslos gewesen. Sie habe auch sonst alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, weshalb ihr ab diesem Datum Arbeitslosengeld zuzuerkennen gewesen sei.
6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Zwar möge das AMS entsprechend einer Durchführungsweisung des Bundesministers eine eigene Rechtsansicht betreffend den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG vertreten, doch stehe dieser der klare Wortlaut der Bestimmung bzw. eine eindeutige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht stützen habe können.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
8 Das AMS bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, dass seit 1. April 2024 mehrere geringfügige Beschäftigungen, die insgesamt über der Geringfügigkeitsgrenze lägen, sowie geringfügige Beschäftigungen, die parallel zu einer vollversicherten Beschäftigung ausgeübt würden, der Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung unterlägen. Wenn man davon ausgehe, dass in diesen Fällen sämtliche geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse beendet werden müssten, um den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit herbeizuführen, sei konsequenterweise auch § 12 Abs. 3 lit. h AlVG entsprechend anzuwenden (Hinweis auf Pfalz, Mehrfache geringfügige Beschäftigung in der Sozialversicherung, insb in der Arbeitslosenversicherung, ZAS 2024/25). Es fehle an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob bei einem Wegfall der Arbeitslosenversicherungspflicht des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses eine „neue geringfügige Beschäftigung“ im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG iVm § 1 Abs. 4 AlVG vorliege. Die Definition von „neuer geringfügiger Beschäftigung“ in § 12 Abs. 3 lit. h AlVG habe sich durch den Wegfall einer Wortfolge in § 1 Abs. 4 AlVG mit 1. April 2024 geändert. Es sei entscheidend, ob der Wegfall der Vollversicherung eines Dienstverhältnisses und dessen Fortsetzung als geringfügiges Dienstverhältnis der Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG gleichzusetzen sei.
9 Die Revision ist zur Klärung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
10 § 12 Abs. 1 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 94/2014, § 12 Abs. 3 lit. h AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 und § 12 Abs. 6 lit. a AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 139/1997 lauten:
„§ 12 (1) Arbeitslos ist, wer
1. eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat,
2. nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund eines Einheitswertes, der kein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erwarten lässt, unterliegt oder auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt und
3. keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt.
[...]
(3) Als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht:(3) Als arbeitslos im Sinne der Absatz eins und 2 gilt insbesondere nicht:
[...]
h) wer beim selben Dienstgeber eine Beschäftigung aufnimmt, deren Entgelt die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, es sei denn, daß zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist.
[...]
(6) Als arbeitslos gilt jedoch,
a) wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, wobei bei einer Beschäftigung als Hausbesorger im Sinne des Hausbesorgergesetzes, BGBl. Nr. 16/1970, der Entgeltwert für die Dienstwohnung und der pauschalierte Ersatz für Materialkosten unberücksichtigt bleiben;“
11 Die im vorliegenden Fall strittigen Auslegungsfragen ergeben sich aus der Aufhebung der Wortfolge „Abs. 2“ in § 1 Abs. 4 AlVG (betreffend die Abgrenzung des Kreises der in der Arbeitslosenversicherung Pflichtversicherten) durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. März 2023, G 296/2022, mit Wirkung vom 1. April 2024. Diese Aufhebung hat dazu geführt, dass nun alle Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer, die aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielen, das die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG übersteigt, gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG arbeitslosenversichert sind (vgl. Rn. 44 des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes). Die Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung besteht also auch für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, wenn das daraus zustehende Entgelt zusammen mit dem Entgelt aus weiteren (geringfügigen oder vollversicherten) Beschäftigungsverhältnissen über der Geringfügigkeitsgrenze liegt.
12 Das bedeutet aber nicht, dass dem formell unveränderten § 12 Abs. 1 iVm Abs. 6 lit. a AlVG nun ein anderer Inhalt beizumessen wäre. Weiterhin steht daher eine (sei es nicht beendete, sei es neu aufgenommene) bloß geringfügige Beschäftigung der Arbeitslosigkeit grundsätzlich nicht entgegen (vgl. auch den Hinweis auf § 12 Abs. 6 lit. a AlVG in Rn. 39 des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes). Es genügt somit, dass gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 AlVG (zumindest) eine anwartschaftsbegründende Erwerbstätigkeit beendet wird und gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung mehr besteht sowie mit dem/den verbleibenden oder/und neu hinzukommenden Entgeltanspruch/Entgeltansprüchen insgesamt nicht (mehr) die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird (also gemäß § 12 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 6 lit. a AlVG keine der Arbeitslosigkeit entgegenstehende „neue oder weitere“ Beschäftigung ausgeübt wird; vgl. zum Zusammenhang zwischen § 12 Abs. 1 Z 3 und Abs. 6 AlVG VwGH 2.5.2012, 2009/08/0155).
13 Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit Beitragsgrundlagen aus einer nicht beendeten geringfügigen Beschäftigung in die Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengelds einzubeziehen sind (vgl. dazu Pfalz, ZAS 2024/25). Sie ist durch Auslegung des § 21 AlVG zu beantworten, berührt aber nicht die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit im Sinn des § 12 AlVG. Im vorliegenden Fall kamen ohnedies noch keine nach der ab 1. April 2024 geltenden Rechtslage unter Einbeziehung von Beiträgen aus geringfügigen Beschäftigungen gebildeten Beitragsgrundlagen für die Bemessung des Anspruchs in Betracht.
14 Was § 12 Abs. 3 lit. h AlVG betrifft, so ist diese Bestimmung schon ihrem klaren Wortlaut nach nicht auf eine Konstellation wie die hier vorliegende anzuwenden. Die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber - also eine bestimmte vertragliche Gestaltung - kann nicht mit dem Wegfall der Vollversicherungspflicht wegen des Nichtüberschreitens der Geringfügigkeitsgrenze infolge der Beendigung einer anderen Beschäftigung gleichgesetzt werden.
15 Das wird durch auch vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführte teleologische Überlegungen gestützt: Die genannte, durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201, (damals als lit. i) eingefügte Bestimmung sollte nämlich nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (72 BlgNR 20. GP 234 f) Missbrauchsmöglichkeiten hintanhalten, seien doch vermehrt Fälle aufgetreten, in denen ein Arbeitnehmer beim selben Arbeitgeber von einem vollversicherten Dienstverhältnis in ein geringfügiges Dienstverhältnis wechsle und daneben Arbeitslosengeld beziehe. In einem solchen Fall solle der Anspruch auf Arbeitslosengeld daher ausgeschlossen sein, wenn zwischen dem Vollarbeitsverhältnis und der geringfügigen Beschäftigung nicht ein Zeitraum von mehr als einem Monat liege. Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die vom Gesetzgeber angenommene Missbrauchsmöglichkeit des vom jeweiligen Bedarf des Arbeitgebers abhängigen Wechsels des Arbeitnehmers in ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis bei (teilweiser) Substitution des Entgeltausfalles durch Arbeitslosengeld indiziert ist, wenn zwischen einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis und einer späteren geringfügigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber ein Zeitraum von weniger als einem Monat liegt (vgl. VwGH 6.3.2018, Ra 2017/08/0048). Wird aber ein Beschäftigungsverhältnis unverändert fortgeführt, während der Wegfall der Vollversicherungspflicht nur die Folge der Beendigung eines anderen Beschäftigungsverhältnisses mit einem anderen Dienstgeber ist, dann ist die Möglichkeit eines Missbrauchs von vornherein ausgeschlossen (vgl. auch VwGH 23.5.2012, 2011/08/0138, wo der Verwaltungsgerichtshof mangels Missbrauchsmöglichkeit die Anwendung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG auf selbständige Erwerbstätigkeiten ablehnte).
16 Da die behauptete Rechtsverletzung daher nicht vorliegt und schon der Inhalt der Revision dies erkennen ließ, war die Revision gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren abzuweisen.
Wien, am 19. November 2024