Verfassungsgerichtshof (VfGH)

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Entscheidungstext B341/83

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Sammlungsnummer

9842

Geschäftszahl

B341/83

Entscheidungsdatum

24.11.1983

Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1
ZivildienstG §6 Abs2

Leitsatz

Zivildienstgesetz; Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 1, vom 30. Juli 1982, Ziffer 125940 /, eins -, Z, D, K, /, eins /, 82,, wurde der von Dipl.-Ing. Peter Ch. - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz, Bundesgesetzblatt Nr. 187 aus 1974, (ZDG) - gestellte Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach durchgeführter mündlicher Verhandlung - gemäß §2 Abs1 in Verbindung mit §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

1.2.1. Der dagegen von Dipl.-Ing. Peter Ch. erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 3, vom 28. Jänner 1983, Ziffer 125940 /, 2 -, Z, D, O, K, /, 3 /, 82 /, Z,, gleichfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge gegeben.

1.2.2. Dieser Berufungsbescheid wurde ua. wie folgt begründet:

"... In seinem Rechtsmittel wendet sich der Berufungswerber gegen die Ansicht der Zivildienstkommission, aus dem Zuwarten mit der Antragstellung trotz Bestehens einer abgerundeten Einstellung gegenüber dem Wehrdienst sei abzuleiten, daß keine Gewissensgründe für diese Einstellung vorlägen. Sicherlich habe sich die Einstellung im Laufe der letzten zehn Jahre gebildet. Da es für ihn irrelevant gewesen sei, wann er den Zivildienstantrag einbringe und seine Gewissensgründe klar gewesen seien, spiele der Zeitpunkt der Antragstellung keine Rolle. Zu Unrecht habe die Zivildienstkommission ihm vorgeworfen, daß er im Staatswesen Österreichs keine Werte erblicke. Im österreichischen Staatswesen erblicke er sehr wohl Werte, nur sei er nicht bereit, für irgendwelche Werte andere Menschen zu ermorden. Er wäre daher auch im Kriegsfall im Fall persönlicher Gefahr nicht bereit, sich dagegen zu wehren, sondern würde diese über sich ergehen lassen. Bei seinen Ausführungen iZm. 'passivem Widerstand' sei er mißverstanden worden, er habe diese Aussage nur auf den Kriegsfall bezogen.

In der mündlichen Verhandlung vor der ZDOK ergänzte der Berufungswerber sein Vorbringen im wesentlichen dahin, daß er nach Beendigung des Studiums der Informatik Psychologie studiere und halbtags als Informatiker arbeite. Er verbringe die restliche Zeit neben dem Studium mit seiner Familie und arbeite im Garten. Zu den Erlebnissen seiner Eltern iZm. dem Krieg, die für ihn - nach den Ausführungen im Antrag - die Grundlage für seine Einstellung bildeten, befragt, stellte sich heraus, daß der Berufungswerber - abgesehen von dem Gefühl, einen Verwandten zu verlieren, und den Eindrücken iZm. Fliegeralarm - nicht in der Lage war, wiederzugeben, welche Ereignisse ihn so stark beeindruckt hätten.

Daß diese Erzählungen den Berufungswerber nicht so entscheidend in seiner Grundhaltung geprägt haben konnten, ergibt sich auch daraus, daß er noch aus Anlaß seiner Musterung am 14. Mai 1973 bereit war, als Jäger Militärdienst zu leisten.

Der Berufungswerber gab auf neuerliche Befragung an, er habe sich in der Zwischenzeit vor Augen geführt, was es für ihn bedeuten würde, wenn er kämpfen müßte, da Österreich Werte habe, die gegen außen verteidigt werden sollten; er sei jedoch nicht bereit, diese Werte mit Waffengewalt zu verteidigen. Bei der Befragung des Berufungswerbers über Ereignisse aus letzter Zeit iZm. Krieg und Gewalt, die ihm besonders unangenehm in Erinnerung seien, konnte der Berufungswerber nur 'Afghanistan und Nahost' angeben. Er zeigte sich dabei auch erstaunt und entrüstet, aus welchem Grund er dazu befragt worden sei. Die Zivildienstoberkommission gelangte daher zu der Ansicht, daß die Ausführungen des Berufungswerbers in seinem Antrag, wonach kein Tag verginge, an dem nicht durch Berichte in verschiedenen Medien jedermann mit Konsequenzen des Krieges, der Unterdrückung, der Brutalität und der Folter konfrontiert werde, und es für den Berufungswerber erschreckend sei, welche Folterarten und raffinierte Waffen von Menschen erfunden würden, um ihresgleichen zu vernichten, keine echte Motivierung für die Ablehnung von Waffengewalt darstellten. Der ZDOK erscheint es auch nicht verständlich, daß der Berufungswerber, wenn er wirklich durch ein Jahrzehnt diese von ihm behauptete gewachsene geistige Haltung gehabt hätte, nach Beendigung des ersten Studiums nicht gleich den Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht stellt, sondern damit bis zur Zustellung des Einberufungsbefehles zum österreichischen Bundesheer zuwartet. Eine bewußte ernstliche Auseinandersetzung mit dem Problem der Wehrpflicht hätte es erforderlich gemacht, von sich aus eine Lösung der Frage Wehrdienst oder Zivildienst anzustreben. Auch war beim Bildungsstand des Berufungswerbers zu erwarten, daß er konkrete Angaben zu jenen Punkten macht, die ihn letztlich ausschlaggebend zur Antragstellung bewogen hätten ..."

1.3.1. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des Dipl.-Ing. Peter Ch. an den VfGH; der Bf. beruft sich darin auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

1.3.2. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. Nr. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfGH 12. März 1982 B561/81 und VfSlg. 9391/1982).

2.1.2. Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen vergleiche zB VfSlg. 8787/1980), woran sich auch durch die ZDG-Nov. Bundesgesetzblatt Nr. 496 aus 1980, nichts änderte vergleiche zB VfSlg. 9549/1982, 9573/1982, VfGH 26. November 1982 B667/81).

2.2.1. Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.2.2. Ein derartiger als wesentlich einzustufender Fehler unterlief hier der bel. Beh., wenn sie ersichtlich zur Auffassung gelangte, daß die Einlassungen des Bf. (im Administrativverfahren) insbesondere wegen des festgestellten Zuwartens mit der Einbringung des Befreiungsantrages bis zur Zustellung des Einberufungsbefehles nicht überzeugend genug seien:

Denn der VfGH stellte bereits wiederholt fest, daß es bei der Würdigung des Parteivorbringens sowie der Parteiaussage nicht entscheidend sein kann, wann der Antragsteller von dem ihm zustehenden Recht, einen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht einzubringen, Gebrauch macht; es kommt nach dieser Judikatur, von der abzurücken die vorliegende Beschwerdesache keinen Anlaß bietet, einzig und allein auf die Glaubhaftmachung der Gewissensgründe und nicht etwa auf den Zeitpunkt der Antragstellung an (s. VfGH 25. November 1982 B13/82 und die dort angeführte Vorjudikatur, s. auch VfSlg. 9634/1983).

Wenngleich die bel. Beh. bei ihrer Entscheidung auch andere - beweiswürdigende - Erwägungen (mit-)heranzog, so läßt die Entscheidungsbegründung nach Formulierung und Sinngehalt keinen wie immer gearteten Zweifel daran, daß dieses eben erörterte rechtlich verfehlte Argument - nach Lagerung des Falles - einen tragenden, unverzichtbaren Teil jener Kommissionsüberlegungen bildet, die zur Abweisung des Rechtsmittels des Berufungswerbers führten, zumal die übrigen Bescheinigungsmittel erkennbar in erster Linie im Lichte dieser - in der Bescheidbegründung hervorgekehrten - verspäteten Antragstellung gewürdigt wurden.

2.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die bel. Beh. den Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzte, sodaß der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

Bei diesem Ergebnis erübrigte es sich, auf das sonstige Beschwerdevorbringen weiter einzugehen.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B341.1983

Dokumentnummer

JFT_10168876_83B00341_00

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