Verfassungsgerichtshof (VfGH)

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Entscheidungstext B122/80

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Sammlungsnummer

9303

Geschäftszahl

B122/80

Entscheidungsdatum

15.12.1981

Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art12 / Versammlungsrecht
StV Wien 1955 Art4
StV Wien 1955 Art6
VersammlungsG §1
VersammlungsG §6
  1. B-VG Art. 144 heute
  2. B-VG Art. 144 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  3. B-VG Art. 144 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 144 gültig von 01.01.1991 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 8/1999
  5. B-VG Art. 144 gültig von 01.01.1991 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  6. B-VG Art. 144 gültig von 01.08.1984 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 296/1984
  7. B-VG Art. 144 gültig von 01.08.1981 bis 31.07.1984 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 350/1981
  8. B-VG Art. 144 gültig von 01.07.1976 bis 31.07.1981 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  9. B-VG Art. 144 gültig von 25.12.1946 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 144 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 144 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. B-VG Art. 144 heute
  2. B-VG Art. 144 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  3. B-VG Art. 144 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 144 gültig von 01.01.1991 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 8/1999
  5. B-VG Art. 144 gültig von 01.01.1991 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  6. B-VG Art. 144 gültig von 01.08.1984 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 296/1984
  7. B-VG Art. 144 gültig von 01.08.1981 bis 31.07.1984 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 350/1981
  8. B-VG Art. 144 gültig von 01.07.1976 bis 31.07.1981 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  9. B-VG Art. 144 gültig von 25.12.1946 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 144 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 144 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Leitsatz

Versammlungsgesetz 1953; rechtmäßige Untersagung einer Versammlung gemäß §6 (Gefährdung des öffentlichen Wohles durch großdeutsche Propaganda)

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

römisch eins.1.a) Die "Aktion Neue Rechte-ANR" - eine nach dem Parteiengesetz, Bundesgesetzblatt 404 aus 1975,, gebildete politische Partei - hat der Bundespolizeidirektion Wien mit Schreiben vom 5. Juni 1978 die Abhaltung einer öffentlichen Versammlung für den 17. Juni 1978, 20.00 Uhr, im Gasthof Sitler, 1140 Wien, Linzerstraße 105, angezeigt.

Der Zweck der Versammlung wird in dieser Anzeige nicht angeführt. Der Eingabe war jedoch ein hektrographiertes Rundschreiben mit folgendem Text angeschlossen:

"17. Juni - Tag der deutschen Einheit. Öffentliche ANR Versammlung Samstag, 17. Juni, 20.00 Uhr, Gasthof Sitler, 1140, Linzerstraße 105".

b) Die Bundespolizeidirektion Wien hat mit Bescheid vom 15. Juni 1978 gemäß §6 des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) diese Versammlung untersagt, da deren Abhaltung das öffentliche Wohl gefährden würde. Einer allfälligen Berufung wurde gemäß §64 Abs2 AVG 1950 die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Die gegen diesen Bescheid von der ANR erhobene Berufung hat die Sicherheitsdirektion für Wien mit Bescheid vom 10. August 1979 abgewiesen.

Gegen diesen Berufungsbescheid hat die ANR eine weitere Berufung erhoben; dieser wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 14. Februar 1980 keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

2. Gegen diesen Bescheid des Bundesministers für Inneres wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter Rechte (von denen die beschwerdeführende Partei annimmt, sie seien verfassungsgesetzlich gewährleistet) behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

römisch II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die ANR ist durch Anzeige vom 5. Juni 1978 der Behörde gegenüber als Veranstalter der für 17. Juni 1978 beabsichtigt gewesenen Versammlung aufgetreten. Sie ist daher legitimiert, beim VfGH gegen die Untersagung der Abhaltung dieser Versammlung nach Art144 B-VG Beschwerde zu führen vergleiche zB VfSlg. 8610/1979).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Jede Verletzung des VersG, die die Versammlungsfreiheit berührt, stellt einen unmittelbaren Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit dar vergleiche zB VfSlg. 8610/1979).

Die beschwerdeführende Partei wäre also in diesem Recht verletzt worden, wenn die Behörde entgegen den Bestimmungen des VersG die Abhaltung der beabsichtigten Versammlung untersagt hätte.

Dem §6 VersG (auf den die belangte Behörde den bekämpften Untersagungsbescheid stützt) zufolge "sind Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen".

3. Der angefochtene Bescheid wird im wesentlichen wie folgt begründet:

Das der Versammlungsanzeige angeschlossene Flugblatt habe neben dem (oben unter römisch eins.1.a zitierten) Text auch eine Landkarte gezeigt.

Ein Exemplar dieser Landkarte erliegt im vorgelegten Verwaltungsakt. Auf der Landkarte sind die Grenzen der BRD, der DDR und der Republik Österreich eingezeichnet; die Staatsgebiete dieser Staaten sind weiß gelassen; Elsaß-Lothringen, Südtirol, das Sudetenland, Ost- und Westpreußen sind schraffiert gezeichnet; andere Grenzen werden nicht gezeigt.

Aus dieser Landkarte im Zusammenhalt mit dem Thema "17. Juni - Tag der deutschen Einheit" hat die belangte Behörde geschlossen, daß die beabsichtigte Veranstaltung geeignet sei, eine politische oder wenigstens wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland zumindest mittelbar zu fördern. Daß für die ANR nicht die Einheit der beiden deutschen Staaten (BRD und DDR) Ziel der Bestrebungen sein solle, ergebe sich aus der auf dem Flugblatt befindlichen Landkarte. Österreich werde bei diesem graphischen Gebilde so dargestellt, wie es bis 1945 Teil eines "Großdeutschen Reiches" war. Die durch die Landkarte dokumentierte großdeutsche Idee hätte auch in der Versammlung am 17. Juni 1978 propagiert werden sollen.

Nach dem im Verfassungsrang stehenden Art4 des Staatsvertrages von Wien, Bundesgesetzblatt 152 aus 1955,, sei Österreich völkerrechtlich verpflichtet, großdeutsche Propaganda zugunsten der Vereinigung mit Deutschland zu verhindern. Versammlungen, wie sie für den 17. Juni 1978 von der ANR angezeigt wurden, seien daher zwingend von den Behörden gemäß §6 VersG wegen Gefährdung des öffentlichen Wohles zu untersagen.

4. In der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde wird im wesentlichen folgendes vorgebracht:

a) Wenn die belangte Behörde versuche, die Verwendung der Begriffe "deutsch und Deutschland" zu verbieten, so sei dies verfassungswidrig und verstoße gegen das Internationale Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, Bundesgesetzblatt 377 aus 1972,, und gegen das Durchführungsgesetz Bundesgesetzblatt 390 aus 1973,.

b) Die Schlußakte von Helsinki 1975 hätten dem Art4 des Staatsvertrages von Wien 1955 derogiert. Österreich habe sich an völkerrechtliche Verträge zu halten und diese dann durch Erhebungen in den Verfassungsrang auch anwendbar zu machen.

c) Art4 des Staatsvertrages von Wien stehe mit den Art6 und 8 desselben Vertrages in Widerspruch und sei durch Art10 MRK - als der später erlassenen Norm - aufgehoben worden.

d) Der Bescheid verstoße auch gegen den Gleichheitsgrundsatz. Eine individuelle Grundrechtsbeschränkung könne es nicht geben, weil es den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verletze. Derartige individuelle Maßnahmen, die eine partielle Beschränkung des Gleichheitsgrundsatzes darstellten, bedeuteten eine totale Aufhebung dieses Prinzipes, weil dieses entweder nur allgemein oder gar nicht gelten könne. Eine personelle Abstufung des Gleichheitsgrundsatzes lasse sich nicht begründen.

e) Der angefochtene Bescheid verletze auch Art11 MRK, der das Recht gewährleiste, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen.

f) Art6 und 8 des Staatsvertrages von Wien und Art10 und 14 MRK gewährleisteten die Meinungsfreiheit. Auch gegen diese Verfassungsbestimmungen verstoße der bekämpfte Bescheid.

Im übrigen sei keine großdeutsche Propaganda beabsichtigt gewesen, da nicht gesagt worden sei, an welchen Staat sich Österreich anschließen solle. Die Verwendung der Begriffe "deutsch, Deutschland und deutsche Volksgemeinschaft" seien Volkstumsbegriffe und keine staatlich-politischen.

Großdeutsche Propaganda und damit das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Völker könne mit Art10 Abs2 MRK nicht in Widerspruch stehen.

5. Die Beschwerde ist unbegründet:

Die belangte Behörde hat zu Recht festgestellt, daß zu erwarten gewesen sei, die beschwerdeführende Partei werde anläßlich der angezeigten Versammlung Propaganda für eine politische oder wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland betreiben. Aus dem oben erwähnten Flugblatt ergibt sich nämlich, daß die beschwerdeführende Partei das Versammlungsthema "17. Juni - Tag der deutschen Einheit" (einem in der BRD üblichen Begriff für den Gedanken der Wiedervereinigung mit der DDR) mißbrauchen wollte, indem sie die Idee der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auf Österreich ausdehnte. Die beschwerdeführende Partei hat also offenbar den 17. Juni zum Anlaß für großdeutsche Propaganda nehmen wollen.

Nun hat sich Österreich durch Art4 Z2 letzter Satz des Staatsvertrages von Wien, Bundesgesetzblatt 152 aus 1955,, völkerrechtlich verpflichtet, eine derartige großdeutsche Propaganda zu verhindern.

Die belangte Behörde konnte sohin begründet annehmen, daß die Abhaltung der vorgesehenen Versammlung die öffentliche Sicherheit und das öffentliche Wohl gefährden würde: Versammlungen, bei denen Reden gehalten und Diskussionen durchgeführt werden, die großdeutsche Propaganda zugunsten der Vereinigung mit Deutschland zum Ziel haben, sind schon im Hinblick auf die oben erwähnte völkerrechtliche Verpflichtung staatsgefährlich und daher geeignet, eine solche Gefährdung herbeizuführen vergleiche zB VfSlg. 4524/1963 und 8610/1979).

Im angefochtenen Untersagungsbescheid wird nicht - wie die beschwerdeführende Partei behauptet - ausdrücklich oder auch nur mittelbar die Verwendung der Begriffe "deutsch, Deutschland und deutsche Volksgemeinschaft" verboten. Die von der beschwerdeführenden Partei angezeigte Versammlung wurde sohin nicht aus dem Grunde verboten, daß der Veranstalter oder Versammlungsteilnehmer einer bestimmten Rasse angehörten oder bestimmter nationaler oder ethnischer Herkunft seien.

Dem Art4 des Staatsvertrages von Wien wurde weder durch die "Schlußakte von Helsinki 1975" (die lediglich eine Absichtserklärung der an dieser Konferenz teilnehmenden Staaten enthält) noch durch Art10 MRK (der das Recht auf Meinungsfreiheit neuerlich verankert, aber unter dem Vorbehalt des Abs2 steht, der jedenfalls auch das Verbot großdeutscher Propaganda deckt) derogiert.

Die Behauptung, daß Art4 des Staatsvertrages von Wien mit den Art6 und 8 desselben Vertrages in Widerspruch stehe, ist geradezu unverständlich.

Im übrigen genießt Art6 des Staatsvertrages von Wien keinen Verfassungsrang vergleiche zB VfSlg. 9024/1981 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Untersagung der Versammlung in §6 VersG gedeckt war. Die beschwerdeführende Partei ist nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit (Art12 StGG, Punkt 3 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung, StGBl. 3/1918, und Art11 MRK) verletzt worden.

Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes kommt angesichts der festgestellten Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht in Betracht vergleiche zB VfSlg. 8610/1979). Insbesondere hat auch keine Verletzung des Gleichheitsrechtes stattgefunden, wie die beschwerdeführende Partei - ohne dies allerdings sachlich näher zu begründen - behauptet.

Der VfGH hat unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die bei Erlassung des bekämpften Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vergleiche auch hiezu VfSlg. 8610/1979).

Die ANR ist daher auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war infolgedessen abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Versammlungsrecht, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B122.1980

Dokumentnummer

JFT_10188785_80B00122_00

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