Verfassungsgerichtshof (VfGH)

Navigation im Suchergebnis

Entscheidungstext B65/87

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Sammlungsnummer

11337

Geschäftszahl

B65/87

Entscheidungsdatum

12.06.1987

Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Unterlassen der Einvernahme von Zeugen - dem Bf. wurde hier überhaupt die Möglichkeit genommen, das Vorliegen der materiellen Befreiungsbedingungen glaubhaft zu machen; Verletzung im durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen des Beschwerdevertreters die mit S 11.000,-bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

römisch eins. 1.a) Mit Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK) vom 4. Juni 1986 wurde der vom Bf. unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz, Bundesgesetzblatt 187 aus 1974,, idgF, nunmehr wiederverlautbart als Zivildienstgesetz 1986, Bundesgesetzblatt 679, (in der Folge kurz: ZDG) gestellte Antrag, auf Befreiung von der Wehrpflicht gemäß §2 Abs1 in Verbindung mit Paragraph 6, Abs1 ZDG abgewiesen.

b) Der dagegen vom Bf. erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) vom 14. Oktober 1986 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - gemäß §66 Abs4 AVG 1950 keine Folge gegeben.

2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

römisch II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, Bundesgesetzblatt 150, auf ihren Antrag (und zwar nach Maßgabe des §5 Abs1 und 3 ZDG, der das Antragrecht - in hier allerdings unerheblicher Weise beschränkt) von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig.

Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet vergleiche zB VfSlg. 10021/1984).

b) Dieses Grundrecht wird nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dadurch verletzt, daß die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; eine solche Verletzung ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt auch dann gegeben, wenn der Behörde w e s e n t l i c h e Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Zutreffen der materiellen (Befreiungs-)Bedingungen glaubhaft zu machen vergleiche zB VfSlg. 9985/1984, 10056/1984).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach vergleiche VfSlg. 9985/1984), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2. Derartige Fehler sind der Behörde hier anzulasten:

a) Die ZDOK geht im Ergebnis richtig davon aus, daß der Bf., zieht man alle seine Einlassungen im Administrativverfahren gebührend in Betracht, immerhin deutlich erkennbar den Standpunkt einnahm, infolge seiner - allgemeinen und vorbehaltlosen - Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot zu geraten, wenn er Wehrdienst leisten müsse.

Die Behörde vertritt weiters die zutreffende Meinung, daß eine derartige (an sich taugliche) Behauptung dem §6 Abs2 ZDG zufolge nicht bloß aufgestellt, sondern auch glaubhaft gemacht werden muß vergleiche zB VfSlg. 9573/1982).

Die ZDOK legte dem Sinn nach dar, weshalb sie der Ansicht anhänge, daß hier schwerwiegende Gewissensgründe iS des ZDG nicht glaubhaft seien. Sie begründete dies zunächst damit, daß ein auffallender Unterschied zwischen den schriftlichen Darlegungen des Bf. einerseits und dem, was er in der Verhandlung erster und zweiter Instanz deponierte, andererseits bestehe. Sodann lautet es in der Begründung des angefochtenen Bescheides:

"Hinsichtlich des zweiten Punktes - Verhalten des Antragstellers bei der Parteienaussage - ist voranzustellen, daß infolge der komplexen, zahlreiche subtile Wertungsvorgänge in sich schließenden Natur der freien Beweiswürdigung vergleiche dazu etwa VfGH B128/85 und B304/83) nicht alle Erwägungen, die den Senat zu seiner Ansicht bestimmten, im einzelnen wiedergegeben werden, zumal sich wesentliche Entscheidungsprämissen, wie die Fülle der Ausdrucksbewegungen während der Parteienaussage, einer Verbalisierung von vornherein weitgehend entziehen.

Zusammenfassend kann lediglich ausgeführt werden, daß der Berufungswerber während des mit ihm geführten rund halbstündigen Gespräches nicht wie ein junger Mann seines hohen Ausbildungsstandes wirkte, der eine gefestigte innere Einstellung zum Ausdruck bringt, der also auf der Basis einer echten Gewissensüberzeugung die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ablehnt und sonach im Falle der Wehrdienstleistung tatsächlich in schwere Gewissensnot geraten würde. Vielmehr wurde - entsprechend den oben herausgestellten inhaltlichen Mängeln des Vorbringens - dieses in so unglaubwürdiger Weise mit ersichtlich derart geringer innerer Anteilnahme präsentiert, daß der Senat ihm keinen Glauben zu schenken vermochte.

Bei der Würdigung der Person des Vorbringens des Antragstellers wurde mit in Rechnung gestellt, daß er im Sommer 1986 in der Pfarrgemeinde Schwadorf 60 Stunden freiwillige Hilfsdienste leistete, daß er bei Gesprächen mit der Vertrauensperson ähnliche Ansichten äußerte, wie in der Berufungsverhandlung und daß er insgesamt in seinem Privatleben jegliche Gewaltanwendung ablehnt und sich entsprechend dieser Überzeugung auch verhält. (Da der Senat dies als erwiesen annahm, war die Einvernahme der vom Berufungswerber zum Beweis dieses Umstandes ins Treffen geführten Zeugen entbehrlich).

All dies war aber im Sinne eines spezifischen Zusammenhanges mit der vom Zivildienst geforderten inneren Einstellung nicht gewichtig genug, den in freier Würdigung unmittelbar gewonnen Eindruck des Senates - siehe oben entscheidend zu verändern."

b) Der Behörde ist damit ein in die Verfassungssphäre reichender Verfahrensfehler unterlaufen. Sie hat nämlich die Einvernahme dreier vom Bf. in seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid gerichteten Berufung beantragter Zeugen mit der Begründung unterlassen, die ZDOK nehme ohnehin als erwiesen an, daß der Bf. in seinem Privatleben jegliche Gewaltanwendung ablehne und sich entsprechend dieser Überzeugung verhalte. Nun hat aber erkennbar der Bf. diese Zeugen nicht nur zu dem von der ZDOK angenommenen Beweisthema geführt, sondern allgemein zum gesamten in der Berufung behaupteten Sachverhalt. Dazu gehört auch die innere Einstellung, wie sie sich aufgrund des für die Zeugen wahrnehmbaren bisherigen Verhaltens des Bf. manifestiert hat. Die Behörde hat also dem Bf. überhaupt die Möglichkeit genommen, das Vorliegen der materiellen Befreiungsbedingungen glaubhaft zu machen.

c) Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die bel. Beh. den Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzte, sodaß der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG.

Vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 1.000,-- auf die Umsatzsteuer.

4. Diese Entscheidung konnte der VfGH, weil die Schriftsätze der Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens und die vorgelegten Administrativakten zeigen, daß eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt, gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Verhandlung in einer der Norm des §7 Abs2 litd VerfGG genügenden Zusammensetzung treffen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B65.1987

Dokumentnummer

JFT_10129388_87B00065_00

Navigation im Suchergebnis