Verfassungsgerichtshof (VfGH)

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Entscheidungstext B718/84

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Sammlungsnummer

10529

Geschäftszahl

B718/84

Entscheidungsdatum

26.09.1985

Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1

Beachte

in den Entscheidungsgründen ähnlich B923/84 vom selben Tag sowie B360/84 vom 27. September 1985

Leitsatz

ZivildienstG; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung - kein gravierender Verstoß auf verfahrensrechtlicher Ebene, insbesondere im Bereich der Beweiswürdigung; keine Verletzung im Gleichheitsrecht

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

römisch eins. 1. E S, Hauptschullehrer, stellte am 11. August 1983 an die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres den Antrag, ihn von der Wehrpflicht zu befreien. Die genannte Behörde, Senat 2, hat den Antrag mit Bescheid vom 14. November 1983 gemäß §2 Abs1 iVm.

§6 Abs1 des Zivildienstgesetzes (ZDG), Bundesgesetzblatt 187 aus 1974,, idgF abgewiesen.

2. Der dagegen von E S erhobenen Berufung hat die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 2, mit Bescheid vom 4. Mai 1984, Ziffer 131035 /, 2 /, Z, D, O, K, /, 2 /, 84,, nicht Folge gegeben. In der Begründung wurde ausgeführt:

"Der Antragsteller und nunmehrige Berufungswerber hat im wesentlichen folgendes vorgebracht:

1. In der Antragsbegründung:

Er lehne aus schwerwiegenden Gewissensgründen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich ab und würde daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten. Es sei ihm völlig unvorstellbar, in irgendeiner Form am vorsätzlichen Tod eines Mitmenschen mitzuwirken. Für jeden vernünftig denkenden Menschen sei es eine unbestreitbare Tatsache, daß niemand das Recht besitze, einen anderen zu töten. Als Lehrer habe er die gesetzliche Pflicht, die ihm anvertrauten Kinder zu den Werten des 'Wahren, Guten und Schönen' zu erziehen. Dies sei mit einer Ausbildung beim Bundesheer nicht vereinbar.

2. In der Verhandlung vor der Zivildienstkommission:

Seine Grundhaltung habe sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Auf seinen Reisen habe er viele Menschen kennengelernt, und es sei für ihn nicht vorstellbar, auf einen dieser Menschen plötzlich schießen zu müssen. Er glaube an die Wirksamkeit der sozialen Landesverteidigung. Wenn er den Militärdienst leisten müßte, würde er sich vor seinen Schülern unglaubwürdig machen. Er sei seit 10 Jahren Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und versuche in seinem privaten Bereich, so weit es möglich sei, streitschlichtend zu wirken.

3. In der Berufungsschrift:

Es sei für ihn ganz natürlich, daß bei seinem Antrag persönliche Gründe im Vordergrund gestanden seien. Da Person und Gewissen für ihn eine untrennbare Einheit bildeten, seien diese persönlichen Gründe für ihn auch gleichzeitig seine schwerwiegenden Gewissensgründe. Bei Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen würde er sein ganzen weiteres Leben Schuldgefühle haben, woraus als unumgängliche Folge seelische Schäden entstünden.

4. In der Berufungsverhandlung:

Er sei davon überzeugt, daß niemand das Recht habe, einem anderen Menschen - und sei es auch im Kriege - das Leben zu nehmen. Das Leben sei das kostbarste Gut, das jeder Mensch besitze. Auch kenne er viele Ausländer und könnte daher in die Lage geraten, auf jemanden schießen zu müssen, den er kenne und gegen den er persönlich überhaupt nichts habe, was seinem Gewissen widerstrebe. Auch sei er als Lehrer nach dem Schulunterrichtsgesetz verpflichtet, die Kinder im Sinne des Wahren, Guten und Schönen zu erziehen. Waffenanwendung gegen Menschen sei damit sicherlich nicht vereinbar.

Die Berufung ist nicht begründet.

Der Rechtsmittelwerber hat zwar in der Berufungsverhandlung in bezug auf seine Gewissenslage Behauptungen aufgestellt, die als die Darlegung schwerwiegender Gewissensgründe im Sinne des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) gewertet werden können. Es ist aber nicht gelungen, seiner gesetzlichen Glaubhaftmachungsverpflichtung (§6 Abs2 ZDG) genüge zu tun.

Die komplexe Natur der freien Beweiswürdigung bringt es - namentlich bei einem Kollegialorgan - mit sich - daß die zum jeweiligen Ergebnis führenden Prämissen nur sehr beschränkt in Worte gefaßt werden können.

Im gegenständlichen Fall ist generell hervorzuheben, daß der Berufungswerber auf den Senat - der über umfangreiche Vergleichsmöglichkeiten verfügt - insgesamt nicht wie ein Mensch wirkte, der eine auf gründlichen Überlegungen beruhende gefestigte innere Einstellung wiedergibt, sondern eher den Anschein erweckte, Fremdinformation zu referieren, ohne sich damit im Innersten zu identifizieren. Dies gilt namentlich für die erstmals in der Berufungsverhandlung aufgestellte Behauptung, das menschliche Leben sei für ihn das kostbarste Gut. Handelte es sich hiebei tatsächlich um eine in der Person verwurzelte Grundüberzeugung, wäre sie nach den Erfahrungen des Senates nicht erst so spät vorgebracht worden, zumal sie ja mit dem Befreiungsbegehren bzw. mit der Ablehnung von Waffengewalt gegen Menschen in engstem Zusammenhang steht.

Auffällig war auch, daß das gesamte Vorbringen auf spezielle österreichische Verteidigungslage substantiell kaum einging und daß auch die Ausführungen zum gewaltlosen Widerstand vage und unkonkretisiert blieben. Bei der Würdigung der Person und des Vorbringens des Antragstellers wurde mit in Rechnung gestellt, daß er seit 1973 Mitglied der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr ist und daß er zwei Auszeichnungen erhielt. Gewürdigt wurde auch, daß er gegenüber seinem Freund J F - der Vertrauensperson - inhaltlich ähnlich argumentierte wie in der Berufungsverhandlung und daß er in seinem Leben Gewaltlosigkeit praktiziert. All dies vermochte aber den in freier Würdigung gewonnenen Gesamteindruck des Senates - siehe oben - nicht entscheidend zu verändern, zumal Aktivitäten der fraglichen Art (Dienst bei der Freiwilligen Feuerwehr) notorisch und überwiegend auch von solchen Personen gesetzt werden, die den normalen Präsenzdienst leisten bzw. leisteten und daß eine gewaltlose Lebensführung in der Privatsphäre in einem zivilisierten Gemeinwesen den Regelfall darstellt."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des E S, in der dieser die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

4. Die belangte ZDOK hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.

römisch II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfGH 12. März 1982 B561/81, VfSlg. 9391/1982).

2. Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen vergleiche zB VfSlg. 8787/1980), woran sich auch durch die ZDG-Nov. Bundesgesetzblatt 496 aus 1980, nichts änderte vergleiche zB VfSlg. 9549/1982, 9573/1982; ferner VfGH 26. November 1982 B667/81).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

3. Der Bf. sucht darzutun, daß der belangten ZDOK ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Verfahrensmangel unterlaufen sei, indem er die Unzulänglichkeit der Bescheidbegründung darzulegen versucht. Insbesondere sei das Parteivorbringen im allgemeinen und seine Funktion als Lehrer nicht ausreichend und eingehend genug in Betracht gezogen worden.

4. Dieser Vorwurf mehrer Verfahrensfehler qualifizierter Natur hält aber einer Nachprüfung nicht stand, auch wenn in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf die Einlassungen des Bf. nicht in allen Einzelheiten eingegangen wurde. Insbesondere gehen die Ausführungen des Bf. hinsichtlich seiner Schwierigkeiten als Lehrer vom Ansatz her fehl, weil es nicht seine Aufgabe ist, die Gewissensbildung der Schüler in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Von verfassungsrechtlich beachtlichen Verfahrensmängeln kann keinesfalls gesprochen werden.

In Wahrheit laufen die Beschwerdeausführungen nach ihrer Zielsetzung auf eine subjektive Kritik der behördlichen Beweiswürdigung hinaus, wenn die Schlußfolgerungen der ZDOK in tatsächlicher Hinsicht als unrichtig und verfehlt hingestellt werden: Abgesehen davon, daß ein nach §2 ZDG bedeutsamer grober Verstoß verfahrensrechtlicher Art im gegebenen Zusammenhang nur in einer der Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens widersprechenden Beweiswürdigung der ZDOK liegen könnte (s. VfSlg. 9732/1983), was hier nicht zutrifft, ist dieses Bestreben des Bf. schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil es angesichts des das Kommissionsverfahren beherrschenden Prinzips der freien Beweiswürdigung (iS freier Würdigung der Bescheinigungsmittel verstanden) - das allein Gewähr für die Berücksichtigung der Einmaligkeit der Umstände jedes einzelnen Falles bietet - der in der Beschwerdeschrift ersichtlich verfochtenen Auffassung zuwider keineswegs angeht, die für die Kommissionsentscheidung in der Glaubhaftmachungsfrage maßgebenden komplexen Überlegungen, soweit sie in die schriftlichen Entscheidungsgründe Eingang zu finden vermochten, ungeachtet all ihrer Verzahnungen und Verästelungen schrittweise in ihre Bestandteile zu zerlegen und diese - so aus dem Kontext der Kommissionsüberlegungen gelösten - Begründungsdetails in isolierter Wertung für nicht tragfähig zu erklären. Zudem kann die Gesamtheit aller Umstände, die dem zur Entscheidung berufenen Kollegialorgan die Überzeugung vom Wert und von der Aussagekraft des Bescheinigungsmaterials vermitteln, überhaupt nicht restlos analysiert werden, zumal sich vor allem das Ergebnis des persönlichen Eindrucks, den Aussagende im Zuge ihrer Befragung hinterlassen, nicht immer in voller Breite in Worte kleiden läßt (VfSlg. 9785/1983; VfGH 24. November 1983 B300/83 und B304/83).

5. Zusammenfassend ist hier ein in die Verfassungssphäre reichender gravierender Verstoß auf verfahrensrechtlicher Ebene, insbesondere im Bereich der Beweiswürdigung, nicht zu ersehen:

Der VfGH kann der ZDOK nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Würdigung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden vergleiche hiezu die Judikatur des OGH, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die aufgrund unmittelbaren persönlichen Eindrucks gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen; zB aus jüngerer Zeit: OGH 23. März 1982, 9 Os 38/82; 27. Juli 1982, 10 Os 86/82; s. dazu VfSlg. 9573/1982 ua.).

6. Abschließend folgt daraus, daß keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vorliegt.

7. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesbestimmungen unter dem Aspekt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebots wurden nicht geltend gemacht und kamen - aus der Sicht dieses Beschwerdefalles - auch sonst nicht hervor. Bei dieser Betrachtung schied im übrigen die Vorschrift des §2 Abs1 ZDG, da es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt, von vornherein aus.

8. Da es auch an jeglichen Anhaltspunkten dafür fehlt, daß die bel. Beh. dem Gesetz fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte, könnte das - vom Bf. relevierte - Gleichheitsrecht nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 7466/1974, 8238/1978, 9233/1981) nur dann verletzt sein, wenn der angefochtene Bescheid ein Willkürakt wäre.

Es finden sich jedoch keine wie immer gearteten Hinweise dafür, daß die bel. Beh. bei ihrer Entscheidung von subjektiven, in der Person des Bf. gelegenen Momenten bestimmt oder von anderen unsachlichen Erwägungen geleitet worden sei.

9. Daher ergibt sich, daß der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht nicht verletzt wurde.

10. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines bisher nicht behandelten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam (s. schon Punkt 7.), mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B718.1984

Dokumentnummer

JFT_10149074_84B00718_00

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