Verfassungsgerichtshof (VfGH)

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Entscheidungstext E778/2016 (G254/2017-20, ...

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Geschäftszahl

E778/2016 (G254/2017-20, V110-111/2017-20)

Entscheidungsdatum

27.06.2018

Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
  1. B-VG Art. 144 heute
  2. B-VG Art. 144 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  3. B-VG Art. 144 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 144 gültig von 01.01.1991 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 8/1999
  5. B-VG Art. 144 gültig von 01.01.1991 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  6. B-VG Art. 144 gültig von 01.08.1984 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 296/1984
  7. B-VG Art. 144 gültig von 01.08.1981 bis 31.07.1984 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 350/1981
  8. B-VG Art. 144 gültig von 01.07.1976 bis 31.07.1981 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  9. B-VG Art. 144 gültig von 25.12.1946 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 144 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 144 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Spruch

römisch eins. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung und von gesetzwidrigen Verordnungsbestimmungen in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

römisch II. Das Land Vorarlberg ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1.       Die beschwerdeführende Gesellschaft ist Straßenerhalterin der Autobahnen und Schnellstraßen und für die Aufrechterhaltung der Leichtigkeit, Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs auf dem gesamten hochrangigen Straßennetz in Österreich verantwortlich. Um dieser Verpflichtung gerecht werden zu können, sind nach den Ausführungen der beschwerdeführenden Gesellschaft bestimmte Maßnahmen – insbesondere auch die Errichtung und der Betrieb von Verkehrskontrollplätzen – erforderlich. Verkehrskontrollplätze dienten unterschiedlichen Kontrollzwecken des Bundes und der Länder, wie etwa Kontrollen nach dem Kraftfahrgesetz, der Straßenverkehrsordnung, dem Führerscheingesetz sowie den zoll- und mautrechtlichen Bestimmungen.

2.       Mit Bescheid vom 28. Oktober 2015 versagte die – mit Devolutionsantrag angerufene – Berufungskommission der Marktgemeinde Lauterach gemäß §28 Abs3 Vorarlberger Baugesetz (im Folgenden: "Vbg. BauG") die am 4. Juni 2009 von der beschwerdeführenden Gesellschaft beantragte Baubewilligung zur Neuerrichtung eines Dienstgebäudes mit Überdachung und einer Prüfhalle im Rahmen eines geplanten Verkehrskontrollplatzes an der A 14-Rheintal-Autobahn in Fahrtrichtung Feldkirch auf Grundstück Nr 3546, EZ 700, KG 91115 Lauterach (im Folgenden: "Verkehrskontrollplatz Lauterach"), wegen Widerspruchs zu der im Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Lauterach festgelegten Widmung "Freifläche Freihaltegebiet".

3.       Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg gab der dagegen von der beschwerdeführenden Gesellschaft erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 14. März 2016 keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid der Berufungskommission der Marktgemeinde Lauterach vom 28. Oktober 2015. Die grundsätzliche Frage der landesrechtlichen Bewilligungspflicht für die Errichtung des Verkehrskontrollplatzes Lauterach sei zunächst nach dem Vorarlberger Baugesetz zu beurteilen. Der Geltungsbereich dieses Gesetzes sei mit Landesgesetzblatt 11 aus 2014, dahin geändert worden, dass nach §1 Abs1 litd  Vbg. BauG öffentliche Straßen, soweit es sich nicht um Gebäude handelt, es sei denn, sie stehen in einem unmittelbaren technischen Zusammenhang mit der Errichtung oder dem Betrieb der Straße, vom Anwendungsbereich des Vorarlberger Baugesetzes ausgenommen seien.

§3 Bundesstraßengesetz 1971 (im Folgenden: "BStG 1971") enthalte eine taxative Aufzählung der Bestandteile von Bundesstraßen. Verkehrskontrollplätze seien darin nicht aufgezählt; Verkehrskontrollplätze seien nicht unter einen der dort genannten Begriffe zu subsumieren und dienten keinem dort genannten Zweck. Ein Verkehrskontrollplatz falle insbesondere auch nicht unter die Bestimmung des §27 Abs1 BStG 1971. Für eine funktionsgerechte Benützung der Bundesautobahnen und -schnellstraßen seien die unmittelbar an ihnen gelegenen Einrichtungen, wie Tankstellen, Raststätten, Motels und Werkstätten wesentlich. Ein Verkehrskontrollplatz stelle keinen Betrieb im Zuge von Bundesstraßen dar, der den Belangen der Verkehrsteilnehmer auf diesen diene (wie Tankstellen, Raststätten, Motels, Werkstätten und dergleichen) und stehe in keinem funktionalen Zusammenhang mit der Benützung der A 14-Rheintal-Autobahn. Es sei nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg kein Grund ersichtlich, weshalb §3 BStG 1971 extensiv interpretiert werden solle. Die in dieser Bestimmung genannten anderen baulichen Anlagen dienten nämlich im Wesentlichen Schutzwecken, nicht aber Zwecken der Verkehrskontrolle schlechthin. Ein Verkehrskontrollplatz stelle keinen Bestandteil einer Bundesstraße iSd §3 BStG 1971 dar. Der Verwaltungsgerichtshof weise in seinem Erkenntnis vom 31. Jänner 2008, 2007/06/0197, – in dem die Entleerung eines Silos für Streusalz Verfahrensgegenstand gewesen sei – darauf hin, es könne aus dem Bundesstraßengesetz aus dem Jahr 1921 nicht abgeleitet werden, dass auch die Errichtung und Änderung baulicher Anlagen (die in keinerlei Zusammenhang mit dem Straßenkörper für eine Bundesstraße stünden) auf Grundstücken, die den Zwecken einer Bundesstraße mittelbar dienten (wie sie nunmehr in §3 BStG 1971 als Bestandteile der Bundesstraße aufgezählt seien), allein dem Kompetenztatbestand für Bundesstraßen unterliegen sollten. So habe §24 des Bundesstraßengesetzes aus dem Jahr 1921 vorgesehen, dass bauliche Anlagen, wie Vorbauten, Freitreppen, Geschäftsportale, Luftschächte, Kellereinwurfsöffnungen, die über die Straßenfluchtlinie vorspringen, auf Grundstücken entlang einer Bundesstraße der Bewilligung der Bundesstraßenverwaltung bedurften, selbst wenn deren Herstellung nach der Bauordnung nur mit Genehmigung der Baubehörde erfolgen durfte. Der Bundesstraßengesetzgeber habe in dieser Bestimmung zum Ausdruck gebracht, dass er die baurechtliche Kompetenz betreffend die Errichtung und Änderung baulicher Anlagen auf Grundstücken, die nahe einer Bundesstraße gelegen sind, nicht in Anspruch genommen, sondern akzeptiert habe.

Der geplante Verkehrskontrollplatz Lauterach stelle eine bauliche Anlage dar, die für den Betrieb der A 14-Rheintal-Autobahn nicht erforderlich sei. Die A 14-Rheintal-Autobahn könne in der derzeitigen Art und Weise mit oder ohne Verkehrskontrollplatz uneingeschränkt betrieben und erhalten werden. Im beantragten Verkehrskontrollplatz könne auch keine unmittelbare und unbedingt notwendige Funktion für den Durchzugsverkehr auf der A 14-Rheintal-Autobahn selbst erkannt werden. Ein Zusammenhang mit der Herstellung und Erhaltung des Straßenkörpers an der A 14-Rheintal-Autobahn bestehe nicht. Selbst die Errichtung des Verkehrskontrollplatzes auf Grundstücken, die den Zwecken einer Bundesstraße nur mittelbar dienten, rechtfertige keine Sonderkompetenz des Bundes.

Das beantragte Vorhaben falle somit nicht in die Kompetenz des Bundes, sondern in den Anwendungsbereich der Vorarlberger Bauvorschriften und sei nach dem Vorarlberger Baugesetz bewilligungspflichtig. Das (Bau-)Grundstück Nr 3546, EZ 700, KG Lauterach, sei im Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Lauterach als "Freifläche Freihaltegebiet" gewidmet. Der beantragte Verkehrskontrollplatz werde weder auf einer Waldfläche errichtet noch sei dieser für forstwirtschaftliche Zwecke notwendig. Es liege ein Widerspruch zu den raumplanungsrechtlichen Vorschriften vor, weshalb die Erteilung der Baubewilligung für den Verkehrskontrollplatz gemäß §28 Vbg. BauG in Verbindung mit §18 Abs5 Vbg. Raumplanungsgesetz zu versagen sei.

4.       Die beschwerdeführende Gesellschaft behauptet in ihrer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG einen Verstoß gegen die bundesstaatliche Kompetenzverteilung und das bundesverfassungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG, auf Unverletzlichkeit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK sowie in Rechten wegen Anwendung des als gesetzwidrig erachteten Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Lauterach, beschlossen von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Lauterach am 13. März 2003, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 2. April 2003 und kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Lauterach in der Zeit vom 29. April bis 14. Mai 2003, hinsichtlich des Grundstückes Nr 3546, EZ 700, KG Lauterach.

5.       Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 28. September 2017, E778/2016-20, zum einen gemäß Art140 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §1 Abs1 litd Vbg. BauG, Landesgesetzblatt 52 aus 2001,, in der Fassung Landesgesetzblatt 11 aus 2014, ein; zum anderen zog er gemäß Art139 Abs1 Z2 B-VG die Gesetzmäßigkeit näher bezeichneter Teile des Räumlichen Entwicklungskonzepts der Marktgemeinde Lauterach, beschlossen von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Lauterach am 17. September 2013, sowie des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Lauterach, beschlossen von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Lauterach am 13. März 2003, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 2. April 2003 und kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Lauterach in der Zeit vom 29. April bis 14. Mai 2003, soweit er sich auf das Grundstück Nr 3546, EZ 700, KG Lauterach, bezieht, in Prüfung.

6.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

7.       Mit Erkenntnis vom 26. Juni 2018, G254/2017-20, V110-111/2017-20, hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "unmittelbaren technischen" in §1 Abs1 litd Vbg. BauG, Landesgesetzblatt 52 aus 2001,, in der Fassung Landesgesetzblatt 11 aus 2014, wegen Verfassungswidrigkeit sowie näher bezeichnete Teile des Räumlichen Entwicklungskonzepts der Marktgemeinde Lauterach, beschlossen von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Lauterach am 17. September 2013, und den Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Lauterach, beschlossen von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Lauterach am 13. März 2003, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 2. April 2003 und kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Lauterach in der Zeit vom 29. April bis 14. Mai 2003, soweit er sich auf das Grundstück Nr 3546, EZ 700, KG Lauterach, bezieht, wegen Gesetzwidrigkeit auf.

8.       Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat somit eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung und gesetzwidrige Verordnungsbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde sohin durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung (zB VfSlg 10.404/1985, 19.346/2011; VfGH 13.12.2017, E2723/2016) und von gesetzwidrigen Verordnungsbestimmungen in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985; VfGH 12.10.2017, E1242/2016).

9.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

10.      Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

11.      Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E778.2016

Zuletzt aktualisiert am

13.07.2018

Dokumentnummer

JFT_20180627_16E00778_00

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