Verfassungsgerichtshof (VfGH)

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Entscheidungstext E3174/2016

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Geschäftszahl

E3174/2016

Entscheidungsdatum

14.03.2017

Index

34/01 Monopole

Norm

B-VG Art83 Abs2
GlücksspielG §52
VfGG §86a
  1. B-VG Art. 83 heute
  2. B-VG Art. 83 gültig ab 01.02.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 14/2019
  3. B-VG Art. 83 gültig von 01.01.2014 bis 31.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 83 gültig von 29.02.1968 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 73/1968
  5. B-VG Art. 83 gültig von 19.12.1945 bis 28.02.1968 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  6. B-VG Art. 83 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VfGG § 86a heute
  2. VfGG § 86a gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VfGG § 86a gültig von 01.07.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. VfGG § 86a gültig von 01.07.2008 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine - in der Zeit zwischen Kundmachung des Beschlusses auf Feststellung eines Massenverfahrens und Kundmachung des die Rechtsanschauung des VfGH enthaltenden Rechtssatzes - getroffene Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wegen Verstoßes gegen die Sperrwirkung des Beschlusses

Spruch

römisch eins. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

römisch II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

römisch eins.       Sachverhalt und Beschwerdevorbringen

1.       Mit Straferkenntnis vom 17. September 2015 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von € 4.000,–, weil er am 11. Februar 2015 zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des §2 Abs4 GSpG unternehmerisch zugänglich gemacht und damit eine Verwaltungsübertretung nach §52 Abs1 Z1 GSpG begangen habe. Mit dem angefochtenen – am 16. August 2016 zugestellten – Erkenntnis bestätigte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich dieses Straferkenntnis.

2.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer insbesondere die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols rügt.

3.       Die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach legte die Verwaltungsakten vor.

römisch II.      Rechtslage

§86a Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 ("VfGG"), Bundesgesetzblatt 85 aus 1953,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013,, lautet:

"§86a. (1) Ist beim Verfassungsgerichtshof eine erhebliche Anzahl von Verfahren über Beschwerden anhängig, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind, oder besteht Grund zur Annahme, dass eine erhebliche Anzahl solcher Beschwerden eingebracht werden wird, so kann der Verfassungsgerichtshof dies mit Beschluss aussprechen. Ein solcher Beschluss hat zu enthalten:

1. die in diesen Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften;

2. die auf Grund dieser Rechtsvorschriften zu lösenden Rechtsfragen;

3. die Angabe, welche der Beschwerden der Verfassungsgerichtshof behandeln wird.

(2) Beschlüsse gemäß Abs1 verpflichten, soweit es sich bei den darin genannten Rechtsvorschriften zumindest auch um Gesetze, politische, gesetzändernde oder gesetzesergänzende Staatsverträge oder Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, handelt, den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann, ansonsten die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zu ihrer unverzüglichen Kundmachung.

(3) Mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Beschlusses gemäß Abs1 treten folgende Wirkungen ein:

1. in Rechtssachen, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat:

a) Es dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.

b) Die Beschwerdefrist beginnt nicht zu laufen; eine laufende Beschwerdefrist wird unterbrochen.

2. in allen beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren gemäß Abs1, die im Beschluss gemäß Abs1 nicht genannt sind:

Es dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.

(4) In seinem Erkenntnis fasst der Verfassungsgerichtshof seine Rechtsanschauung in einem oder mehreren Rechtssätzen zusammen, die nach Maßgabe des Abs2 unverzüglich kundzumachen sind. Mit Ablauf des Tages der Kundmachung beginnt eine unterbrochene Beschwerdefrist neu zu laufen und enden die sonstigen Wirkungen des Abs3."

römisch III.    Erwägungen

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich unterlaufen:

1.       Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 2. Juli 2016, E945/2016 ua. ausgesprochen, dass bei ihm eine erhebliche Anzahl von Verfahren über Beschwerden im Sinne des §86a Abs1 VfGG anhängig ist, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind. Konkret hatte der Verfassungsgerichtshof dabei zu prüfen, ob die Rechtsgrundlagen i) für die Bestrafung wegen Übertretung der Verwaltungsstraftatbestände gemäß §52 Glücksspielgesetz, Bundesgesetzblatt 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 105 aus 2014,, ii) für die Beschlagnahme von Glücksspielautomaten, von sonstigen Eingriffsgegenständen oder von technischen Hilfsmitteln gemäß §53 Glücksspielgesetz, Bundesgesetzblatt 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 111 aus 2010,, und iii) für die Einziehung von Gegenständen, mit denen gegen eine oder mehrere Bestimmungen des §52 Abs1 Glücksspielgesetz verstoßen wird, gemäß §54 Glücksspielgesetz, Bundesgesetzblatt 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 70 aus 2013,, (offenkundig) gegen Unionsrecht (insbesondere Art56-62 AEUV) verstoßen und die vor dem Verfassungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte wegen der daraus folgenden Unanwendbarkeit ohne gesetzliche Grundlage ergangen sind oder ob gegen die Rechtsgrundlagen für die genannten Bestrafungen und Anordnungen verfassungsrechtliche Bedenken bestehen und ob es allenfalls nach Aufhebung der zugrunde liegenden Rechtsvorschriften letztlich zur Aufhebung der vor dem Verfassungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte kommt. Zur Beantwortung dieser Rechtsfragen hatte der Verfassungsgerichtshof §52 Glücksspielgesetz, Bundesgesetzblatt 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 105 aus 2014,, §53 Glücksspielgesetz, Bundesgesetzblatt 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 111 aus 2010,, und §54 Glücksspielgesetz, Bundesgesetzblatt 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 70 aus 2013,, anzuwenden.

Begründend führte der Verfassungsgerichtshof in dem angeführten Beschluss vom 2. Juli 2016 aus, dass bei ihm im Zeitraum vom 18. Mai bis 30. Juni 2016 bereits über 100 Beschwerden zu den genannten Rechtsfragen anhängig gemacht worden seien, welche im Wesentlichen die im Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 30. März 2016, 4 Ob 31/16m ua., dargelegten Bedenken, die den Obersten Gerichtshof zur Stellung des beim Verfassungsgerichtshof am 12. April 2016 eingelangten und zu G103-104/2016 protokollierten Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG veranlassten, übernehmen. Darüber hinaus sei zu erwarten, dass eine erhebliche Anzahl weiterer solcher Beschwerden in nächster Zeit beim Verfassungsgerichtshof anhängig gemacht werde.

2.       Die im Beschluss vom 2. Juli 2016 genannten Rechtsfragen wurden vom Verfassungsgerichtshof in den zu E945/2016, E947/2016 und E1054/2016 protokollierten Beschwerdeverfahren im Rahmen des – die zugrunde liegenden Beschwerden abweisenden – Erkenntnisses vom 15. Oktober 2016, E945/2016 ua. mit folgendem Rechtssatz beantwortet:

"Die Rechtsgrundlagen i) für die Bestrafung wegen Übertretung der Verwaltungsstraftatbestände gemäß §52 Glücksspielgesetz, Bundesgesetzblatt Nr 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 105 aus 2014,, ii) für die Beschlagnahme von Glücksspielautomaten, von sonstigen Eingriffsgegenständen oder von technischen Hilfsmitteln gemäß §53 Glücksspielgesetz, Bundesgesetzblatt Nr 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 111 aus 2010,, und iii) für die Einziehung von Gegenständen, mit denen gegen eine oder mehrere Bestimmungen des §52 Abs1 Glücksspielgesetz verstoßen wird, gemäß §54 Glücksspielgesetz, Bundesgesetzblatt Nr 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 70 aus 2013,, verstoßen nicht gegen Unionsrecht (insbesondere Art56 bis 62 AEUV). Aus diesem Grund kann von vornherein keine Verletzung des Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG wegen Inländerdiskriminierung vorliegen."

3.       Der vom Verfassungsgerichtshof am 2. Juli 2016 in den zu den Zahlen E945/2016, E947/2016 und E1054/2016 protokollierten Verfahren gefasste Beschluss gemäß §86a Abs1 VfGG wurde vom Bundeskanzler am 12. Juli 2016 Bundesgesetzblatt Teil eins, 57 aus 2016,), der – die Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes enthaltende – Rechtssatz am 3. November 2016 Bundesgesetzblatt Teil eins, 91 aus 2016,) kundgemacht.

4.       Gemäß §86a Abs3 VfGG tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung eines Beschlusses nach §86a Abs1 VfGG unter anderem folgende Wirkung ein: In Rechtssachen, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss des Verfassungsgerichtshofes nach §86a Abs1 VfGG genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat, darf das Verwaltungsgericht nur noch solche Handlungen vornehmen oder Anordnungen und Entscheidungen treffen, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Diese Wirkung besteht gemäß §86a Abs4 VfGG bis zum Ablauf des Tages, an dem die in Rechtssatzform ergehende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die gleichartigen Rechtsfragen kundgemacht wurde.

Wie sich bereits aus dem Wortlaut des §86a Abs3 Z1 lita VfGG ergibt, ist für die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen die Sperrwirkung des §86a VfGG vorliegt, jener Zeitpunkt maßgebend, in dem die Handlung, Anordnung oder Entscheidung "vorgenommen" bzw. "getroffen" wurde. Dieser Zeitpunkt ergibt sich in der Regel aus dem Datum der Entscheidung. Hingegen kommt es nicht auf die – mit Zustellung an eine der Parteien bewirkte – Erlassung der Entscheidung an, würde die gegenteilige Ansicht doch §86a Abs3 Z1 litb erster Satz VfGG, wonach die Beschwerdefrist nicht zu laufen beginnt, den Anwendungsbereich nehmen.

5.       Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich traf das angefochtene Erkenntnis vom 11. August 2016 in der Zeit zwischen Kundmachung des Beschlusses gemäß §86a Abs1 VfGG und Kundmachung des die Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes enthaltenden Rechtssatzes. Gleichsam hatte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich bei seiner Entscheidung §52 GSpG in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 105 aus 2014,, somit eine jener Rechtsvorschriften anzuwenden, die im oben genannten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 2016 nach §86a VfGG in den zu den Zahlen E945/2016, E947/2016 und E1054/2016 protokollierten Verfahren genannt sind und damit eine in diesem Beschluss nach §86a VfGG genannte Rechtsfrage zu beurteilen.

Gemäß §86a Abs3 Z1 lita VfGG sind nur solche Handlungen, Anordnungen oder Entscheidungen zulässig, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über die gleichartigen Rechtsfragen nicht beeinflusst werden können bzw. die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Eine die Sache des Verfahrens erledigende Entscheidung, wie sie das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich im vorliegenden Fall getroffen hat, kann keinesfalls als derartige Handlung, Anordnung oder Entscheidung angesehen werden.

6.       Klarstellend hält der Verfassungsgerichtshof fest, dass die Kundmachung eines Rechtssatzes iSd §86a Abs4 VfGG keine über die Aufhebung der Sperrwirkungen des §86a Abs3 VfGG hinausgehenden Rechtswirkungen hat. Insofern unterscheiden sich diese von den im Kompetenzfeststellungsverfahren gemäß Art138 Abs2 B-VG erzeugten Rechtssätzen.

römisch IV.      Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Glücksspiel, Glücksspielmonopol, VfGH / Massenverfahren, VfGH / Sachentscheidung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E3174.2016

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2017

Dokumentnummer

JFT_20170314_16E03174_00

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