Entscheidungstext 7Ob254/04k

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

EFSlg 111.193 = EFSlg 111.198 = EFSlg 111.207 = EFSlg 111.230 = EFSlg 111.231 = EFSlg 111.245 = EFSlg 111.246 = EFSlg 111.247 = EFSlg 112.282

Geschäftszahl

7Ob254/04k

Entscheidungsdatum

12.01.2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Rudolf S*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Margot Tonitz, Rechtsanwältin in Klagenfurt, gegen die beklagte und widerklagende Partei Dr. Monika S*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Oswin Lukesch und Dr. Anton Hintermeier, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Ehescheidung über die Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom 21. Mai 2004, GZ 23 R 116/04p-36, womit das Urteil des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 17. Februar 2004, GZ 2 C 35/02f, 2 C 47/02w-30, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird - soweit es nicht im Scheidungsausspruch bereits in Rechtskraft erwachsen ist - dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichtes in seinem Punkt 2) (Verschuldensausspruch) und in der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 5. 8. 1998 die Ehe, nachdem sie sich davor schon viele Jahre gekannt hatten. Die beklagte und widerklagende Partei (in der Folge Beklagte) ist Mutter der am 16. 12. 1990 geborenen Tatjana S*****. Die Tochter der Streitteile Mercedes kam am 16. 2. 1999 zur Welt. Die Parteien planten, das Haus der klagenden und widerbeklagten Partei (in der Folge: Kläger) umzubauen und dorthin im Herbst 2000 zu übersiedeln.

Am 6. 9. 2000 wurde im Büro der Beklagten ein Gasattentat verübt, was bei der Beklagten eine extreme psychische Belastung verursachte. Der Täter wurde nie ausgeforscht. Zwei Monate später stellte sich heraus, dass die Tochter der Beklagten Tatjana an myologischer Leukämie erkrankt war. Man teilte der Beklagten mit, dass die Überlebensrate bei dieser Krankheit 20 % betrage und man der Tochter praktisch keine Überlebenschancen gebe. Zu diesem Zeitpunkt war die Übersiedlung in das Haus des Klägers im Gange. Die für zwei Jahre geplante Therapie der Tochter Tatjana bedeutete für die Beklagte aber, dass sie sich verpflichten musste, als Bezugsperson im Krankenhaus anwesend zu sein. Entscheiden und bestimmen wie man für Tatjana vorgehen sollte, musste die Beklagte allein, der Kläger gab ihr dabei keinerlei psychische Unterstützung. Die Beklagte war mit Tatjana in einer Isolierzelle von 16 m2 mit einem Schleusengang untergebracht, da eine Desinfektion notwendig war. Tatjana erhielt in den nächsten zwei Jahren 36 Chemotherapien. Der Kläger kümmerte sich während dieser Zeit weiter um den Betrieb und den Lebensunterhalt der Familie und nahm an, dass er die Beklagte dadurch ausreichend unterstützte. Da er nicht gerade ein besonders sensibler Mann mit großer Fähigkeit zur Kommunikation ist, war er nie in der Lage, der Beklagten psychische Unterstützung und Trost zu geben, was diese aber von ihm erwartete.

Aufgrund der Größe und der Anordnung der Wohnung ergab sich, dass auch zu Hause eine Schleusenpflege für Tatjana möglich sei. Diese Hauspflege war notwendig, da Tatjana es im Krankenhaus nicht länger aushielt. Die Beklagte musste sich nicht nur um Tatjana kümmern, sondern auch für die Betreuung der gemeinsamen Tochter sorgen, sich um den Haushalt kümmern und ihre eigene Firma, sie ist Versicherungsagentin, weiterführen, was letztlich nur dank ihrer Mutter möglich gewesen war. Von Montag bis Freitag vormittag war die Mutter der Beklagten im Krankenhaus und die Beklagte arbeitete in ihrem Unternehmen, dann erfolgte ein "Schichtwechsel". Die Beklagte hielt sich von Freitag am Nachmittag bis Sonntag am Abend im Krankenhaus auf. Der Kläger nahm sich nicht die Zeit, die Beklagte ins Spital zu begleiten. Er besuchte seine Stieftochter in den zwei Jahren trotz häufigen Ersuchens der Beklagten nur zweimal. Der Kläger kümmerte sich während dieser Zeit noch nicht um die gemeinsame Tochter Mercedes. Diese wurde soweit sie nicht von Mutter und Großmutter versorgt wurde zu einer Tagesmutter gegeben. Er verweigerte die Betreuung seiner Tochter mit der Begründung, dass er arbeiten müsse. Er war nicht bereit, sich seine Zeit so einzuteilen, dass er zumindest am Wochenende auf Mercedes aufpassen konnte. Die Beziehung zwischen Tatjana und dem Kläger ist nicht gut.

Seit dem Gasattentat befand sich die Beklagte fast durchgehend in psychologischer Betreuung. Sie war derart ausgelaugt, dass sie sich zu Hause praktisch um nichts mehr kümmerte. Von Mai 2001 bis August 2002 hatte die Familie dreimal in der Woche eine Putzfrau.

In dieser Zeit wurde auch der Großvater des Klägers schwer krank, pflegebedürftig und verstarb. Die Streitteile lebten sich immer mehr auseinander.

Der Kläger begann während dieser zwei Jahre, ein bis zweimal pro Woche in ein Tanzcafe, das der Kläger selbst als Bordell bezeichnet, und in eine Go-Go-Bar auszugehen. Über Anraten des betreuenden Arztes begann auch die Beklagte ohne den Kläger auszugehen und besuchte zum Teil dieselben Lokale wie dieser. Zweimal pro Woche kam es vor, dass die Beklagte über Nacht fort war und erst in der Früh nach Hause kam.

Der Kläger beschimpfte die Beklagte unflätig. Die Beklagte ihrerseits stand dem Kläger keineswegs nach und beschimpfte ihn ebenfalls, allerdings mit weniger derben Ausdrücken. Im August, September 2001 fing der Kläger an, die Beklagte aufzufordern, sich mit ihren "unnötigen Kindern" aus der Ehewohnung zu entfernen. Es wurde zum ersten Mal von Scheidung gesprochen. Im Herbst 2001 gab der Kläger der Beklagten über ihre nachdrückliche Aufforderung S 50.000 für einen Erholungsaufenthalt für die beiden Kinder, die von den Eltern der Beklagten begleitet wurden. Die Beklagte versuchte, ihre Ehe zu retten, was nicht gelang.

Die Eltern der Beklagten und schließlich auch die Beklagte selbst empfanden den Kläger nie als "wirklich gleichwertig" und sahen auf ihn herab. Der Beruf der Beklagten, ihr akademischer Titel, Auftreten und Niveau wurde im Verhältnis zum Kläger als wichtig und besser eingeschätzt. Auch Tatjana wurde diese herablassende Einstellung gegenüber dem Kläger von der Beklagten vermittelt.

Im September/Oktober 2001 begab sich die Beklagte in eine zweimonatige Behandlung bei einer Psychologin wegen Erschöpfungs- und Angstzuständen mit leichter depressiver Symptomatik. Die Beklagte teilte ihr auch ihre Fantasien über aggressives Verhalten dem Kläger gegenüber mit Mordversuchen (beispielsweise Vergiftung), mit. Nach Einschätzung der Psychologin handelte es sich lediglich um Erleichterungsfantasien, um Druck abzulassen und ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.

Die der Psychologin geschilderten Vorstellungen blieben aber nicht im Reich der Fantasie. Im November 2001 brachte die Beklagte dem Kläger zwei Burger ins Büro mit der Bemerkung, dass die Kinder das Essen nicht mehr wollten. Als der Kläger hineinbiss und Bier dazu trank, viel ihm ein bitterer Geschmack und ein weißes zermahlenes Pulver auf. Als er die Beklagte darauf ansprach, meinte sie, sie habe ihm „das" nur gegeben, "um ihn ruhig zu stellen". Die Beklagte verabreichte demnach dem Kläger ein Pulver, dessen chemische Zusammensetzung nicht mehr feststellbar ist. Seit diesem Zeitpunkt aß der Kläger nichts mehr, was die Beklagte zubereitete.

Am 24. 1. 2002 entwickelte sich ein Streit wegen einer auf den Stufen liegenden Zeitung, in dessen Verlauf der Kläger die Beklagte an den Haaren riss, sie würgte und einen gelben Plastikstab, der normaler Weise zum Treiben der Pferde verwendet wird, durch das Fenster der Fahrertür stieß, hinter der die Beklagte saß. Er traf diese an der Schläfe im Augenbereich. Sie trug keine größeren Verletzungen davon, litt in der Folge aber an Schmerzen. Der Kläger schrie, dass er seine erste Frau nur geschlagen habe, die Beklagte aber erschlagen werde.

Die Ehe der Streitteile ist spätestens seit diesem Zeitpunkt unheilbar zerrüttet. Aufgrund dieses Vorfalles wurde dem Kläger mittels einstweiliger Verfügung verboten, für drei Monate in die Ehewohnung zurückzukehren.

Im September 2002 fuhr die Beklagte mit dem Auto so knapp hinter dem Fahrzeug des Kläger auf, dass sie eine Geldstrafe wegen Verwaltungsübertretung bekam.

Die Beklagte entfernte nun aus der Ehewohnung viele Gegenstände, sodass ihr mittels einstweiliger Verfügung aufgetragen wurde, zahlreiche Gegenstände des ehelichen Gebrauchsvermögens aus der ehelichen Wohnung weder zu entfernen noch zu veräußern. Die Beklagte entfernte aber trotzdem noch weiter eheliches Vermögen aus der Wohnung. Seit der Kläger aus der Wohnung weggewiesen wurde, setzt die Beklagte alles daran, die Wohnung regelrecht zu verwüsten und den Kläger zu schädigen. So lässt die Beklagte, wenn sie nicht da ist, absichtlich die Beleuchtung im ganzen Haus brennen, um den Kläger zu hohen Stromnachzahlungen zu verpflichten. Gleiches gilt für die Heizung. Sie lässt ein Dachflächenfenster absichtlich offen, sodass sich Tauben einnisteten und den Dachboden extrem verunreinigten.

Der Kläger begehrt die Scheidung aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten. Sie habe sich ihm gegenüber lieb- und interesselos verhalten, die gemeinsame Freizeitgestaltung verweigert, die Haushaltsführung vernachlässigt, sei streitsüchtig und beschimpfe ihn. Sie habe ihm Tabletten unter das Essen gemischt, ihn mit einer Faustfeuerwaffe bedroht und ihn derart provoziert, dass eine einstweilige Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz ergangen sei.

Die Beklagte beantragt ebenfalls die Scheidung mit ihrer Widerklage aus dem alleinigen Verschulden des Klägers. Er habe sie beschimpft, sei gegen sie tätlich gewesen, sei häufig betrunken nach Hause gekommen und habe sie bei der Betreuung ihrer lebensgefährlich erkrankten Tochter im Stich gelassen und deren Gesundheit gefährdet.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile und sprach aus, dass die Parteien das Verschulden zu gleichen Teilen träfe. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass dem Kläger an schweren Eheverfehlungen vorzuwerfen sei, das Imstichlassen der Beklagten in ihrer schweren Lebenssituation, ordinäre Beschimpfungen, Drohungen, körperliche Angriffe, gelegentliche Alkoholisierung, alleinige Freizeitgestaltung und Besuch von einschlägigen Lokalen. Der Beklagten lägen ebenso schwere Eheverfehlungen zur Last, nämlich Lieb- und Interesselosigkeit gegenüber dem Kläger, herabwürdigendes, unleidliches, provozierendes Verhalten, alleinige Freizeitgestaltung, Bordellbesuche, Beschimpfungen, versuchte Vergiftung des Klägers, Vernachlässigung des Haushalts, absichtliche Beschädigung des LKW des Klägers. Eheverfehlungen nach Zerrüttung der Ehe seien lediglich dann zu berücksichtigen, wenn sie wegen ihrer Schwere geeignet seien, die schon vorhandene Zerrüttung noch zu vertiefen, zu vervollständigen oder gänzlich unabänderlich zu machen. Die Beklagte habe nach der Wegweisung ein derart boshaftes und absichtlich den Kläger schädigendes Verhalten an den Tag gelegt, dass es unbillig wäre, dieses Verhalten als Eheverfehlung nicht doch noch zu berücksichtigen.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil das in seinem Scheidungsausspruch unbekämpft blieb im Verschuldensausspruch dahingehend ab, dass das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe überwiegend den Kläger treffe. Es vertrat die Rechtsansicht, dass der Zeitpunkt der unheilbaren Zerrüttung Anfang Februar 2002 eingetreten sei. Während Eheverfehlungen nach der unheilbaren Zerrüttung der Ehe im Allgemeinen keine entscheidende Rolle spielen, sei hinsichtlich der davor gesetzten Verfehlung vor allem maßgeblich, welche Partei mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen habe. Der Kläger und die Beklagte seien von ihren intellektuellen Voraussetzungen und ihrer Herkunft her sehr unterschiedliche Charakteren. Die daraus resultierenden Probleme, nämlich ständige Streitereien, die vor allem vom Kläger mit besonders derben Ausdrücken und teilweise unter Gewaltandrohung und sogar -anwendung ausgetragen worden seien und die Überheblichkeit und Geringschätzung gegenüber dem Kläger durch die Beklagte und ihrer Familie sowie der Verkehr in nicht besonders gut beleumundeten Lokalen durch beide Streitteile könne daher eine auffallend unterschiedliche Gewichtung der wechselseitigen Verfehlungen nicht begründen. Die wesentlichste, die Zerrüttung der Ehe einleitende Verfehlung liege darin, dass der Kläger die Beklagte bei ihrer Sorge um die Tochter Tatjana nicht unterstützt habe. Er habe damit seine Beistandspflicht nach Paragraph 90, ABGB verletzt. Zumindest bei der Haushaltsführung und Pflege der gemeinsamen Tochter hätte der Kläger die Beklagte unterstützen müssen und sich nicht damit begnügen dürfen, nur für den Lebensunterhalt zu sorgen, zumal auch die Beklagte das Versicherungsbüro geführt habe. Gerade in dieser für die Beklagte besonders schwierigen Zeit habe der Kläger begonnen, wieder regelmäßig auszugehen, statt sich um den Haushalt und die gemeinsame Tochter zu kümmern. Diese Vernachlässigung sei der Anfang für die unheilbare Ehezerrüttung gewesen. Die Situation habe sich aufgrund der bestehenden psychischen Probleme der Beklagten verschärft. Als nun die Beklagte als Reaktion darauf über Anraten ihrer Ärztin selbst öfter weggegangen sei, habe der Kläger dies nicht verstanden und die Situation sei weiter eskaliert. Schließlich sei die Auseinandersetzung derartig massiv geworden, dass über den Kläger ein Verbot die Ehewohnung zu betreten, verhängt worden sei. Dass die Attacken nur durch Provokation durch die Beklagte ausgelöst worden seien, stehe nicht fest. "Einzig" die Tatsache, dass die Beklagte den Kläger im November 2001 nach einer zweimonatigen Behandlung bei einer Psychologin "weißes Pulver unter das Essen mischte" und damit die Vertauensbasis weiter schwer belastet habe, könne der Beklagten - neben den oben dargestellten wechselseitigen Verhaltensweisen, die aufgrund besonderer Umstände wechselseitig nicht als schwere Eheverfehlungen gewertet werden können - vor dem Eintritt der unheilbaren Ehezerrüttung vorgeworfen werden. Allerdings sei auch dieser Vorfall "nur" ca drei Monate vor der endgültigen Zerrüttung und zu einem Zeitpunkt passiert, als bereits eine Scheidung im Raum gestanden sei. Erst danach habe es Ereignisse gegeben, die - wären sie vor der unheilbaren Zerrüttung der Ehe gesetzt worden - allenfalls zu einem gleichteiligen Verschulden hätten führen können. Die zerrüttungskausalen Verfehlungen des Klägers seien bei Abwägung des Gesamtverhaltens der Ehegatten damit insgesamt erheblich schwerer.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision unzulässig sei, da es sich hier um eine Entscheidung im Einzelfall handle, die sich an der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes orientiere.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag dahingehend, das erstinstanzliche Urteil in seinem Punkt 2 wiederherzustellen, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In der vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung hängt zwar die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung zum Verschulden der Eheleute an der Zerrüttung der Ehe immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0118125, RS0110837 uva) wird aber die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Ergebnis den von der Judikatur ausgesprochenen Grundsätzen nicht gerecht, so liegt dennoch eine erhebliche Rechtsfrage iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO vor.

Der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten nach Paragraph 60, Absatz 2, EheG setzt voraus, dass das Verschulden dieses Ehegatten erheblich schwerer wiegt und das geringere Verschulden des anderen Teiles fast völlig in den Hintergrund tritt. Es muss ein sehr erheblicher gradueller Unterschied im beidseitigen Verschulden bestehen, der offenkundig hervortritt (10 Ob 94/01y, 7 Ob 4/00i, 9 Ob 33/03y). Bei der Verschuldensabwägung müssen die beiderseitigen Eheverfehlungen in ihrem Zusammenhang gesehen werden, wobei das Gesamtverhalten und nicht eine Gegenüberstellung der einzelnen Verfehlungen maßgeblich ist (10 Ob 94/01y, 3 Ob 146/03x, RIS-Justiz RS0056171, RS0057303). Vor allem ist zu berücksichtigen, welche Partei mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen und wer den entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung geleistet hat (10 Ob 94/01i, 7 Ob 4/00i3 Ob 146/03x, 9 Ob 33/03y, RIS-Justiz RS0057367, RS0057361, RS0056597). Eheverfehlungen, die nach der Zerrüttung der Ehe gesetzt werden, haben bei der Verschuldensabwägung grundsätzlich kein entscheidendes Gewicht, es sei denn, dass der verletzte Ehegatte bei verständiger Würdigung diese Eheverfehlung noch als zerrüttend empfinden durfte oder eine Vertiefung der Zerrüttung durch die Verfehlung nicht ausgeschlossen werden kann (3 Ob 149/01k, 7 Ob 4/00i, 6 Ob 140/01h, 6 Ob 326/00k, RIS-Justiz RS0057338, RS0056921, RS0056939). Eine unheilbare Ehezerrüttung iSd Paragraph 49, EheG ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens von einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben (6 Ob 326/00k, RIS-Justiz RS0056832, RS0043423). Dieser Grad der Zerrüttung ist zumindest mit der Einbringung der Scheidungsklage erreicht (3 Ob 149/01k).

Nach den Feststellungen empfand die Beklagte den Kläger nicht als ihr gleichwertig. Sie meinte, auf ihn herabsehen zu müssen. Dieses Verhalten widerspricht der nach Paragraph 90, Absatz eins, ABGB geforderten "anständigen Begegnung" zwischen den Ehegatten. Diesem Verhalten ist über die Jahre eine gewisse die Ehe zerstörende Wirkung nicht abzusprechen.

Andererseits war das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt seiner Stieftochter zweifellos massiv ehestörend, verletzte er doch die eheliche Beistandspflicht der Beklagten gegenüber, in dem er sie in keiner Weise unterstütze bzw versuchte, ihr die zweifellos sehr schwierige persönliche Lage zu erleichtern. Er hat es nicht nur unterlassen, ihr Trost zuzusprechen, sondern auch, sie in welcher Art auch immer faktisch zu unterstützen, so (zumindest zum Teil) die Haushaltsführung zu übernehmen bzw sich um die Betreuung des gemeinsamen Kindes zu kümmern. Selbst der Umstand, dass sich der Zustand der Beklagten verschlechterte und sie psychologischer Betreuung bedurfte, brachte keine Änderung in seinem Verhalten. Stattdessen ging er nur seinen eigenen Wünschen und Vergnügungen nach. So massiv diese Eheverfehlung zweifellos ist, so steht ihr aber doch eine durchaus ebenso massive Eheverfehlung der Beklagten, die keinesfalls - wie das Berufungsgericht vermeint - zu vernachlässigen ist, gegenüber. Es steht nämlich fest, dass die Beklagte, die noch dazu Mordfantasien dem Kläger gegenüber hegte, wie sie ihrer Psychologin mitteilte, ein Pulver, dessen chemische Wirkungsstoffe nicht mehr festgestellt werden konnten, heimlich und unbemerkt in dessen Essen mischte, dies mit dem Vorsatz, dass dieses Pulver auf die körperliche Integrität des Klägers einwirken, nämlich ihn zumindest "Ruhigstellen" sollte. Was auch immer dieses "Ruhigstellen" nach den Vorstellungen der Beklagten beinhalten sollte, das Versetzen von Speisen mit Wirksubstanzen, um in die körperliche Integrität des Ehegatten einzugreifen, stellt, - unabhängig einer allfälligen strafrechtlichen Relevanz - einen kaum zu überbietenden Vertrauensbruch dar, der naturgemäß gravierendst zur Zerrüttung einer Ehe beitragen muss. Betrachtet man also das Gesamtverhalten der Parteien, so kann das Verschulden der Beklagten schon deshalb nicht als im Verhältnis zum Verschulden des Klägers als gering in den Hintergrund tretend beurteilt werden, selbst wenn man berücksichtigt, dass er später wegen seiner unbeherrschten Handlungen ebenfalls die körperliche Integrität der Beklagten durch den Vorfall, der zur Erlassung der einstweiligen Verfügung führte, verletzte.

Es war daher der Revision, im Sinne des Abänderungsantrags Folge zu geben und die erstinstanzliche Entscheidung, nachdem den Streitteilen zu gleichen Teilen ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist, wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren musste unterbleiben. Der obsiegende Kläger verzeichnete in den Rechtsmittelschriften keine Kosten.

Textnummer

E75938

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2005:0070OB00254.04K.0112.000

Im RIS seit

11.02.2005

Zuletzt aktualisiert am

25.04.2012

Dokumentnummer

JJT_20050112_OGH0002_0070OB00254_04K0000_000

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