Entscheidungstext 6Ob566/90

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Geschäftszahl

6Ob566/90

Entscheidungsdatum

26.04.1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Vormundschaftssache des mj. Kindes Emil L***, geboren am 12. November 1979, Schüler, im Haushalt seiner Mutter und Vormünderin Renate L***, Dipl. Krankenschwester, Innsbruck,

Kranebitterallee 92, wegen Unterhaltsleistungen des Vaters Gustav G***, Friseurmeister, Matrei am Brenner 77, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 2.Februar 1990, GZ 2 b R 20/90-68, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 18.Dezember 1989, GZ 3 P 540/83-63, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben. Der angefochtene Beschluß und der erstinstanzliche Beschluß werden insoweit aufgehoben, als für die Zeit ab 1.November 1989 ein monatliches Unterhaltserhöhungsbegehren über einen monatlichen Gesamtbetrag von 3.150 S hinaus bis 3.400 S abgewiesen wurde. In diesem Umfang wird die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Nach der oberstgerichtlichen Entscheidung vom 10.November 1988, 6 Ob 698/88 (= ON 42), war im zweiten Rechtsgang über das Unterhaltserhöhungsbegehren des am 12.November 1979 geborenen Knaben, der in der Obsorge seiner Mutter und Vormünderin heranwächst, gegen den Vater insoweit neuerlich zu entscheiden, als das für die Zeit ab 1.Februar 1988 gestellte Begehren auf Erhöhung der monatlichen Unterhaltsleistung von 2.500 S auf 5.000 S in Ansehung eines Teilbegehrens von 2.200 S abgewiesen worden war. Das Gericht erster Instanz wies das anhängig verbliebene Erhöhungsbegehren für die Zeit vom 1.Februar 1988 bis 31.Oktober 1989 ab, für die Zeit ab 1.November 1989 (in welchem Monat das Kind sein 10.Lebensjahr vollendete) erhöhte das Gericht erster Instanz die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf insgesamt 3.150 S und wies das darüber hinausgehende monatliche Mehrbegehren von 1.850 S ab.

Das Kind ließ die Abweisung des anhängig verbliebenen Erhöhungsmehrbegehrens für die Zeit ab 1.Februar 1988 bis 31.Oktober 1989 und die Abweisung des Erhöhungsbegehrens für die Zeit ab 1. November 1989 insoweit unangefochten, als der begehrte monatliche Gesamtbetrag 3.400 S überstieg. Rekursgegenstand war daher ein monatlicher Erhöhungsteilbetrag von 250 S für die Zeit ab 1.November 1989.

Das Rekursgericht hat dem Rekurs des Kindes nicht stattgegeben. Dabei hat es ausgesprochen, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Gericht zweiter Instanz erachtete es im Sinne seiner als ständig bezeichneten Rechtsprechung als angemessen, den Netto-Wohnaufwand (ohne Heizung und Betriebskosten) für eine den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen angemessene Unterkunft aus der Unterhaltsbemessungsgrundlage auszuscheiden und erst von einem um diesen reinen Wohnaufwand geminderten monatlichen Durchschnittseinkommen des unterhaltspflichtigen Vaters den nach dem Alter des Kindes einerseits sowie der mittleren Einkommenshöhe und dem Fehlen sonstiger gesetzlicher Sorgepflichten des Vaters andererseits als angemessen angesehenen Anteil von 20 % als Unterhaltsleistung zu bestimmen. Das Rekursgericht war sich dabei bewußt, mit seiner Auffassung über die Unterhaltsbemessungsgrundlage im Gegensatz zur veröffentlichten Rechtsprechung anderer Rechtsmittelgerichte zu stehen.

Das Kind ficht die bestätigende Rekursentscheidung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag an, die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Zeit ab 1. November 1989 auf insgesamt 3.400 S zu erhöhen.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht hat die Revisionsrekurszulässigkeit im Sinne des Paragraph 14, Absatz eins, AußStrG zutreffend bejaht.

Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Der Vater hatte dem Unterhaltserhöhungsbegehren seines mj. Sohnes entgegengehalten, bei einem monatlichen Einkommen von rund 12.000 S, einem monatlichen Mietaufwand von etwa 1.300 S und der Belastung mit (nicht näher ausgeführten) Kreditraten sich mit einer höheren monatlichen Unterhaltsleistung als 2.800 S nicht einverstanden erklären zu können.

Nach den vom Rekursgericht übernommenen erstinstanzlichen Feststellungen ist die obsorgeberechtigte Mutter des nunmehr 11 Jahre alten Knaben als Krankenschwester voll berufstätig, bezieht ein monatliches Nettoeinkommen in der Größenordnung von 18.000 S und hat ihren Sohn die Arbeitswoche über bei einer Pflegefamilie untergebracht. Der Vater übt als Friseurmeister in zwei Betriebsstätten (mit insgesamt sechs Arbeitskräften und einem Lehrling) sein Gewerbe aus. Sein Einkommen betrug im Jahre 1987 mehr als 228.000 S, im Jahre 1988 203.000 S. Nach den im Wege des Gemeindeamtes durchgeführten Erhebungen besteht die Mietwohnung des Vaters aus zwei Räumen mit einer Gesamtnutzfläche von etwa 30 m2. Sein Vorbringen über einen monatlichen Mietaufwand von 1.300 S unterstellten beide Vorinstanzen ohne jede weitere Nachprüfung als richtig.

Zur Ausmittelung der Unterhaltsleistungen des Vaters hatte das Gericht erster Instanz gefolgert:

Ein angemessenes Teilhaben des Kindes an den günstigen Lebensverhältnissen des Vaters werde dadurch gewährleistet, daß das Kind ab der Vollendung seines 10.Lebensjahres vom Vater monatliche Unterhaltsbeträge im Ausmaß von 20 % des um den angegebenen Mietaufwand von 1.300 S verminderten Einkommens von 16.917 S, das sind (15.617 S : 5 = 3.123 S) aufgerundet 3.150 S erhalte. Das Rekursgericht billigte diese Unterhaltsfestsetzung sowohl nach der Ermittlungsmethode als auch im Ergebnis.

Zur Ausmittlung des monatlichen Unterhaltsbetrages ist zunächst von folgendem negativen Grundsatz auszugehen:

Im Falle der Festsetzung der Unterhaltsleistungen in einem Bruchteil des vom Unterhaltspflichtigen erzielbaren Einkommens widerspricht es dem Zweck dieser Pauschalierung, aus der Bemessungsgrundlage den Mietaufwand des Unterhaltspflichtigen auszuscheiden.

Der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen seine Eltern hat nach Paragraph 140, Absatz eins, ABGB einen im Rahmen ihrer Kräfte liegenden Beitrag zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes zum Inhalt. In den gesetzlich umschriebenen Unterhaltsbestimmungskategorien der Lebensverhältnisse, der Kräfte und der angemessenen Bedürfnisse wirken einerseits allgemeine gesellschaftliche Auffassungen und statistisch erhebbare Erfahrungswerte und andererseits individuelle Lebensumstände der Familienmitglieder als Bestimmungsfaktoren. Nach diesen ist jeweils im Einzelfall innerhalb der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen der zur Befriedigung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten erforderliche Betrag auszumitteln. Die dem Unterhaltszweck angepaßte Leistung in Unterhaltsperioden und die Festsetzung der Leistungsbeträge für längere Zeiträume im voraus zwingen zu Pauschalierungen. Eine bestimmte Ermittlungsmethode hat das Gesetz nicht vorgegeben, wohl aber die Kriterien für das Ermittlungsergebnis.

Neben sonstigen Bedürfnissen sind mit dem Unterhalt jedenfalls Nahrung, Kleidung und Wohnung abzudecken. Eine Unterhaltsleistung nach eigenen Kräften des Unterhaltspflichtigen bedeutet, daß dieser aus den ihm hiezu verfügbaren Mitteln zunächst seine eigene Nahrung, Kleidung und Unterkunft sowie seine sonstigen Unterhaltsbedürfnisse finanziere. Einzelne dieser allgemeinen Lebensbedürfnisse im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen grundsätzlich dadurch einer gesonderten Beurteilung zu unterwerfen, daß sie (einseitig) für den Unterhaltspflichtigen aus der Bemessungsgrundlage ausgeschlossen werden, liefe dem Zweck der bei der Unterhaltsbemessung unvermeidlichen Pauschalierung zuwider. Eine atypische Notwendigkeit bei der Wohnversorgung (nach Art, Ort und Zeit) mag die Anpassung des nach einer Pauschalierungsmethode ermittelten Ergebnisses in die eine oder andere Richtung rechtfertigen, aber doch nur aus besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles und nicht, wie das die erklärte, aber nicht näher ausgeführte und allein mit dem Argument der eigenen ständigen Rechtsprechung begründete Auffassung des Rekursgerichtes ist, nach der angewandten Ermittlungsmethode grundsätzlich.

Die vom Rekursgericht vertretene Ermittlungsmethode bedeutete im Ergebnis, daß es dem Unterhaltspflichtigen zuzubilligen wäre, seinen konkreten Wohnaufwand vorab aus den ihm dafür verfügbaren Mitteln voll abzudecken, und erst mit der Befriedigung seiner eigenen übrigen Bedürfnisse mit den vollen Unterhaltsbedürfnissen des unterhaltsberechtigten Kindes (einschließlich dessen Wohnbedarfes) im Sinne eines angemessenen Teilhabenlassens in Konkurrenz zu treten. Ein solcher methodischer Ansatz ließe sich aber weder daraus rechtfertigen, daß die Wohnbedürfnisse eines Kindes grundsätzlich zu vernachlässigen wären, weil der Wohnbedarf eines unter Obsorge stehenden Kindes in der Regel nicht in einem eigenen selbständigen Haushalt befriedigt zu werden pflege, noch damit, daß die Deckung des eigenen Wohnbedarfes des unterhaltspflichtigen Elternteiles typischerweise von glückhaften Zufälligkeiten abhinge, so daß in dieser Hinsicht die Einbeziehung in die Pauschalierung unsachgemäß wäre.

Träfe dies im übrigen zu, müßte dennoch wieder nach einem statistisch erhobenen Durchschnittswert ein Verhältnis zwischen Wohnbedarf und den allgemeinen Unterhaltsbedürfnissen gebildet werden, wenn ein konkret veranschlagter Wohnbedarf des Unterhaltspflichtigen und seiner pauschaliert angesetzten übrigen Bedürfnisse (durch einen Prozentsatz) mit den Unterhaltsbedürfnissen des unterhaltsberechtigten Kindes in ein Verhältnis gebracht werden sollten. Nicht zuletzt dies zeigt die Sachwidrigkeit der vom Rekursgericht angewandten Ermittlungsmethode auf.

Die Vorinstanzen haben sich zur Ermittlung der den konkreten Umständen angemessenen Unterhaltsleistung des Vaters für sein nunmehr elf Jahre altes Kind einer nicht zu billigenden Methode bedient. Die gebotene grundsätzliche Änderung der heranzuziehenden Bemessungsgrundlage bedingt notwendigerweise eine neuerliche Überprüfung der zur Ausmittlung der Unterhaltsleistung anzuwendenden Prozentsätze.

Dazu ist derzeit vom Obersten Gerichtshof lediglich festzuhalten, daß es mit den Zielen der eingangs erwähnten Pauschalierung bei der Unterhaltsfestsetzung durchaus im Einklang stehen kann, den Unterhaltsbetrag in der Höhe eines Bruchteiles der Bemessungsgrundlage auszumitteln.

Bei der Wahl dieser Prozentsätze nach der Einkommenshöhe des Unterhaltspflichtigen, seinen sonstigen Sorgepflichten, den angemessenen allgemeinen Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten sind allgemeine Erfahrungen und gesellschaftliche Anschauungen und damit Tatsachen bestimmend, die von den Vorinstanzen nicht in einer überprüfbaren Weise aufgedeckt wurden.

Aus diesen Erwägungen muß sich der Oberste Gerichtshof im vorliegenden Fall auf eine rein kassatorische Entscheidungstätigkeit beschränken und die konkrete Ausmittlung des festzusetzenden monatlichen Unterhaltsbetrages im Sinne einer darzulegenden Pauschalierung und allfälligen Korrektur des Pauschalierungsergebnisses aufgrund besonderer atypischer Verhältnisse des Einzelfalles den Vorinstanzen überlassen. In Stattgebung des Revisionsrekurses waren daher die vorinstanzlichen Entscheidungen im Rahmen der Anfechtung aufzuheben. Die Sache war an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen, dessen Beurteilung es zunächst überlassen bleiben muß, ob es zur Erhebung tatsächlicher Werte (allgemeinen oder konkreten Inhaltes) eine Verfahrensergänzung für die zu fällende neue Entscheidung für erforderlich erachtet.

Anmerkung

E20978

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00566.9.0426.000

Dokumentnummer

JJT_19900426_OGH0002_0060OB00566_9000000_000

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