Entscheidungstext 4Ob65/99h

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Geschäftszahl

4Ob65/99h

Entscheidungsdatum

23.03.1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Tobias K*****, geboren am *****, vertreten durch die Eltern Stefan und Marlene K*****, diese vertreten durch Dr. Norbert Margreiter, Rechtsanwalt in Bezau, wider die beklagte Partei mj. Dominik P*****, geboren am *****, vertreten durch die Eltern Erich und Angelika P*****, diese vertreten durch Lenz & Luger, Rechtsanwälte OEG in Dornbirn, wegen Leistung und Feststellung (Streitwert insgesamt 63.577,55 S sA), infolge Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 16. Dezember 1998, GZ 1 R 594/98f-13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Bezau vom 20. Oktober 1998, GZ 3 C 375/98s-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 4.871,04 S bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 811,84 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind Vettern und wohnen in benachbarten Häusern. Am 20. 8. 1997 halfen sie, wie schon wiederholt, der Mutter des Klägers, Marlene K*****, Holz aus einem Heustadel in die Waschküche ihrer gemeinsamen Großmutter zu transportieren. Die beiden Buben luden das Holz im Heustadel in einen Schubkarren und brachten es zur Waschküche. Dort stapelte Marlene K***** das Holz. Gegen 11.30 Uhr ging Marlene K***** in das Haus, um ihren etwa 2 Jahre alten Sohn Manuel schlafen zu legen. Während dieser Zeit nahmen die beiden Buben im Heustadel einen Hackstock wahr, auf dem eine Hacke lag oder in den sie hineingeschlagen war.

Dem Beklagten war von seinen Eltern noch nie erlaubt worden, eine Hacke zu verwenden. Er hatte bisher noch nie - auch nicht unter Aufsicht seiner Eltern - eine Hacke benutzt. Beim Holzmachen wurde den Kindern jedes Jahr gesagt, daß sie "dort nicht hindürfen", also nicht hacken dürfen.

Als die beiden Buben im Heustadel waren, fiel die Hacke vom Hackstock. Da sie dem Kläger fast auf die Zehen gefallen wäre, nahm sie der Beklagte, um sie durch Hineinschlagen in den Hackstock zu sichern. Er forderte den Kläger auf, zur Seite zu gehen, was dieser auch tat. Dann holte der Beklagte aus und hieb die Hacke in den Hackstock. Im letzten Augenblick griff der neben ihm stehende Kläger auf den Hackstock. Der Beklagte konnte die Hacke nicht mehr abbremsen. Die Hacke trennte dem Kläger den rechten Zeigefinger im distalen Mittelgliedbereich ab und fügte ihm eine Wunde an der Basis des Grundgliedes des dritten Fingers zu.

Eine Retransplantation des Zeigefingers scheiterte. Der Mittelfinger ist frei funktionsfähig. Auch zwischen Damen und Zeigefingerstumpf ist ein Spitzgriff möglich; derzeit ist das Kind in seiner normalen Aktivität nicht behindert. Es wird auch ungehindert schreiben können. Seine Dauerinvalidität beträgt 5 %. Der Kläger hatte drei Tage starke Schmerzen, acht Tage mittelstarke Schmerzen und leichte Schmerzen durch vier Wochen hindurch.

Der Vater des Beklagten hat bei der N***** Versicherung eine Hausratsversicherung mit einer Privathaftpflichtversicherung abgeschlossen. Die Versicherungssumme beträgt 10,000.000 S. Der Beklagte ist mitversichert.

Der Kläger begehrt 62.577,55 sA und die Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger den gesamten künftigen Schaden aus dem Vorfall vom 20. 8. 1997 (Verlust des rechten Zeigefingers, Bewegungseinschränkung des Mittelfingers) zu 50 % zu ersetzen. Für den Beklagten sei die mit dem Gebrauch der Hacke verbundene Gefahr erkennbar gewesen. Der Beklagte hafte nach Paragraph 1310, ABGB. An Schmerzengeld stünden dem Kläger 53.000 S zu, an Abfindung für Dauerinvalidität 25.000 S, an Verunstaltungsentschädigung 25.000 S. Durch den Unfall seien Aufwendungen von 22.155,11 S erwachsen.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Er stellte das Schmerzengeld und die allgemeinen Auslagen der Höhe nach außer Streit. Die Mutter des Klägers habe ihre Aufsichtspflicht verletzt. Sie hätte die von ihr zuvor verwendete Hacke entsprechend verwahren müssen. Den Beklagten treffe kein Verschulden. Er habe den Schlag nicht mehr verhindern können.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Mutter des Klägers habe ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt. Der Beklagte hafte weder nach dem ersten noch nach dem dritten Fall des Paragraph 1310, ABGB. Ihn treffe kein Verschulden. Nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB hafte der Beklagte nicht, weil er auch als Mündiger nicht haften würde.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt 52.000 S, nicht aber 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Dem damals 8 1/2-jährigen Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, daß er die Hacke in den Hackstock schlug, ohne sich zu vergewissern, ob der vierjährige Kläger weit genug entfernt stand. Bei der Haftung nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB komme es auf ein Verschulden des Unmündigen nicht an. Nach dieser Bestimmung hafte der vermögende unmündige Schädiger nur dann nicht, wenn er nicht einmal tatbestandsmäßig und rechtswidrig gehandelt habe. Die unfallskausalen Aufwendungen seien jedenfalls zu ersetzen; auch Schmerzengeld sei ein nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB zu ersetzender Schaden. Das Schmerzengeld sei mit 53.000 S außer Streit gestellt worden. Weitere 25.000 S seien als Abgeltung für das gesamte körperliche und seelische Ungemach gerechtfertigt. An Verunstaltungsentschädigung seien 25.000 S angemessen. Auch die vom Kläger vorgenommene Schadensteilung erscheine dem Berufungsgericht angemessen. Das Feststellungsbegehren sei gerechtfertigt, weil Spätfolgen nicht auszuschließen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Beklagten ist zulässig, weil die Rechtsprechung zum Verschulden als Tatbestandselement der Haftung nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB uneinheitlich erscheint; die Revision ist aber nicht berechtigt.

Der Beklagte bekämpft die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß es bei der Haftung nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB auf ein Verschulden des Deliktsunfähigen nicht ankomme. Bei fehlendem Verschulden müsse jede Haftung entfallen, da in einem solchen Fall auch ein voll Deliktsfähiger für den Schaden nicht einzustehen hätte.

Das Berufungsgericht hat sich mit der Rechtsprechung zu Paragraph 1310, dritter Fall ABGB auseinandergesetzt und ist zum Schluß gekommen, daß jene Entscheidungen abzulehnen seien, die auch für den dritten Fall des Paragraph 1310, ABGB (scheinbar) ein Verschuldenselement fordern. Die zeitlich erste der in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen ist die Entscheidung SZ 17/145. In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß ein Deliktsunfähiger nur dann ersatzpflichtig wird, wenn er den Schaden durch eine solche Handlung verursacht hat, die auch dann einen Ersatzanspruch gewährte, wenn sie von einem Handlungsfähigen vorgenommen worden wäre. Gegenstand der Entscheidung war der Schadenersatzanspruch eines Pfandgläubigers gegen die voll entmündigte Pfandschuldnerin, den dieser allein darauf gestützt hatte, daß er im Vertrauen auf die ihm eingeräumte Sicherheit die Darlehensvaluta dem Darlehensnehmer zugezählt, aber bisher nicht zurückerhalten habe. In der Entscheidung EvBl 1974/234 hat der Oberste Gerichtshof geprüft, ob das festgestellte Verhalten des Unmündigen einem Handlungsunfähigen als Verschulden zugerechnet werden könnte und, da dies zu bejahen war und zugunsten des Unmündigen eine Haftpflichtversicherung bestand, die Haftung nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB bejaht. Die Entscheidungen JBl 1982, 375 und ZVR 1985/127 stellen darauf ab, ob der Beklagte im Fall seiner unbeschränkten Deliktsfähigkeit für den Schaden einzustehen hätte. Während dies in der Entscheidung JBl 1982, 375 bejaht wurde, hat die Entscheidung ZVR 1985/127 schon die Rechtswidrigkeit des dem Beklagten angelasteten Verhaltens verneint und die Verschuldensfrage demnach gar nicht erörtert. Auch nach den zuletzt ergangenen Entscheidungen 5 Ob 529/95 und 6 Ob 649/95 (EFSlg 78.523) setzt die Billigkeitshaftung nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB voraus, daß ein voll Handlungsfähiger im gleichen Fall haften würde.

In einigen Entscheidungen (SZ 17/145; EvBl 1974/234; EFSlg 78.523) wird ausgeführt, daß die Haftung des Deliktsunfähigen nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB davon abhänge, ob das festgestellte Verhalten einem unbeschränkt Deliktsfähigen vorwerfbar wäre, in anderen (JBl 1982, 375, ZVR 1985/127) heißt es, es komme darauf an, ob der Deliktsunfähige auch als voll Deliktsfähiger für den Schaden einzustehen hätte. Inhaltlich besteht zwischen den in diesen Entscheidungen vertretenen Auffassungen kein Unterschied. Immer wird geprüft, ob mit Ausnahme der Deliktsfähigkeit alle Tatbestandsvoraussetzungen des geltend gemachten Schadenersatzanspruches erfüllt sind und ob der Deliktsunfähige ein Verhalten gesetzt hat, das einem voll Deliktsfähigen vorwerfbar wäre. In keinem Fall wird verlangt, daß auch den Deliktsunfähigen ein Verschulden treffen müßte.

Das ist auch in der Entscheidung EFSlg 75.436 = ZVR 1994/149 nicht der Fall, die aber insoweit mißverstanden werden kann, als eine Haftung des Deliktsunfähigen nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB mit der Begründung verneint wird, für ein Verschulden des Beklagten am Vorfall bestünden überhaupt keine Anhaltspunkte. Gemeint ist damit aber, daß im zu entscheidenden Fall auch ein voll Deliktsfähiger nicht haften würde, weil das dem noch nicht 7-jährigen Kind vorgeworfene Fehlverhalten allein darin bestanden hatte, daß es im Schulhof mit einem Fahrrad gefahren war.

Die vom Berufungsgericht abgelehnte Rechtsprechung macht demnach die Haftung nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB nur scheinbar von einem Verschulden des Deliktsunfähigen abhängig. Mit dem Rechtssatz, daß der Deliktsunfähige nur haftet, wenn ein voll Deliktsfähiger im gleichen Fall haftete, wird in Wahrheit nur dem Zweck des Paragraph 1310, ABGB Rechnung getragen. Die Norm soll Härten für den Geschädigten abmildern, die sich daraus ergeben, daß das Verschuldenssystem eine Risikozuweisung bei Kindern und Geisteskranken im allgemeinen nicht erlaubt. Paragraph 1310, ABGB soll aber die normale Haftung nicht erweitern, sondern sie zugunsten nicht voll Zurechnungsfähiger einschränken (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht**2 römisch II 313 mwN; Schwimann/Harrer, ABGB**2 Paragraph 1310, Rz 1 mwN; s auch Wolff in Klang**2 römisch VI 79; zur insoweit gleichen Begründung der Billigkeitshaftung nach Paragraph 829, BGB s MünchKomm-Ulmer3 Paragraph 829, Rz 5; BGB - RGRK-Steffen12 Paragraph 829, Rz 5; Soergel-Zeuner Paragraph 829, Rz 2).

Die von Reischauer (in Rummel, ABGB**2 Paragraph 1310, Rz 1) vertretene Gegenmeinung nimmt auf den Gesetzeszweck nicht ausreichend Bedacht. Reischauer folgt der herrschenden Auffassung nur für den ersten Fall des Paragraph 1310, ABGB; für den zweiten und dritten Fall gibt er zu bedenken, daß der Gesetzgeber von der mangelnden Möglichkeit der Willenssteuerung durch den zu Belangenden ausgehe und die Haftung auf dem fehlenden Eingriffsrecht aufbaue und damit nicht an Verhaltensunrecht anknüpfe. Aus der fehlenden Anknüpfung an Verhaltensunrecht aus Billigkeitserwägungen kann aber keine Erweiterung der Haftung eines Deliktsunfähigen gegenüber der eines Deliktsfähigen abgeleitet werden. Reischauer (aaO) begründet auch nicht, warum ein Deliktsunfähiger nur deshalb haften soll, weil er den Schaden eher tragen kann als der Verletzte, wenn ein voll Deliktsfähiger bei gleicher Sachlage nicht haften würde.

Die hier erörterte Frage hat mit der von Teilen der Lehre vertretenen Auffassung nichts zu tun, wonach das Bestehen einer Haftpflichtversicherung zugunsten des Schädigers nicht ausreiche, seine Haftung nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB zu bejahen (Koziol aaO 313; s auch Kerschner, Freiwillige Haftpflichtversicherung als "Vermögen" iS des Paragraph 1310, ABGB?, ÖJZ 1979, 282). Diese auch in Deutschland strittige Frage (s MünchKomm-Ulmer3 Paragraph 829, Rz 21; BGB - RGRK-Steffen12 Paragraph 829, Rz 14; Soergel-Zeuner Paragraph 829, Rz 6ff, jeweils mwN) hat der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung unter ausdrücklicher Ablehnung der Gegenmeinung dahin entschieden, daß das Bestehen einer Haftpflichtversicherung auch haftungsbegründend sein

kann (SZ 47/43 = EvBl 1974/249; SZ 69/156 = ÖA 1997, 95 = VR 1997,89

= ZVR 1997/36 ua; zustimmend Schwimann/Harrer aaO Paragraph 1310, Rz 22ff;

differenzierend Reischauer aaO Paragraph 1310, Rz 9). Voraussetzung ist aber immer, daß auch ein Deliktsfähiger haften würde. An dieser Rechtsprechung ist auch für den vorliegenden Fall festzuhalten.

Das Berufungsgericht hat die Haftung des Beklagten demnach im Ergebnis zu Recht bejaht: Hätte ein voll Deliktsfähiger die Hacke in den Hackstock geschlagen, obwohl der vierjährige Kläger so nahe danebenstand, daß er die Hand auf den Hackstock legen konnte, so wäre sein Verschulden zu bejahen. Der Beklagte hat für den geltend gemachten Schaden nur deshalb nicht schon nach allgemeinen Grundsätzen einzustehen, weil er im Zeitpunkt der Schadenszufügung erst 8 1/2 Jahre alt und damit deliktsunfähig war. Die Verneinung seines Verschuldens auch im Sinne des Paragraph 1310, erster Fall ABGB hindert im Sinne der obigen Ausführungen nicht seine Ersatzpflicht nach Paragraph 1310, dritter Fall ABGB.

Die Revision mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf Paragraphen 41,, 50 ZPO.

Anmerkung

E53411 04A00659

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1999:0040OB00065.99H.0323.000

Dokumentnummer

JJT_19990323_OGH0002_0040OB00065_99H0000_000

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