Entscheidungstext 4Ob106/18v

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

MR 2018,334 = RdW 2019/183 S 240 - RdW 2019,240 ‑ Ohne Gefahrenbescheinigung

Geschäftszahl

4Ob106/18v

Entscheidungsdatum

27.11.2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin V***** GmbH, *****, vertreten durch Englmair Rechtsanwalts GmbH in Linz, gegen die Beklagten 1. I***** GmbH, 2. J***** H*****, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 93.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 12. April 2018, GZ 2 R 6/18a-18, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß Paragraphen 78,, 402 Absatz 4, EO in Verbindung mit Paragraph 526, Absatz 2, Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 528, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen.

Die Urkundenvorlage der Beklagten vom 17. August 2018 wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Revisionsrekurswerber behaupten nach Zurückweisung ihres Parteiantrags (VfGH G 412/2017 – ON 17) weiterhin, Paragraph 24, UWG sei verfassungswidrig. Damit zeigen sie keine erhebliche Rechtsfrage auf vergleiche RIS-Justiz RS0116943). Paragraph 24, UWG erlaubt im Lauterkeitsrecht die Bewilligung von Sicherungsverfügungen ohne Gefahrenbescheinigung und ohne besondere „Dringlichkeit“ oder „Eilbedürftigkeit“ (RIS-Justiz RS0005170; RS0121554; 4 Ob 201/14h) deswegen, weil der Gesetzgeber bei typisierender Betrachtung davon ausging, diese Anspruchsvoraussetzungen lägen bei UWG-Verfügungen im Regelfall ohnehin vor (Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek², Paragraph 24, Rz 9; Konecny, Der Anwendungsbereich einstweiliger Verfügungen 231). Eine derartige Durchschnittsbetrachtung ist verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern sie nicht der allgemeinen Lebenserfahrung widerspricht (RIS-Justiz RS0054009 [insb T3]; vergleiche auch VfSlg 11.900; 19.635 [Rn 2.6.3]; Berka in Kneihs/Lienbacher, Bundesverfassungsrecht, Artikel 7, B-VG Rz 56 mwN). Eine derartig unsachliche Differenzierung wird von den Revisionsrekurswerbern nicht aufgezeigt. Auch ihr Vorbringen zur Freiheit der Erwerbsausübung vermag keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität von Paragraph 24, UWG zu wecken. Dass unternehmerisches Handeln „im Zweifel zulässig“ sein müsse, was ein Unterlassungsgebot im Provisorialverfahren unzulässig machen solle, tangiert nicht die von Paragraph 24, UWG allein behandelte Gefahrenbescheinigung vergleiche 4 Ob 53/16x, Gesundheitsplattform II [Pt 1.4]), sondern ausschließlich die Anspruchsbegründung, für die Paragraph 24, UWG aber gar keine Erleichterungen vorsieht.

1.2. Die Nichtigkeits- und Verfahrensrüge übergeht zunächst, dass die Revisionsrekurswerber ohnehin vor Erlassung der einstweiligen Verfügung angehört wurden. Eine mündliche Verhandlung ist auch nach der Entscheidung des EGMR 17056/06, Micallef gegen Malta, nicht unter allen Umständen zwingend geboten, um den Verfahrensgarantien des Artikel 6, EMRK im Provisorialverfahren Genüge zu tun (RIS-Justiz RS0074920 [T10]). Im Übrigen betreffen sämtliche Einwände vom Rekursgericht geprüfte, jedoch verneinte Mängel oder Nichtigkeiten des erstinstanzlichen Verfahrens. Diese können im Revisionsrekurs daher nicht nochmals geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0097225 [T6], RS0043405 [T32], RS0042981 [T2, T8]), woran sich auch durch die genannte Entscheidung des EGMR nichts geändert hat (RIS-Justiz RS0028350 [T10]; RS0074799 [T13]; 7 Ob 143/17f). Weder Artikel 6, EMRK (RIS-Justiz RS0074613; RS0043962) noch Artikel 47, Absatz 2, GRC (3 Ob 50/18a mwN; zu dessen Anwendungsbereich siehe im Übrigen 8 Ob 7/13g und RIS-Justiz RS0128689) garantieren insofern ein Recht auf einen mehrstufigen Instanzenzug.

1.3. Der Ablehnungsantrag der Beklagten gegen die Erstrichterin wurde rechtskräftig zurückgewiesen (ON 16). Indem der Revisionsrekurs dies übergeht und Überlegungen zum Prüfkalkül behaupteter Befangenheit anstellt, zeigt er weder eine Nichtigkeit vergleiche RIS-Justiz RS0046044; RS0109254) noch eine erhebliche Rechtsfrage auf, die für die Entscheidung präjudiziell wäre. Die Anregung, dem EuGH näher bezeichnete Fragen zu Artikel 47, GRC vorzulegen, ist daher nicht aufzugreifen.

2.1. Im Rahmen der Rechtsrüge bekämpfen die Beklagten zunächst – unzulässig vergleiche RIS-Justiz RS0002192) – die erstgerichtliche Würdigung der vorgelegten Bescheinigungsmittel.

2.2. Ob Schikane vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls vergleiche RIS-Justiz RS0026265 [T3]; RS0110900). Eine erhebliche Rechtsfrage zeigen die Revisionswerber nicht auf. Entgegen ihrer Darstellung wiegen die festgestellten Wettbewerbsverstöße (unrichtige Deklaration der Inhaltsstoffe von Lebensmitteln) schwer. Da die Streitteile nach den Feststellungen des Erstgerichts Wettbewerber sind, ist auch die Behauptung nicht nachvollziehbar, es handle sich um eine unzulässige Popularklage.

2.3. Auch die von den Beklagten bestrittene Wiederholungsgefahr wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf (RIS-Justiz RS0042721; RS0042818; RS0031891). Zumal sie im Prozess auf der Zulässigkeit ihrer Geschäftspraktiken beharrten, ist es jedenfalls vertretbar, Wiederholungsgefahr trotz des Umstands anzunehmen, dass die beanstandeten Produkte zwischenzeitlich nicht mehr in dieser Form in Verkehr gebracht werden.

2.4. Schließlich rügen die Revisionsrekurswerber einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit.

Abgesehen davon, dass die Schweiz kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, wurde den Beklagten nicht der Vertrieb der Produkte, sondern deren irreführende Bewerbung mit falschen Nährwertangaben verboten. Dass die Produkte in der Schweiz lebensmittelrechtlich zugelassen worden seien, ist insofern nicht relevant vergleiche auch Pfeifer/Obergfell in Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht³, Paragraph 5, UWG Rz 70; Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG36 Paragraph 3, Rz 1.216). Soweit überhaupt erkennbar, wird dieses Vorbringen nur mit einem Verweis auf die Richtlinie 90/46/EWG begründet, die aber mit 13. 12. 2014 außer Kraft trat und durch die Verordnung EU/1169/2011 ersetzt wurde. Zumal Artikel 7, Absatz eins, Litera a, in Verbindung mit Absatz 4, Litera a, und b VO (EU) 1169/2011 irreführende Angaben (unter anderem) über Eigenschaften und Zusammensetzung von Lebensmitteln auch in der Werbung und auf Produktverpackungen ausdrücklich untersagt, ist daraus für die Beklagten nichts zu gewinnen vergleiche 4 Ob 34/15a [Pt 6]). Insoweit handelt es sich bei dem Verbot falscher Angaben auch keineswegs um ein „unwesentliches Detail der Rechtsordnung der Mitgliedsstaaten“, das für einen legalen Vertrieb nicht eingehalten werden müsse.

3. Zusammengefasst zeigt der Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist somit als unzulässig zurückzuweisen.

4. Dem Rechtsmittelschriftsatz nachfolgende Eingaben der Streitteile sind im Hinblick auf den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels vergleiche RIS-Justiz RS0041666) unzulässig. Die Urkundenvorlage der Beklagten im Revisionsrekursverfahren ist daher zurückzuweisen.

Schlagworte

Ohne Gefahrenbescheinigung,

Textnummer

E123591

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00106.18V.1127.000

Im RIS seit

27.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.05.2019

Dokumentnummer

JJT_20181127_OGH0002_0040OB00106_18V0000_000

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