Entscheidungstext 2Ob41/17v

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

NZ 2017/66 S 177 - NZ 2017,177 = EvBl 2017/120 S 831 (Cermak) - EvBl 2017,831 (Cermak) = PSR 2018/3 S 14 (Hartlieb, Judikaturübersicht) - PSR 2018,14 (Hartlieb, Judikaturübersicht) = PSR 2018/5 S 25 - PSR 2018,25 = Hartlieb, PSR 2018/12 S 42 - Hartlieb, PSR 2018,42 = EFSlg 155.187

Geschäftszahl

2Ob41/17v

Entscheidungsdatum

28.03.2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach M***** E*****, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin M***** S*****, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 14. Dezember 2016, GZ 13 R 142/16d-91, mit welchem infolge Rekurses der Erben 1. D*****, und 2. A***** O*****, beide vertreten durch Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, der Beschluss des Bezirksgerichts Eisenstadt vom 14. Juli 2016, GZ 11 A 411/14m-85, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er einschließlich des bestätigten Teils lautet:

„Der Antragstellerin wird Einsicht in den ersten Absatz auf Seite 2 des Testaments vom 29. Juni 2005, in Punkt 3 des Testaments vom 10. September 2006 und in die Datums- und Unterschriftzeilen dieser Testamente gewährt. Das weitergehende Einsichtsbegehren wird abgewiesen.“

Text

Begründung:

Der Nachlass der Erblasserin wurde mit Beschluss vom 8. Jänner 2015 (ON 12) aufgrund der Testamente vom 29. Juni 2005 (UV 197/14, bei ON 6) und vom 10. September 2006 (UV 196/14, bei ON 6) den beiden Erben eingeantwortet. Das erste dieser Testamente bezog sich auf das in der Schweiz gelegene Vermögen der Erblasserin, das zweite auf ihr sonstiges, insbesondere in Österreich gelegenes Vermögen. Beide enthielten die ausdrückliche Anordnung, dass sämtliche früheren letztwilligen Verfügungen in Bezug auf das jeweils betroffene Vermögen widerrufen würden. Änderungen von Stiftungserklärungen zu bereits errichteten Privatstiftungen verfügte die Erblasserin in diesen Testamenten nicht.

Nach Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses legte ein Rechtsanwalt dem Gericht die Abschrift eines notariellen Testaments der Erblasserin vom 29. September 1999 und die Kopie einer letztwilligen Verfügung vom 8. Jänner 2001 vor (ON 33). Im notariellen Testament war unter anderem die Änderung der Stiftungsurkunde einer von der Erblasserin errichteten Stiftung vorgesehen. Darin sah sie einen „Familienbeirat“ vor, dem unter anderem die Antragstellerin angehören sollte. Der Gerichtskommissär übermittelte der Antragstellerin Abschriften der beiden Verfügungen.

Die Antragstellerin begehrt mit Schriftsatz ON 79 Einsicht in

„sämtliche im Akt befindliche letztwilligen Verfügungen der Erblasserin sowie in Gerichtsstücke, die ihre Berufung in den […] Familienbeirat tangieren.“

Sie beabsichtige, die Bestellung in den Familienbeirat anzunehmen, soweit sich nicht aus dem Verlassakt ergebe, dass die Erblasserin die Verfügung gültig abgeändert habe. Dafür sei die Einsicht in alle im Akt erliegenden letztwilligen Verfügungen erforderlich, zumal diese auf Echtheit, Einhaltung der Formvorschriften und auf „Hinweise darauf“ zu prüfen seien, ob die Erblasserin bei deren Errichtung noch testierfähig gewesen sei. Erst danach könne sie entscheiden, ob sie die mit dem Testament aus 1999 verfügte Bestellung durchsetzen könne oder nicht. Dies begründe ihre „Parteistellung bzw ein rechtliches Interesse“.

Die Erben wandten sich gegen die Einsicht (ON 84). Die Antragstellerin sei nicht Partei des Verfahrens, sondern Dritte. Sie könne aus der stiftungsrechtlichen Anordnung im Testament aus 1999 keine Ansprüche im Verlassverfahren ableiten. Zudem sei diese Anordnung unwirksam, weil eine Änderung der Stiftungserklärung auf den Todesfall per se unzulässig sei. Abgesehen davon habe die Erblasserin den im Testament genannten Familienbeirat schon 2001 durch Änderung der Stiftungsurkunde unter Lebenden vorgesehen, aber 2003 mit neuerlicher Änderung der Stiftungsurkunde wieder beseitigt. All das ergebe sich aus der Urkundensammlung des Firmenbuchs, weswegen der Antragstellerin das rechtliche Interesse an der Einsicht in den Verlassakt fehle. Der Antragstellerin gehe es ausschließlich um Informationen über Nachlasshöhe und Nachlassverbindlichkeiten. Wenn überhaupt, wäre die Akteneinsicht auf jene Teile der der Einantwortung zugrunde liegenden Verfügungen zu beschränken, mit denen alle älteren Verfügungen aufgehoben worden seien. Jedenfalls seien die Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Stiftung zu wahren.

Das Erstgericht sprach aus, dass der Antragstellerin Einsicht in jene vier letztwilligen Verfügungen gewährt werde, die nach dem notariellen Testament aus 1999 errichtet wurden. Habe sich der Stifter die Änderung der Stiftungserklärung vorbehalten, könne er diese auch letztwillig verfügen. Daher habe die Antragstellerin ein rechtliches Interesse zu erfahren, ob die Erblasserin durch eine spätere Verfügung ihre Stellung als Mitglied des Familienbeirats (wieder) geändert habe.

Das von den Erben angerufene Rekursgericht wies den Antrag ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Die begehrte Einsicht setze ein rechtliches Interesse der Antragstellerin voraus; liege dieses vor, seien die Interessen des Einsichtswerbers mit den Geheimhaltungsinteressen der anderen von der Einsicht betroffenen Personen abzuwägen. Im konkreten Fall fehle schon das rechtliche Interesse, weil eine Stiftungsurkunde letztwillig nicht geändert werden könne. Denn das in der Stiftungserklärung vorbehaltene Recht auf deren Änderung erlösche nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung jedenfalls mit dem Tod des Stifters. Da die Änderungserklärung eine empfangsbedürftige Willenserklärung sei, die erst bei Zugang an die Stiftung wirksam werde, sei sie unwirksam, wenn sie der Stiftung erst nach dem Tod des Stifters und damit nach dem Erlöschen des Änderungsrechts zugehe. Umso mehr müsse das für eine letztwillige Änderung der Stiftungserklärung gelten. Da die Antragstellerin aus diesem Grund keine Rechte aus der im Testament aus dem Jahr 1999 enthaltenen Änderung der Stiftungsurkunde ableiten könne, fehle ihr auch jedes rechtliche Interesse an der Einsicht in spätere letztwillige Verfügungen, mit denen das Testament in diesem Punkt allenfalls geändert wurde. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine Stiftungserklärung auch letztwillig geändert werden könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich ein Revisionsrekurs der Antragstellerin, mit dem sie eine Wiederherstellung der stattgebenden Entscheidung des Erstgerichts anstrebt. Richtigerweise könne eine Stiftungserklärung bei einem Änderungsvorbehalt auch letztwillig geändert werden, jedenfalls sei diese Frage aber nicht im Verfahren über die Gewährung von Akteneinsicht zu klären. Ein rechtliches Interesse sei schon dann zu bejahen, wenn auch Argumente für die Ansicht der Einsichtswerberin sprächen. Ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse der Erben liege nicht vor.

Die Erben beantragen, den Rekurs nicht zuzulassen und, offenbar hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben. Die Auffassung des Rekursgerichts, dass eine Stiftungserklärung nicht letztwillig geändert werden könne, treffe zu. Zudem sei die letztwillige Verfügung noch zu Lebzeiten der Erblasserin durch Änderungen der Stiftungserklärung gegenstandslos geworden. Die Antragstellerin verfolge ein bloßes Informationsinteresse; in Bezug auf ihre Stellung gegenüber der Stiftung verfüge sie mit dem Testament aus 1999 ohnehin über alle erforderlichen Unterlagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht eine ihm nicht obliegende abschließende Prüfung der Rechtsstellung der Antragstellerin gegenüber der Privatstiftung vorgenommen hat; er ist aus diesem Grund auch teilweise berechtigt.

1. Da die Antragstellerin nicht Partei des Verfahrens war, ist ihr Antrag nach Paragraph 22, AußStrG in Verbindung mit Paragraph 219, Absatz 2, ZPO zu beurteilen (6 Ob 197/14k SZ 2014/127; 2 Ob 9/17p); die nur Pflegschaftsverfahren betreffende Norm des Paragraph 141, AußStrG ist nicht anzuwenden (2 Ob 175/06h). Mangels Zustimmung der Erben ist auf dieser Grundlage eine zweistufige Prüfung vorzunehmen: Die Akteneinsicht setzt jedenfalls ein rechtliches Interesse voraus; auch in diesem Fall hat die Einsicht jedoch zu unterbleiben, soweit ihr überwiegende berechtigte Interessen eines anderen entgegenstehen (9 Ob 87/08x; 2 Ob 9/17p).

2. Das rechtliche Interesse der Antragstellerin kann nicht von vornherein verneint werden.

2.1. Ein rechtliches Interesse liegt vor, wenn sich die Einsichtnahme auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des antragstellenden Dritten günstig auswirken kann, sei es auch nur dadurch, dass er in die Lage versetzt wird, in einem anderen Verfahren die Beweislage für sich günstiger zu gestalten (RIS-Justiz RS0037263). Ein bloß wirtschaftliches Interesse oder das Interesse an der Information als solcher reicht hingegen nicht aus (RIS-Justiz RS0079198 [insb T3]). Das Interesse muss in der Rechtsordnung begründet und von ihr gebilligt sein (4 Ob 553/95; RIS-Justiz RS0079198 [insb T8]).

2.2. Im konkreten Fall ist Folgendes zu erwägen:

(a) Die Antragstellerin sieht ihr rechtliches Interesse darin, dass sie durch das Testament aus 1999 in den Familienbeirat einer von der Erblasserin errichteten Stiftung berufen worden sei, sich aus dem Verlassenschaftsakt aber die Unwirksamkeit dieser Berufung ergeben könne. Ihr Interesse beruht daher auf der möglichen Beseitigung einer sonst ihrer Auffassung nach bestehenden Rechtsstellung. Das Rekursgericht begründet seine abweisende Entscheidung damit, dass diese Rechtsstellung schon aus anderen Gründen nicht bestehe.

(b) Das rechtliche Interesse fehlt in einem solchen Fall allerdings nur dann, wenn sich das diesbezügliche Vorbringen der Antragstellerin aufgrund gesicherter Rechtsprechung als unzutreffend erweist. Sonst ist schon aus Praktikabilitätsgründen der Vorrang jenes Verfahrens zu wahren, in dem die strittige Frage von den dafür zuständigen Gerichten oder Behörden als Hauptfrage zu entscheiden ist. Eine Vorverlagerung in das Verfahren über die Gewährung von Akteneinsicht führte dazu, dass das Gericht – allenfalls in einem Verfahren mit beschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten – eine Feinprüfung von nicht in seine Zuständigkeit fallenden Rechtsfragen vornehmen müsste. Das wäre mit dem beschränkten Zweck des auf Akteneinsicht gerichteten Verfahrens nicht vereinbar. Eine abschließende Beurteilung der Tat- und Rechtsfragen in Bezug auf jenes Verfahren oder jene Rechtslage, das oder die zur Begründung des rechtlichen Interesses angeführt wird, ist hier ebenso wenig vorzunehmen wie bei der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Klagsführung vergleiche RIS-Justiz RS0022006). Das rechtliche Interesse ist vielmehr nur dann zu verneinen, wenn sich das diesbezügliche Vorbringen des Antragstellers von vornherein als haltlos erweist.

(c) Im konkreten Fall beruht die Auffassung des Rekursgerichts, eine Änderung der Stiftungserklärung müsse der Stiftung zu Lebzeiten des Stifters zugehen, zwar auf einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (Walch, Glosse zu 6 Ob 102/12m, NZ 2012, 373; ders, Änderungsrecht und Tod des Stifters, PSR 2014, 119 [120 ff]), von anderen Autoren wird allerdings das Gegenteil vertreten (Karollus, Änderungserklärung und Tod des Stifters, FS Torggler [2013] 585 [589 ff]; Arnold, Privatstiftungsgesetz3 [2013] Paragraph 3, Rz 45e). Der für Firmenbuchsachen und (außerstreitige) Angelegenheiten nach Paragraph 40, PSG zuständige Fachsenat hatte diese Frage noch nicht zu entscheiden. Ebenso wenig gibt es Rechtsprechung zur Frage, ob eine Stiftungserklärung auch letztwillig geändert werden kann und ob in diesem Fall eine durch diese Änderung betroffene Person einen Anspruch gegen die Stiftung auf Anmeldung dieser Änderung hat. Auf dieser Grundlage ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die Antragstellerin gegenüber der Stiftung tatsächlich auf die Verfügung im Testament aus dem Jahr 1999 stützen kann. Damit hat sie aber ein rechtliches Interesse an der Frage, ob dieser (mögliche) Anspruch durch jüngere letztwillige Verfügungen erloschen ist.

3. Aus diesem Grund hat in einem zweiten Schritt eine Interessenabwägung zu erfolgen.

3.1. Die Akteneinsicht hat auch bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses zu unterbleiben, soweit berechtigte Interessen anderer Personen, insbesondere der Parteien des Verfahrens, überwiegen (Rassi in Fasching/Konecny3 Paragraph 219, Rz 53 mwN). Solche Interessen können sich insbesondere auf das Vermögen dieser Personen beziehen (Rassi aaO Rz 54; 2 Ob 9/17p mwN). Sie können allerdings auch dadurch gewahrt werden, dass die Einsicht auf bestimmte Teile der Akten beschränkt wird (Rassi aaO Rz 60; ders; Fragen zum Datenschutz im Zivilverfahren, in FS Schneider [2013] 403 [420]; 7 Ob 175/07x; 2 Ob 9/17p; vergleiche zur Beschränkung der Akteneinsicht auf einzelne Aktenbestandteile auch 2 Ob 194/14i SZ 2015/54).

3.2. Im vorliegenden Fall haben die Erben zweifellos ein Interesse an der Nichtoffenlegung der zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgten Vermögensdispositionen der Erblasserin vergleiche 2 Ob 9/17p). Dieses Interesse kann aber auch dadurch gewahrt werden, dass der Antragstellerin nur Einsicht in jene Teile der zeitlich letzten Testamente gewährt wird, die frühere Verfügungen ausdrücklich aufheben; dies verbunden mit der Einsicht in die jeweiligen Datums- und Unterschriftzeilen. Durch Letzteres wird die Antragstellerin in die Lage versetzt, die Formgültigkeit dieser Testamente zu überprüfen; Interessen der Erben oder der betroffenen Stiftung werden dadurch nicht berührt. Andere die Verfügung im Testament aus 1999 „tangierende“ Aktenbestandteile sind demgegenüber nicht erkennbar. Insbesondere legte die Antragstellerin schon in erster Instanz nicht nachvollziehbar dar, inwiefern sich aus diesen oder anderen letztwilligen Verfügungen Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit der Erblasserin ergeben sollen; im Revisionsrekurs kommt sie auf dieses Argument ohnehin nicht mehr zurück. Insofern überwiegen also – soweit hier überhaupt ein rechtliches Interesse der Antragstellerin vorliegt – die Geheimhaltungsinteressen der Erben.

4. Aus diesen Gründen hat der Revisionsrekurs teilweise Erfolg. Das Erstgericht wird der Antragstellerin Einsicht in die im Spruch näher bezeichneten Aktenbestandteile zu gewähren haben; im Übrigen ist die abweisende Entscheidung des Rekursgerichts zu bestätigen.

Textnummer

E117864

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00041.17V.0328.000

Im RIS seit

04.05.2017

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2021

Dokumentnummer

JJT_20170328_OGH0002_0020OB00041_17V0000_000

Navigation im Suchergebnis