Entscheidungstext 1Ob48/98k

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

ecolex 1998,627 (Rabl)

Geschäftszahl

1Ob48/98k

Entscheidungsdatum

19.05.1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert N*****, vertreten durch Dr.Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 418.293,06 S, Zahlung einer monatlichen Rente von 2.000 S (Streitwert 72.000 S) und Feststellung (Streitwert 60.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6.Oktober 1997, GZ 14 R 119/97s-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25.Februar 1997, GZ 32 Cg 32/96b-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Der Antrag der klagenden Partei auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsverhandlung wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte die Verurteilung des beklagten Rechtsträgers zum Ersatz seines mit 418.293,06 S sA bezifferten Schadens und zur Zahlung einer monatlichen Rente von 2.000 S ab 1.8.1996 sowie die Feststellung, daß ihm die beklagte Partei für alle künftigen Nachteile aus der "rechtswidrigen Schußabgabe" vom 31.7.1993 durch deren Organ einzustehen habe und brachte hiezu vor, er habe sich am 31.7.1993 in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand in einen unversperrten PKW gesetzt und sei, als die Polizei erschien, aus dem PKW gestiegen und weggelaufen. Einer der Polizeibeamten habe zwei "Schreckschüsse" abgegeben. Der Kläger sei eben stehen geblieben, als ihn ein dritter Schuß in die rechte Hand getroffen habe. Die dadurch bewirkte Verletzung habe eine Bewegungseinschränkung und eine Verunstaltung zur Folge gehabt. Für den Waffengebrauch habe keinerlei Notwendigkeit bestanden. Der vom Kläger angerufene Unabhängige Verwaltungssenat Wien (in der Folge UVS) habe dessen Beschwerde teils ab- und teils zurückgewiesen. Sowohl der in der Folge angerufene Verfassungs- wie auch der Verwaltungsgerichtshof hätten die Beschwerde des Klägers inhaltlich nicht geprüft. Die Verfahren vor dem UVS, dem Verfassungs- und dem Verwaltungsgerichtshof seien mangelhaft geblieben. Der Kläger sei in seinen durch die EMRK gewährleisteten Menschenrechten, nämlich keiner Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden. Der Verwaltungsgerichtshof habe es unterlassen, in die Prüfung der Rechtswidrigkeit des Bescheids des UVS und der vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel einzutreten.

Die beklagte Partei wendete ein, gemäß Paragraph 2, Absatz 3, AHG könne aus Erkenntnissen der Höchstgerichte ein Ersatzanspruch nicht abgeleitet werden könne. Der UVS habe sich in einer ausführlichen Entscheidung mit dem vom Kläger vorgebrachten Sachverhalt beschäftigt; eine unvertretbare Rechtsansicht sei ihm nicht anzulasten.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers zur Gänze ab. Der UVS habe mit Bescheid vom 2.2.1994 die Beschwerde des Klägers teils ab- und teils zurückgewiesen. "Auf insgesamt sechsunddreißig Seiten" sei diese Entscheidung "ausführlich" begründet worden. Die daraufhin vom Kläger an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde gegen den Bescheid des UVS habe dieser Gerichtshof an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten und dieser habe die Beschwerde, soweit sie die Abweisung der Beschwerde wegen der Abgabe der beiden ersten Schüsse betrifft, zurück- und im übrigen als unbegründet abgewiesen. Gemäß Paragraph 2, Absatz 3, AHG könne der Kläger aus den Erkenntnissen der "Obersten Gerichtshöfe" keine Ersatzansprüche ableiten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe alle Verfahrensverstösse, die der Kläger seinem Amtshaftungsbegehren zugrundelege, überprüft und für unbeachtlich gehalten. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs sei gemäß Paragraph 11, Absatz eins, AHG für das Amtshaftungsgericht bindend. In Verletzung seiner Rettungspflicht gemäß Paragraph 2, Absatz 2, AHG habe der Kläger keine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dahin erhoben, daß der Waffengebrauch grundsätzlich unzulässig gewesen sei. Nach dem gesamten Ablauf der Verfolgungsjagd stelle die unbeabsichtigte Abgabe des dritten Schusses im Zuge des Sturzes des verfolgenden Polizisten kein den Rechtfertigungsgrund des zulässigen Waffengebrauchs einschränkendes, jedenfalls aber kein schuldhaftes Verhalten des Polizeibeamten dar.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Es trifft zu, daß das Berufungsgericht ohne Anordnung einer Verfahrensergänzung ergänzende Feststellungen über Inhalt der Akten des UVS und des Verwaltungsgerichtshofs getroffen hat. Eine solche Vorgangsweise bewirkt zwar grundsätzlich einen Mangel des Berufungsverfahrens (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 4 zu Paragraph 488, mwN und Rz 1 zu Paragraph 498,), dieser Mangel ist aber hier nicht relevant, hat doch der Kläger gar nicht behauptet, es sei der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben worden. Er meint nur, der UVS hätte andere Tatsachen feststellen müssen.

Das Gericht zweiter Instanz stützt seine Entscheidung rechtsirrig auf Paragraph 2, Absatz 2, AHG. Den durch den Schußwaffengebrauch - im Zuge der Abgabe des dritten Schusses - eingetretenen Schaden (die Verletzung des Klägers) hätte der Kläger durch eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, mit der er die Unzulässigkeit des Waffengebrauchs geltend gemacht hätte, nicht abwenden können, weil der Schaden unmittelbar entstanden ist (Schragel, AHGý Rz 280 und 175; 1 Ob 145/97y; JBl 1992, 249). Im übrigen hat der Kläger die Rechtswidrigkeit des Waffengebrauchs bei Abgabe des dritten Schusses auch vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemacht; dieser hat jedoch die Ablehnung der Sachentscheidung durch den UVS - weil keine faktische Amtshandlung vorgelegen sei - bestätigt.

Der UVS hat die Beschwerde des Klägers in bezug auf die Abgabe des dritten Schusses zurückgewiesen, weil der Schuß unabsichtlich und damit nicht in Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt abgegeben worden sei; demnach liege kein Verstoß gegen Artikel 3, EMRK vor. Diese Entscheidung bestätigte der Verwaltungsgerichtshof, der aber nur das Vorliegen einer faktischen Amtshandlung prüfte und dies verneinte. Über die Rechtmäßigkeit der Abgabe des dritten Schusses liegt keine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vor, an die das Amtshaftungsgericht gemäß Paragraph 2, Absatz 3, bzw Paragraph 11, Absatz eins, AHG gebunden wäre vergleiche RZ 1996/51; SZ 67/55; Schragel aaO Rz 270). Eine Unterbrechung im Sinne des Paragraph 11, Absatz eins, AHG war nicht auszusprechen, weil die Rechtswidrigkeit der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bzw eines "unabsichtlichen Schußwaffengebrauchs" von dem zur Entscheidung über einen Amtshaftungsanspruch angerufenen Gericht selbst zu beurteilen ist (SZ 59/113; vergleiche SZ 68/155; Schragel aaO 280). Die Vorinstanzen werden daher zu prüfen haben, ob der (lebensgefährdende) Waffengebrauch bei Abgabe des dritten Schusses - allein dieser Sachverhalt ist noch Gegenstand des Verfahrens - zulässig war, zumal nicht ernstlich bezweifelt werden kann, daß der Polizeibeamte die Schußwaffe "gebrauchte", als sich der Schuß - allenfalls "unabsichtlich", wozu allerdings eigenständige Feststellungen zu treffen sein werden - löste (SZ 68/155; vergleiche SZ 59/113). Dabei wird auf das Vorbringen des Klägers, der dritte Schuß sei gezielt abgegeben worden und eine durch den Sturz hervorgerufene Schußabgabe sei aufgrund der technischen Beschaffenheit der Waffe gar nicht möglich gewesen, einzugehen und es werden die dazu angebotenen Beweise aufzunehmen sein.

Auf die behauptete Verfassungswidrigkeit von Paragraph 2, Absatz 2 und 3 AHG ist gar nicht erst weiter einzugehen, weil diese Bestimmungen - wie schon ausgeführt - für die Abgabe des dritten Schusses keine Anwendung finden.

In Stattgebung der Revision sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; das Erstgericht hat das Verfahren im aufgezeigten Umfang zu ergänzen und neuerlich zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, ZPO.

Die Anordnung einer mündlichen Revisionsverhandlung steht im Ermessen des Höchstgerichts. Der Kläger hat seinen Antrag auf Anberaumung einer Revisionsverhandlung nicht begründet, und der Oberste Gerichtshof kann keinerlei Gründe erkennen, die Anlaß zu einer Verhandlung unter Zuziehung der Parteien geben könnten. Der darauf gerichtete Antrag des Klägers ist daher abzuweisen (JBl 1994, 185; 10 ObS 138/94; 10 ObS 252/94; 6 Ob 683/87; RZ 1977/15).

Textnummer

E50162

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1998:0010OB00048.98K.0519.000

Im RIS seit

18.06.1998

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2012

Dokumentnummer

JJT_19980519_OGH0002_0010OB00048_98K0000_000

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