Entscheidungstext 1Ob37/00y

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

ÖJZ-LSK 2000/155 = ÖJZ-LSK 2000/165 = RdW 2000,467 = EvBl 2000/139 S 605 - EvBl 2000,605 = ÖZW 2001,52 (Wagner) = SZ 73/35

Geschäftszahl

1Ob37/00y

Entscheidungsdatum

22.02.2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** Gesellschaft m. b. H., *****, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Witt & Partner KEG in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 380.000 S sA und Feststellung (Streitwert 30.000 S) infolge ordentlicher Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 262.853 S sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. November 1999, GZ 14 R 29/99h-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teilzwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. November 1998, GZ 33 Cg 7/98m-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 5. Juli 1995 erstattete ein Kaffeehausbetreiber in Niederösterreich beim örtlichen Gendarmeriepostenkommando Anzeige und gab an, ein Mitarbeiter der klagenden Partei - einer GmbH - habe ihn mit der unrichtigen Behauptung, sein Feuerlöscher weise nicht mehr den nötigen Mindestdruck auf, zum Kauf eines neuen Feuerlöschers bewegen wollen. Schon am Tag der Anzeige leitete die Gendarmerie eine Sachverhaltsdarstellung an die zuständige Staatsanwaltschaft weiter, die sogleich einen gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehl beantragte, der noch am 5. Juli 1995 erlassen wurde. Die Hausdurchsuchung wurde am 6. Juli 1995 am Sitz der der klagenden Partei in Wien durchgeführt. Dabei wurden die Kundenkartei, die Verkaufsunterlagen sowie einige Feuerlöschgeräte und Manometer beschlagnahmt. Der Geschäftsführer und drei Außendienstmitarbeiter der klagenden Partei wurden "in vorläufige Verwahrung genommen". Von ihnen wurden "zu erkennungsdienstlichen Zwecken ... Fahndungsfotos angefertigt". Am 10. Juli 1995 konferierten Gendarmeriebeamte, der Staatsanwalt und die Untersuchungsrichterin "über die Formulierung eines Fragebogens ... zur Erhebung allfälliger weiterer ähnlicher Vorfälle". Ein solcher Fragebogen sollte an die Kunden der klagenden Partei versandt werden. Den Ergebnissen der Beratung entsprechend erstellten Gendarmeriebeamte einen Fragebogenentwurf, den sie der Untersuchungsrichterin mittels Telekopie übermittelten. Die Richterin empfahl daraufhin einem Gendarmeriebeamten fernmündlich, sich zur Klärung der endgültigen Gestaltung des Fragebogens an die Staatsanwaltschaft zu wenden, konkrete Fragen "wegen der Unschuldsvermutung" aber "jedenfalls vorsichtig" zu formulieren. Die schließlich erarbeitete endgültige Fassung des Fragebogens wurde am 18. Juli 1995 "unter Anschluss eines Informationsblatts und von Kopien der erkennungsdienstlichen Fotos Anmerkung, je drei Fotos verschiedener Ansichten der vier Verdächtigen) an etwa 2300 (zweitausenddreihundert) Kunden der klagenden Partei" verschickt. Die Anschriften waren den "sichergestellten Verkaufsunterlagen" der klagenden Partei entnommen worden. Das "INFORMATIONSBLATT" hatte folgenden Wortlaut:

"Sie besitzen aufgrund feuerpolizeilicher Vorschriften einen oder mehrere Feuerlöscher in ihrem Betrieb (Kanzlei, Ordination etc). Die Kriminaldienstgruppe des Gendarmeriepostens ... führt umfangreiche Erhebungen gegen Mitarbeiter der

Fa. ... (Name) ... Feuerlöscher-Verkauf-Service wegen

Verdacht des gewerbsmäßigen Betruges durch.

Wie bereits den Medien in der 27. Woche 1995 (KURIER, KRONEN ZEITUNG etc) zu entnehmen war, stehen die Mitarbeiter (Löschwarte) dieser Firma mit Sitz in ... (Anschrift) ... im Verdacht, die Kunden durch unrichtige Angaben und Aussagen über den Zustand der in den Betrieben vorhandenen Feuerlöschgeräte zum Ankauf neuer Feuerlöscher veranlaßt zu haben.

Weiters dürften sie zum überwiegenden Teil sogenannte Servicearbeiten und Überprüfungen durchgeführt haben, obwohl dazu keine Veranlassung bestanden hat.

Durch diese Vorgangsweise dürften sich Mitarbeiter über Jahre hindurch unrechtmäßig bereichert haben.

Die Löschwarte nützten ihre Legitimationen über die abgelegte Löschwarteprüfung und gaben dadurch der rein privatwirtschaftlichen Tätigkeit einen gewissen amtlichen Charakter.

Aufgrund der sichergestellten Unterlagen bei dieser Firma wurden auch Sie als möglicher Geschädigter ermittelt.

Um die Vorerhebungen von Gericht und Staatsanwaltschaft zu beschleunigen, werden Sie ersucht, die nachstehenden Fragen möglichst vollständig und wahrheitsgemäß zu beantworten und den Fragebogen mit dem beiliegenden Kuvert, für sie kostenlos, an den Gendarmierieposten ... zu übersenden. Sie werden gebeten, den Fragebogen so rasch als möglich, jedoch längstens binnen 8 Wochen zurückzusenden.

Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und um Ihnen Zeit zu sparen, wird in diesem Fall eine Vorladung als Zeuge vor die Sicherheitsbehörden nicht notwendig sein.

Sollten Sie mehrere gleichlautende Fragebögen erhalten, so resultiert dies aus der Bearbeitung der jahresmäßig erfaßten Leistungsverzeichnisse der Firma ... (Name) .. . Es genügt jedoch die Retournierung eines Fragebogens, der alle Geschäftsvorgänge mit der Fa. ... (Name) ... umfaßt."

Der Wortlaut des "FRAGEBOGENS" war folgender:

"WELCHE ART DES BETRIEBES (BÜRO, PRAXIS ETC) FÜHREN SIE UND SEIT WANN BESTEHT DER BETRIEB?

WELCHE ART VON LÖSCHGERÄTEN UND WELCHE ANZAHL WURDE IHNEN SEITENS DER FEUERPOLIZEI VORGESCHRIEBEN?

VON WELCHER BEFUGTEN FIRMA ZUR PRÜFUNG IHRER FEUERLÖSCHER WURDEN SIE BIS ZUM AUFTRETEN DER FA. ... (NAME) ... BETREUT?

WIEVIELE GERÄTE BESASSEN SIE BIS ZUM KONTAKT MIT DER FA. ... (NAME) ... . WIE ALT WAREN DIESE ZUM ZEITPUNKT DES VORGESCHLAGENEN ODER TATSÄCHLICH DURCHGEFÜHRTEN TAUSCHES DURCH DIE FA. ... (NAME) ...?

TRAT DIE FA. ... (NAME) ... VON SICH AUS MIT IHNEN IN VERBINDUNG ODER FÜHRTEN SIE DIE GESCHÄFTSANBAHNUNG DURCH?

VON WEM WURDEN SIE BETREUT (LICHTBILDER DER MITARBEITER DER FA. ... [NAME] ... BEILIEGEND, BITTE DIE NUMMER EINTRAGEN)?

WARUM KAM ES ZU EINEM NEUANKAUF VON LÖSCHGERÄTEN (WURDE EIN DEFEKT BEHAUPTET - WELCHER ART? ROST, ÜBERDRUCK, UNTERDRUCK, EXPLOSIONSGEFAHR, ZU HOHES ALTER ETC)

KÖNNEN SIE SICH ERINNERN, OB AN IHREM ALTGERÄT EINE GÜLTIGE PRÜFPLAKETTE ANGEBRACHT WAR?, WELCHER MARKE UND TYPE WAR IHR ALTER FEUERLÖSCHER (FALLS SIE ES NOCH WISSEN, ALTE RECHNUNG)?

WISSEN SIE NOCH, OB IHR ALTGERÄT MIT EINEM DRUCKMANOMETER ÜBERPRÜFT WURDE UND WELCHEN WERT DIESER ANZEIGTE (5,3 BAR ODER ANDERE WERTE, KONNTEN SIE ES SELBST WAHRNEHMEN, WAS WURDE IHNEN DAZU ERKLÄRT)?

KÖNNEN SIE NOCH SONSTIGE ERGÄNZENDE ANGABEN ZU DEN AUSSAGEN DER MITARBEITER DER FA. ... (NAME) ... MACHEN?

ÄUßERTE SICH IHRE ODER EINE ANDERE BETREUUNGSFIRMA NACHTRÄGLICH ÜBER EINEN GETÄTIGTEN NEUANKAUF EINES FEUERLÖSCHGERÄTES ODER EINER DURCHGEFÜHRTEN INSTANDSETZUNG (NEUFÜLLUNG ETC)?

WURDE IHR ALTGERÄT VON DER FA. ... (NAME) ... ZURÜCKGENOMMEN, WIEVIELE WURDEN ZURÜCKGENOMMEN, BEZAHLTEN SIE EINEN ENTSORGUNGSBEITRAG, WIE HOCH WAR DIESER?

BEZEICHNEN SIE DIE MARKE, TYPE, NUMMER UND ERZEUGUNGSJAHR IHRES FEUERLÖSCHERS, DEN SIE VON DER FA. ... (NAME) ... ERSTANDEN HABEN.

WAS ERKLÄRTE IHNEN DER BETREUER DER FA. ... (NAME) ... BEZÜGLICH DES NÄCHSTEN 'NOTWENDIGEN' ÜBERPRÜFUNGSTERMINES (IN EINEM JAHR, IN 2 JAHREN ODER ANDERES), MIT WELCHEN WORTEN?

BEI KEINEM NEUKAUF

WURDE IHR FEUERLÖSCHER LEDIGLICH VON DER FA. ... (NAME) ... ÜBERPRÜFT? WIE LANGE DAUERTE DIE ÜBERPRÜFUNG (MINUTEN, STUNDEN), WIE VIELE WURDEN ÜBERPRÜFT, IN WELCHEN ZEITABSTÄNDEN (1 JAHR, 2 JAHRE, ANDERES)?

ANGABEN ZUR PERSON DES GESCHÄDIGTEN/PERSONALDATEN:

(UNTERSCHRIFT)"

Im Zeitpunkt der Versendung dieser Unterlagen waren bloß zwei Fakten bekannt, auf die sich der Verdacht strafbarer Handlungen stützte. Von den versandten Fragebögen wurden 581 ausgefüllt zurückgeschickt. Aufgrund dieser Informationen wurden "260 Fakten angezeigt".

Am 18. Juli 1995 hatte die Untersuchungsrichterin einem Sachverständigen überdies den Auftrag zur Erstattung eines Gutachtens über die Tauglichkeit der beschlagnahmten Feuerlöscher erteilt. Das Gutachten langte am 29. September 1995 bei Gericht ein. Am 27. Juni 1996 wurde das Strafverfahren sodann wegen aller angezeigten Fakten gegen alle vier Verdächtigen nach einer Erklärung der Staatsanwaltschaft gemäß § 90 StPO eingestellt.

Wegen "der Fragebögen, des Informationsblatts und der Fahndungsfotos kündigten verschiedene Kunden die weitere Zusammenarbeit mit der klagenden Partei auf, wodurch diese einen Verdienstentgang ... erlitt".

Die klagende Partei begehrte den Zuspruch von 380.000 S sA (262.853 S an Verdienstentgang sowie 117.147 S an Verfahrenskosten) und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei "für sämtliche kausale(n), zukünftige(n), derzeit noch nicht bekannte(n) Schäden aus der Veröffentlichung der Fahndungsfotos mit Informationsblatt und Fragebogen und Versendung an die Kundenkartei". Sie brachte vor, die eingangs dargestellten behördlichen Maßnahmen seien "gesetzwidrig, exzessiv und unverhältnismäßig", demnach weder durch das Sicherheitspolizeigesetz noch durch die Strafprozessordnung gedeckt gewesen. Das "Hervorstreichen" ihrer Person im Fragenkatalog habe den Eindruck erweckt, sie stehe "im Verdacht des gewerbsmäßigen Betruges". Sie sei einfach in das Strafverfahren gegen bestimmte Verdächtige "hineingezogen" worden, obgleich ihre Geschäftsbeziehungen aufgrund der beschlagnahmten Geschäftsunterlagen hätten nachvollzogen werden können. Gleiches gelte für die Ermittlung, "welche Feuerlöscher von welchen Löschwarten überprüft worden" seien. Die Behörden hätten nicht nur den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch die gesetzliche Unschuldsvermutung verletzt. Die Versendung der Fragebögen sei unzulässigerweise zur bloßen Erkundung eingesetzt worden. Das rechtswidrige und schuldhafte Organverhalten habe deren Grundrechte verletzt und - als Folge eines massiven Umsatzrückgangs - auch einen Verdienstentgang verursacht. Stammkunden hätten ihr "zahlreiche Aufträge ... entzogen" und keine weiteren Aufträge erteilt. Die beklagte Partei habe ferner die "im Strafverfahren angelaufenen Rechtsanwaltskosten" zu ersetzen und für alle künftigen Schäden einzustehen.

Die beklagte Partei wendete ein, ihre Organe hätten Bestimmungen der Strafprozessordnung und des Sicherheitspolizeigesetzes nicht verletzt. Es sei zulässig, die Öffentlichkeit über einen bestehenden Tatverdacht zu informieren. Die Auswahl der Ermittlungsmethoden stehe - durch den gesetzlichen Rahmen begrenzt - im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden. Im Strafverfahren gelte der "Instruktionsgrundsatz". Es sei also allen wesentlichen Tatsachen nachzugehen. Ermittlungen seien "möglichst rasch" zu beenden. Die im Anlassfall eingesetzten Mittel hätten nur der Verfahrensbeschleunigung gedient. Die Unschuldsvermutung sei nicht verletzt, sondern bloß eine aufgrund eines hinreichenden Tatverdachts sachgerechte Maßnahme ergriffen worden.

Das Erstgericht erkannte mit Teilzwischenurteil, dass die Klageforderung von 262.853 S dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Versendung der Fragebögen habe einem Erkundungsbeweis gedient, weil sich der Betrugsverdacht in diesem Zeitpunkt, ohne durch bestimmte Ermittlungsergebnisse gestützt gewesen zu sein, nur auf zwei Fakten bezogen habe. Konkrete Hinweise auf allfällige weitere Betrugshandlungen hätten nicht bestanden. Ein Erkundungsbeweis sei zwar im Rahmen gerichtlicher Vorerhebungen zulässig, es sei jedoch - besonders im Hinblick auf Art 6 EMRK und Paragraph 3, StPO - der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Danach dürfe kein Mittel eingesetzt werden, das zur Erreichung des ins Auge gefassten Ziels ungeeignet sei oder "bei dem die daraus resultierenden Eingriffe in Rechte außer Verhältnis zum angestrebten Zweck" stünden. Das gelte besonders dann, wenn die Rechte nicht verdächtiger Personen beeinträchtigt werden könnten. Den Organen der beklagten Partei hätte schon aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung klar sein müssen, dass "die Versendung der Fragebögen samt Informationsblatt und ... 'Fahndungsfotos' dem Ruf und dem Geschäftsgang der klagenden Partei massiv schaden würde". Bei bloß zwei durch Ermittlungsergebnisse noch nicht erhärteten Verdachtsfällen und in Ermangelung einer möglichen anderweitigen Auswertung der Geschäftsunterlagen sei die Versendung des Fragebogens an 2300 Kunden der klagenden Partei ein unverhältnismäßiger Eingriff in deren Rechtssphäre gewesen. Der hervorgerufene Eindruck, die abgebildeten Personen seien "verurteilte Straftäter", sei zur Erkundung allfälliger weiterer "Verdachtsmomente" ungeeignet gewesen. Die Rechtfertigung solcher Maßnahmen durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit scheide aus. Entschuldigungsgründe seien weder vorgebracht worden noch erkennbar, sodass alle Haftungsvoraussetzungen gemäß Paragraph eins, Abs 1 AHG zu bejahen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, die den Klagegrund bildenden Maßnahmen seien im Zuge gerichtlicher Vorerhebungen ergriffen worden, weshalb das festgestellte Organverhalten nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung zu beurteilen sei. Solche Erhebungen bestimme und leite der Staatsanwalt. Sie dienten der Klärung, ob ein Strafverfahren gegen eine bestimmte Person einzuleiten oder die Anzeige zurückzulegen sei. Es fehle an einem konkreten Auftrag des Staatsanwalts an die Sicherheitsbehörde "zur Versendung des Fragebogens mit Fotos und Informationsblatt". Bei sicherheitsbehördlichen Untersuchungshandlungen nach § 87 und § 88 StPO seien zur Erreichung des Untersuchungszwecks "zumindest die prozessualen Formen" zu wahren. § 87 Abs 2 StPO beziehe sich ausdrücklich zwar nur auf "namenlose oder unbekannte Anzeiger", das vorgezeichnete Vorgehen müsse jedoch "bei namentlich genannten Anzeigern" mangels eines sachlichen Grunds zur Ungleichbehandlung gleich sein. Daher gälten die Grundsätze nach § 87 Abs 2 StPO für alle Anzeigearten und - zufolge der systematischen Stellung dieser Regelung - für das gesamte Vorverfahren. Aus Art 6 EMRK folge überdies der "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" als "Orientierungspunkt für Verfahrenshandlungen im Rahmen der StPO". Unter verschiedenen Mitteln, bei deren Einsatz das gleiche Ziel erreichbar sei, müsse das schonendste gewählt werden. Zu vermeiden seien schädliche und überflüssige, aber auch "unangemessen umständlichere" Mittel. Derartige Maximen gälten nach den §§ 175 ff StPO "explizit" im Falle eines Eingriffs in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, sie seien aber zufolge ihrer Zweckbestimmung "auf das gesamte gerichtliche Vorverfahren und der darin verankerten Ermittlungsmethoden" anzuwenden. Das Verhalten der Sicherheitsorgane habe daher Rechtsgrundsätze verletzt, die aus Art 6 EMRK sowie aus §§ 87, 88 und 175 ff StPO ableitbar seien. In den an Kunden der klagenden Partei versandten Unterlagen sei zwar nicht "explizit" behauptet worden, deren Mitarbeiter seien bereits strafbarer Handlungen überführt, ein Vertragspartner der klagenden Partei habe sie nach ihrer inhaltlichen Gestaltung in Verbindung mit den zitierten Zeitungsberichten allerdings so verstehen müssen, als wären die abgebildeten Mitarbeiter "bereits der strafbaren Handlungen überführt und daraufhin der Geschäftsführer des Unternehmens festgenommen worden". Dass ein solcher Eindruck "nicht geschäftsfördernd (sei), sondern vielmehr ruf- und geschäftsschädigende Auswirkungen nach sich" ziehe, sei einleuchtend. Werde berücksichtigt, dass im Zeitpunkt der Aussendung der erörterten Unterlagen nur zwei Fakten bekannt, die Kundenkartei, die Geschäfts- und Verkaufsunterlagen vorhanden und das Gutachten eines Sachverständigen noch nicht verfügbar gewesen seien, so sei im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit "eindeutig", dass das Vorgehen der Gendarmerie jedenfalls nicht alles Aufsehen vermieden habe, aber auch nicht mit möglichster Schonung der Ehre der Verdächtigen und der klagenden Partei realisiert worden sei. Es wären vorerst "durch einen Vergleich und Studium der Geschäfts- und Verkaufsunterlagen sowie der Kundenkartei entsprechende interne Ermittlungen" durchzuführen gewesen, die - bei weiteren Fakten - "eine Zuordnung zu den einzelnen Mitarbeitern ermöglicht hätten". Seien solche Grundsätze schon auf die am Verfahren "Beteiligten" anzuwenden, so müsse gegenüber "Nichtbeteiligten" wie der klagenden Partei "besondere Vorsicht" geübt werden. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil "keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu auf derartige Vorgangsweisen im Strafverfahren gestützte Amtshafungsansprüche vorzufinden" sei.

Die Revision ist wegen der im Grundsätzlichen erforderlichen Grenzziehung für vertretbare Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren, die in die Rechtsposition Dritter eingreifen, zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Strafsachen bedingt die gesetzliche Verpflichtung des Staatsanwalts nach § 87 Abs 1 und § 88 Abs 1 StPO, den Verdacht strafbarer Handlungen zu klären, zwangsläufig die Zulässigkeit von Erkundungen, ob ein nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls nicht von vornherein unerheblicher Tatverdacht eine weitere Verfolgungsschritte rechtfertigende Konkretisierung erwarten lässt (11 Os 125/91 = NRsp 1992/71). Die Aufnahme von Erkundungsbeweisen, mit denen das eigentliche Beweisthema und mögliche Beweismittel erst erforscht werden sollen (Wedrac, Das Vorverfahren in der StPO, 148), wird als Mittel gerichtlicher Vorerhebungen auch im Schrifttum gebilligt (Foregger/Kodek/Fabrizy, StPO7 Anm römisch eins zu § 88; Mayerhofer, Das österr Strafrecht - Strafprozeßordnung4 §§ 87, 88 Anmerkung 14a; Wedrac aaO).

2. Besteht die Gefahr, dass bestimmte Ermittlungen im strafprozessualen Vorverfahren in Grundrechte von Betroffenen - also in deren verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte - eingreifen, dürfen sie nur veranlasst werden, wenn sie einer Prüfung ihrer Verhältnismäßigkeit standhalten (13 Os 68/98 = EvBl 1998/191). Das erklärt sich aus dem Prinzip der Grundrechtsgebundenheit jedes hoheitlichen Akts der Vollziehung (Funk, Grundrechtsentwicklung und polizeiliches Handeln. Orientierung für Ausbildung und Praxis, in Fehérv ry/Stangl, Menschenrecht und Staatsgewalt [2000] 55 [59]), sodass die Rechtsprechung die Gesetze im Sinne der Respektierung der - als Grundrechte geschützten - "bürgerlichen Freiheiten" zu interpretieren hat (Moos, Menschenrechte und Polzei in geschichtlicher Entwicklung, in Fehérv ry/Stangl aaO 21 [44]).

3. Gemäß Art 5 StGG ist das Eigentum unverletzlich. Dieser Grundsatz wird überdies in Art 1 1. ZP EMRK verdeutlicht, wonach jede natürliche oder juristische Person ein Recht auf Achtung ihres Eigentums hat. Dieser verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff wird seit jeher weit verstanden und umfasst nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts jedes vermögenswerte Privatrecht (Mayer, B-VG2 Art 5 StGG römisch II. 1. mN aus der Rsp), wozu - nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs - auch konkrete vermögenswerte Interessen gehören (Mayer aaO Art 5 StGG römisch II. 2. mN aus der Rsp).

3. 1. Vermögenswertes Privatrecht im Sinne der voranstehenden Erläuterungen ist auch der "good will" eines Unternehmens, der durch dessen wirtschaftlichen Ruf entscheidend beeinflusst wird. Vor diesem Hintergrund ist nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch der wirtschaftliche Ruf einer juristischen Person als absolutes Recht nach § 1330 Abs 2 ABGB geschützt (SZ 64/36; SZ 63/1), sodass etwa der in deren Vermögen durch eine hoheitliche Kreditschädigung verursachte Vermögensschaden gemäß § 1 Abs 1 AHG ersatzfähig ist. Ein auf die Verletzung des wirtschaftlichen Rufs gestützter Amtshaftungsanspruch bedarf jedoch als Erfolgsvoraussetzung gar nicht der Verwirklichung eines Kreditschädigungstatbestands nach § 1330 Abs 2 ABGB, weil der Schutz jenes Rufs umfassend ist und nicht nur über ihn konkretisierende Einzeltatbestände der positiven Rechtslage realisiert werden kann (SZ 61/193 mzwN). Als Anspruchsgrundlage genügt daher etwa auch, wenn unverhältnismäßige Ermittlungen nach den Erwägungen unter 2. einen Schaden im Vermögen einer juristischen Person durch die Beeinträchtigung ihres "good will" und die daraus folgenden Geschäftseinbußen verursachen.

4. Nach Ansicht der beklagten Partei erfasst der Schutzzweck der Bestimmungen der Strafprozessordnung, die den Urteilsgründen der Vorinstanzen zugrunde liegen, nur "den Beschuldigten", jedoch nicht "am Strafverfahren nicht beteiligte Dritte wie die klagende Partei". Die beklagte Partei will mit diesem - ihrer Überzeugung nach - "überaus gewichtigen" Argument offenkundig verdeutlichen, dass zwar in die Rechtssphäre des einer strafbaren Handlung Verdächtigen durch bestimmte Ermittlungen nur unter Bedachtnahme auf das solche Vorkehrungen begrenzende Verhältnismäßigkeitsgebot eingegriffen werden dürfe, die durch solche Maßnahmen mitberührten Interessen unverdächtiger Dritter aber überhaupt keinen Schutz genössen, sodass deren Verletzung auch keinen Amtshaftungsanspruch begründen könnte.

Diese Sicht der Rechtslage ist im Lichte der unter 2. erläuterten Grundrechtsbindung jedes Akts hoheitlicher Vollziehung völlig verfehlt, kann doch ein ohne sachliche Notwendigkeit erfolgter Eingriff in ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht - wie den Eigentumsschutz - nicht grundsätzlich folgenlos und somit verfassungskonform sein. Kann bereits der einer strafbaren Handlung Verdächtige ein Recht für sich in Anspruch nehmen, dass seine wirtschaftliche Position nicht durch unverhältnismäßige Ermittlungsschritte beeinträchtigt wird, so muss das umso mehr für unbeteiligte Dritte gelten, wenn deren Vermögensinteressen durch das Verfahren gegen bestimmte Verdächtige unmittelbar berührt und gefährdet werden. Daraus folgt, dass die im Verhältnis zu solchen unbeteiligten Dritten zu beachtende, Art und Ausmaß gerichtlicher Vorerhebungen begrenzende Grundrechtsbindung noch fester ist. Droht daher durch bestimmte Vorerhebungen gegen konkret Verdächtige auch die Beeinträchtigung von Vermögensinteressen unbeteiligter Dritter, so dürfen solche Maßnahmen nur veranlasst werden, wenn die Interessenabwägung bei der Prüfung deren Verhältnismäßigkeit ergibt, dass sie - nach einem durch andere mögliche Ermittlungen bereits erhärteten Tatverdacht - wegen der Schwere der in Rede stehenden strafbaren Handlung(en) und mangels für die Rechtssphäre unbeteiligter Dritter unschädlicher oder wenigstens gelinderer Alternativen im Interesse einer geordneten Strafrechtspflege unvermeidlich sind und daher in Kauf genommen werden müssen.

4. 1. Vor dem Hintergrund den unter 4. erläuterten Kriterien sind auch die im Anlassfall durchgeführten Vorerhebungen zu beurteilen.

Nach den Anzeigen beschränkte sich der Verdacht strafbarer Handlungen von Mitarbeitern der klagenden Partei im Zeitpunkt der Versendung der festgestellten Unterlagen an deren Kunden nur auf zwei Fakten, ohne dass dieser Verdacht schon durch konkrete Ermittlungen erhärtet gewesen wäre. Diese Fakten waren für sich betrachtet nicht so schwerwiegend, dass sie den sofortigen Einsatz weitreichender und in die Vermögensinteressen unbeteiligter Dritter drastisch eingreifender Mittel rechtfertigen konnten. Vor einer allfälligen, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit respektierenden Ausweitung der Vorerhebungen wären daher die bestehenden Verdachtsfälle einer näheren Prüfung zu unterziehen gewesen. Nur wenn die so erzielten Ergebnisse den untersuchten Verdacht erhärtet und beim Verkauf bzw Service von Feuerlöschgeräten auf breit gestreute kriminelle Methoden im Kundenkreis der klagenden Partei hingewiesen hätten, wäre - je nach den durch die bisherigen Erhebungen gebotenen weiteren Maßnahmen - eine schrittweise oder allenfalls auch schlagartige Ausweitung des Ermittlungsfelds zu veranlassen gewesen.

Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht lag es für die Organe der beklagten Partei auch schon ex ante auf der Hand, dass die Versendung der festgestellten Unterlagen an etwa 2300 Kunden der klagenden Partei - also offenkundig an deren gesamten Kundenkreis nach den beschlagnahmten Geschäftsaufzeichnungen - eine schwere Beeinträchtigung ihres wirtschaftlichen Rufs verursachen würde, vermittelte doch die Gestaltung und der nähere Inhalt des versandten Erkundungsmaterials den Eindruck, die vier Verdächtigen könnten sich der klagenden Partei ständig als Plattform für gewerbsmäßige Betrugshandlungen bedient haben. Eine solche maßlose Methode zur Erkundung weiterer Verdachtsfälle überschritt somit das nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Erlaubte bei weitem. Die dem geltend gemachten Anspruch als Klagegrund unterlegten Ermittlungen waren daher, wie zusammenzufassen ist, als Verstoß gegen den erläuterten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtswidrig. Sie waren aber auch unvertretbar und daher schuldhaft, weil die Organe der beklagten Partei keine Grenzfrage in einer Situation, die sofortiges Handeln erfordert hätte, lösen mussten, sondern den klaren und unzweideutigen Rechtswidrigkeitsgehalt ihres Handelns unschwer hätten erkennen können und sich einer solchen Erkenntnis jedenfalls leicht fahrlässig verschlossen.

5. Der erkennende Senat vermag ferner nicht der Ansicht der beklagten Partei beizutreten, "das Vorbringen zum Klagebegehren in der Klage" sei "mit dem anlässlich der Tagsatzung am 28. 11. 1998 (richtig: 28. Oktober 1998) Vorgebrachten inkompatibel ... (Umsatzrückgang/Verdienst- entgang)".

Die klagende Partei brachte vor, sie habe aufgrund der ihrem Anspruch zugrunde liegenden Ermittlungen Stammkunden verloren. Solche hätten bestehende Aufträge widerrufen und neue nicht erteilt. Das habe einen konkreten Verdienstentgang von 262.865 S verursacht. Diese Prozessbehauptungen sind im Grundsätzlichen schlüssig. Soweit es zur Klärung der Schadenshöhe eines weiteren Detailvorbringens bedarf, wird der klagenden Partei Gelegenheit zu geben sein, solches im fortgesetzten Verfahren nachzuholen (siehe zur Schadensqualifikation und -berechnung etwa SZ 64/36).

6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf § 393 Abs 4 in Verbindung mit § 52 Abs 2 ZPO.

Textnummer

E57338

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:0010OB00037.00Y.0222.000

Im RIS seit

23.03.2000

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2011

Dokumentnummer

JJT_20000222_OGH0002_0010OB00037_00Y0000_000

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