Entscheidungstext 1Ob14/10f

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

Zak 2010/453 S 258 - Zak 2010,258 = ecolex 2010/316 S 858 (Rabl) - ecolex 2010,858 (Rabl) = ZVR 2011/45 S 75 (Danzl, tabellarische Übersicht) - ZVR 2011,75 (Danzl, tabellarische Übersicht)

Geschäftszahl

1Ob14/10f

Entscheidungsdatum

20.04.2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alfred M*****, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in Murau, wider die beklagte Partei Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft in Steiermark, Graz, Hamerlinggasse 3, vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in Graz, wegen 19.120 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert 9.524,42 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. Oktober 2009, GZ 5 R 146/09v-36, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 1. Juli 2009, GZ 14 Cg 142/07h-31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger ist Landwirt. Aufgrund einer vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen erteilten Bewilligung, ein Samendepot für den innergemeinschaftlichen Handel mit Samen von Rindern zu betreiben, begann er im August 2006, mit Rindersamen zu handeln. Die Beklagte ist als Körperschaft öffentlichen Rechts zur Vertretung der Interessen der Land- und Forstwirtschaft in der Steiermark berufen, weiters zur Beratung der Land- und Forstwirte und zur Durchführung von Aufgaben, die der Förderung der Land- und Forstwirtschaft dienen (Paragraph eins, Absatz eins, Ziffer eins, des Gesetzes vom 29. Oktober 1969 über die Kammern für Land- und Forstwirtschaft in Steiermark, LGBl 1970/14 in der Fassung LGBl 2005/66). Die Besamungsanstalt G***** wird von der Beklagten betrieben. Als Besamungsstation ist sie eine Einrichtung, in der männliche Zuchttiere zur Gewinnung, Behandlung und Abgabe von Samen zur künstlichen Besamung gehalten werden. Der Beklagten oblag ua auch die Vollziehung des - mittlerweile außer Kraft getretenen - Gesetzes vom 28. September 1993 über die landwirtschaftliche Tierzucht (Steiermärkisches Tierzuchtgesetz - im Folgenden: Stmk TZG 1993) im übertragenen Wirkungsbereich (Paragraph 19, Absatz eins, Stmk TZG 1993). Zu den Befugnissen der Beklagten zählte unter anderem, dass sie in ihrer Funktion als behördlich anerkannte Ausbildungsstätte (Paragraph 10, Absatz 8, Stmk TZG 1993) Ausbildungskurse für die künstliche Besamung für Besamungstechniker und für Tierhalter zur Besamung von Tieren im eigenen Stand abhält. Nach erfolgreicher Absolvierung dieser Kurse erteilten ihre Organe „Bewilligungen“ zur Eigenbestandsbesamung von Rindern. Vor dem und während des Zeitraums vom 18. August 2006 bis 25. April 2007 wurden diese Bewilligungen stets nur unter der Bedingung erteilt, dass die Antragsteller die der Bewilligung beigelegten Richtlinien einhalten. Diese Richtlinien sahen vor, dass der Samenbezug ausschließlich über die Besamungsanstalt G***** durchzuführen ist.

Am 18. August 2006 verfasste der Leiter der Rinderbesamungsanstalt G***** (ein Tierarzt) ein an alle Besamungstierärzte, Besamungstechniker, Tierzuchtleitungen und Zuchtverbände sowie an den Landeskontrollverband Steiermark gerichtetes Schreiben folgenden Inhalts:

„Samenimporte bzw Samenshops.

Nach einigen Vorfällen illegaler Importe von Rindersamen sei nochmals eindrücklich darauf hingewiesen, dass der Samen nur über die zuständige Besamungsanstalt importiert werden kann, gemäß Samenliefervertrag, Samen nur über die zuständige Besamungsanstalt bezogen werden darf ... Daran wird auch in den derzeitigen Verhandlungen um ein neues Tierzuchtgesetz festgehalten und entsprechende Schritte bei Nichteinhaltung gesetzt. Ich darf Sie deshalb bitten, sich unbedingt an unsere Abmachungen zu halten.“

Der Leiter der Rinderbesamungsanstalt hatte vor Verfassung dieses Schreibens keinen Anlass gesehen, einen Juristen beizuziehen, obwohl er zuvor dienstlichen Besprechungen beigewohnt hatte, in denen im Zusammenhang mit der österreichischen Rinderzucht und dem Samenhandel Vertragsverletzungsverfahren gegen die Länder Tirol und Salzburg thematisiert worden waren. Einen Tag vor Verfassung dieses Schreibens hatte die Fachabteilung 1 E, Europa und Außenbeziehungen der steiermärkischen Landesregierung, an deren Fachabteilung 10 A, Agrarrecht und ländliche Entwicklung, ein Schreiben übersandt. Darin wurde auf eine Anfrage vom 10. August 2006 betreffend die Errichtung und den Betrieb eines Samendepots in der Steiermark Bezug genommen und dazu aus europarechtlicher Sicht ausgeführt, dass sich der Betreiber des Samendepots - vorbehaltlich des Vorliegens dringender Gründe zum Schutz der Gesundheit - zu Recht auf europarechtliche Bestimmungen, namentlich die Warenverkehrsfreiheit des Artikel 28, EGV berufe. Da dieser Regelung nach ständiger Rechtsprechung unmittelbare Wirkung und somit Vorrang vor nationalem Recht zukomme, werde empfohlen, die relevanten Strafbestimmungen des steiermärkischen Tierzuchtgesetzes außer Anwendung zu lassen. Soweit Paragraph 9, Absatz 8, des Stmk TZG 1993 vorsehe, dass Depots ausschließlich mit Samen aus steirischen Besamungsstationen handeln dürften und nicht mit selbst importierten Samen, bewirke diese Bestimmung eine Beschränkung iSd Artikel 28, EGV, nämlich eine Diskriminierung ausländischer und auch steirischer Besamungsstationen. Eine europarechtliche Rechtfertigung des Paragraph 9, Absatz 8, Stmk TZG 1993 sei nicht möglich. Das in Betracht kommende Argument, nach Artikel 30, EGV könnten Verbote oder Beschränkungen von Wareneinfuhren zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen gerechtfertigt sein, sei als Rechtfertigungsgrund nicht geeignet. Die züchterischen und genealogischen Voraussetzungen für den innergemeinschaftlichen Handel mit Rindersamen seien bereits so weit harmonisiert, dass ein Mitgliedstaat die Verwendung von Samen reinrassiger Rinder in seinem Hoheitsgebiet grundsätzlich nicht behindern dürfe, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat nach bestimmten Prüfungen zur künstlichen Besamung zugelassen worden seien.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Murau vom 16. November 2006 wurde über den Kläger eine Geldstrafe in Höhe von 300 EUR verhängt, weil gemäß Paragraph 9, Absatz 8, Stmk TZG 1993 im Tätigkeitsbereich einer Besamungsstation Samen nur von dieser und über diese bezogen werden dürfe. Diese Entscheidung wurde über Berufung des Klägers mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats für die Steiermark vom 13. Februar 2007 behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Paragraph 9, Absatz 8, Stmk TZG 1993 gemeinschaftsrechtskonform nur so ausgelegt werden könne, dass Samendepots nicht unter jene Institutionen fielen, die Samen nur von der örtlich zuständigen Besamungsstation beziehen dürften. In einer ORF-Sendung vom 24. März 2007 wurde auf Betreiben des Klägers die Problematik dargestellt. Am 28. März 2007 übermittelte die Fachabteilung 10 A (Agrarrecht und ländliche Entwicklung) der steiermärkischen Landesregierung der Beklagten die oben bereits zitierte europarechtliche Beurteilung der Fachabteilung 1 E, Europa- und Außenbeziehungen, vom 17. August 2006. Daraufhin verfasste ein Vertreter der Besamungsanstalt G***** am 25. April 2007 ein an alle Besamungstierärzte und -techniker sowie Eigenbestandsbesamer, Zuchtverbände und den Landeskontrollverband der Steiermark gerichtetes Schreiben. In diesem wurden die im Rundschreiben vom 18. August 2006 zu Paragraph 9, Absatz 8, Stmk TZG 1993 getroffenen Aussagen als „hinfällig“ bezeichnet und auf die Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenats für die Steiermark vom 13. Februar 2007 verwiesen.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 19.120 EUR sA. Die Beklagte habe ihm als Träger wirtschaftlicher Selbstverwaltung im Rahmen der Vollziehung der Gesetze rechtswidrig und schuldhaft einen Schaden zugefügt. Die Besamungsanstalt G***** sei eine Außenstelle der Beklagten und daher dieser organisatorisch unterstellt und weisungsgebunden. Deren Vertreter hätten Paragraph 9, Absatz 8, des Stmk TZG 1993 europarechtswidrig ausgelegt und öffentlich verlangt, dass Samen für die Besamung von Rindern ausschließlich über die von der Beklagten betriebene Rinderbesamungsanstalt bezogen werden dürften. Die betroffenen Tierärzte und Landwirte - potentielle Kunden des Klägers - hätten sich in Unkenntnis der Rechtslage diesem Verlangen gefügt, bis die Volksanwaltschaft Wien das rechtswidrige Vorgehen der Organe der Beklagten aufgezeigt habe. Ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten dieser Organe liege auch darin, dass die Bewilligung der Besamung der Rinder im eigenen Bestand stets nur unter der Bedingung erteilt worden sei, dass vom jeweiligen Antragsteller die der Bewilligung beigelegten Richtlinien eingehalten würden. Diese Richtlinien hätten vorgesehen, dass der Samenbezug ausschließlich über die Rinderbesamungsanstalt G***** durchzuführen sei. Paragraph 9, Absatz 8, des Stmk TZG 1993 sei im Hinblick auf Artikel 28, EGV aber so auszulegen, dass Samendepots nicht unter jene Institutionen fielen, die Samen ausschließlich von der örtlich zuständigen Besamungsstation beziehen dürften. Sofern die Organe der Beklagten im Rundschreiben vom 18. August 2006 und auch noch danach eine gegenteilige Rechtsansicht vertraten, sei ihnen dies insbesondere deshalb vorwerfbar, weil bereits eine anders lautende, EU-rechtskonforme Stellungnahme der steiermärkischen Landesregierung vorgelegen habe. Zudem sei die Auslegung der Bestimmungen des steiermärkischen Tierzuchtgesetzes eklatant europarechtswidrig, sodass nicht mehr von einer vertretbaren Rechtsansicht ausgegangen werden könne.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, ihre Organe seien nicht in Vollziehung der Gesetze und somit nicht hoheitlich tätig geworden, sodass ein Amtshaftungsanspruch auszuschließen sei. Die Umsetzung von EU-Bestimmungen obliege ausschließlich dem Gesetzgeber und nicht der Beklagten. Allfällige Schadenersatzansprüche, die daraus resultierten, dass das innerstaatliche Recht mit den EU-rechtlichen Bestimmungen nicht konform sei, könnten nicht gegenüber jenem Personenkreis geltend gemacht werden, der im Vertrauen auf den rechtmäßigen Bestand der innerstaatlichen Gesetzeslage Handlungen setze. Die Vertreter der Beklagten seien somit berechtigt gewesen, zu Paragraph 9, Absatz 8, des Stmk TZG 1993 entsprechende gesetzeskonforme Informationen zu veröffentlichen. Diese Vorgangsweise sei jedenfalls vertretbar.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 9.524,42 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren in Höhe von 9.595,58 EUR sA - unbekämpft - ab. Ein Amtshaftungsanspruch könne auch dann entstehen, wenn ein Organ eines Rechtsträgers in Österreich unmittelbar anzuwendendes Gemeinschaftsrecht vorwerfbar nicht oder nicht richtig angewendet habe. Das Eintreten von Amtshaftung sei dabei unabhängig davon zu beurteilen, ob österreichische Gesetzgebungsorgane ihrer Umsetzungspflicht in Ansehung von Gemeinschaftsrecht nachgekommen seien. Artikel 28, EGV stelle nach ständiger Rechtsprechung unmittelbar anwendbares Recht dar und verleihe dem Einzelnen ein subjektives Recht, dem Vorrang vor nationalem Recht zukomme. Dies hätten die handelnden Organe der Beklagten unbeachtet gelassen, obwohl ohne weiteres die Möglichkeit bestanden hätte, die richtige Rechtsmeinung einzuholen. So wäre ihnen zumutbar gewesen, sich das notwendige juristische Wissen durch Rückfrage bei den entsprechenden Fachabteilungen des Landes Steiermark zu beschaffen. Zum Zeitpunkt des Rundschreibens vom 18. August 2006 sei die Stellungnahme der Fachabteilung des Amts der Steiermärkischen Landesregierung bereits vorgelegen.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung infolge Berufung der Beklagten dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig ist. Die Beklagte sei nicht in Vollziehung der Gesetze und somit nicht hoheitlich tätig geworden. Dem steiermärkischen Tierzuchtgesetz 1993 sei nicht zu entnehmen, dass einer behördlich bewilligten Besamungsstation vollziehende Tätigkeit zukomme. Vielmehr sei eine solche selbst normunterworfen und könne von der Bezirksverwaltungsbehörde wegen Verwaltungsübertretungen bestraft werden. Soweit die Beklagte bzw die Besamungsanstalt G***** tätig geworden sei, habe dies im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung stattgefunden. Aus dem Inhalt des Rundschreibens vom 18. August 2006 seien keine Amtshaftungsansprüche ableitbar. Dies gelte auch für die von der Beklagten ausgestellten „Bewilligungen zur Eigenbestandsbesamung“. Das steiermärkische Tierzuchtgesetz sehe die Ausbildung von Tierhaltern zur Besamung von Tieren im eigenen Bestand nicht als hoheitliche Aufgabe vor, sondern normiere lediglich, dass diese ihre fachliche Eignung durch den erfolgreichen Abschluss eines Ausbildungskurses an einer behördlich anerkannten Ausbildungsstätte nachzuweisen haben. Der Betrieb einer Ausbildungsstätte mit anschließender Bestätigung des positiven Prüfungsergebnisses sei keine hoheitliche Tätigkeit. Allenfalls bei Erteilung der „Bewilligungen zur Eigenbestandsbesamung“ angemaßte Kompetenzen stünden außerhalb der Zuständigkeit der Beklagten für die Vollziehung des Tierzuchtgesetzes.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision des Klägers ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.

1. Nach Paragraph 9, Absatz 8, Stmk TZG 1993 durfte im Tätigkeitsbereich einer Besamungsstation Samen nur von dieser oder über diese bezogen werden. Im Revisionsverfahren steht nicht mehr in Frage, dass diese Bestimmung mit dem Gemeinschaftsrecht - insbesondere mit dem sich aus Artikel 28, EGV ergebenden Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit - unvereinbar war. In Umsetzung des Gemeinschaftsrechts bestimmt Paragraph 15, Absatz eins, Ziffer eins, des nunmehr in Geltung stehenden steiermärkischen Landesgesetzes vom 17. März 2009 über die landwirtschaftliche Tierzucht (Steiermärkisches Tierzuchtgesetz 2009) sohin auch, dass Samen nicht nur von Besamungsstationen, sondern auch von Samendepots abgegeben werden dürfen, sofern diese nach veterinärrechtlichen Vorschriften zugelassen sind.

2. Im Verfahren dritter Instanz ist strittig, ob das Rundschreiben, aus dem der Kläger seine Amtshaftungsansprüche ableitet, dem Bereich der Hoheits- oder der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen ist.

Rundschreiben stellen - ähnlich wie Presseaussendungen - ein „neutrales“, nicht schon durch die Rechtsordnung in einer bestimmten Rechtsform geregeltes, nach außen in Erscheinung tretendes tatsächliches Verhalten dar. Sie können in gleicher Weise in der Hoheits- oder in der Privatwirtschaftsverwaltung vorkommen. Die Zuordnung solcher „Informationsrealakte“ zur Hoheits- oder Privatwirtschaftsverwaltung wird durch deren Zugehörigkeit zum Kernbereich der jeweils in Betracht kommenden Verwaltungsmaterie vorgenommen. Entscheidend ist ihr hinreichend enger innerer und äußerer Zusammenhang zu einer bestimmten hoheitlichen oder privatwirtschaftlichen Materie. Ist ein nach Sachgesichtspunkten gegebener Zusammenhang zu einer hoheitlichen Materie zu bejahen, sind alle mit deren Erfüllung verbundenen - auch rein tatsächlichen - Verhaltensweisen (etwa Rundschreiben) einheitlich solche in Vollziehung der Gesetze (RIS-Justiz RS0049948; 1 Ob 18/06p). Zutreffend zeigt der Revisionswerber auf, dass das Rundschreiben mit der hoheitlichen Tätigkeit der beklagten Partei, nämlich der Vollziehung des steiermärkischen Tierzuchtgesetzes 1993 in engem Zusammenhang steht:

Neben den beratenden und Interessen vertretenden Tätigkeiten, die nicht in den Bereich der Hoheitsverwaltung fallen, sondern der Einbringung beruflicher Interessen in die Verwaltungstätigkeit anderer Rechtsträger dienen (1 Ob 44/94 = SZ 68/60; Schragel, AHG3 Rz 107 mwN), wirkt die beklagte Kammer an der staatlichen Verwaltung mit, indem ihr im übertragenen Wirkungsbereich die Vollziehung des steiermärkischen Tierzuchtgesetzes obliegt (Paragraph 19, Absatz eins, Stmk TZG 1993; Paragraph 25, Absatz eins, Stmk TZG 2009). Im Rahmen der Betrauung mit der Vollziehung des Tierzuchtgesetzes hat die Beklagte hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen. Dazu zählte nach dem Stmk TZG 1993 unter anderem, sicherzustellen, dass die künstliche Besamung von Tieren nur von hiezu berechtigten Personen (ua behördlich zugelassenen Besamungstechnikern und für den eigenen Tierbestand hiefür fachlich geeigneten Tierhaltern [„Eigenbestandsbesamern“]) vorgenommen wird (Paragraph 10, Absatz eins, Litera b und c Stmk TZG 1993). Als Eigenbestandsbesamer und Besamungstechniker waren nur verlässliche Personen zuzulassen, die durch Vorlage eines Zeugnisses den erfolgreichen Abschluss eines Ausbildungskurses für die künstliche Besamung an einer behördlich anerkannten Ausbildungsstätte für Besamungstechniker bzw Eigenbestandsbesamer nachweisen konnten (Paragraph 10, Absatz 3 und 7 Stmk TZG 1993 in Verbindung mit Paragraph 15, Absatz 3, der VO der Steiermärkischen Landesregierung vom 7. April 1997 über Besamungsstationen und Embryotransfereinrichtungen, LGBl 1997/26). Den Entscheidungen der Vorinstanzen liegt zu Grunde, dass die Beklagte Ausbildungsstätten für Besamungstechniker und Eigenbestandsbesamer selbst betrieben hat. Welcher Rechtsform die von den Organen der Beklagten nach erfolgreichem Besuch dieser Ausbildungsstätten erteilten „Bewilligungen zur Eigenbestandsbesamung“ zuzuordnen sind, kann dahingestellt bleiben. Nicht nur Bescheide und Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sind nämlich als Formen der Hoheitsverwaltung anzusehen, sondern auch verfahrensfreie Verwaltungsakte, die Rechtsfolgen, die vielfach in Form von Bewilligungen oder Genehmigungen von den Beteiligten sogar erwünscht sind, nach sich ziehen (1 Ob 225/07f). Der nötige Sachzusammenhang zwischen der von der Beklagten erteilten „Bewilligung zur Eigenbestandsbesamung“ und dem Rundschreiben ergibt sich daraus, dass sie - wenngleich im Widerspruch zu Artikel 28, EGV - die Bewilligung stets nur unter der Bedingung gewährte, dass der Antragsteller die der Bewilligung angeschlossenen „Richtlinien“ einhält, nach denen Samen nur über die Besamungsstation G***** bezogen werden durfte. Das Rundschreiben diente vor allem dem Zweck, den Empfängern diese „Richtlinien“ bzw den Umstand in Erinnerung zu rufen, dass die Bewilligung zur Eigenbestandsbesamung nur unter der Bedingung des Einhaltens der Richtlinien erteilt wurde. Gleichzeitig wurden sie im Rundschreiben nachdrücklich ermahnt, ihre „Abmachungen“ einzuhalten, und wurden für den Fall der Nichtbeachtung bzw des Zuwiderhandelns entsprechende Konsequenzen angedroht. Wenngleich nicht konkretisiert wurde, welcher Art diese Konsequenzen sein sollten, liegt für die Empfänger des Rundschreibens die Annahme nahe, dass im Fall des Ankaufs von Rindersamen bei einem Samendepot mit dem Entzug der „Bewilligung zur Eigenbestandsbesamung“ zu rechnen sei. Daraus sowie aus der Bezugnahme auf Vorfälle „illegaler“ Importe von Rindersamen ist erkennbar, dass das Rundschreiben dem Vollzug des Stmk TZG 1993 dienen sollte und der Rechtsträger dem Staatsbürger in Erledigung hoheitlicher Aufgaben mit Befehls- und Zwangsgewalt ausgestattet gegenübertrat. Dass im Rundschreiben der Begriff „Samenlieferungsvertrag“ verwendet wurde, führt zu keiner Änderung dieser Beurteilung, weil die Eigenbestandsbesamer nicht auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrags, sondern aufgrund einer ihnen erteilten „Bewilligung“ tätig wurden, die an die Einhaltung von (unionswidrigen) „Richtlinien“ geknüpft war. Ähnlich wie bei Durchführungserlässen, Weisungen oder Broschüren eines Ministeriums ist ohne Rücksicht auf die Art des Tätigwerdens ein Fall einer „an sich“ hoheitlichen Tätigkeit gegeben (Schragel aaO Rz 76); das Rundschreiben ist in Vollziehung der Gesetze ergangen.

3. Durch den Beitrittsvertrag trat Österreich unter den in der Beitrittsakte umschriebenen Bedingungen in das EU-Gemeinschaftsrecht ein. Diese vom Völkerrecht und von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verschiedene, autonome und unabhängige Rechtsordnung wirkt auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlicher Weise in die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten ein. Für den Rechtsanwender vergrößerte sich dadurch der im Einzelfall zu berücksichtigende Normenkomplex; er ist mit einer Fülle neuer (unionsrechtlicher) Fragestellungen konfrontiert, zB mit der Frage der unmittelbaren Geltung des Unionsrechts und seinem Anwendungsvorrang vor innerstaatlichem Recht (1 Ob 12/00x). Anwendungsvorrang genießen ua absolute Beschränkungsverbote - wie etwa die Warenverkehrsfreiheit nach Artikel 34, AEUV (vormals Artikel 28, EGV). Der Vorrang des Unionsrechts verlangt, eine ihm widersprechende nationale Norm nicht anzuwenden (EuGH 9. 9. 2003, Rs C-198/01 Rz 48; RIS-Justiz RS0109951). Der Vorrang des Unionsrechts ist auch von allen Verwaltungsbehörden zu beachten (VwGH 21. 6. 1999, AZ 97/17/0501). Aus dieser Rechtslage folgt, dass seit dem Beitritt zur EU der mit dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit nicht vereinbare Paragraph 9, Absatz 8, des Stmk TZG 1993 von den österreichischen Behörden nicht mehr zu berücksichtigen und nicht anzuwenden gewesen wäre. Wendet ein Organ unmittelbar anzuwendendes Gemeinschaftsrecht dennoch nicht an, kann dies Amtshaftungsansprüche begründen. Die Frage der Amtshaftung ist dabei unabhängig davon zu beurteilen, ob österreichische Gesetzgebungsorgane ihrer Umsetzungspflicht in Ansehung von Gemeinschaftsrecht nachgekommen sind oder nicht (1 Ob 12/00x).

Allein die bloße Unrichtigkeit einer Rechtsansicht begründet aber noch keine Schadenersatzpflicht. Vielmehr ist auch ein Verschulden des Entscheidungsorgans erforderlich (RIS-Justiz RS0049955; RS0050216). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist aber das Festhalten an Paragraph 9, Absatz 8, des Stmk TZG 1993 den Organen der Beklagten vorwerfbar. Ob der Entscheidung eine nach den Umständen unvertretbare Rechtsansicht zugrunde liegt, ist stets nach den konkreten Besonderheiten des Einzelfalls zu beurteilen. Im vorliegenden Fall ist maßgeblich, dass zum Zeitpunkt der Herausgabe des Rundschreibens bereits seit langem die Entscheidung der Kommission vom 10. 3. 2004, Zl 2004/252/EG, vorlag, nach der ein ordnungsgemäß zugelassenes und in der Liste der Besamungsstationen und Samendepots registriertes Samendepot nach der Richtlinie 2003/43/EG in die Lage versetzt werden muss, Samen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu versenden. Weiters lag eine - wenn auch erst jüngst verfasste - Stellungnahme einer Fachabteilung der Steiermärkischen Landesregierung vor, in der Paragraph 9, Absatz 8, Stmk TZG 1993 ebenfalls als gemeinschaftswidrig erkannt wurde. Für die Vorwerfbarkeit spricht aber insbesondere auch der Umstand, dass der Leiter der Besamungsanstalt als Verfasser des anspruchsbegründenden Rundschreibens zuvor Besprechungen beigewohnt hatte, in denen im gegebenen Zusammenhang Vertragsverletzungsverfahren gegen die Länder Tirol und Salzburg thematisiert worden waren, und - wie sich aus dem Text des Rundschreibens ergibt - er darüber hinaus auch davon in Kenntnis war, dass ein „neues“ (EU-konformes) Steiermärkisches Tierzuchtgesetz bereits geplant wurde. Dennoch erachtete er es nicht für erforderlich, sich vor Absendung des Rundschreibens über die Rechtslage zu informieren und die Vertretbarkeit seiner Rechtsansicht, Paragraph 9, Absatz 8, Stmk TZG 1993 könne weiterhin angewendet werden, überprüfen zu lassen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass das Abweichen von einer klaren Rechtslage oder das Nichtbeachten der ständigen Rechtsprechung nationaler Höchstgerichte oder auch des EuGH, das nicht erkennen lässt, dass es auf einer sorgfältig begründeten Überlegung und Auseinandersetzung mit den Argumenten beruht, in der Regel als schuldhaft zu beurteilen ist (1 Ob 15/92 = SZ 65/94; 1 Ob 10/90 = SZ 63/106 uva). Dies ist im vorliegenden Fall erfüllt.

Das Berufungsgericht hat - ausgehend von seiner Rechtsansicht, das Rundschreiben sei im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung ergangen - die Beweisrüge zu entscheidungswesentlichen Feststellungen unerledigt gelassen, so etwa zum Einfluss des Rundschreibens auf die Umsatzentwicklung und zur Höhe der Klageforderung. Aus diesem Grund ist die Rechtssache noch nicht entscheidungsreif und mit Aufhebung des Berufungsurteils vorzugehen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.

Schlagworte

4 Amtshaftungssachen,Europarecht

Textnummer

E93937

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00014.10F.0420.000

Im RIS seit

19.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2012

Dokumentnummer

JJT_20100420_OGH0002_0010OB00014_10F0000_000

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