Entscheidungstext 15Os174/11v

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Strafrecht

Fundstelle

Jus-Extra OGH-St 4636 = RZ 2012,258 EÜ229 - RZ 2012 EÜ229 = SSt 2012/5

Geschäftszahl

15Os174/11v

Entscheidungsdatum

29.02.2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Februar 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Linzner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Dr. Frank H***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach Paragraphen 83, Absatz eins,, 84 Absatz eins, StGB, AZ 24 Hv 26/11h des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß Paragraph 363 a, Absatz eins, StPO in Bezug auf das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 25. Oktober 2011, AZ 20 Bs 313/11t, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Juli 2011, GZ 24 Hv 26/11h-30, wurde Mag. Dr. Frank H***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach Paragraphen 83, Absatz eins,, 84 Absatz eins, StGB schuldig erkannt und zu einer, für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht die verstärkte Tatbildmäßigkeit als erschwerend und den bisher ordentlichen Lebenswandel als mildernd. Zudem berücksichtigte die Einzelrichterin die Persönlichkeit des Angeklagten, der „ursprünglich zwar bedauerte, dass sein Kontrahent gestürzt ist und sich verletzt hat, wofür er sich vorerst schuldig erachtete, sich inhaltlich aber sodann nicht schuldeinsichtig verantwortete und zuletzt ausdrücklich leugnete, jemanden verletzt oder gar geschlagen zu haben“ (US 15).

Mit Urteil vom 25. Oktober 2011, AZ 20 Bs 313/11t (ON 42), gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung des Angeklagten nicht Folge. Unter Zugrundelegung der gleichen Erschwerungs- und Milderungsgründe hielt es eine - bedingt nachgesehene - Freiheitsstrafe von sieben Monaten für angemessen. Bei der Strafbemessung berücksichtigte das Berufungsgericht in der Beurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten ausdrücklich nicht, dass sich dieser letztlich nicht schuldeinsichtig verantwortet habe, wohl aber, dass dieser von Anfang an aggressiv eine verbale Auseinandersetzung mit Thomas S***** herbeigeführt und sodann mit seinen Nordic-Walking-Stöcken auf ihn eingeschlagen habe, wodurch Thomas S***** eine mit einer Gesundheitsschädigung von mehr als 24 Tagen verbundene schwere Verletzung erlitten habe (US 6 f).

Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien richtet sich der Antrag des Verurteilten Mag. Dr. Frank H***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß Paragraph 363 a, Absatz eins, StPO.

Der Erneuerungswerber behauptet eine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren nach Artikel 6, Absatz eins, MRK und einen damit verbundenen Verstoß gegen das verfassungsgesetzliche Verbot eines Zwangs zur Selbstbezichtigung nach Artikel 90, Absatz 2, B-VG. Das Oberlandesgericht habe nämlich als Berufungsgericht wohl zutreffend erkannt, dass das Erstgericht rechtsfehlerhaft bei der Strafbemessung die mangelnde Schuldeinsicht des Angeklagten und seine zuletzt leugnende Verantwortung berücksichtigt hatte, die damit verbundene Grundrechtsverletzung jedoch nicht spür- und messbar ausgeglichen, weil es von einer Herabsetzung der Strafe abgesehen habe.

Damit ist er nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß Paragraph 295, StPO enthält das Urteil des Berufungsgerichts der Sache nach stets einen eigenständigen Sanktionsausspruch, der jenen des Erstgerichts ersetzt. Sogar dann, wenn das Berufungsgericht sich im Rahmen eines Berufungspunkts von einer Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs überzeugt (Paragraph 281, Absatz eins, Ziffer 11, StPO), kassiert es den betroffenen Ausspruch nicht, sondern ersetzt ihn durch einen eigenen Ausspruch vergleiche Ratz, WK-StPO Paragraph 295, Rz 2, 4).

Indem das Berufungsgericht im vorliegenden Fall - anders als das Erstgericht - seinen Strafausspruch in den Entscheidungsgründen ausdrücklich nicht (auch) darauf stützte, dass der Angeklagte sich nicht schuldeinsichtig gezeigt und sich letztlich leugnend verantwortet hat, haftet dem Strafausspruch ein Verstoß gegen Artikel 6, Absatz eins, MRK und Artikel 90, Absatz 2, B-VG nicht an. Die vom Oberlandesgericht ausdrücklich als „rechtsfehlerhaft“ bezeichnete Strafzumessungsbegründung der Erstrichterin wurde vielmehr - unbeschadet dessen, dass das Berufungsgericht, wenngleich (auch) aus anderen Gründen als das Erstgericht, im Ergebnis zum selben Strafausmaß fand - gänzlich beseitigt. Anders als im Fall unangemessen langer Verfahrensdauer, die nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann und demzufolge auf andere Art ausgeglichen werden muss, bedurfte es daher - dem Antragsvorbringen zuwider - keines messbaren Ausgleichs der dem Erstgericht vorgeworfenen Grundrechtsverletzung in Form einer Reduktion der von diesem ausgesprochenen Freiheitsstrafe.

Ebenso wenig dringt der Antragsteller mit der Geltendmachung unangemessen langer Verfahrensdauer als (weiterem) Verstoß gegen Artikel 6, Absatz eins, MRK durch.

Eine Antragstellung gemäß Paragraph 363 a, StPO vor Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR ist unter analoger Anwendung des Paragraph 35, Absatz eins, MRK nur dann zulässig, wenn die von Artikel 34, MRK verlangte Opfereigenschaft fortbesteht, der innerstaatliche Instanzenzug ausgeschöpft und eine sechsmonatige Frist nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung eingehalten wurde (RIS-Justiz RS0122737).

Dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung wurde entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen, durch die in der innerstaatlichen Rechtsordnung vorgesehenen Instanzen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften vor diesen Instanzen vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vergleiche Grabenwarter/Pabel Europäische Menschenrechtskonvention5 Paragraph 13, Rz 19, 31).

Nach der Rechtsprechung des EGMR ist der Fristsetzungsantrag gemäß Paragraph 91, GOG ein wirksamer und ausreichender Rechtsbehelf zur Verhütung einer unangemessen langen Dauer des Verfahrens bzw zur Hintanhaltung ungebührlicher Verzögerungen (RIS-Justiz RS0121231, RS0123544, RS0122737 [T7]; EGMR 30. 1. 2001, Holzinger gegen Österreich = ÖJZ 2001/14 [MRK], 478).

Ist eine rasche Erledigung einer gegen ihn erhobenen Anklage aber unabhängig vom Ausgang des Verfahrens schon deshalb im Interesse des Angeklagten gelegen, weil dadurch der ihn belastende Schwebezustand beendet wird, so ist ihm bei Untätigkeit des zur Entscheidung berufenen Erstgerichts zur Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs die Einbringung eines Fristsetzungsantrags gemäß Paragraph 91, GOG abzuverlangen vergleiche zum Ganzen 12 Os 125/08m).

Das trifft - entgegen der Auffassung des Erneuerungswerbers - auch im gegenständlichen Fall zu.

Richtig ist zwar, dass der Antragsteller bzw sein Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Josefstadt am 20. Jänner 2011 die Übermittlung des Aktes an die Staatsanwaltschaft zur Prüfung des gegen einen weiteren Angeklagten, nämlich den Kontrahenten des Erneuerungswerbers, gerichteten Verdachts der Nötigung und dauernden Sachentziehung begehrte (ON 12 S 15), worauf die Staatsanwaltschaft, bei welcher der Akt nach Übertragung des Hauptverhandlungsprotokolls am 7. Februar 2011 einlangte (ON 1 S 3), - nach Auffassung des Erneuerungswerbers nach einer Phase der Untätigkeit erst - am 23. Mai 2011 den bisherigen Strafantrag gegen einen nunmehr beim Landesgericht für Strafsachen Wien überreichten Strafantrag austauschte (ON 13).

Dessen unbeschadet befand sich das Verfahren gegen den Erneuerungswerber aber auch im Zeitraum von 7. Februar bis 23. Mai 2011 beim Bezirksgericht Josefstadt im Stadium der Hauptverhandlung; mit der Behauptung einer „Rückleitung“ des Verfahrens (iSd früheren Judikatur zu Paragraph 276, StPO in der Fassung vor dem BGBl römisch eins 2007/93) argumentiert der Antrag gesetzesfremd vergleiche Danek, WK-StPO Paragraph 276, Rz 12). Dem Antragsvorbringen zuwider wäre daher in Ansehung der Anberaumung eines weiteren Termins für die Hauptverhandlung einem an dieses Gericht gerichteten Fristsetzungsantrag gemäß Paragraph 91, GOG kein Hindernis entgegengestanden.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Antragstellers - war der Antrag auf Erneuerung des Verfahrens daher zurückzuweisen (Paragraph 363 b, Absatz eins und Absatz 2, Ziffer 3, StPO).

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E100231

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2012:0150OS00174.11V.0229.000

Im RIS seit

07.04.2012

Zuletzt aktualisiert am

15.06.2015

Dokumentnummer

JJT_20120229_OGH0002_0150OS00174_11V0000_000

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