Entscheidungstext 14Os65/08b

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Strafrecht

Geschäftszahl

14Os65/08b

Entscheidungsdatum

27.05.2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Mai 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und die Hofrätin des Obersten Gerichtshof Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Nowak als Schriftführer in der Strafsache gegen Ramazan G***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach Paragraph 28 a, Absatz eins, fünfter Fall, Absatz 2, Ziffer eins und Absatz 4, Ziffer 3, SMG (Paragraph 28, Absatz 2, vierter Fall, Absatz 3, erster Fall und Absatz 4, Ziffer 3, SMG aF) und anderer strafbarer Handlungen, AZ 34 Hv 2/08v (früher: AZ 30 Ur 73/07h) des Landesgerichts Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Werner R***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 8. April 2008, AZ 7 Bs 174/08h (ON 241), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Werner R***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Gemäß Paragraph 8, GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 700 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Am 2. Oktober 2007 brachte die Staatsanwaltschaft gegen Werner R***** die - beim Landesgericht Innsbruck am 3. Oktober 2007 eingelangte - Anklageschrift (ON 165) unter anderem wegen dem Verbrechen des Suchtgifthandels nach Paragraph 28 a, Absatz eins, fünfter Fall, Absatz 2, Ziffer eins und Absatz 4, Ziffer 3, SMG subsumierbarer Taten ein. Über den dagegen erhobenen Einspruch des Genannten erkannte das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 20. November 2007, AZ 7 Bs 499/07a, 7 Bs 520/07i (ON 195), dahin, dass der Anklage Folge gegeben wird und zahlreiche (namentlich genannte) Zeugen zur Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Innsbruck als Schöffengericht zu laden sind.

Am 23. November 2007 wurde der zu diesem Zeitpunkt 16 Bände umfassende Akt in der Abteilung 24 Hv des Landesgerichts Innsbruck anhängig. Der Vorsitzende des Schöffengerichts beraumte am 14. Dezember 2007 für 25. Jänner 2008 die Hauptverhandlung an (ON 210). Am 24. Jänner 2008 wurde die Hauptverhandlung wegen Erkrankung des Vorsitzenden abberaumt (ON 218).

Zufolge einer am 1. Februar 2008 in Kraft getretenen Änderung der Geschäftsverteilung (S 33 der Geschäftsverteilungsübersicht des Landesgerichts Innsbruck, Jv 4900-7/07) wurde für das gegenständliche Strafverfahren die Gerichtsabteilung 38, deren Vorsitzender Dr. Hofer ist, zuständig; das Verfahren wurde demzufolge noch am 1. Februar 2008 an diese Gerichtsabteilung abgetreten (ON 221). Am 4. Februar 2008 legte Dr. Hofer den Strafakt der Präsidentin des Landesgerichts Innsbruck mit der Anzeige seiner Ausgeschlossenheit vor (Paragraph 44, Absatz 2, StPO), weil er im Vorverfahren als Untersuchungsrichter tätig gewesen war (Paragraph 43, Absatz 2, StPO; ON 222).

Mit Beschluss der Präsidentin des Landesgerichts Innsbruck vom 5. Februar 2008 wurde das Strafverfahren wegen Ausgeschlossenheit des Richters Dr. Hofer seinem Stellvertreter, dem Richter des Landesgerichts Innsbruck Dr. Böhler (Vorsitzender der Abteilung 39 Hv) übertragen (ON 223). Letztgenannter legte den Akt am 13. Februar 2008 der Präsidentin des Landesgerichts Innsbruck mit der Anzeige seiner „allfälligen Befangenheit nach Paragraph 43, Absatz eins, Ziffer 3, StPO" vor (ON 224).

Mit Beschluss vom 15. Februar 2008 (ON 225) sprach die Präsidentin des Landesgerichts Innsbruck aus, dass der Richter des Landesgerichts Innsbruck Dr. Böhler vom in Rede stehenden Strafverfahren nicht ausgeschlossen ist.

Zufolge der mit 1. März 2008 neuerlich geänderten Geschäftsverteilung des Landesgerichts Innsbruck trat der Vorsitzende der Abteilung 39 Hv das Verfahren am 3. März 2008 an die nun zuständige Gerichtsabteilung 34 ab (S 30 der Geschäftsverteilungsübersicht des Landesgerichts Innsbruck, Jv 4900-7/07).

Infolge eines am 5. März 2008 beim Landesgericht Innsbruck eingelangten Enthaftungsantrags (ON 230) wurde am 14. März 2008 eine Haftverhandlung durchgeführt; mit unter einem ergangenen Beschluss der Vorsitzenden des Schöffengerichts wurde die über Werner R***** am 22. Juni 2007 verhängte (ON 47) und bereits wiederholt fortgesetzte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach Paragraph 173, Absatz 2, Ziffer 3, Litera a und Litera b, StPO neuerlich fortgesetzt (ON 234). Am 7. April 2008 beraumte die Vorsitzende die Hauptverhandlung für 8., 15. und 20. Mai 2008 an und verfügte die Ladung von 22 Zeugen (ON 238).

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 8. April 2008, AZ 7 Bs 174/08h (ON 241), gab das Oberlandesgericht Innsbruck der gegen die von der Vorsitzenden am 14. März 2008 beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft erhobenen Beschwerde des Werner R***** nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem schon vom Erstgericht angenommenen Haftgrund fort.

Nach den - von Werner R***** im gegenständlichen Grundrechtsbeschwerde nicht bestrittenen - Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts ist der Genannte (bei Vorliegen der Voraussetzungen des Paragraph 39, StGB) dringend verdächtig, A. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge (Paragraph 28 b, SMG; Paragraph 28, Absatz 6, SMG aF) in Verkehr gesetzt zu haben, und zwar zwischen 2005 und Juni 2007 durch gewerbsmäßigen Verkauf mehrerer (zumindest fünf) Kilogramm sehr hochwertigen Kokains sowie nicht mehr feststellbarer Mengen von Cannabisprodukten (in zweistelligem Kilogrammbereich) an Ramazan G*****, die gesondert verfolgten Rupert K*****, Rupert M*****, Peter S*****, Herbert Kl***** und weitere Personen im Verlauf zahlloser, zeitlich jeweils knapp aufeinanderfolgender Teilgeschäfte, wobei er die Tat mit Beziehung auf Suchtgifte begangen hat, deren Menge das 25-fache der im Paragraph 28 b, SMG (Paragraph 28, Absatz 6, SMG aF) angeführten Menge übersteigt; B. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift erworben, besessen und anderen überlassen zu haben und zwar zwischen 2005 und 19. Juni 2007 durch Erwerb nicht mehr feststellbarer Mengen von Cannabisprodukten und Kokain bei Unbekannten für den Eigenbedarf; C. am und vor dem 19. Juni 2007 Waffen und Munition, nämlich ein Elektroschockgerät der Marke „Scorpion 200" KH Security mit integriertem Pfefferspray, einen Zimmerstutzen, Kal. 4 mm Flobert, ein Luftdruckgewehr Marke „Diana" Mod. 25 D, Kal. 4,5, einen Säbel mit Klingenaufschrift „Eckhorn", Klingenlänge 81 cm, zwei Packungen Flobertpatronen, Kal. 4 mm der Marke RWS, sowie 99 Stück Patronen, Kal. 357 Magnum der Marke Hirtenberg mit Teilmantelflachkopfprojektilen besessen zu haben, obwohl ihm dies gemäß Paragraph 12, WaffG verboten ist (Waffenverbot der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 4. Juli 1980, WA 2114/67 gültig bis 4. Juni 2008).

Das Oberlandesgericht legte solcherart seiner Entscheidung die in seinem Beschluss vom 20. November 2007 (AZ 7 Bs 499/07a, 7 Bs 520/07i; ON 195) angeführten Sachverhaltsannahmen und Erwägungen zugrunde (BS 5). Zum Haftgrund führte das Beschwerdegericht - unter Verweis auf die für zutreffend erachteten Überlegungen des Erstgerichts (BS 5 f) - aus, dass „aufgrund der massiven Vorstrafenbelastung des Angeklagten, des von ihm zugestandenen Suchtmittelkonsums und seiner Kontakte zur Suchtgiftszene" zu befürchten sei, er werde „ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens abermals einschlägige strafbare Handlungen mit schweren Folgen begehen, die gegen das selbe Rechtsgut gerichtet sind wie die ihm hier vorgeworfenen strafbaren Handlungen, um sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen".

Weiters pflichtete das Oberlandesgericht dem Erstgericht darin bei, dass der Haftgrund in einer Intensität vorliege, die die Anwendung gelinderer Mittel zur Hintanhaltung der Tatbegehungsgefahr nicht ausreichend erscheinen lässt.

Insbesondere mit Blick auf die Sanktionsdrohung von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe - „wobei aufgrund der fakultativ beim Angeklagten anzuwendenden Strafzumessungsvorschrift des Paragraph 39, StGB unter Beachtung des Paragraph 39, Absatz eins, letzter Satz StGB die mögliche Strafdrohung bis zu 20 Jahren Freiheitsstrafe reicht" - hat das Oberlandesgericht die Haft nicht als unverhältnismäßig bewertet (BS 11).

Die gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts gerichtete Grundrechtsbeschwerde ist teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zwar missachtet die unsubstantiierte Kritik, der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr im Sinne des Paragraph 180, Absatz 2, Ziffer 3, Litera a und b StPO (gemeint: Paragraph 173, Absatz 2, Ziffer 3, Litera a und b StPO) sei „unrichtig beurteilt" worden und liege nicht vor, die (zutreffenden) Erwägungen des Oberlandesgerichts und wird solcherart der Vorschrift des Paragraph 3, Absatz eins, GRBG ebenso wenig gerecht, wie die (im Übrigen ohne Erschöpfung des Instanzenzugs erhobene; RIS-Justiz RS0114487) unbegründete These, die Untersuchungshaft wäre „von Anfang an" durch gelindere Mittel substituierbar gewesen und hat das Oberlandesgericht entgegen weiterer Beschwerdeargumentation die zum Entscheidungszeitpunkt etwas mehr als neun Monate andauernde Haft angesichts der durch die angeschuldigten Taten des vielfach vorbestraften (bei Vorliegen der Voraussetzungen des Paragraph 39, StGB) Inhaftierten mutmaßlich in Verkehr gesetzten Suchtgiftmenge (die das 25-fache der im Paragraph 28 b, SMG beschriebenen Grenzmenge weit übersteigt) und dem an Paragraph 28 a, Absatz 4, SMG orientierten Strafsatz zutreffend als verhältnismäßig beurteilt. Insoweit die Grundrechtsbeschwerde jedoch einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen releviert, weil in der gegenständlichen Strafsache in der Zeit von 25. Jänner 2008 bis 10. April 2008 „überhaupt nichts passiert" sei, erst am 10. April 2008 (richtig: 7. April 2008; ON 238) die Hauptverhandlung für den 8. Mai 2008 anberaumt worden sei und „tatsächlich seit Anklageerhebung am 2. Oktober 2007 bis heute gar nichts geschehen" sei, ist sie berechtigt:

Paragraphen 9, Absatz 2 und 177 Absatz eins, StPO verpflichten alle im Strafverfahren beteiligten Behörden, Einrichtungen und Personen auf eine möglichst kurze Dauer der Haft hinzuwirken; Verfahren in denen ein Beschuldigter in Haft gehalten wird, sind mit besonderer Beschleunigung zu führen, jeder verhaftete Beschuldigte hat Anspruch auf ehestmögliche Urteilsfällung.

Der Oberste Gerichtshof prüft hinsichtlich der den Gerichten zukommenden Aufgaben (Paragraph eins, Absatz eins, GRGB), ob diese alles ihnen Mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben; eine ins Gewicht fallende Säumigkeit in Haftsachen ist auch ohne Verletzung des Paragraph 173, Absatz eins, zweiter Satz StPO grundrechtswidrig im Sinne einer Verletzung der Paragraphen 9, Absatz 2 und 177 Absatz eins, StPO (RIS-Justiz RS0120790; vergleiche auch Reiter, Grundrechtsschutz durch den OGH - Neuere Entwicklungen in der Judikatur zur Grundrechtsbeschwerde, ÖJZ 2007, 394 f). Angesichts dessen, dass das Oberlandesgericht der Anklage bereits am 20. November 2007 Folge gegeben und bis zum Zeitpunkt der nun bekämpften Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 8. April 2008 (sohin nach rund viereinhalb Monaten) noch immer keine Hauptverhandlung stattgefunden hat, vielmehr erst am Vortag dieser Entscheidung (neuerlich) eine Hauptverhandlung ausgeschrieben wurde, kann keine Rede davon sein, dass das Gericht alles ihm mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen hat; im Gegenteil, es liegt eine durchaus ins Gewicht fallende Säumigkeit in einer Haftsache vor. Fallaktuell mag es zwar zutreffen, dass weder ein „Verschieben" des gegenständlichen Akts „von einer Geschäftsstelle in die andere" - wie die Beschwerde behauptet - noch eine Untätigkeit der/des jeweils mit dem Strafverfahren befassten Vorsitzenden des Schöffengerichts vorlag (die Ausschreibung und organisatorische Planung der über mehrere Tage gehenden Hauptverhandlung in einem umfangreichen und schwierigen Verfahren mit einem im Wesentlichen leugnenden Angeklagten erfordert zweifellos zeitintensives Verschaffen umfassender Aktenkenntnis). Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren ist es jedoch ohne Belang, ob den einzelnen Richter (Vorsitzenden) an der insgesamt eingetretenen Säumigkeit auf Seiten des Gerichts ein Verschulden trifft, denn es obliegt dem Staat, das Grundrecht zu gewährleisten (15 Os 24/07d mwN = EvBl 2007/112; vergleiche auch 14 Os 43/07s). Maßgeblich ist allein, ob die ins Gewicht fallende Säumigkeit den Gerichten zuzurechnen ist (Paragraph eins, Absatz eins, GRBG), was hier ohne Zweifel zutrifft. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, dass Haftsachen auch dann, wenn (jeweils) zuständige Richter in Folge von Ausgeschlossenheit, Krankheit oder Überbelastung (was gegenständlich Änderungen der Geschäftsverteilung nach sich zog) verhindert sind, bevorzugt einer beschleunigten Bearbeitung und Erledigung zugeführt werden.

Im Hinblick darauf, dass das Oberlandesgericht als Kontrollinstanz in seiner Entscheidung vom 8. April 2008 nicht aussprach, dass durch die gegenständliche erhebliche Verzögerung der Anberaumung und Durchführung einer Hauptverhandlung das Beschleunigungsgebot verletzt wurde, es einen solchen Verstoß vielmehr ausdrücklich verneinte, wurde Werner R***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt vergleiche 14 Os 13/08f).

Dass es keiner Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft bedarf (Paragraph 7, Absatz eins, GRBG), wurde bereits erörtert.

Da das Erkenntnis - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - im Sinne der Feststellung einer Grundrechtsverletzung stattgebend ausfiel, hatte die Kostenfolge des Paragraph 8, GRBG einzutreten.

Anmerkung

E87555 14Os65.08b

Schlagworte

Kennung XPUBL Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in EvBl 2008/137 S 686 - EvBl 2008,686 = AnwBl 2009,52 XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0140OS00065.08B.0527.000

Zuletzt aktualisiert am

02.06.2009

Dokumentnummer

JJT_20080527_OGH0002_0140OS00065_08B0000_000

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