Entscheidungstext 10ObS52/91

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Geschäftszahl

10ObS52/91

Entscheidungsdatum

26.02.1991

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf (Arbeitgeber) und Otto Schmitz (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Horst S*****, Hilfsarbeiter, ***** vertreten durch Dr. Wilhelm Häusler, Rechtsanwalt in Wr.Neustadt, wider die beklagte Partei NIEDERÖSTERREICHISCHE GEBIETSKRANKENKASSE, 3100 St.Pölten, Dr. Karl Renner-Promenade 14 - 16, vertreten durch Dr. Adolf Lientscher, Rechtsanwalt in St.Pölten, wegen Leistungen aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. November 1990, GZ 33 Rs 188/90-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27. Juli 1990, GZ 4 Cgs 113/90-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Aus Anlaß der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren insoweit, als sie das Begehren des Klägers auf Leistung der Krankenbehandlung betreffen, als nichtig aufgehoben.

Das auf Gewährung der Krankenbehandlung gerichtete Klagebegehren

wird zurückgewiesen.

Im übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Die das Klagebegehren auf Gewährung von Krankengeld und "sonstige Leistungen in der gesetzlichen Höhe" betreffenden Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die beklagte Partei lehnte unter Bedachtnahme auf Paragraphen 100,, 120 und 138 ASVG mit Bescheid vom 10. April 1990 den Antrag des am 31. Juli 1963 geborenen Klägers auf Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit über den 8. Februar 1990 hinaus ab. Zur Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, daß der Kläger am 5. Februar 1990 von einem praktischen Arzt krankgeschrieben und der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit daher an diesem Tag eingetreten sei. Anläßlich einer eingehenden Untersuchung durch den kontrollärztlichen Dienst der Kasse am 8. Februar 1990 sei festgestellt worden, daß nach dem bestehenden Krankheitsbild Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht mehr gegeben und der Kläger ab 9. Februar 1990 in der Lage sei, seiner ausgeübten Beschäftigung nachzugehen. Der Anspruch auf eine laufende Leistung aus der Krankenversicherung erlösche ohne weiteres Verfahren, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch weggefallen seien.

Der Kläger begehrte mit seiner Klage, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm über den 8. Februar 1990 hinaus Arbeitsunfähigkeit anzuerkennen und Krankengeld, Krankenbehandlung und die sonstigen Leistungen in der gesetzlichen Höhe zu gewähren. Er brachte vor, er sei vom 5. Februar bis 8. April 1990 in seinem Beruf arbeitsunfähig und auf Grund des Leidenszustandes, insbesondere der Wirbelsäulen- und Gelenksbeschwerden, nicht imstande gewesen, seiner schweren Arbeit nachzugehen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wiederholte ihren im Bescheid dargelegten Standpunkt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß beim Kläger die Lendenwirbelsäule bis auf eine unbedeutende skoliotische Fehlhaltung unauffällig sei. Kreuzschmerzen seien aber auch bei einem unauffälligen Befund, z.B. bei einem Lumbago möglich. Solche Kreuzschmerzen würden aber bei entsprechender Behandlung rasch wieder abklingen. Lang dauernde Krankenstände seien in der Regel nicht gerechtfertigt. Ein Krankenstand von einigen Tagen sei in der Regel ausreichend; falls dann noch immer Restbeschwerden bestehen, könnten diese physikalisch auch nach der Arbeitszeit ohne Krankenstand behandelt werden. Dies gelte auch für den vorliegenden Fall. Bei der Kontrolluntersuchung am 8. Februar 1990 habe sich ein klinisch unauffälliger Befund gezeigt. Die dem Kläger verordneten zehn physikalischen Behandlungen hätten ohne Krankenstand konsumiert werden können. Ab 9. Februar 1990 sei die Konsumation eines Krankenstandes nicht erforderlich gewesen. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger auch nach dem 9. Februar 1990 noch arbeitsunfähig gewesen sei. Dem Klagebegehren habe daher ein Erfolg versagt bleiben müssen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens. Dem Berufungswerber möge zugestanden werden, daß Feststellungen fehlten, welche Tätigkeiten er zum Zeitpunkt der beantragten Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit auszuüben gehabt hätte. Dennoch könne er mit der Rechtsrüge nicht durchdringen. Bei der eingehenden Untersuchung durch den kontrollärztlichen Dienst am 8. Februar 1990 sei festgestellt worden, daß nach dem bestehenden Krankheitsbild Arbeitsunfähigkeit des Klägers infolge Krankheit nicht mehr gegeben und er in der Lage gewesen sei, ab 9. Februar 1990 seiner ausgeübten Beschäftigung nachzugehen. Dies habe der gerichtsärztliche Sachverständige bestätigt. Die Ansicht des Erstgerichtes, es fehlten Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger nach dem 8. Februar 1990 noch arbeitsunfähig gewesen sei, könnte mangels irgend einer Einschränkung nur so verstanden werden, daß er ab 9. Februar 1990 überhaupt nicht arbeitsunfähig und somit auch nicht außerstande gewesen sei, seiner bis dahin ausgeübten Erwerbstätigkeit ohne Gefahr einer Schädigung seiner Gesundheit nachzugehen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil "dahingehend abzuändern, daß der Berufung der klagenden Partei Folge gegeben wird, das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und das Verfahren zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen werden".

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlaß der gemäß Paragraph 46, Absatz 3, ASGG zulässigen Revision hat der erkennende Senat erwogen:

Im Bereich der Krankenversicherung (Zweiter Teil des ASVG) kommen Leistungsansprüche verschiedener Art in Frage, die jedoch nur auf Antrag zu gewähren sind. Gemäß Paragraph 67, Absatz eins, Ziffer eins, ASGG darf in einer Leistungssache wie der vorliegenden - vorbehaltlich des Paragraph 68, ASGG - vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. Von den hier nicht relevanten Säumnisfällen abgesehen, setzt daher jede Klage einen Bescheid des Sozialversicherungsträgers voraus; die Entscheidung des Versicherungsträgers muß aber nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes "darüber", d.h. über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch des Versicherten ergangen sein vergleiche Kuderna, ASGG 368, 370; SSV-NF 2/67).

Der vorliegende Bescheid hat nun lediglich über einen Anspruch auf Leistungen aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit abgesprochen. Gemäß Paragraph 177, Ziffer 3, ASVG werden aus diesem Versicherungsfall Krankengeld (Paragraphen 138, - 143 ASVG), gegebenenfalls an dessen Stelle Familien- oder Taggeld (Paragraph 152, ASVG) gewährt. Krankenbehandlung (Paragraphen 133, - 137 ASVG) wird hingegen gemäß Paragraph 117, Ziffer 2, ASVG nur aus dem Versicherungsfall der Krankheit gewährt (Grillberger, Öst. Sozialrecht 28 ff, 31 ff; Tomandl, Grundriß des öst. SozR4 RZ 110 f und 118 f; Binder in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg 200 ff, 227 ff). Da über einen Anspruch auf Krankenbehandlung kein Bescheid der beklagten Partei vorliegt, ist für eine diesen Anspruch geltend machende Klage der Rechtsweg unzulässig und die Klage insoweit gemäß Paragraph 73, ASGG in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen (Kuderna aaO 393 f; vergleiche SSV-NF 4/54, 4/89). Die Unzulässigkeit des Rechtsweges bewirkt auch die Nichtigkeit der davon betroffenen Verfahrensteile (Paragraph 477, Absatz eins, Ziffer 6, ZPO; Fasching ZPR2 Rz 101, 1758). Diese Nichtigkeit war aus Anlaß der zulässigen Revision von Amts wegen wahrzunehmen.

Im übrigen ist die Revision im Sinne ihres Zurückverweisungsantrages berechtigt.

Gemäß Paragraph 120, Absatz eins, Ziffer 2, ASVG tritt der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit mit dem Beginn der durch die Krankheit herbeigeführten Arbeitsunfähigkeit ein.

Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann gleichzeitig mit dem Eintritt des Versicherungsfalles der Krankheit selbst einsetzen oder aber auch erst in einem späteren Zeitpunkt eintreten, nachdem schon einige Zeit Krankheit, die ärztliche Hilfe und die Anwendung von Heilmitteln erforderlich machte, jedoch zunächst Arbeitsunfähigkeit nicht zur Folge hatte, bestanden hat. Aus der gesetzlichen Definition ergibt sich, daß zum Eintritt des Versicherungsfalles der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zur Krankheit selbst der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist. Fällt - wenn auch bei Weiterbestehen der Krankheit - die Arbeitsunfähigkeit weg, so ist dieser Versicherungsfall beendet. Die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist eine Rechtsfrage. Arbeitsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Erkrankte nicht oder doch nur mit Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der Wegfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ist anzunehmen, wenn der Versicherte in der Lage ist, seine arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit wieder aufzunehmen und wenn auf Grund des ärztlichen Befundes beim Versicherten eine Schädigung der Gesundheit oder eine Verschlechterung des Körperzustandes durch die Wiederaufnahme dieser Tätigkeit nicht zu erwarten ist (SSV-NF 1/35, 3/69).

Die erstgerichtlichen und vom Berufungsgericht übernommenen Tatsachenfeststellungen reichen zu einer abschließenden rechtlichen Beurteilung nicht aus. Es wurde weder geprüft, welche arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit der Kläger am 9. Februar 1990 wieder hätte aufnehmen sollen noch auf Grund welcher Umstände er dazu wieder in der Lage gewesen wäre. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes hat das Erstgericht nämlich keineswegs - und auch nicht in dieser allgemeinen

Form - festgestellt, daß der Kläger ab 9. Februar 1990 wieder seiner ausgeübten Beschäftigung hätte nachgehen können; dieser Satz findet sich nämlich nur in der Begründung des angefochtenen Bescheides, diese Begründung wurde im erstgerichtlichen Urteil wörtlich (in Anführungszeichen) wiedergegeben, jedoch nicht zum Gegenstand gerichtlicher Feststellungen gemacht. Die Aussage, ab 9. Februar 1990 sei die "Konsumation eines Krankenstandes" durch den Kläger nicht erforderlich gewesen, ist keine Tatsachenfeststellung, sondern nimmt bereits die rechtliche Beurteilung vorweg. Daß auch die Krankheit selbst schon mit 9. Februar 1990 beendet gewesen sei, ist nach den bisherigen Ergebnissen des Beweisverfahrens noch nicht verläßlich anzunehmen; dagegen könnte auch der Umstand sprechen, daß der Kläger im Zeitraum bis zum 8. April 1990 noch zehn physikalische Behandlungen verabreicht erhielt. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren entsprechende Feststellungen zu treffen haben, die die rechtliche Beurteilung zulassen, ab welchem Zeitpunkt die Arbeitsfähigkeit des Klägers in einem solchen Maße wiederhergestellt war, daß er seine arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit wieder aufnehmen konnte.

Im fortgesetzten Verfahren wird auch zu beachten sein, daß das noch unerledigte Klagebegehren auf Gewährung "sonstiger Leistungen" (aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit) im Sinne der obigen Ausführungen unbestimmt ist und vom Kläger zu präzisieren sein wird vergleiche SSV-NF 1/35).

Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war auch das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und die Streitsache im aufgezeigten Umfang an das Erstgericht zurückzuverweisen (Paragraph 510, Absatz eins, ZPO).

Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, ASGG (SVSlg. 34.165). Eine die nichtigen Verfahrensteile betreffende Kostenentscheidung vergleiche Paragraph 51, ZPO) konnte unterbleiben, weil insoweit besondere Kosten nicht entstanden sind.

Anmerkung

E25338

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00052.91.0226.000

Dokumentnummer

JJT_19910226_OGH0002_010OBS00052_9100000_000

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