Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

27.06.2024

Geschäftszahl

Ra 2023/21/0199

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr.in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des A U, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. November 2023, W284 2281854-1/23E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

römisch eins. zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A.I., soweit damit die Beschwerde gegen die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft ab der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz am 14. November 2023 abgewiesen wurde, sowie in seinen Spruchpunkten A.II. und A.IV. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

römisch II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1             Der Revisionswerber, ein usbekischer Staatsangehöriger, stellte am 9. Oktober 2021 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27. Oktober 2022 wurde dieser Antrag vollinhaltlich abgewiesen. Unter einem wurden gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen sowie ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt. Der Bescheid wurde mit der Post an die damalige Meldeadresse des Revisionswerbers übermittelt, wobei die Sendung als nicht behoben an die Behörde retourniert wurde.

2             Nachdem der Revisionswerber am 13. November 2023 bei der illegalen Beschäftigung auf einer Baustelle betreten und festgenommen worden war, wurde über ihn mit Mandatsbescheid des BFA vom selben Tag gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt.

3             Im Zuge einer Einvernahme durch ein Organ des BFA am 14. November 2023 stellte der Revisionswerber laut aktenkundiger Niederschrift einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. In einem Aktenvermerk vom selben Tag hielt das BFA dazu fest, dass iSd § 76 Abs. 6 FPG Gründe zur Annahme bestünden, der Antrag auf internationalen Schutz sei (nur) zur Verzögerung der Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden.

4             Mit Schriftsatz vom 24. November 2023 erhob der Revisionswerber gegen den Schubhaftbescheid vom 13. November 2023 und seine darauf gegründete Anhaltung Beschwerde, in der er unter anderem vorbrachte, den seinen Antrag auf internationalen Schutz abweisenden Bescheid nie erhalten zu haben, wobei er auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. Das „Erst-Asylverfahren“ sei somit noch anhängig, sodass eine „Inschubhaftnahme“ zur Sicherung der Abschiebung nicht zulässig gewesen sei.

5             Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. November 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.) und stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Überdies wies es den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG ab (Spruchpunkt A.III.) und verpflichtete den Revisionswerber gemäß § 35 Abs. 1 und 3 VwGVG zum Aufwandersatz an den Bund (Spruchpunkt A.IV.). Schließlich sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

6             Das BVwG legte - soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren von Relevanz - zugrunde, der Revisionswerber sei zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides über die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz vom 27. Oktober 2022 an seiner damaligen Meldeadresse wohnhaft gewesen, nicht mehr jedoch zum Zeitpunkt der Zustellung eines später ergangenen Mitwirkungsbescheides vom 31. Mai 2023. Überdies stellte es entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers fest, dieser habe keinen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

7             In rechtlicher Hinsicht ging das BVwG mit näherer Begründung davon aus, dass das BFA nicht am Weiterbestehen der im Zentralen Melderegister (ZMR) eingetragenen Adresse als Abgabestelle habe zweifeln müssen. Der Bescheid vom 27. Oktober 2022 sei - das ergebe sich auch aus dem vorgelegten Zustellnachweis (Rückschein) - somit ordnungsgemäß zugestellt worden.

8             Das BVwG bejahte die Erfüllung der Fluchtgefahrtatbestände des § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 5 und 9 FPG und das Vorliegen eines die Verhängung (und Aufrechterhaltung von) Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs. Des Weiteren legte es dar, dass die Schubhaft auch im Hinblick auf die Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates verhältnismäßig sei. Schließlich führte es aus, dass der Revisionswerber „mangels Asylfolgeantragstellung“ auch kein Asylwerber sei und daher - entgegen der Meinung in der Beschwerde - auch keinen Anspruch auf Unterbringung im Rahmen der Grundversorgung habe.

9             Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

10           Soweit die Revision gegen die Abweisung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen seine Anhaltung in Schubhaft ab der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz am 14. November 2023 in Spruchpunkt A.I. und gegen den mit Spruchpunkt A.II. getroffenen (positiven) Fortsetzungsausspruch sowie gegen die Auferlegung der Aufwandersatzpflicht mit Spruchpunkt A.IV. des angefochtenen Erkenntnisses gerichtet ist, erweist sie sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt.

11           Die Revision rügt in dieser Hinsicht nämlich zu Recht die Aktenwidrigkeit der Feststellung des BVwG, der Revisionswerber habe im Stande der Schubhaft keinen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt. So ist aus der in den Akten enthaltenen Niederschrift der Vernehmung des Revisionswerbers vom 14. November 2023 - wie bereits in Rn. 3 erwähnt - eindeutig ersichtlich, dass er während dieser Vernehmung einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Weiters ist der daraufhin vom BFA erstellte Aktenvermerk über die Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG ebenfalls aktenkundig und das BFA führte in seiner Stellungnahme zur Beschwerde vom 24. November 2023 selbst aus, der Revisionsweber habe am 14. November 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

12           Aufgrund der aktenwidrigen Annahme, der Revisionswerber habe im Stande der Schubhaft keinen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt, unterließ das BVwG dann aber auch die nachträgliche Kontrolle des Vorliegens der Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft ab dem 14. November 2023 nach § 76 Abs. 6 FPG und - im Rahmen des Fortsetzungsausspruches nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - die Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG (siehe dazu VwGH 8.4.2021, Ra 2021/21/0076, Rn. 13, sowie VwGH 23.5.2024, Ra 2022/21/0061, Rn. 10, jeweils mwN).

13           Das angefochtene Erkenntnis ist daher in seinem Spruchpunkt A.I., soweit damit die Beschwerde gegen die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft ab der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz am 14. November 2023 abgewiesen wurde, und im Fortsetzungsausspruch gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG (Spruchpunkt A.II.) mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

14           Dies muss auch auf die Kostenentscheidung im Spruchpunkt A.IV. des angefochtenen Erkenntnisses durchschlagen, weil noch nicht feststeht, dass der Revisionswerber als zur Gänze endgültig unterlegen zu betrachten ist, was der Verpflichtung des Revisionswerbers zum Aufwandersatz nach dem gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG auch in Schubhaftbeschwerdeverfahren anwendbaren § 35 VwGVG in diesem Verfahrensstadium entgegensteht (vgl. etwa VwGH 23.5.2024, Ra 2022/21/0077, Rn. 22, mwN).

15           Soweit sich die Revision gegen die Abweisung der Schubhaftbeschwerde im Hinblick auf den Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung des Revisionswerbers bis zur Stellung des Antrages auf internationalen Schutz am 14. November 2023 richtet, erweist sie sich hingegen unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig.

16           Diesbezüglich macht der Revisionswerber - der die Annahme des BVwG, es lägen ein die Verhängung von Schubhaft rechtfertigender Sicherungsbedarf sowie Fluchtgefahr vor, nicht bestreitet - in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nur geltend, das BVwG hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, um zu klären, „wo ich bei Zustellung des Erstbescheides vom 27.10.2022 tatsächlich gewohnt hatte“.

17           Mit diesem Vorbringen tritt der Revisionswerber den oben in Rn. 6/7 wiedergegebenen Erwägungen des BVwG zum Vorliegen einer tauglichen Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustG zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 27. Oktober 2022 jedoch nicht ausreichend konkret entgegen. Der Revisionswerber stellte auch im gesamten Verfahren vor dem BFA und dem BVwG nicht die Behauptung auf, an der damaligen Meldeadresse nicht tatsächlich gewohnt zu haben. Vielmehr führte er in der Schubhaftbeschwerde lediglich ohne nähere Konkretisierung ins Treffen, im Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes ergangene Ladungen und den Bescheid „nicht bekommen“ zu haben. Vor diesem Hintergrund war es jedenfalls vertretbar, dass das BVwG in Bezug auf die Feststellung, dass es sich bei der damaligen Meldeadresse auch tatsächlich um die Wohnung des Revisionswerbers gehandelt habe, von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG ausging.

18           Der Revisionswerber bringt schließlich auch noch vor, die Frage, ob und wo ein näher bezeichneter Bediensteter des BFA als ausfolgendes Organ die Übergabebestätigung betreffend den Schubhaftbescheid unterfertigt habe, wäre vom BVwG im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu klären gewesen.

19           Auch mit diesem Vorbringen - womit der Revisionswerber offenbar die Wirksamkeit der Zustellung des Schubhaftbescheides in Frage stellt - vermag der Revisionswerber schon angesichts der aktenkundigen, von ihm unterschriebenen, mit 13. November 2023 datierten Übernahmebestätigung keine Verletzung der Verhandlungspflicht aufzuzeigen.

20           In Bezug auf die Abweisung der Schubhaftbeschwerde (Spruchpunkt A.I.) im Hinblick auf den Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung des Revisionswerbers bis zur Stellung des Antrages auf internationalen Schutz am 14. November 2023 zeigt die Revision somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Dies gilt auch für die Abweisung des Kostenbegehrens des Revisionswerbers mit Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses. Denn nach dem oben Gesagten ist der Revisionswerber hinsichtlich eines Teiles der vom BVwG zu beurteilenden Schubhaft als endgültig unterlegen zu betrachten. Das steht einem Kostenersatz nach dem gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG auch im Schubhaftbeschwerdeverfahren anwendbaren § 35 VwGVG entgegen (vgl. neuerlich VwGH 23.5.2024, Ra 2022/21/0077, nunmehr Rn. 16, mwN).

21           Das angefochtene Erkenntnis war somit in dem aus Spruchpunkt I. ersichtlichen Umfang in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c VwGG aufzuheben. Im Übrigen war die Revision dagegen gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG mit Beschluss zurückzuweisen.

22           Von der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 bzw. Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

23           Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Juni 2024

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023210199.L00