Verwaltungsgerichtshof
27.06.2024
Ra 2023/21/0163
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des A Z, vertreten durch Mag.a Hela Ayni-Rahmanzai, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Invalidenstraße 11/Top 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 2023, W105 2275255-1/3E, betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Dem Revisionswerber, einem afghanischen Staatsangehörigen, wurde im Beschwerdeweg mit am 3. September 2020 mündlich verkündetem und sodann mit 18. September 2020 gekürzt ausgefertigtem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. September 2020 war der Revisionswerber wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt worden. Dem Urteil lag zugrunde, der Revisionswerber habe am 13. August 2020 einem verdeckten Ermittler im Bereich einer näher genannten U-Bahnstation ein Gramm Marihuana gegen ein Entgelt von € 10,-- überlassen.
3 Am 28. September 2020 und inhaltsgleich am 25. November 2021 beantragte der Revisionswerber die Ausstellung eines Konventionsreisepasses. Mit Bescheid vom 19. Juni 2023 wies das BFA diese Anträge schließlich gemäß § 94 Abs. 5 iVm § 92 Abs. 1 Z 3 FPG im Wesentlichen mit der Begründung ab, das zur Verurteilung führende Fehlverhalten des Revisionswerbers rechtfertige die Annahme, er werde den Konventionsreisepass dazu benützen, um gegen Bestimmungen des SMG zu verstoßen.
4 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber im Wesentlichen vor, er bereue sein einmaliges Fehlverhalten, habe sich nunmehr fast drei Jahre wohlverhalten, keinen Kontakt mehr zu den Personen, durch die er auf die „falsche Bahn“ geraten sei, und führe ein geregeltes Familienleben mit seiner Frau und seinen Kindern.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. September 2023 wies das BVwG die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 In seiner Begründung verwies das BVwG auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur erfahrungsgemäß überaus hohen Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelikten und ging unter anderem davon aus, dass der seit der Tatbegehung verstrichene Zeitraum von nur knapp mehr als drei Jahren nicht ausreiche, um die vom Revisionswerber ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Suchtgiftdelikte als weggefallen oder auch nur entscheidend gemindert ansehen zu können. Auch der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis VwGH 24.1.2012, 2008/18/0504, die Versagung eines Konventionsreisepasses gegenüber einem Beschwerdeführer, der wegen seines Beitrags zu einem Suchtgiftdelikt zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden sei, bei einem vergleichbar langen Wohlverhaltenszeitraum nicht als rechtswidrig erkannt.
7 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei. In der Beschwerde seien keine Sachverhaltselemente aufgezeigt worden, die einer mündlichen Erörterung bedurft hätten.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
9 Die Revision erweist sich - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - aus den nachstehend angeführten Gründen unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.
10 Dem Revisionswerber kommt infolge des am 3. September 2020 mündlich verkündeten und mit 18. September 2020 gekürzt ausgefertigten Erkenntnisses des BVwG der Status eines Asylberechtigten zu, sodass ihm gemäß § 94 Abs. 1 FPG grundsätzlich auf Antrag ein Konventionsreisepass auszustellen ist. Allerdings gelten gemäß § 94 Abs. 5 FPG der § 88 Abs. 4 FPG sowie die §§ 89 bis 93 FPG (insbesondere die Versagungsgründe nach § 92 FPG), die sich auf Fremdenpässe beziehen, auch für Konventionsreisepässe. Die genannten innerstaatlichen Bestimmungen sind vor dem Hintergrund der entsprechenden unionsrechtlichen Regelung, nämlich Art. 25 Abs. 1 der Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU), auszulegen. Danach ist einem anerkannten Flüchtling ein Reisepapier auszustellen, es sei denn, es stünden zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegen (vgl. idS auch Art. 28 Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention).
11 Das BVwG hat die Versagung des Konventionsreisepasses auf § 94 Abs. 5 iVm § 92 Abs. 1 Z 3 FPG gestützt. Nach diesen Bestimmungen ist ein Konventionsreisepass zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Fremde das Dokument benützen will, um gegen Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes zu verstoßen, womit auch im Sinn der Statusrichtlinie zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung für die Versagung des Passes vorlägen. Im Rahmen der dafür erforderlichen Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände diese Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist, wobei nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist (siehe zum Ganzen VwGH 4.7.2023, Ra 2022/21/0187, Rn. 11/12, mwN).
12 Im Rahmen seiner Gefährdungsprognose nahm das BVwG ausschließlich das bereits Mitte August 2020 begangene geringfügige Vergehen des Revisionswerbers, das zu dessen - einziger - Verurteilung geführt hatte, in den Blick. Auf das Beschwerdevorbringen über die seither geänderten Lebensumstände des Revisionswerbers ging das BVwG jedoch nicht konkret ein. Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des Revisionswerbers unterblieben, obwohl der Revisionswerber - laut Verwaltungsakt - verheiratet und Vater von drei (ebenfalls in Österreich als Asylberechtigte lebenden) Kindern sein dürfte.
13 Das Fehlverhalten des Revisionswerbers, das zur Verhängung einer mittlerweile endgültig nachgesehenen geringen bedingten Strafe führte, betraf außerdem lediglich ein Gramm Marihuana. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses hatte der Zeitraum des Wohlverhaltens bereits drei Jahre überschritten. Um eine negative Gefährdungsprognose iSd § 92 Abs. 1 Z 3 FPG zu rechtfertigen, hätte es daher fallbezogen weiterer konkreter Anhaltspunkte für die Annahme, vom Revisionswerber gehe nach wie vor die Gefahr der Begehung von Suchtgiftdelikten aus und er wolle hierfür den Konventionsreisepass benützen, bedurft, die vom BVwG nicht dargetan wurden. Soweit sich das BVwG in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis VwGH 24.1.2012, 2008/18/0504, beruft, ist daraus für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen. Der diesem Erkenntnis zugrundeliegende Sachverhalt, bei dem der Wohlverhaltenszeitraum ebenfalls rund dreieinhalb Jahre betrug, weist nämlich mit der vielfach größeren Menge der dort gewerbsmäßig in Verkehr gesetzten Drogen (ein Kilogramm Cannabiskraut) einen ganz wesentlichen Unterschied zur vorliegenden Konstellation auf. Aus diesen Gründen ist die vom BVwG vorgenommene Gefährdungsprognose auch nicht nachvollziehbar.
14 Vor diesem Hintergrund hätte auch nicht vom Vorliegen eines schon aus der Aktenlage geklärten Sachverhaltes ausgegangen und gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden dürfen (vgl. zur pflichtgemäßen Ermessungsübung im Hinblick auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, selbst wenn diese nicht beantragt wurde, etwa VwGH 2.3.2023, Ra 2020/21/0042, Rn. 10, mwN). Auch das wird in der Revision zutreffend gerügt.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher aus all diesen Gründen (vorrangig) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. Juni 2024
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023210163.L00