Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

27.06.2024

Geschäftszahl

Ra 2023/21/0138

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr.in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des J M, vertreten durch Mag. Thomas Böchzelt, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Krottendorfer Gasse 4, gegen das am 9. August 2023 verkündete und mit 18. August 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G307 2276201-1/10E, betreffend Feststellung der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft gemäß Paragraph 22 a, Absatz 4, BFA-VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1             Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste am 15. April 2023 in Österreich ein und wurde am selben Tag in einem Richtung Italien fahrenden Zug von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgegriffen und festgenommen. Mit ebenfalls am selben Tag erlassenem Mandatsbescheid verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung.

2             Am 17. April 2023 stellte der Revisionswerber im Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz. In einem (dem Revisionswerber ausgehändigten) Aktenvermerk vom 18. April 2023 hielt das BFA dazu fest, dass iSd § 76 Abs. 6 FPG Gründe zur Annahme bestünden, der Antrag auf internationalen Schutz sei (nur) zur Verzögerung der Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden.

3             Mit Bescheid des BFA vom 16. Mai 2023 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Revisionswerbers vollinhaltlich abgewiesen. Unter einem erließ das BFA gegen ihn eine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung erkannte das BFA die aufschiebende Wirkung ab und gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise.

4             Am 4. August 2023 legte das BFA dem BVwG (erstmals) gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG die Akten zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der (weiteren) Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft vor. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 9. August 2023 verkündete das BVwG das nunmehr angefochtene Erkenntnis. Es stellte fest, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei. Die Revision erklärte das BVwG für gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Über rechtzeitigen Antrag des Revisionswerbers wurde dieses Erkenntnis mit 18. August 2023 schriftlich ausgefertigt.

5             Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:

6             Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung unter anderem geltend, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Erkenntnisses bezögen sich auf eine gänzlich andere Person als den Revisionswerber, sodass nicht erkennbar sei, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt werde.

7             Damit erweist sich die Revision entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.

8             Vorauszuschicken ist, dass die mündliche Verkündung eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses mit seiner schriftlichen Ausfertigung eine Einheit bildet (siehe z.B. VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558 bis 0560, Rn. 28, mwN, und darauf Bezug nehmend etwa VwGH 5.3.2021, Ra 2018/04/0117, 0138, Rn. 26).

9             In der mit 18. August 2023 erstellten schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses erfolgte zunächst unter Pkt. I. eine Wiedergabe des Verfahrensganges, wie er im Wesentlichen auch in der Niederschrift über die mündliche Verkündung des Erkenntnisses vom 9. August 2023 festgehalten worden war, und auch die Feststellungen (Pkt. II.1.) entsprechen im Wesentlichen jenen der Verkündung vom 9. August 2023.

10           Wie in der Revision zu Recht aufgezeigt wird, beziehen sich allerdings die im Punkt II.2. vorgenommene Beweiswürdigung und die daran anknüpfende rechtliche Beurteilung im Punkt II.3. überhaupt nicht auf den vorliegenden Fall. Diese Ausführungen in der schriftlichen Ausfertigung betreffen offenkundig einen marokkanischen Staatsangehörigen, dessen Antrag auf internationalen Schutz bereits im August 2022 abgewiesen wurde, der sich im März 2023 seiner Abschiebung widersetzte, betreffend dessen Schubhaft vor dem BVwG bereits im März 2023 eine mündliche Verhandlung durchgeführt und der im Juni 2023 nach Marokko abgeschoben wurde. Diese Textteile sind inhaltsgleich mit den entsprechenden Begründungspassagen in dem als „(Zweite) schriftliche Ausfertigung des am 08.03.2023 mündlich verkündeten Erkenntnisses“ bezeichneten, einen marokkanischen Schubhäftling betreffenden Erkenntnis des BVwG vom 9. August 2023, G307 2262562-5/23E. Diese Begründungselemente sind daher von vornherein völlig ungeeignet, das gegenständliche, am 9. August 2023 verkündete und mit 18. August 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis zu tragen, weshalb schon aus diesem Grund ein zur Aufhebung führender wesentlicher Begründungsmangel vorliegt (vgl. in diesem Sinne VwGH 29.6.2023, Ra 2023/21/0056, Rn. 8).

11           Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus den genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, wobei zur Klarstellung darauf hinzuweisen ist, dass im Fall der - gemäß § 42 Abs. 3 VwGG „ex tunc“ wirkenden - Aufhebung eines Fortsetzungsausspruches gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG eine „Sanierung“ im fortgesetzten Verfahren von vornherein nicht in Betracht kommt (siehe in diesem Sinn zum Fortsetzungsausspruch gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG schon VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0161, 0162, Rn. 10, mwN, und darauf Bezug nehmend etwa VwGH 9.6.2022, Ra 2021/21/0100, Rn. 8).

12           Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Juni 2024

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023210138.L00