Verwaltungsgerichtshof
17.06.2024
Ra 2023/16/0117
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk-Leisch sowie den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der B GmbH in W, vertreten durch die Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Rathausstraße 15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. August 2023, W183 2272589-1/2E, betreffend Gerichtsgebühren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Präsidentin des Handelsgerichtes Wien), zu Recht erkannt:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Mandatsbescheid vom 8. Februar 2023 wurden der Revisionswerberin im Zusammenhang mit einer vor dem Handelsgericht Wien eingebrachten Klagsausdehnung Pauschalgebühren (€ 72.845) und die Einhebungsgebühr (€ 8) vorgeschrieben. Die dagegen erhobene Vorstellung wies die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde mit Bescheid vom 20. April 2023 ab.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid vom 20. April 2023 ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts habe die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 6. Mai 2022 eine Klage samt Antrag auf einstweilige Verfügung mit einer Bemessungsgrundlage von € 140.000 eingebracht. Die Pauschalgebühren von € 3.112 seien mittels Einziehung am selben Tag entrichtet worden. Mit Schriftsatz vom 12. August 2022 habe die Revisionswerberin die Klage modifiziert und das Urteilsbegehren auf Zahlung von € 5,979.417,62 ausgedehnt. Mit rechtskräftigem, im Urteil aufgenommen Beschluss des Zivilgerichts vom 28. Dezember 2022 sei die begehrte Klagsänderung über Einwand der Beklagten gegen die Zulässigkeit nicht zugelassen worden. Einen Teilbetrag an Pauschalgebühren iHv € 18.211 habe die Revisionswerberin bereits entrichtet.
4 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, für die Entstehung der Gebührenpflicht nach § 2 Z 1 lit. b GGG sei nicht entscheidend, ob eine Klagsausdehnung tatsächlich wirksam werde. Es komme dem Umstand, dass eine Klagsänderung in Form der Ausdehnung des Klagebegehrens für unzulässig erklärt wurde, für den Gebührenanspruch des Bundes keine Bedeutung zu.
5 Dagegen richtet sich die Revisionswerberin mit der vorliegenden Revision, zu deren Zulässigkeit sie vorbringt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob für den Fall, dass eine qualitative Änderung des Klagebegehrens (Zahlung statt Unterlassung) ohne vorangegangene Verhandlung und ohne, dass ein Beweisverfahren stattgefunden hat, von vornherein als unzulässig zurückgewiesen wird, eine Gebührenreduktion gemäß Anmerkung 3 zu TP 1 GGG zur Folge hat.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Revision beantragte.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen.
8 Die Revision erweist sich im Hinblick auf das genannte Vorbringen als zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
9 § 2 Z 1 lit. b des Gerichtsgebührengesetzes (GGG) lautete in der Stammfassung des BGBl. Nr. 501/1984 auszugsweise:
„§ 2. Der Anspruch des Bundes auf die Gebühr wird, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, begründet:
1. hinsichtlich der Pauschalgebühren
a) [...]
b) für das zivilgerichtliche Verfahren, wenn das Klagebegehren erweitert wird, mit dem Zeitpunkt der Überreichung des Schriftsatzes; wird das Klagebegehren erweitert, ohne daß vorher die Klagserweiterung mit einem Schriftsatz dem Gericht mitgeteilt worden ist, so entsteht eine allfällige zusätzliche Pauschalgebühr mit dem Beginn der Protokollierung;“
10 Gemäß § 18 Abs. 1 GGG bleibt die Bemessungsgrundlage für das ganze Verfahren gleich.
11 § 18 Abs. 2 GGG in der Fassung der Zivilverfahrens-Novelle 2022 (ZVN 2022), BGBl. I Nr. 61/2022 lautet auszugsweise
„(2) Hievon treten folgende Ausnahmen ein:
1. [...]
2. Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ist Gegenstand des Vergleichs eine Leistung, deren Wert ein bereits klageweise geltend gemachtes Begehren übersteigt, so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwerts zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen. [...]“
12 Anmerkung 3 in der auf den Revisionsfall anzuwendenden Stammfassung des GGG, BGBl. Nr. 501/1984, lautet:
„Wird die Klage oder ein in den Anmerkungen 1 oder 2 zur Tarifpost 1 angeführter Antrag vor Zustellung an den Verfahrensgegner zurückgezogen, so ermäßigen sich die Pauschalgebühren auf ein Viertel. Das gleiche gilt auch, wenn die Klage oder der Antrag - ausgenommen den Fall einer Überweisung nach Paragraph 230 a, ZPO - von vornherein zurückgewiesen wird. Bereits entrichtete Mehrbeträge sind zurückzuzahlen.“
13 Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Z 1 lit. b GGG wird der Anspruch des Bundes auf die Pauschalgebühr nach TP 1 GGG bei einer (streitwerterhöhenden) Erweiterung des Klagebegehrens mit dem Zeitpunkt der Überreichung des Schriftsatzes, ohne vorherige Mitteilung in einem Schriftsatz mit dem Beginn der Protokollierung begründet.
14 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist für die Entstehung der Gebührenpflicht nach § 2 Z 1 lit. b GGG nicht entscheidend, ob die Klagsausdehnung tatsächlich wirksam wird (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/16/0210; 29.4.2013, 2011/16/0118). Dies gilt auch für den Fall, dass die Klagsänderung in Form der Ausdehnung des Klagebegehrens mit zivilgerichtlichem Beschluss für unzulässig erklärt wird (vgl. VwGH 20.6.2022, Ra 2022/16/0004). Insofern entstand - was im Revisionsverfahren unbestritten blieb - mit der Klagsausdehnung durch die Revisionswerberin der Gebührenanspruch des Bundes.
15 Die Revisionswerberin wendet sich jedoch gegen die Höhe der von der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde bescheidmäßig festgesetzten und vom Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigten Gerichtsgebühr und bringt zusammengefasst vor, es sei die in Anmerkung 3 zu TP 1 GGG enthaltene Ermäßigung anzuwenden.
16 Die Revisionswerberin bringt dazu vor, bei dem neu formulierten Klagebegehren im Schriftsatz vom 12. August 2022 handle es sich um ein gänzlich neues Klagebegehren, welches vom Gericht a limine zurückgewiesen worden sei. Dass die Klage der Gegenseite automatisch zugestellt worden sei und sich diese gegen die Klagsänderung habe aussprechen können, sei jedenfalls dem Umstand geschuldet, dass bereits ein Verfahren anhängig gewesen sei. Betrachte man die Klagsänderung als selbständige Klage, weil diese auf Leistung aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes gerichtet gewesen sei, während das erste Klagsbegehren ein Unterlassungsbegehren gewesen sei, so komme man zum Ergebnis, dass die nunmehr auf Schadenersatz gerichtete Klage von vornherein, aus prozessrechtlichen Gründen, ohne Beweisverfahren zurückgewiesen worden sei. Bei der Anmerkung 3 zu TP 1 GGG handle es sich um eine lex specialis, welche dem § 2 Z 1 lit. b GGG vorgehe. § 2 Z 1 lit. b GGG bestimme das Entstehen des Gebührenanspruchs, während Anmerkung 3 zu TP 1 GGG dessen Reduktion regle.
17 Gemäß Anmerkung 3 zu TP 1 GGG ermäßigen sich die Pauschalgebühren auf ein Viertel, wenn die Klage vor Zustellung an den Verfahrensgegner zurückgezogen oder - ausgenommen den Fall einer Überweisung nach § 230a ZPO - von vornherein zurückgewiesen wird.
18 Für die Reduktion der Gerichtsgebühr darf der Zivilprozess noch nicht bis zur Streitanhängigkeit im Sinn des § 232 ZPO fortgeschritten sein. Letzteres Merkmal ist allerdings nicht die einzige Voraussetzung für die Ermäßigung der Pauschalgebühren, weil das Gesetz dafür zusätzlich eine Zurückziehung der Klage oder eine Zurückweisung der Klage a limine ohne nachfolgenden Überweisungsantrag nach § 230a ZPO verlangt (vgl. VwGH 28.2.2014, 2011/16/0183).
19 Das Gerichtsgebührengesetz knüpft bewusst an formale äußere Tatbestände an, um eine möglichst einfache Handhabung des Gesetzes durch die Vorschreibungsbehörde zu gewährleisten. Eine ausdehnende oder einschränkende Auslegung des Gesetzes, die sich vom Wortlaut insoweit entfernt, als sie über das Fehlen eines Elementes des im Gesetz umschriebenen formalen Tatbestandes, an den die Gebührenpflicht oder die Ausnahme geknüpft ist, hinwegsieht, würde diesem Prinzip nicht gerecht werden (vgl. etwa VwGH 12.9.2017, Ra 2017/16/0087, mwN).
20 Im Revisionsfall wurde - was auch die Revisionswerberin nicht in Abrede stellt - die Klagsänderung streitanhängig im Sinn des § 232 ZPO. Schon aus der - in der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besonders betonten - bewussten Anknüpfung des GGG an formale äußere Tatbestände ergibt sich, dass die von der Revisionswerberin begehrte Anwendung der Anmerkung 3 zu TP 1 GGG, die nach dem Revisionsvorbringen erfordere, dass „man die Klagsänderung als selbständige neue Klage“ betrachte, diesen Vorgaben an eine möglichst einfache Handhabung des Gesetzes nicht gerecht wird. Sohin gehen die weiteren Ausführungen in der Revision zur Auslegung der Wendung „von vornherein zurückgewiesen wird“ in Anmerkung 3 zu TP 1 GGG ins Leere.
21 Schließlich handelt es sich - entgegen dem Revisionsvorbringen - bei der Anmerkung 3 zu TP 1 GGG im Verhältnis zu § 2 Z 1 lit. b GGG gerade nicht um eine lex specialis, weil die genannten Bestimmungen - wie die Revisionswerberin selbst ausführt - unterschiedliche Regelungsgegenstände, nämlich letztere die Entstehung der Gebührenpflicht dem Grunde nach und erstere die Ermäßigung einer bereits entstandenen Gebühr, aufweisen.
22 Die Revision war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
23 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. Juni 2024
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023160117.L00