Verwaltungsgerichtshof
17.06.2024
Ra 2023/16/0088
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk-Leisch sowie den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der K Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Ing. Dr. Wolfgang Gappmayer, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Margaretenstraße 22/12, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 24. April 2023, RV/2200003/2022, betreffend Erlass von Einfuhrabgaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Zollamt Österreich), zu Recht erkannt:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Bescheid vom 21. September 2021 wies das Zollamt einen auf Art. 116 und Art. 119 UZK gestützten Antrag der Revisionswerberin auf Erstattung näher bezeichneter, mit Bescheid vom 9. August 2017 festgesetzter, Eingangsabgaben betreffend Warenanmeldungen im Zeitraum 6. Mai 2016 bis 13. Dezember 2016 ab. Die gegen diese Abweisung erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 14. Februar 2022 ebenfalls abgewiesen.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das - infolge eines seitens der Revisionswerberin eingebrachten Vorlageantrags - zuständige Bundesfinanzgericht die Beschwerde ab. Unter einem sprach es aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens führte das Bundesfinanzgericht begründend aus, dass u.a. mit vom Bescheid des Zollamts vom 9. August 2017, erfasste neun Warenanmeldungen im Zeitraum vom 6. Mai 2016 bis 13. Dezember 2016 Glasfasergewebebänder mit Ursprung in China in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden seien. Im jeweiligen Feld 31 (Packstücke und Warenbezeichnung) der Warenanmeldungen sei „Gewebeklebebänder“ oder „Gitterstreifen, selbstklebend“ angegeben gewesen. Im jeweiligen Feld 33 (Warennummer) sei „7019 4000 99“ erklärt worden. In den Handelsrechnungen sei als Produktbeschreibung „Fiberglass mesh tape“ und ein Hinweis auf Breite und Länge der Bänder ausgewiesen gewesen.
4 Mit verbindlicher Zolltarifauskunft vom 21. November 2013 sei ein zirka 5 Zentimeter breites, einseitig selbstklebend ausgeführtes Gewebeband aus Glasseidensträngen in die Unterposition 7019 4000 der Kombinierten Nomenklatur eingereiht worden. Bei dem Erzeugnis, welches den revisionsgegenständlichen entspreche, habe es sich um Meterware auf Rollen zu 20 oder 90 Metern gehandelt, die als Bewehrungsstreifen bei Spachtelarbeiten zur Stabilisierung und zur Vermeidung von Rissen dienten. Der verbindlichen Zolltarifauskunft sei eine Untersuchung der Ware durch die Technische Untersuchungsanstalt zugrunde gelegen. In dem darüber erstellten Untersuchungsbefund vom 2. Juli 2013 sei ausgeführt worden, dass eine Ware der Unterposition 7019 4000 90 des TARIC vorliege. Zum Zeitpunkt der verbindlichen Zolltarifauskunft habe die Unterposition 7019 4000 (Gewebe aus Glasseidensträngen) der Kombinierten Nomenklatur den Code 7019 4000 90 („andere“) enthalten.
5 Gegenständlich seien Glasfasergewebebänder in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden. Aufgrund der im Zuge der bei der Revisionswerberin durchgeführten Betriebsprüfung dem Zollamt erstmals vorgelegten Unterlagen und der dabei getroffenen Feststellungen sei unstrittig festgestanden, dass das Quadratmetergewicht der eingeführten Glasfasergewebebänder 75 Gramm betragen habe und diese eine Zelllänge und -breite von rund 2,5 bis 2,8 Millimeter aufgewiesen hätten.
6 Eine solche Ware sei bis zur Änderung des TARIC mit 13. Dezember 2013 in die Unterposition 7019 4000 90 des TARIC einzureihen gewesen. Durch die Änderung der kombinierten Nomenklatur sei die Position 7019 4000 in die Codes 7019 4000 50 (offenmaschige Gewebe aus Glasfasern, mit einer Zelllänge und -breite von mehr als 1,8 mm und einem Quadratmetergewicht von mehr als 35 g, ausgenommen Glasfaserscheiben) und 7019 4000 99 (andere) aufgegliedert worden. Aufgrund ihrer Eigenschaften seien die revisionsgegenständlichen Glasfasergewebebänder in die Unterposition 7019 4000 50 des TARIC einzureihen.
7 Im Antrag auf Erteilung der verbindlichen Zolltarifauskunft sei ausdrücklich die Einreihung in die Kombinierte Nomenklatur (achtstelliger Code) beantragt worden. Im Feld 7 des Antragsformulars („Einreihungsvorschlag“) sei von der Revisionswerberin der (zehnstellige) Code „7019400090“ angegeben worden.
8 Selbst wenn die Revisionswerberin aufgrund ihrer Angaben im Antragsformular davon ausgegangen sei, dass mit der verbindlichen Zolltarifauskunft die Glasfasergewebebänder in die Unterposition 7019 4000 90 des TARIC eingereiht worden wären, führte dies nicht zum Erfolg der Beschwerde. Gemäß Art. 12 Abs. 5 Buchst. a Ziffer i ZK werde eine verbindliche Auskunft ungültig, wenn diese bei zolltariflichen Fragen aufgrund des Erlasses einer Verordnung dem damit gesetzten Recht nicht mehr entspreche. Die verbindliche Zolltarifauskunft wäre daher - wenn diese die Glasfasergewebebänder in die Unterposition 7019 4000 90 des TARIC eingereiht hätte - mit dem Inkrafttreten der Verordnung am 19. Dezember 2013, welche die Ursache für die Änderung der Nomenklatur gewesen sei, ungültig geworden. Darüber hinaus sei ab dem Inkrafttreten der Änderung eine Einreihung in die Unterposition 7019 4000 90 des TARIC aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich gewesen. Mangels Existenz dieser Position nach erfolgter Änderung der Kombinierten Nomenklatur sei deren Nennung in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 976/2014 der Kommission vom 15. September 2014 von vornherein ausgeschlossen.
9 Zum Zeitpunkt der Erteilung der verbindlichen Zolltarifauskunft habe die Einreihung in die Position 7019 4000 der Kombinierten Nomenklatur der geltenden Rechtslage entsprochen; auch eine Einreihung in die Position 7019 4000 90 des TARIC hätte zu diesem Zeitpunkt der geltenden Rechtslage entsprochen. Bei der Erteilung der verbindlichen Zolltarifauskunft sei somit ein Irrtum der Zollbehörde nicht vorgelegen.
10 Bei den Wareneinfuhren sei ebenfalls kein Irrtum der Zollbehörde vorgelegen, weil das Zollamt bei der Annahme der Anmeldungen Sachverhaltselemente nicht gekannt habe, welche zur Einreihung in die richtige Unterposition erforderlich seien. Für die richtige Einreihung der in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr überführten Glasfasergewebebänder sei die Angabe der Zelllänge und -breite sowie des Quadratmetergewichtes erforderlich. Die Warenanmeldungen hätten diese Angaben nicht enthalten. Auch die Rechnungen hätten keine diesbezüglichen Angaben enthalten noch habe es anlässlich der Einfuhrabfertigungen diesbezügliche Hinweise gegeben. Erst das im Rahmen der Betriebsprüfung vorgelegte „data sheet“ habe die für die Einreihung der Ware erforderlichen Angaben enthalten.
11 Dagegen richtet sich die Revisionswerberin mit der gegenständlichen außerordentlichen Revision, zu deren Zulässigkeit vorbracht wird, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob die Nichtbekanntgabe sämtlicher für die Tarifierung einer Ware erforderlichen Informationen in der Zollanmeldung dazu führe, dass der Erlass der Einfuhr- bzw. Eingangsabgaben ausgeschlossen sei, obwohl diese Informationen den zuständigen Zollbehörden aufgrund von Ergebnissen der Warenbeschauen bekannt seien bzw. hätten bekannt sein müssen. Das angefochtene Erkenntnis weiche zudem insofern von der Rechtsprechung der Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) ab, als die falsche Einreihung dem Vertrauensschutz zugänglich sei, wenn der Zollschuldner gutgläubig gehandelt habe. Überdies fehle es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage der erlassrechtlichen Qualifikation einer sehr frühzeitigen Korrespondenz mit der zuständigen Zollbehörde im Sinn des Art. 119 UZK, in der die Zollbehörde unrichtige bzw. missverständliche Informationen erteilte.
12 Sollte der Verwaltungsgerichtshof davon ausgehen, dass es im Hinblick auf näher genannte Rechtsprechung des EuGH, wonach ein rechtsrelevanter Irrtum auch vorliege, wenn das Prüfungsergebnis der Warenkontrolle, die Mitteilung bzw. auch die ETOS-Erledigung niemals „zu einer Änderung der Abgabenfestsetzung geführt hat“, einschlägige höchstgerichtliche Rechtsprechung gebe, so werde vorgebracht, dass das angefochtene Erkenntnis von dieser Rechtsprechung abweiche.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Zurück- in eventu Abweisung der Revision sowie Aufwandersatz beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
15 Art. 119 Abs. 1 der Verordnung Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. L 269 vom 10.10.2013 (UZK) lautet samt Überschrift:
„Artikel 119
Irrtum der zuständigen Behörden
(1) In anderen als den in Artikel 116 Absatz 1 Unterabsatz 2 und in den Artikeln 117, 118 und 120 genannten Fällen werden Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge erstattet oder erlassen, sofern der der ursprünglich mitgeteilten Zollschuld entsprechende Betrag aufgrund eines Irrtums der zuständigen Behörden einem niedrigeren als dem zu entrichtenden Betrag entsprach und die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
a) Dieser Irrtum konnte vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden und
b) der Zollschuldner hat gutgläubig gehandelt.“
16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes normiert Art. 119 UZK für einen Erlass oder eine Erstattung Tatbestände, bei denen den Zollbehörden ein Irrtum unterlaufen ist, und enthält insoweit den Regelungsinhalt des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom 19.10.1992 (ZK), der dazu diente, das berechtigte Vertrauen des Zollschuldners in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte zu schützen, die bei der Entscheidung darüber, ob Abgaben nacherhoben werden oder nicht, Berücksichtigung finden. Diese Prüfung findet nun nicht mehr bei der Nacherhebung, sondern nur im Rahmen eines meist vom Zollschuldner geltend gemachten Erlass- oder Erstattungsanspruchs statt, wobei die Zollbehörden nicht gehindert sind, den Vertrauensschutz des Zollschuldners in die Richtigkeit der früheren Abgabenfestsetzung auch von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. VwGH 17.6.2020, Ra 2020/16/0070, mwN).
17 Die Rechtsprechung zu Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK ist auf die Einfuhren ab Mai 2016, für die gemäß Art. 288 Abs. 2 UZK das neue Zollrecht anzuwenden ist, grundsätzlich übertragbar, weil die Vorschriften des ZK zur Nacherhebung im Wesentlichen in Art. 105 Abs. 4 iVm Abs. 3 UZK und Art. 119 Abs. 1 UZK übernommen worden sind. Lediglich die Tatbestandsvoraussetzung der Einhaltung aller geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung, die in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b UAbs. 1 ZK enthalten war, ist nicht in die neue Regelung übernommen worden. Dies steht jedoch einer Übertragung der genannten Rechtsprechung zum Irrtum und zu dessen Erkennbarkeit sowie zur zuständigen Behörde nicht entgegen (vgl. BFH 19.10.2021, VII R 27/19, Rn. 20).
18 Gegenständlich ergibt sich aus den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis, dass die eingeführten Waren - entgegen den von der Revisionswerberin in den Zollanmeldungen vorgenommenen Einreihungen - tatsächlich in die Unterposition 7019 4000 50 des Integrierten Tarifs der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (TARIC) einzureihen sind und die vorgeschriebenen Eingangsabgaben grundsätzlich gesetzlich geschuldet waren. Der der ursprünglich mitgeteilten Zollschuld entsprechende Betrag sei daher unzweifelhaft niedriger als der (tatsächlich) zu entrichtende Betrag. Die Revisionswerberin bringt im Wesentlichen vor, dieser Umstand bestehe aufgrund eines Irrtums der zuständigen Behörden im Sinn des Art. 119 UZK.
19 Ein Irrtum im Sinn des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK - nunmehr Art. 119 Abs. 1 UZK - kann auch in der falschen Rechtsanwendung bestehen, wenn eine Anmeldung alle notwendigen und zutreffenden Angaben, aber eine unzutreffende Warennummer (Unterposition der Kombinierten Nomenklatur) enthält, somit erkennbar unschlüssig ist und dennoch angenommen wird. Ist auf Grund des dem Zollamt bei der Annahme der Anmeldung bekannten Sachverhaltes, insbesondere aus den Angaben im Feld 31 des Einheitspapiers, die Einreihung in die richtige Position der Kombinierten Nomenklatur möglich, unterliegt das Zollamt jedoch einem Rechtsirrtum, dann liegt ein Irrtum im Sinn des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK - nunmehr Art. 119 Abs. 1 UZK - vor. Ein Irrtum liegt in der langjährigen unrichtigen Abfertigungspraxis bei widerspruchsloser Entgegennahme der Zollanmeldung vor, wenn diese alle notwendigen und zutreffenden Angaben enthält (vgl. VwGH 25.1.2018, Ra 2017/16/0094, mwN).
20 Ein solcher Irrtum der Zollbehörde ist jedoch - auch im Anwendungsbereich des Art. 119 UZK - ausgeschlossen, wenn das Zollamt bei der Annahme der Anmeldungen Sachverhaltselemente nicht kennt, welche zur Einreihung in die richtige Position der Kombinierten Nomenklatur erforderlich sind (vgl. abermals VwGH 25.1.2018, Ra 2017/16/0094, mwN).
21 Aus den Ausführungen des Bundesfinanzgerichts im angefochtenen Erkenntnis ergibt sich, die für die richtige Einreihung der revisionsgegenständlichen Glasfasergewebebänder erforderliche Angabe der Zelllänge und -breite sowie des Quadratmetergewichts sei weder in den Warenanmeldungen noch in den Rechnungen enthalten gewesen. Erst das im Rahmen der Betriebsprüfung vorgelegte „data sheet“ habe diese Angaben enthalten. Da dem Zollamt anlässlich der Einfuhrabfertigungen nicht alle für die richtige Einreihung der Glasfasergewebebänder notwendigen Angaben zur Verfügung gestanden seien, habe das Zollamt anlässlich der Einfuhrabfertigungen - auch unter Berücksichtigung der vorgenommenen Dokumentenkontrollen - nicht erkennen können, dass es sich um Glasfasergewebebänder der Unterposition 7019 4000 50 des TARIC gehandelt habe. Mangels entsprechender Angaben seien dem Zollamt nicht alle für die Einreihung maßgeblichen Sachverhaltselemente bekannt gewesen.
22 Wenn - wie sich aus den dargestellten Feststellungen des Bundesfinanzgerichts ergibt - das Zollamt bei der Annahme der revisionsgegenständlichen Anmeldungen Sachverhaltselemente nicht kannte, liegen insoweit die Voraussetzungen eines Irrtums im Sinn des Art. 119 Abs. 1 UZK nicht vor. Die Revisionswerberin zeigt mit ihrem Vorbringen auch nicht auf, aus welchem Grund der Zollbehörde im Rahmen einer - nach der Aktenlage - bloßen Warenbeschau diese Sachverhaltselemente hätten bekannt sein müssen.
23 Dieses Ergebnis vermögen auch die Ausführungen in der Revision zur verbindlichen Zolltarifauskunft vom 21. November 2013 nicht in Frage zu stellen. Die Revisionswerberin tritt den Ausführungen des Bundesfinanzgerichts, wonach die genannte verbindliche Zolltarifauskunft inhaltlich richtig gewesen sei, nicht entgegen. Diese Zolltarifauskunft bescheinigt eine Einreihung in die Kombinierte Nomenklatur unter 7019 4000. Die Revisionswerberin bringt in diesem Zusammenhang vor, die Zentralstelle für verbindliche Zolltarifauskünfte habe ihr noch mit E-Mail vom 27. März 2015 mitgeteilt, dass die „Einreihung antragsgemäß“ erfolgt sei. Eine Zustellung der verbindlichen Zolltarifauskunft sei bis dahin nicht erfolgt. Aufgrund dieser E-Mail sei es zum Irrtum der Revisionswerberin hinsichtlich der Einreihung gekommen. Einen Irrtum der Zollbehörden lassen diese Ausführungen nicht erkennen. Selbst der behauptete Irrtum der Revisionswerberin ist angesichts des Umstandes, dass der angesprochene E-Mailverkehr, der auch das genannte E-Mail vom 27. März 2015 umfasst, ausdrücklich eine Einreihung in die Kombinierte Nomenklatur unter 7019 4000 nennt und diese mit hervorgehobener Formatierung herausstreicht, nicht auf ein Verhalten der Zollbehörde zurückzuführen.
24 Dazu kommt, dass - wie das Bundesfinanzgericht zutreffend ausführt - die verbindliche Zolltarifauskunft - hätte sie tatsächlich den von der Revisionswerberin unterstellten Inhalt, nämlich eine Einreihung in die Unterposition 7019 4000 50 des TARIC, gehabt - gemäß Art. 12 Abs. 5 Buchst. a Ziffer i ZK am 19. Dezember 2013 ungültig geworden wäre.
25 Ein Abgabenschuldner, der sichergehen möchte, keine Zölle nachzahlen zu müssen, hat die einschlägigen Vorschriften und Bekanntmachungen zu studieren. Die betreffenden Gemeinschaftsvorschriften sind von ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt an das einschlägige positive Recht, auf dessen Unkenntnis sich niemand berufen kann (vgl. VwGH 17.5.2001, 2000/16/0590, mwN). Ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer, der von einer im Amtsblatt veröffentlichten Einreihungsverordnung Kenntnis genommen hat, kann sich nicht darauf beschränken, seine Ware weiter unter einem Code der Kombinierten Nomenklatur einzuführen, nur weil diese Einreihung von der Verwaltung akzeptiert worden ist. Eine solche Fahrlässigkeit zuzulassen, liefe darauf hinaus, die Wirtschaftsteilnehmer zu ermutigen, die Irrtümer ihrer Zollbehörden auszunutzen (vgl. EuGH 20.11.2008, C-38/07 P, Heuschen & Schrouff Oriëntal Foods Trading BV, Rn. 64). Die Revisionswerberin hätte somit selbst im Fall des von ihr unterstellten Inhalts der verbindlichen Zolltarifauskunft deren mittlerweile eingetretene Ungültigkeit erkennen und ihre Zollanmeldungen entsprechend ausführen müssen.
26 Die Revisionswerberin bringt weiters vor, das Bundesfinanzgericht sei mit dem angefochtenen Erkenntnis von der Rechtsprechung des EuGH vom „14.05.1995, C-153“ [gemeint wohl: EuGH 14.5.1996, verb. Rs. C-153/94 und C-204/94, Faroe Seafood u. a.,] insofern abwichen, als „gerade die falsche Einreihung dem Vertrauensschutz zugänglich ist, wenn der Zollschuldner gutgläubig ist“. Dem ist entgegen zu halten, dass das genannte Urteil nicht die Einreihung einer Ware, sondern den Ursprung einer solchen zum Gegenstand hatte und die Revision zur Gutgläubigkeit der Revisionswerberin auch kein substantiiertes Vorbringen enthält.
27 Schließlich wird auf das Urteil des EuGH vom 1. April 1993, C-250/91, Hewlett Packard France, verwiesen, „wonach ein rechtsrelevanter Irrtum auch vorliegt, wenn - wie gegenständlich - das Prüfungsergebnis der Warenkontrolle, die Mitteilung bzw. auch die ETOS-Erledigung niemals ‚zu einer Änderung der Abgabenfestsetzung geführt hat‘ “. Das genannte Urteil betrifft den Fall, dass einem Importeur eine unrichtige Auskunft durch eine Zollbehörde eines anderen Mitgliedstaats erteilt wurde. Eine Aussage der in der Revision vorgebrachten Art enthält es nicht.
28 Tatsächlich hält der EuGH in Rn. 19 seines zitierten Urteils vom 1. April 1993, C-250/91, im Wesentlichen fest, dass ein den zuständigen Zollbehörden zuzurechnender Irrtum vorliegt, wenn die Zollanmeldung des Abgabenschuldners alle für die Anwendung der betreffenden Regelung erforderlichen Angaben enthielt, sodass eine eventuelle nachträgliche Überprüfung durch die zuständigen Behörden keine neue Tatsache ergeben kann. Ebendiese Anforderung hat die Revisionswerberin nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts nicht erfüllt.
29 In der Revision wird zudem vorgebracht, es fehle eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob Einfuhren vor der Prüfung vom Irrtum bzw. dem Absehen von der nachträglichen Erfassung bzw. Festsetzung der Abgaben umfasst sind, wenn die Voraussetzungen für einen relevanten Irrtum vorliegen. Dazu ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 14. Dezember 2015, 2013/16/0234 bis 0235, ausgesprochen hat, dass - im damaligen Fall - ein aktiver Irrtum des Zollamts bei Warenanmeldungen vor dem Vorliegen des Untersuchungsergebnisses der Technischen Untersuchungsanstalt nicht anzunehmen ist. Für den gegenständlichen Revisionsfall bedeutet das, dass aus der Mitteilung des Zollamts vom 4. August 2016 hinsichtlich einer näher genannten ETOS-Erledigung für die Revisionswerberin jedenfalls insoweit nichts gewonnen werden kann, als die angesprochene Untersuchung der Ware durch die Technische Untersuchungsanstalt im Zeitpunkt der Warenanmeldungen noch nicht vorlag.
30 Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts kannte das Zollamt bei der Annahme der revisionsgegenständlichen Anmeldungen Sachverhaltselemente nicht. Die Revisionswerberin wendet sich erkennbar auch gegen diese Feststellung und macht damit einen Verfahrensfehler geltend.
31 Soweit die Revisionswerberin hierbei jene sechs Wareneinfuhren anspricht, die nach der von dieser Mitteilung vom 4. August 2016 erfassten Untersuchung (Mitteilung an das Zollamt vom 10. Juni 2016) erfolgt sind, kommt diesem Einwand grundsätzlich Berechtigung zu. Das Zollamt hat der Revisionswerberin nämlich ausdrücklich mitgeteilt, aus der infolge einer Probenentnahme zwecks Einreihung in den Gebrauchszolltarif einer Ware mit der Bezeichnung „Gitterstreifen, selbstklebend“ durchgeführten Untersuchung habe sich ergeben, dass diese in die TARIC Position 7019 4000 99 einzureihen sei. Der Aktenlage ist dazu ebenfalls zu entnehmen, dass die Technische Untersuchungsanstalt mit Schreiben an das Zollamt vom 10. Juni 2016 den Untersuchungsbefund wie folgt angegeben hat:
„Ca. 50 mm breite Rolle eines offenmaschigen Gewebes (Gittergewebe) aus Glasfasern, mit einer Zelllänge und breite von mehr als 1,8 mm und mit einem Quadratmetergewicht von mehr als 35 g, mit Schlussfäden aus Glasseidensträngen (Rovings) und Kettenfäden aus gedrehten Garnen aus Glasfasern, mit Kunststoff getränkt und selbstklebend ausgeführt. Drehergewebe aus Glasseidensträngen der Position 7019 4000 50.“
32 Der Aktenlage ist somit zu entnehmen, dass ab dem 10. Juni 2016 dem Zollamt die inhaltliche Unrichtigkeit der seitens der Revisionswerberin eingereichten Zollerklärungen für die revisionsgegenständlichen Waren bekannt war.
33 Ein Irrtum der Zollbehörde kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch in einer von der Zollbehörde erteilten unrichtigen Auskunft bestehen, welche die Zollbehörde nicht wie verbindliche Zolltarifauskünfte binden (vgl. VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0161, mwN).
34 Für den Erlass der Einfuhrabgaben gemäß Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK ist - wie in der Revision zutreffend angemerkt wird - ebenfalls Voraussetzung, dass der Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte.
35 Der auf der Grundlage des Art. 2 der Verordnung Nr. 2658/87 in Form einer Online-Zolltarifdatenbank geführte TARIC enthält die Unterposition 7019 4000 50, welche für die Einfuhren der revisionsgegenständlichen Waren lautete:
„offenmaschigen Geweben aus Glasfasern, mit einer Zelllänge und breite von mehr als 1,8 mm und einem Quadratmetergewicht von mehr als 35 g, ausgenommen Glasfaserscheiben“.
36 Es ist Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung der Art des Irrtums, der Erfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und der von ihm an den Tag gelegten Sorgfalt festzustellen, ob der Irrtum des Zollamts vom Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte (vgl. EuGH 8.4.1992 C-371/90, Beirafrio - Indùstria de Produtos Alimentares Ldª, Rn. 21). Angesichts des Umstands, dass das der Revisionswerberin zur Verfügung stehende „data sheet“ die Angabe der Zelllänge und -breite sowie des Quadratmetergewichtes - also gerade jener Eigenschaften, die zur Einordnung in die korrekte Unterposition 7019 4000 50 des TARIC erforderlich und revisionsgegenständlich sind - enthielt, ist die - ohne Bezugnahme auf eben diesen Umstand - lediglich in den Revisionsgründen vorgebrachte Behauptung der Revisionswerberin, der monierte Irrtum der Zollbehörde habe ihr nicht auffallen können, nicht nachvollziehbar. Dass die diesbezügliche Einordung der revisionsgegenständlichen Waren bei Kenntnis ihrer im „data sheet“ dargestellten Eigenschaften hinsichtlich dieser Eigenschaften komplex (vgl. dazu die von Alexander in Witte, UZK8, Art. 119 Rz 18 zitierte Rechtsprechung des EuGH) wäre, ist nicht zu erkennen, zumal diese nur hätten abgelesen und mit den in der Unterposition 7019 4000 50 des TARIC genannten Angaben hätten abgeglichen werden müssen.
37 Insgesamt erweist sich die Revision im Hinblick auf die fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 119 Abs. 1 UZK als zulässig. Das Bundesfinanzgericht ist im angefochtenen Erkenntnis jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass der gemäß Art. 119 Abs. 1 UZK gestellte Antrag der Revisionswerberin abzuweisen war. Die Revision stellt sich sohin als unbegründet dar, weshalb sie aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
38 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. Juni 2024
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023160088.L00