Verwaltungsgerichtshof
18.06.2024
Ra 2023/13/0074
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schultheis, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Wien 1/23 in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 26. Mai 2023, Zl. RV/7103469/2020, betreffend Haftung für Lohnsteuer und Festsetzung von Dienstgeberbeiträgen, jeweils für die Jahre 2010 bis 2015 (mitbeteiligte Partei: Bundesministerium für Landesverteidigung in 1090 Wien, Rossauer Lände 1),
1. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird betreffend Haftung für Lohnsteuer für die Jahre 2010 bis 2015 in Bezug auf die im Anhang genannten Dienstnehmer wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
2. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
1 Mit Bescheiden vom 30. Oktober 2018 setzte das Finanzamt gegenüber der mitbeteiligten Partei (einem Bundesministerium) jeweils für die Jahre 2010 bis 2015 Dienstgeberbeiträge fest und nahm die mitbeteiligte Partei als Arbeitgeber für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn zu entrichtenden Lohnsteuer in Anspruch. In der Begründung wurde jeweils auf den Bericht über die Außenprüfung vom 30. Oktober 2018 und die Niederschrift über die Schlussbesprechung verwiesen.
2 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diese Bescheide Beschwerde. Dem Beschwerdeverfahren betreffend Haftung für Lohnsteuer traten 194 Arbeitnehmer bei.
3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 22. Jänner 2020, gerichtet an das mitbeteiligte Ministerium, gab das Finanzamt der Beschwerde betreffend Dienstgeberbeitrag teilweise Folge.
4 Mit weiterer Beschwerdevorentscheidung vom 22. Jänner 2020, gerichtet an das mitbeteiligte Ministerium sowie an in der Beilage aufgezählte 194 Personen, gab das Finanzamt der Beschwerde betreffend Heranziehung zur Haftung für Lohnsteuer teilweise Folge.
5 Die mitbeteiligte Partei beantragte, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen. 40 Personen, die dem Beschwerdeverfahren (betreffend Haftung für Lohnsteuer) beigetreten waren, gaben die Erklärung ab, auch der Vorlage beizutreten.
6 Das Bundesfinanzgericht führte am 20. April 2023 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch und verfasste dazu zwei (verschiedene) Niederschriften, zum einen betreffend „Beschwerdesache Bundesministerium [...] über die Beschwerde der Abgabepflichtigen vom 4. Dezember 2018 gegen die Bescheide des Finanzamtes [...] vom 30. Oktober 2018, betreffend Dienstgeberbeitrag [...] 2010 bis 2015“; zum anderen betreffend „Beschwerdesache Bundesministerium [...] als Beschwerdeführerin und allen Beigetretenen über die Beschwerde der Abgabepflichtigen gegen die Bescheide des Finanzamtes [...] vom 30. Oktober 2018, betreffend Haftungsbescheide LSt 2010 bis 2015“; betreffend die der Beschwerde Beigetretenen wurde dazu auf eine beigelegte Liste verwiesen, die jene 40 Personen aufzählte, die dem Vorlageantrag beigetreten waren. Am Ende der Beschwerdeverhandlung verkündete das Bundesfinanzgericht jeweils die Erkenntnisse. Der Beschwerde werde stattgegeben, die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
7 Mit dem schriftlich ausgefertigten (hier angefochtenen) Erkenntnis (gerichtet an das Finanzamt und an das mitbeteiligte Ministerium, nicht aber an jene Personen, die dem Beschwerdeverfahren beigetreten waren) gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob die angefochtenen Bescheide (ersatzlos) auf. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, im Bereich des mitbeteiligten Bundesministeriums würden Bediensteten Naturalwohnungen zur Verfügung gestellt. Die Wohnungen stünden zum Teil im Eigentum des Ministeriums, zum Teil seien sie mittels langfristiger Verträge angemietet; sie seien unterschiedlichen Wohnungskategorien zuzuordnen. Vermieter seien unterschiedliche natürliche oder juristische Personen, u.a. Wohnbaugenossenschaften. Die Wohnungen würden den Bediensteten mit Bescheid zugewiesen. Die Wohnungsnutzer hätten dafür nach §§ 24 ff Gehaltsgesetz (GehG) ein „angemessenes Entgelt“ an das Ministerium zu leisten und sämtliche Betriebskosten zu ersetzen.
9 Für Naturalwohnungen, deren Vergabe, Berechnung der zu leistenden Vergütung und Behandlung im Rahmen der Lohn- und Gehaltsverrechnung im Bund seien die Bestimmungen eines Erlasses des Bundeskanzleramts vom 17. November 1986 zu beachten.
10 Zur Administration der Naturalwohnungen habe das Ministerium seit 1985 eine Wohnungsdatenbank verwendet; im Jahr 1999 sei diese Datenbank von einer „Weiterentwicklung“ abgelöst worden. Die Datei erfasse alle Daten zu sämtlichen Wohnungen (Adresse, Größe, Vermieter, Wohnungsqualität nach Kategorie, die gezahlte Miete und die Betriebskosten) und zu den Wohnungsnutzern (Sozialversicherungsnummer, Dienststelle, Personenstand, Nutzungsübernahme, zu zahlende Grundvergütung und Betriebskosten).
11 Die Naturalwohnungen seien bis Ende 2018 im mitbeteiligten Ministerium nicht als Sachbezug behandelt oder versteuert worden, weil nach Rechtsansicht des Ministeriums nach §§ 24 ff GehG eine angemessene Vergütung zu leisten sei, weshalb kein Vorteil aus dem Dienstverhältnis vorliegen könne und der mit dem Ministerium abgestimmte Erlass des Bundeskanzleramts einen Sachbezug ausdrücklich ausschließe. In diesem Erlass sei - nach Darlegungen diverser Berechnungsbeispiele - u.a. festgehalten, für die Benützer von Naturalwohnungen finde die Hinzurechnung des Wohnraumwertes bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen nicht statt. Aus dem Erlass des Bundeskanzlersamts gehe eindeutig hervor, dass dessen Inhalt mit der zuständigen Fachabteilung für Lohnsteuer im Bundesministerium für Finanzen (BMF) abgestimmt gewesen sei. Es sei davon auszugehen, dass der hier vorliegende Erlasstext die Rechtsansicht des BMF zur steuerlichen Behandlung von Naturalwohnungen wiedergebe. Aufgrund der komplexen Berechnungen und inhaltlichen Ausführungen sei überdies davon auszugehen, dass der genannte Punkt D (Wohnraumbewertung, Berücksichtigung bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer) zur Gänze von der zuständigen Fachabteilung im BMF verfasst worden sei. Dem BMF könne nicht unterstellt werden, dass bei (Mit-)Verfassung dieses Erlasses nicht zuvor sämtliche Sachverhalts- und Rechtsgrundlagen umfassend ermittelt und ausführlich besprochen worden seien. Ein geänderter Erlass sei - soweit ersichtlich - bis Ende 2015 nicht erlassen worden.
12 Das mitbeteiligte Ministerium sei bereits für die Jahre 2005 bis 2009 einer gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) unterzogen worden, welche vom damals zuständigen Sozialversicherungsträger (Wiener Gebietskrankenkasse) durchgeführt worden sei. Bereits im Rahmen dieser Prüfung seien die Naturalwohnungen Gegenstand der Überprüfungshandlungen gewesen. Unterlagen zu dieser Prüfung seien von der belangten Behörde trotz entsprechender Aufforderung nicht vorgelegt worden. In freier Beweiswürdigung der diesbezüglichen Ausführungen der Vertreter des mitbeteiligten Ministeriums und nach den Erfahrungen des täglichen Lebens sei davon auszugehen, dass auch im Rahmen der damaligen Prüfung sämtliche zur Vergabe und weiteren Behandlung der Naturalwohnungen vorhandenen Unterlagen sowie Auswertungen aus der Datenbank zur Verfügung gestellt worden seien. Bereits im Rahmen dieser Prüfungshandlungen seien sohin der im Finanzamt zuständigen abgabenfestsetzenden Stelle die Vorgehensweise des mitbeteiligten Ministeriums im Zusammenhang mit der Behandlung der Naturalwohnungen, nämlich das Nichtansetzen von Sachbezugswerten, offengelegt worden.
13 Im Jahr 2013 sei (offensichtlich ausgelöst durch einen kritischen Zeitungsartikel zu den Naturalwohnungen) eine Nachschau (für den Zeitraum 2008 bis 5/2013) durch ein dreiköpfiges Team von Lohnsteuerprüfern des Finanzamts erfolgt. Gegenstand dieser Überprüfungshandlungen sei dabei ausschließlich die Behandlung der Naturalwohnungen im Bereich des mitbeteiligten Ministeriums gewesen. Dabei seien zahlreiche Unterlagen eingesehen worden. Im Arbeitsbogen fänden sich dazu eine Reihe von Unterlagen, die das Finanzamt dem Bundesfinanzgericht auszugsweise übermittelt habe. Aus diesen Unterlagen sei ersichtlich, dass die Daten aus der Wohnungsdatenbank den Prüfern im Rahmen der Nachschau zur Verfügung gestellt worden seien; diese Daten seien als „Wohnungsdatenauszug“ im Arbeitsbogen abgelegt worden. Mit E-Mail vom 4. September 2014 habe ein Prüfer dem zuständigen Mitarbeiter des mitbeteiligten Ministeriums mitgeteilt, dass die Nachschau beendet sei. Aus dem dargestellten Sachverhalt (Wohnungen) ergäben sich für die Finanzverwaltung keine weiteren Veranlassungen. Es werde ein Aktenvermerk für etwaige zukünftige Veranlassungen angelegt.
14 Aus den Unterlagen des Arbeitsbogens dieser Nachschau, durchgeführt unter der Leitung des zuständigen Teamleiters der GPLA des damals zuständigen Finanzamts, sei ersichtlich, dass der zuständigen abgabenfestsetzenden Stelle jedenfalls seit 2013 vollumfänglich bekannt gewesen sei, wie und nach welchen Kriterien das mitbeteiligte Ministerium die von den betroffenen Dienstnehmern zu leistende Abgeltung für Naturalwohnungen im Detail berechne und dass für diese Naturalwohnungen kein Sachbezugswert angesetzt werde. Das mitbeteiligte Ministerium habe nicht nur sämtliche Berechnungsparameter im Rahmen der Nachschau offen gelegt, sondern auch die Rechtsansicht begründet und auf die jeweils von ihr angewandten Rechtsgrundlagen verwiesen.
15 Die für die Abgabenfestsetzung zuständige Stelle habe zudem dem mitbeteiligten Ministerium mitgeteilt, dass bei gleichbleibendem Sachverhalt aus der Sicht des Finanzamts keine Veranlassungen aus diesem Grund erfolgen würden. Das mitbeteiligte Ministerium habe daher zu Recht davon ausgehen können, dass das Finanzamt seine Rechtsmeinung teile und ihr Vorgehen (Nichtansatz eines Sachbezugswertes für die Naturalwohnungen) zutreffend und daher auch für die Zukunft nicht zu ändern sei.
16 Beginnend mit 20. Dezember 2016 (ausgelöst durch einen Bericht des Rechnungshofes zu Wohnungen im Bereich des mitbeteiligten Ministeriums) sei eine GPLA für die Jahre 2010 bis 2015 durchgeführt worden, wobei zwei der drei Prüfer bereits bei der vorangegangenen Nachschau tätig gewesen seien.
17 Im Rechnungshofbericht finde sich die Darstellung, aufgrund fehlerhafter Berechnungen des mitbeteiligten Ministeriums bei drei stichprobenartig ausgewählten Fällen sei das Finanzamt zum Ergebnis gekommen, dass die Vergütungen, welche die Bediensteten zu entrichten hätten, den Kosten des Ministeriums entsprochen hätten, weshalb kein geldwerter Vorteil vorgelegen sei, der zu versteuern gewesen wäre. Für das Bundesfinanzgericht sei nicht erkennbar, welcher Berechnungsfehler angeblich zu einer Fehlbeurteilung des Finanzamts geführt haben solle; dieser Berechnungsfehler werde weder im Rechnungshofbericht noch in den Ausführungen des Finanzamts dargestellt.
18 Die im Rahmen der GPLA für die Jahre 2010 bis 2015 zur Verfügung gestellten Auswertungen aus der Datenbank deckten sich mit jenen Auswertungen, die im Rahmen der Nachschau zur Verfügung gestellt worden seien, seien aber um zwei Informationen ergänzt worden (Darstellung der Wohnungskategorie; Zuordnung der Wohnungsnutzer zu den jeweiligen Dienstgeberkonten für Lohnabgaben, die damals im mitbeteiligten Ministerium bestanden hätten). Zudem seien für den Nachschauzeitraum 2008 bis 5/2013 über Wunsch der Nachschauorgane nur die Daten für 2013 aufbereitet worden.
19 Werde das mitbeteiligte Ministerium im Haftungsweg zur Zahlung von Lohnsteuernachforderungen herangezogen, bestehe die Verpflichtung, diese Beträge im Regresswege bei den Bediensteten zurückzufordern; diese Rückforderung sei im Einzelfall im Klagsweg einbringlich zu machen.
20 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, es stehe fest, dass der Abgabenbehörde bereits aufgrund der GPLA der Jahre 2005 bis 2009 (durchgeführt durch die Wiener Gebietskrankenkasse) bekannt gewesen sei, dass das mitbeteiligte Ministerium ihren Bediensteten Naturalwohnungen überlasse und dafür keinen steuerpflichtigen Sachbezug ansetze. Auch die dazu vom Ministerium vertretene Rechtsansicht sei dem Finanzamt bekannt gewesen: Wegen der gesetzlichen Festlegung der Angemessenheit der Vergütung bleibe für einen steuerlichen Sachbezug kein Raum. Neuerlich besprochen worden sei diese Rechtsansicht im Rahmen des Nachschauverfahrens. Diese Rechtsansicht, die überdies vom Bundesverwaltungsgericht in Erkenntnissen vom 13. Jänner 2022 betreffend Beiträge zur Sozialversicherung bestätigt worden sei, habe dazu geführt, dass die Nachschau keine weitere Veranlassung seitens des Finanzamts ausgelöst habe. Im Gegenteil: Mit E-Mail vom 4. September 2014 habe ein Mitglied des Nachschauteams dem mitbeteiligten Ministerium ausdrücklich mitgeteilt, dass keine Veranlassung zu erfolgen habe. Aus dieser Mitteilung sei für Dritte (und auch für das mitbeteiligte Ministerium) eindeutig ableitbar gewesen, dass die im Finanzamt zuständige abgabenfestsetzende Stelle zumindest bis 2015 die Rechtsansicht des mitbeteiligten Ministeriums geteilt habe.
21 Bei unveränderter Tatsachenlage ließen sich im Wege einer Wiederaufnahme die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offen gelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung nicht beseitigen. Sowohl dem Finanzamt als auch dem BMF sei seit vielen Jahren (zumindest seit 2009) bekannt gewesen, dass seit Jahrzehnten kein Ansatz von Sachbezugswerten bei Naturalwohnungen im mitbeteiligten Ministerium erfolge. Diese Vorgehensweise sei aufgrund eines interministeriell abgestimmten Erlasses bereits 1987 für ebendiese Fälle bei voller Kenntnis der Tatsachenlage vom BMF so festgelegt worden.
22 Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bundeskanzleramts vom 17. November 1986 sei ein Erlass des BMF über die Regelung der Sachbezugswerte vom 2. Juli 1986 (AÖF Nr. 213/1986) zwingend anzuwenden gewesen. Beide Erlässe seien - im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - als Rechtsverordnungen anzusehen. Wenn im Erlass des Bundeskanzleramts der Erlass des BMF betreffend Sachbezugswerte ausdrücklich als nicht anwendbar bezeichnet werde, sei dies als „lex specialis“ zu verstehen.
23 Die nunmehrige Festsetzung von Abgaben (bzw. Heranziehung zur Haftung) beruhe auf einer Änderung der Rechtsansicht des Finanzamts nach allfälliger vorheriger Fehlbeurteilung. Schon aus diesem Grunde liege keine neue Tatsache vor, die eine Festsetzung nach § 201 Abs. 2 Z 3 BAO rechtfertige.
24 Würde man hingegen davon ausgehen, dass keine (bloße) Änderung der Rechtsansicht vorliege, stelle sich die Frage, welcher konkrete Tatbestand des § 201 BAO angewandt worden sei bzw. ob und gegebenenfalls welche neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgelegen seien.
25 Weder im Bericht über die Außenprüfung vom 30. Oktober 2018 noch in den übrigen Unterlagen (Niederschrift), auf die der Bericht verweise, fänden sich klare Aussagen darüber, welcher der beiden Tatbestände des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO herangezogen worden sei.
26 Die Festsetzungsbescheide verwiesen auf die Niederschrift über die Schlussbesprechung und diese auf eine Beilage. Dieser Beilage seien umfangreiche rechtliche Ausführungen zu entnehmen; an keiner Stelle werde aber dargestellt, ob die Festsetzung erfolgt sei, weil zuvor keine Lohnsteuerbeträge gemeldet worden seien oder ob bzw. welche neuen Tatsachen oder Beweismittel konkret neu hervorgekommen seien. Es liege hier keine mangelhafte Begründung vor, die das Bundesfinanzgericht präzisieren oder ergänzen könne.
27 In den Bescheiden werde auf Festsetzungsgründe nur in rechtlicher Hinsicht eingegangen. Es lasse sich bloß erahnen, dass die belangte Behörde von einem Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel ausgehe. Dies ergebe sich jedoch nicht konkret aus dem Text der Beilage zur Niederschrift. Aus diesem Text lasse sich vielmehr ableiten, dass eine neue rechtliche Würdigung eines bereits bekannten Sachverhaltes erfolgt sei. Ein neu herangezogener Tatsachenkomplex, wie er für die Begründung einer Wiederaufnahme aufzuzeigen sei, könne der Begründung nicht entnommen werden. Dem Abgabepflichtigen werde auch nicht zu verstehen gegeben, dass die Kenntnis neu hervorgekommener Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Es fehlten zudem sämtliche Hinweise zur Ermessensübung. Damit liege der Schluss nahe, dass das Finanzamt im vorliegenden Fall gänzlich auf die verfahrensrechtlichen Grundlagen der Festsetzungsbescheide vergessen habe.
28 Würde man zum Ergebnis gelangen, dass die Festsetzungsbescheide „nur“ mangelhaft begründet worden seien, sei die Frage des Vorliegens der neu hervorgekommenen Tatsachen zu beurteilen.
29 Das Finanzamt führe dazu aus, der angezogene Grund der Nichtbesteuerung der Naturalwohnungen als Sachbezug sei erst im Zuge der GPLA 2010 bis 2015 neu hervorgekommen bzw. „später“ (nämlich lange nach Bekanntwerden im Rahmen der Nachschau 2013/14) verwertet worden. Diesen Ausführungen stehe der Umstand entgegen, dass die nunmehr als unrichtig eingeordnete Vorgehensweise bereits in der Vorprüfung Prüfungsgegenstand gewesen sei. Den damaligen Prüfern sei bekannt gewesen, dass seitens des mitbeteiligten Ministeriums keine Sachbezugswerte angesetzt würden. Die Kenntnis des seither unverändert gebliebenen Sachverhalts müsse sich das Finanzamt anrechnen lassen. Der Umstand, dass im Rahmen der Nachschau ausschließlich die Behandlung der Naturalwohnungen Gegenstand gewesen sei und das Finanzamt durch ein zuständiges Organ ausdrücklich die Richtigkeit der Vorgehensweise der mitbeteiligten Partei bestätigt habe, sei dabei ebenso zu beachten.
30 Der für die Festsetzung der Lohnabgaben zuständigen Stelle des Finanzamts sei der zugrundeliegende Sachverhalt jedenfalls seit 2009 bekannt gewesen; dieser Sachverhalt habe sich danach nicht verändert. Das Finanzamt habe von sich aus zu verstehen gegeben, dass die gewählte Vorgehensweise nicht nur bekannt, sondern auch richtig sei. Beziehe man zudem den Erlass des Bundeskanzleramts vom 17. November 1986 in die Betrachtung ein, sei ersichtlich, dass sämtlichen mit der Erhebung der Lohnsteuern befassten Dienststellen und Abteilungen die Vorgehensweise des mitbeteiligten Ministeriums im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung von Naturalwohnungen habe bekannt sein müssen.
31 Sollte man in der im Zuge der GPLA erstmals mitgeteilten Wohnungskategorie ein neues Beweismittel oder eine neu hervorgekommene Tatsache erblicken, bleibe zuletzt das geübte Ermessen zu prüfen. Das Finanzamt habe im Erstbescheid keinerlei Ermessensabwägung vorgenommen. In der Beschwerdevorentscheidung finde sich nur ein formelhafter Hinweis.
32 Im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass das mitbeteiligte Ministerium bei der steuerlichen Behandlung der Naturalwohnungen innerhalb eines gesetzlich und erlassmäßig genau geregelten Verfahrens habe vorgehen müssen. Sämtliche inhaltlichen Vorgaben seien vom Ministerium bei der Vergabe und Berechnung der durch die Dienstnehmer zu entrichtenden Vergütung unstrittig eingehalten worden. Dabei sei insbesondere der Erlass des Bundeskanzleramts vom 17. November 1986 beachtet und umgesetzt worden, woraus die Nichtbesteuerung eines Sachbezugswertes resultiert habe. Der Grund für die Nichtbesteuerung als Sachbezug sei maßgeblich in der Sphäre der Finanzverwaltung und den mit dem BMF abgestimmten Inhalten des Erlasses vom 17. November 1986 gelegen. In einem weiteren Verfahren (GPLA 2005 bis 2009) sei durch Nichtaufgreifen des Sachverhalts die rechtliche Richtigkeit der Erlassmeinung und des Vorgehens des mitbeteiligten Ministeriums bestätigt worden. Im Zuge einer Nachschau habe das Finanzamt selbst ausdrücklich erklärt, dass die Vorgehensweise des mitbeteiligten Ministeriums aus Sicht der GPLA keine Veranlassungen nach sich ziehen würde. Daraus habe das mitbeteiligte Ministerium zu Recht ableiten können, dass die gehandhabte Vorgehensweise seitens des Finanzamtes keine Festsetzungen oder Wiederaufnahmen auslösen werde.
33 Aus der Sicht des mitbeteiligten Ministeriums seien sämtliche einschlägigen, auch steuerlichen Vorschriften beachtet worden. Falls in der Nichterfassung von Sachbezugswerten eine aus ertragsteuerlicher Sicht unrichtige Vorgehensweise erblickt werde, habe dieses unrichtige Vorgehen die Finanzverwaltung alleine oder doch überwiegend zu verantworten. Dieser Umstand sei im Rahmen der Ermessensübung zugunsten des mitbeteiligten Ministeriums zu berücksichtigen.
34 Dem Grundsatz von Treu und Glauben komme im Rahmen der Ermessensübung im Zusammenhang mit amtswegigen Wiederaufnahmen und Festsetzungen nach § 201 BAO ebenfalls Bedeutung zu. Ein Abgabepflichtiger, der sich im Vertrauen auf eine Erlasslage erlasskonform verhalten habe, sei in diesem Vertrauen geschützt. Das mitbeteiligte Ministerium habe gemäß den Vorgaben des interministeriell erarbeiteten Erlasses disponiert und keine Sachbezugswerte angesetzt. Diese Vorgehensweise habe nicht auf einer eigenen unrichtigen Einschätzung der Rechtslage durch das mitbeteiligte Ministerium beruht, sondern auf einer zwischen den Ministerien abgestimmten bindenden Vorgehensweise. Der Grundsatz von Treu und Glauben sei aufgrund der besonderen Umstände im vorliegenden Fall (langjährige, bundesweite Übung im Sinne der interministeriellen Übereinkunft verbunden mit der Bindung an den Erlass des Bundeskanzleramts) im Rahmen der Ermessensübung als so wesentlich einzustufen, dass der Billigkeit der Vorzug gegenüber der Zweckmäßigkeit einzuräumen sei.
35 Für die Beurteilung der Haftungsbescheide (Lohnsteuer) seien zusätzlich weitere Aspekte im Rahmen der Ermessensübung zu beachten. Für das mitbeteiligte Ministerium bestehe die Verpflichtung, Lohnsteuerbeträge, für welche es zur Haftung herangezogen werde, im Regresswege von den Dienstnehmern zurückzufordern. Dieser Anspruch müsse gegenüber jedem einzelnen betroffenen Bediensteten im Zivilrechtsweg durchgesetzt werden. Daraus entstünden der öffentlichen Hand der Höhe nach wesentliche Beratungs-, Gerichts- und Verwaltungskosten. Gründe der Zweckmäßigkeit würden daher gegen die Festsetzung (Heranziehung zur Haftung) sprechen.
36 Darüber hinaus seien auch die Interessen der (teilweise dem Beschwerdeverfahren beigetretenen) Nutzer der Naturalwohnungen zu beachten. Diese würden als öffentlich Bedienstete bescheidmäßig in die Wohnungen „eingewiesen“, wobei sie davon ausgehen durften, dass die zu entrichtenden und bescheidmäßig festgelegten Entgelte sowie die gesamte Vorgehensweise im Rahmen der Lohn- und Gehaltsverrechnung sämtlichen gesetzlichen Vorgaben entspreche. Wenn die Bediensteten nunmehr nach langer Zeit für einen mehrere Jahre umfassenden Zeitraum in Anspruch genommen würden, beeinträchtige dies jedenfalls ihre Wirtschaftskraft wesentlich und unerwartet. Dieser Umstand dürfe bei der Ermessensübung nicht außer Acht gelassen werden. Diese Überlegungen verstärkten bei der vorliegenden Sachlage die Unbilligkeit der Inanspruchnahme des mitbeteiligten Unternehmens im Haftungswege für Lohnsteuer.
37 Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts wäre als Folge des Rechnungshofberichtes die bundesweite Vorgehensweise allenfalls pro futuro zu ändern, eine rückwirkende Änderung erscheine jedoch insgesamt jedenfalls unbillig, sodass die angefochtenen Bescheide aufzuheben gewesen seien.
38 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision des Finanzamts.
39 Nach Einleitung des Vorverfahrens wurde im vorliegenden Verfahren keine Revisionsbeantwortung eingebracht.
40 Hinzuweisen ist darauf, dass das Bundesfinanzgericht mit weiteren (insgesamt 40) schriftlich ausgefertigten Erkenntnissen (vom 26. Mai 2023) „in der Beschwerdesache der zur Beschwerde des Bundesministerium [...] beigetretenen [Name einer beigetretenen Partei] über die Beschwerde vom 4. Dezember 2018 gegen die Bescheide des Finanzamtes [...] vom 30. Oktober 2018 betreffend Haftungsbescheide Lohnsteuer 2010 bis 2015“ entschieden und dabei ebenfalls die „angefochtenen Bescheide [...] aufgehoben“ hat. Gegen diese Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts richten sich weitere Revisionen des Finanzamts. In einem dieser anhängigen Verfahren (zu Ra 2023/13/0083) erstattete das mitbeteiligte Ministerium eine Revisionsbeantwortung, die sich sowohl auf Haftung für Lohnsteuer als auch auf Festsetzung der Dienstgeberbeiträge bezieht.
41 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
42 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
43 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein derartiger Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
44 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
45 Zur Zulässigkeit der Revision wird (jeweils unter Hinweis auf näher bezeichnete Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes) geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis verletze bezogen auf die Entscheidungen über die Haftungsbescheide die Einheitlichkeit gemäß § 281 Abs. 1 BAO; Entscheidungen im Beschwerdeverfahren seien gegenüber dem Beschwerdeführer und den Beigetretenen einheitlich zu erlassen.
46 Weiters wird geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis verstoße gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Tatsachen bzw. Beweismittel im Falle von Selbstberechnungsabgaben neu hervorgekommen und damit als Wiederaufnahmegrund geeignet seien, wenn diese nach der Selbstbemessung dem Finanzamt neu bekannt würden. Die Tatsache der Nichtbesteuerung der Sachbezüge in den Streitjahren sowie die Beweismittel, die zur Berechnung der konkreten Höhe der jeweiligen Sachbezüge notwendig gewesen seien, seien dem Finanzamt erst nach der Selbstberechnung der Lohnsteuer bzw. des Dienstgeberbeitrags bekannt geworden. Indem das Bundesfinanzgericht das Vorliegen der Voraussetzungen eines Vorgehens nach § 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO (betreffend Festsetzung der Dienstgeberbeiträge; betreffend Heranziehung zur Haftung iVm § 202 BAO) verneint habe, stelle sich das Bundesfinanzgericht gegen die ständige Rechtsprechung.
47 Das Bundesfinanzgericht begründe das von ihm geübte Ermessen dahin, dass dem Finanzamt nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ein Erlass des Bundeskanzleramts aus dem Jahr 1986 zuzurechnen sei. Dieser Erlass sei zu § 24a GehG idF BGBl. Nr. 387/1986 ergangen. Das mitbeteiligte Ministerium habe in den Streitjahren die Grundvergütungen nicht entsprechend § 24a GehG berechnet und habe somit entgegen diesem Erlass gehandelt. Damit bestehe kein Schutz der mitbeteiligten Partei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben.
48 Schließlich liege der angefochtenen Entscheidung auch ein wesentlicher Ermittlungs- bzw. Begründungsmangel zu Grunde, der zur Zulässigkeit der Revision führe. Das Bundesfinanzgericht gehe in seiner Entscheidung davon aus, dass auf Grund der Ausführungen auf Seite 30 des Erlasses des Bundeskanzleramts aus dem Jahr 1986 und den davor dargestellten Berechnungsbeispielen die mitbeteiligte Partei darauf habe vertrauen dürfen, dass eine Sachbezugsbesteuerung von zur Verfügung gestellten Naturalwohnungen ab Jänner 1987 für alle zukünftigen Zeitpunkte zu unterbleiben habe. Aus der Begründung des Erkenntnisses ergebe sich nicht, auf Grund welcher Überlegungen das Bundesfinanzgericht zu dem Schluss gelangt sei, dass für alle Zeiträume ab Jänner 1987 zur Verfügung gestellte Naturalwohnungen nicht bei der Bemessungsgrundlage für die Lohnsteuer zu berücksichtigen seien. Das Fehlen eines konkreten Beispiels zu Naturalwohnungen im Erlass des Bundeskanzleramts aus dem Jahr 1986 vermöge diese Annahme des Bundesfinanzgerichts nicht zu tragen; eine solche Auslegung sei auch verfassungsrechtlich bedenklich. Das Bundesfinanzgericht habe es auch zu ermitteln unterlassen, ob auf Grund der ab 1987 zu leistenden Grundvergütung überhaupt eine Sachbezugsbesteuerung für diese Naturalwohnungen durchzuführen gewesen wäre und deshalb eine Sachbezugsbesteuerung in diesem Erlass keine Erwähnung gefunden habe.
1. Festsetzung Dienstgeberbeiträge
49 Wie die Revision selbst im Rahmen der Revisionsbegründung darlegt, führte das Bundesfinanzgericht aus, die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Selbstberechnungsabgabe gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO (betreffend Haftung für Lohnsteuer iVm § 202 BAO) seien aus mehreren Gründen nicht vorgelegen. Zunächst seien die neu hervorgekommenen Tatsachen bzw. Beweismittel in den Bescheiden nicht ordnungsgemäß genannt worden. Für den Fall, dass der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu diesem Thema ausreichend Genüge getan worden sei, seien die Beweismittel bzw. Tatsachen nicht neu hervorgekommen. Sollten Beweismittel bzw. Tatsachen neu hervorgekommen sein, dann sei das Ermessen durch das Finanzamt falsch geübt worden.
50 Im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens wird aber das vom Bundesfinanzgericht angenommene Fehlen bereits der ersten Voraussetzung für eine Festsetzung einer Selbstberechnungsabgabe, nämlich die Darlegung der neu hervorgekommenen Tatsachen bzw. Beweismittel in der Begründung (sowie den dort verwiesenen Dokumenten) im Festsetzungsbescheid nicht bekämpft. Es entspricht jedoch der - im angefochtenen Erkenntnis und ebenso in der Revisionsbegründung dargelegten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Tatsachenkomplex, auf den die Abgabenbehörde die Wiederaufnahme oder - wie hier - die von der Selbstberechnung abweichende Festsetzung stützt, aus dem Bescheid (allenfalls durch Verweis) erkennbar sein muss (vgl. z.B. VwGH 16.11.2006, 2006/14/0014). Bei einem Bescheid betreffend amtswegiger Wiederaufnahme des Verfahrens wird die Sache, über die das Bundesfinanzgericht zu entscheiden hat, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde herangezogen wurde (vgl. z.B. VwGH 18.12.2017, Ra 2017/15/0063; 17.11.2021, Ra 2021/13/0138). Da die Beurteilung des Bundesfinanzgerichts zu dieser Voraussetzung im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens nicht releviert wird, dieser Umstand aber (mangels Bekämpfung) schon für sich dazu führt, dass die Festsetzung der Selbstberechnungsabgabe durch das Finanzamt rechtswidrig war, hängt die Revision zur Festsetzung der Dienstgeberbeiträge nicht von den zur Zulässigkeit der Revision geltend gemachten Fragen (iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG) ab.
2. Haftung für Lohnsteuer
51 Gemäß § 257 Abs. 1 BAO kann einer Bescheidbeschwerde, über die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde, beitreten, wer nach Abgabenvorschriften für die den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildende Abgabe als Gesamtschuldner oder als Haftungspflichtiger in Betracht kommt. Wer einer Bescheidbeschwerde beigetreten ist, kann nach § 257 Abs. 2 BAO die gleichen Rechte geltend machen, die dem Beschwerdeführer zustehen.
52 Durch den Beitritt zu einer Beschwerde, der von der Behörde nicht gemäß § 258 Abs. 2 BAO zurückgewiesen wurde, erwirbt der Beitretende alle Rechte gemäß § 257 BAO, ohne dass der Verwaltungsgerichtshof aus Anlass einer Revision gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Frage der Beitrittsberechtigung zu prüfen hat (vgl. VwGH [verstärkter Senat] 20.1.1993, 90/13/0049; vgl. weiters z.B. VwGH 17.4.2008, 2006/15/0067).
53 Gemäß § 281 Abs. 1 BAO können im Beschwerdeverfahren nur einheitliche Entscheidungen (Beschwerdevorentscheidungen, Erkenntnisse und gemäß § 278 BAO aufhebende Beschlüsse) getroffen werden. Sie wirken für und gegen die gleichen Personen wie der angefochtene Bescheid.
54 Die Pflicht, im Bescheidbeschwerdeverfahren nur einheitliche Entscheidungen zu treffen, gilt auch bei Beitritt zu einer Bescheidbeschwerde (etwa - wie im hier vorliegenden Verfahren - bei Beitritt des Arbeitnehmers zu einer Bescheidbeschwerde des Arbeitgebers gegen einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid). Solche Entscheidungen sind dem Beschwerdeführer und dem Beigetretenen gegenüber einheitlich zu erlassen; die Entscheidung ist an beide zu richten (vgl. - mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - Ritz/Koran, BAO7, § 281 Tz 9). Eine einheitliche Entscheidung ist auch jenen Personen gegenüber geboten, die der Beschwerde beigetreten, aber keinen Vorlageantrag gestellt haben (vgl. VwGH 23.3.1982, 81/14/0085). Ein Verstoß gegen das Gebot der einheitlichen Entscheidung führt (entgegen der noch zu VwGH 23.3.1982, 81/14/0085, vertretenen, insoweit vereinzelt gebliebenen Ansicht) nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung (vgl. z.B. VwGH 29.10.2003, 2000/13/0028; 13.9.2006, 2004/13/0128).
55 Es kann hier dahingestellt bleiben, ob eine einheitliche Entscheidung dann vorläge, würden wortgleiche Erledigungen an alle Parteien des Beschwerdeverfahrens gerichtet (vgl. VwGH 13.9.2006, 2004/13/0128; vgl. auch Tanzer in GS Arnold, 233 ff [260], wonach es ausreichend wäre, dem Beigetretenen die Rechtsmittelerledigung zuzustellen). Es liegen nämlich nicht mehrere (idente) Ausfertigungen derselben verkündeten und urschriftlich unterfertigten (§ 280 Abs. 1 lit. f BAO) Erledigung vor. Die an die Beigetretenen gerichteten Entscheidungen wurden - wie aus den vorgelegten Verfahrensakten hervorgeht - vielmehr eigens urschriftlich unterfertigt und sind mit der hier angefochtenen Entscheidung auch inhaltlich nicht ident; sie enthalten in der Begründung (anders als die hier angefochtene Entscheidung) jeweils einen Hinweis auf den Beitritt.
56 Im Übrigen ist zu bemerken, dass sich selbst die mündliche Verkündung lediglich auf jene Beigetretenen bezogen hat, die auch Vorlageanträge gestellt hatten. Damit erfasste aber auch die mündliche Verkündung nicht einheitlich sowohl die beschwerdeführende Partei als auch sämtliche der Beschwerde beigetretenen Personen.
57 Ein Haftungsbescheid betreffend Lohnsteuer ist, wenn er sich auf mehrere Arbeitnehmer und/oder mehrere Monate bezieht, ein Sammelbescheid; die Lohnabgaben fallen grundsätzlich pro Arbeitnehmer und Monat an. Die Zusammenfassung der Festsetzung mehrerer Abgaben iSd § 201 Abs. 4 BAO bzw. die entsprechende Geltendmachung der Haftung für mehrere Abgaben gemäß § 202 Abs. 1 BAO ändert nichts am Vorliegen einzelner Abgaben (vgl. VwGH 3.5.2022, Ra 2020/15/0055, mwN). „Sache“ des Verfahrens ist insoweit die Geltendmachung der Haftung betreffend bestimmte Arbeitnehmer und bestimmte Zeiträume (vgl. neuerlich VwGH 3.5.2022, Ra 2020/15/0055). In dieser Hinsicht ist das angefochtene Erkenntnis (wie auch der zu Grunde liegende Bescheid) trennbar (vgl. VwGH 20.1.1993, 90/13/0049).
58 Ein Verstoß gegen die Einheitlichkeit der Entscheidung liegt damit nur insoweit vor, als Beitritte zur Beschwerde betreffend Heranziehung zur Haftung für Lohnsteuer erklärt worden waren. Nur in diesem Umfang (hinsichtlich dieser insgesamt 194 dem Beschwerdeverfahren beigetretenen Dienstnehmer) wird das angefochtene Erkenntnis von dem geltend gemachten Zulässigkeitsgrund erfasst und ist die Revision begründet.
59 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb in diesem Umfang (Haftung für Lohnsteuer für die Jahre 2010 bis 2015 betreffend die Abgaben der beigetretenen Dienstnehmer) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne auf das übrige Revisionsvorbringen eingehen zu müssen.
60 Im Übrigen war hingegen die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 18. Juni 2024
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023130074.L00