Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

21.06.2024

Geschäftszahl

Ra 2023/13/0040

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schultheis, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, Rechnungs- und Abgabenwesen, in 1010 Wien, Ebendorferstraße 2, 3. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 26. Jänner 2023, Zl. RV/7400009/2021, betreffend Haftung für Kommunalsteuer und Wiener Dienstgeberabgabe (mitbeteiligte Partei: L in A, vertreten durch Mag. Andreas Urban, Steuerberater in 1130 Wien, Oskar-Jascha-Gasse 69), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1             Mit Bescheid vom 28. Februar 2019 wurde der Mitbeteiligte für den Rückstand an Kommunalsteuer samt Nebenansprüchen der F GmbH in Höhe von 3.899,75 € für den Zeitraum Jänner 2016 bis August 2018 und für den Rückstand an Wiener Dienstgeberabgabe samt Nebenansprüchen der F GmbH in der Höhe von 673,20 € für den Zeitraum Jänner bis August 2018 haftbar gemacht und aufgefordert, diese Beträge binnen einem Monat ab Zustellung dieses Bescheides zu entrichten.

2             Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er machte u.a. geltend, die aufgrund der Feststellungen eines Prüfungsberichts entstandenen Nachforderungen seien nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Geschäftsführers zurückzuführen, da er sich einer fachkundigen Personalverrechnerin bedient habe.

3             Mit Beschwerdevorentscheidung vom 16. Oktober 2020 änderte die belangte Behörde den Haftungsbescheid (betreffend die offenen Beträge in geringem Umfang) ab.

4             Der Mitbeteiligte beantragte die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.

5             Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob den angefochtenen Bescheid ersatzlos auf. Es sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6             Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte sei vom 21. Jänner 2010 bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 6. August 2018 Geschäftsführer der im Jahr 1995 gegründeten F GmbH gewesen. Im September 2019 sei der Konkurs nach Schlussverteilung einer Quote von 1,46% aufgehoben worden. Im März 2020 sei die Firma amtswegig im Firmenbuch gelöscht worden.

7             In der mit Bericht vom 11. September 2018 abgeschlossenen gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben bei der F GmbH sei u.a. festgestellt worden, dass den Geschäftsführern der F GmbH (dem Mitbeteiligten und Ing. O) Fahrzeuge auch für Privatfahrten zur Verfügung gestellt worden seien. Dabei sei übersehen worden, dass die Sachbezugswerte u.a. in die Bemessungsgrundlage betreffend Kommunalsteuer einzubeziehen seien. Auch seien Verkehrsstrafen und andere Strafen vom Dienstgeber übernommen worden; dies stelle einen steuerpflichtigen Vorteil aus dem Dienstverhältnis dar.

8             Die daraus resultierenden Abgaben (Kommunalsteuer, Wiener Dienstgeberabgabe) seien bei der Primärschuldnerin uneinbringlich. Es könne nicht festgestellt werden, dass die belangte Behörde zu diesen Abgaben Bescheide über Säumniszuschläge erlassen habe.

9             Der Mitbeteiligte habe sich als Geschäftsführer einer namentlich näher genannten Lohnverrechnerin bedient, die von Anfang an bei der Primärschuldnerin tätig gewesen sei. Sie sei über alle Vorgänge informiert gewesen, insbesondere auch über die Versteuerung von Sachbezügen. Bis zum Jahr 2016 habe es damit auch keine Probleme gegeben. Der Mitbeteiligte sei seinen Kontrollpflichten als Geschäftsführer in ausreichender Weise nachgekommen.

10           Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Bundesfinanzgericht u.a. aus, der Mitbeteiligte habe sich im gesamten Verfahren dahin verantwortet, dass die Buchhaltung von seiner langjährigen Lohnverrechnerin durchgeführt worden sei. Auch vom Masseverwalter habe eine Ungleichbehandlung der Gläubiger nicht erkannt werden können. Der Mitbeteiligte habe in der Befragung in der mündlichen Verhandlung die Vorgänge rund um die gegenständlichen Abgaben glaubhaft schildern können. Insbesondere sei glaubhaft, dass er hinsichtlich der gegenständlichen Abgaben nicht jeden einzelnen Betrag bis ins Detail nachgerechnet habe, den ihm seine Lohnverrechnerin zur Unterschrift vorgelegt habe. Ungereimtheiten hätten ihm nicht auffallen können, da es sich bei der Primärschuldnerin um ein mittelgroßes Unternehmen gehandelt habe, das monatlich Abgaben in Höhe von mehreren zehntausend Euro habe abführen müssen. Die hier gegenständlichen Beträge wären auf Grund ihres geringen Betrages pro Monat nicht aufgefallen. Die Kontrolle des Mitbeteiligten habe sich auf die jeweilige Summe, nicht auf die Zusammensetzung der Beträge bezogen.

11           Nach umfangreichen Darlegungen zu den Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme führte das Bundesfinanzgericht aus, zwar liege in der Nichtentrichtung bzw. nicht vollständigen Entrichtung der Kommunalsteuer und Dienstgeberabgabe zu den Fälligkeitstagen ein „schuldhaftes Verhalten“ des Revisionswerbers, da er verpflichtet gewesen wäre, sämtliche Abgaben zu entrichten. Die Nichtentrichtung bzw. nicht vollständige Entrichtung der hier gegenständlichen Abgaben sei ihm aber nicht vorwerfbar, da er weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt habe. Mit dem Hinweis auf den Einsatz einer „fachkundigen Personalverrechnerin“, der Beschreibung der Vorgänge vor dem Jahr 2016 und auch seiner Vorgangsweise bei der Abzeichnung von zu entrichtenden Beträgen habe der Mitbeteiligte glaubhaft dartun können, dass er alles Notwendige getan habe, um den ihm obliegenden Pflichten zur Erfüllung der abgabenrechtlichen Vorschriften der Primärschuldnerin nachzukommen. Nehme der Geschäftsführer die steuerlichen Agenden nicht selbst wahr, sondern übertrage er sie an Dritte, werde er dadurch nicht vom Haftungsrisiko befreit. Es träfen ihn Auswahl- und Kontrollpflichten, deren Verletzung Haftungsfolgen zeitigen könne. Der Mitbeteiligte habe aber glaubhaft dargetan, dass er die herangezogene Person insoweit ausreichend überwacht habe und ihm auch die Zahlungspflichten nicht verborgen geblieben seien. Unregelmäßigkeiten der Lohnverrechnerin vor dem Zeitraum der haftungsgegenständlichen Abgaben oder auch danach seien nicht bekannt, sodass auch keine besondere Überwachungspflicht bestanden habe.

12           Der Mitbeteiligte sei mangels schuldhafter Pflichtverletzung zu Unrecht von der belangten Behörde zur Haftung herangezogen worden; der angefochtene Bescheid sei daher ersatzlos aufzuheben gewesen.

13           Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision der belangten Behörde. Zur Zulässigkeit wird geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der - näher dargelegten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verschulden von Geschäftsführern im Rahmen der Haftung bei Abgabenschulden, da keine ausreichenden Kontrollen der mit den abgabenrechtlichen Agenden betrauten Personen stattgefunden hätten. Bei der Frage, ob der Mitbeteiligte seinen Kontrollpflichten als Geschäftsführer in ausreichender Weise nachgekommen sei, handle es sich um eine Frage der rechtlichen Beurteilung. Es sei keinerlei Kontrolle der Zusammensetzung der Beträge erfolgt, sodass die Argumentation, ein „geringer“ Betrag sei übersehen worden, ins Leere gehe, da auch ein größerer Betrag nicht aufgefallen wäre.

14           Nach Einleitung des Vorverfahrens hat sich der Mitbeteiligte am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.

15           Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

16           Die Revision ist zulässig und begründet.

17           Gemäß § 6a Abs. 1 KommStG 1993 haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

18           Ebenso haften gemäß § 6a Abs. 1 Wiener Dienstgeberabgabegesetz (WDAG) die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Dienstgeberabgabe insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Konkurseröffnung.

19           Im Revisionsverfahren ist ausschließlich strittig, ob die Voraussetzung der „schuldhaften Verletzung“ vorliegt.

20           Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Vertreter darzutun hat, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung dieser Pflichten annehmen darf (vgl. z.B. VwGH 27.5.2020, Ra 2020/13/0027, mwN). Als schuldhaft gilt hiebei jede Form des Verschuldens, somit auch leichte Fahrlässigkeit (vgl. z.B. VwGH 2.8.1995, 93/13/0278; 15.9.1995, 93/17/0404; (verstärkter Senat) 18.10.1995, 91/13/0037; 19.5.2021, Ra 2019/13/0046).

21           Wenn der verantwortliche Vertreter seine abgabenrechtlichen Pflichten auf eine andere Person überträgt, wird er dadurch nicht von seiner Verantwortung befreit. Es treffen ihn in einem solchen Fall Auswahl- und Kontrollpflichten, deren Verletzung zu Haftungsfolgen führen kann. Es gehört zu den Pflichten des zur Vertretung einer juristischen Person Berufenen, durch geeignete Aufsichts- und Überwachungsmaßnahmen, insbesondere durch Einrichtung von Kontrollmechanismen dafür Sorge zu tragen, dass die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten tatsächlich erfolgt. Der zur Vertretung einer juristischen Person Berufene hat die Tätigkeit der von ihm beauftragten Personen in solchen Abständen zu überprüfen, die es ausschließen, dass die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten, insbesondere die Verletzung abgabenrechtlicher Zahlungspflichten verborgen bleibt (vgl. VwGH 25.11.1980, 1383/80; 16.12.1991, 90/15/0114; 2.8.1995, 93/13/0278; 19.11.1998, 98/15/0159; 31.1.2001, 95/13/0261; 20.9.2006, 2001/14/0202; 28.11.2007, 2007/15/0164). Diese Überwachungspflicht besteht auch dann, wenn es noch nicht zu einer Fehlleistung der beauftragten Person gekommen ist (vgl. VwGH 19.6.1999, 99/14/0128; 21.10.2003, 2001/14/0099, mwN).

22           Die Ausführungen des Bundesfinanzgerichts zum Vorliegen von Verschulden sind zunächst insoweit widersprüchlich, als einerseits ein schuldhaftes Verhalten des Mitbeteiligten angenommen wird, anderseits aber ausgeführt wird, dieses Verhalten sei dem Mitbeteiligten nicht vorwerfbar, weil er weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hätte. Ein schuldhaftes Verhalten liegt allerdings nur dann vor, wenn das Verhalten entweder vorsätzlich oder fahrlässig erfolgte.

23           Das Bundesfinanzgericht führt (im Rahmen seiner Sachverhaltsannahmen) aus, der Mitbeteiligte sei seinen Kontrollpflichten als Geschäftsführer in ausreichender Wise nachgekommen.

24           Zutreffend macht die revisionswerbende Behörde dazu geltend, dass es sich bei der Frage, ob der Geschäftsführer seinen Kontrollpflichten in „ausreichender“ Weise nachgekommen sei, um eine solche der rechtlichen Beurteilung handelt. Die dazu vom Bundesfinanzgericht im Rahmen der „Beweiswürdigung“ angestellten Erwägungen behandeln sohin disloziert die vom Verwaltungsgerichtshof nicht nur auf ihre Schlüssigkeit zu prüfende rechtliche Beurteilung. Dieser Beurteilung sind die Feststellungen des Bundesfinanzgerichts darüber zu Grunde zu legen, welche Überwachungsmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden.

25           Die einem Geschäftsführer bei Beauftragung dritter Personen obliegende Überwachungspflicht kann nicht so verstanden werden, dass praktisch jeder einzelne an Mitarbeiter delegierte Arbeitsablauf auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit hin zu überprüfen wäre. Wohl aber muss der Geschäftsführer dafür Sorge tragen, dass durch eine entsprechende innerbetriebliche Organisation, deren Funktionieren in geeigneter Weise - etwa mittels Stichproben - zu überprüfen ist, jener Aufgabenbereich ordnungsgemäß wahrgenommen wird, für den der Geschäftsführer verantwortlich ist (vgl. VwGH 19.4.1988, 85/14/0055; vgl. auch - betreffend Finanzvergehen - z.B. VwGH 17.1.1984, 83/14/0152, AnwBl. 1984, 348 f).

26           Nach den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts bezog sich die Prüfung des Mitbeteiligten nur auf die Summe, nicht aber (auch) auf die Zusammensetzung der Beträge. Damit erfolgte aber keine Prüfung (auch nicht lediglich mittels Stichprobe), ob der an die Personalverrechnerin übertragene Aufgabenbereich ordnungsgemäß wahrgenommen wurde. Dass es in der Vergangenheit zu keinen Unregelmäßigkeiten gekommen war, entbindet den Geschäftsführer nicht von der Verpflichtung zur Überprüfung.

27           Das Bundesfinanzgericht nimmt weiters an, dem Geschäftsführer hätten Ungereimtheiten nicht auffallen können; die hier strittigen Beträge wären auf Grund ihres geringen Betrages pro Monat nicht aufgefallen. Diesen Erwägungen liegen aber - sie befinden sich ebenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung - keine Feststellungen (und auch keine beweiswürdigenden Erwägungen zu derartigen Feststellungen) zu Grunde. Ob eine (unterlassene) stichprobenweise Überprüfung von Aufzeichnungen (mit einiger Wahrscheinlichkeit) dazu geführt hätte, die Unrichtigkeit der von der Personalverrechnerin ermittelten Beträge zu erkennen (vgl. dazu VwGH 2.8.1995, 93/13/0278, unter Hinweis auf VwGH 20.12.1982, 3092/80, AnwBl. 1983, 416; vgl. weiters VwGH 19.12.2002, 2002/15/0152; 20.9.2006, 2001/14/0202), kann damit nicht beurteilt werden.

28           Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 21. Juni 2024

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023130040.L00