Verwaltungsgerichtshof
18.06.2024
Ra 2023/12/0069
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede und Hofrätin Mag. römisch eins. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision des S O in Wien, vertreten durch MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 27. Oktober 2022, VGW-002/011/5021/2021-11, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird gemäß Paragraph 42, Absatz 4, VwGG dahin abgeändert, dass infolge der vom Revisionswerber gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 3. März 2021, GZ: VStV/921300056248/2021, erhobenen Beschwerde das Strafverfahren gemäß Paragraph 43, Absatz eins, VwGVG eingestellt wird.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 3. März 2021 wurde der Revisionswerber der Übertretungen des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild iVm. § 2 Abs. 2 und 4 iVm. § 4 Glücksspielgesetz (GSpG) mit sieben Glücksspielgeräten schuldig erkannt und über ihn gemäß § 52 Abs. 2 vierter Strafsatz GSpG eine Geldstrafe in der Höhe von jeweils € 3.000,- (bzw. 4 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurde mit € 2.100,- bestimmt.
2 Diesem Straferkenntnis lag zusammengefasst der Vorwurf zu Grunde, der Revisionswerber habe am 7. September 2020 um 22:00 Uhr in einem näher bezeichneten Lokal verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG zur Teilnahme vom Inland aus unternehmerisch zugänglich gemacht und geduldet, dass in diesen Räumlichkeiten sieben Glücksspielgeräte betriebsbereit aufgestellt gewesen seien.
3 Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde. Die Beschwerde langte bei der belangten Behörde am 24. März 2021 ein.
4 Am 27. April 2020 hatte der Verwaltungsgerichtshof in dem zu Ra 2020/17/0013 anhängigen Verfahren gemäß § 38a VwGG folgenden Beschluss (BGBl. I Nr. 55/2020) gefasst:
„I. Beim Verwaltungsgerichtshof besteht Grund zur Annahme, dass im Sinne des Paragraph 38 a, Absatz eins, VwGG eine erhebliche Anzahl von Revisionen eingebracht werden wird, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind: Es geht um die Fragen, ob Paragraph 52, Absatz 2, dritter Strafsatz Glücksspielgesetz - GSpG sowie im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß Paragraph 52, Absatz 2, dritter Strafsatz leg. cit., die Paragraphen 16 und 64 VStG gegen Unionsrecht (Artikel 56, AEUV sowie Artikel 49, Absatz 3, GRC) verstoßen und ob die vor dem Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark wegen der allenfalls daraus folgenden Unanwendbarkeit ohne gesetzliche Grundlage ergangen ist.
römisch II. Zur Beantwortung der in Spruchpunkt römisch eins. genannten Rechtsfragen hat der Verwaltungsgerichtshof Paragraph 52, Absatz 2, dritter Strafsatz GSpG, Bundesgesetzblatt Nr. 620 aus 1989,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 13 aus 2014,, sowie Paragraph 16, VStG, Bundesgesetzblatt Nr. 52 aus 1991, und Paragraph 64, Absatz 2, VStG, Bundesgesetzblatt Nr. 52 aus 1991, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 33 aus 2013,, anzuwenden.
römisch III. Der Verwaltungsgerichtshof wird die Rechtsfragen in dem zu Ra 2020/17/0013 protokollierten Revisionsverfahren behandeln.
römisch IV. Der Bundeskanzler ist gemäß Paragraph 38 a, Absatz 2, VwGG zur unverzüglichen Kundmachung des Spruches dieses Beschlusses im Bundesgesetzblatt verpflichtet. Auf die mit der Kundmachung eintretenden, in Paragraph 38 a, Absatz 3, VwGG genannten Rechtsfolgen, wird verwiesen.“
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 27. Oktober 2022 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 3. März 2021 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Fassung der angewendeten Bestimmungen des Glücksspielgesetzes näher konkretisiert wurde. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, der Revisionswerber habe einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von € 600,- pro Eingriffsgegenstand zu leisten. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
6 In der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses finden sich (erkennbar unter der Annahme einer Hemmung von Fristen) die folgenden Ausführungen:
„Das Verfahren wurde danach aufgrund der Verfügung des VwGH ausgesetzt (per 1.7.2020), Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Dezember 2021, Ra 2020/17/0013. Wegfall Sperrwirkungen mit Ablauf des 11.3.2022 gemäß Paragraph 38 a, Absatz 4, letzter Satz VwGG.“
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, über die Revision erwogen:
9 Die Revision erweist sich unter dem Gesichtspunkt der in ihrer Zulässigkeitsbegründung aufgeworfenen Frage der Einhaltung der Frist des § 43 VwGVG als zulässig und berechtigt.
Paragraph 43, Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 33 aus 2013, (VwGVG) lautet:
„Verjährung
Paragraph 43, (1) Sind seit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten gegen ein Straferkenntnis bei der Behörde 15 Monate vergangen, tritt es von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen.
(2) In die Frist gemäß Absatz eins, werden die Zeiten gemäß Paragraph 34, Absatz 2, und Paragraph 51, nicht eingerechnet.“
10 Die 15-monatige Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG beginnt mit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten bei der Behörde zu laufen (vgl. zB VwGH 11.5.2023, Ra 2023/11/0037, mwN). Sind seit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten gegen ein Straferkenntnis bei der Behörde 15 Monate vergangen, tritt es gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen. Entscheidet das Verwaltungsgericht über ein nach Ablauf der 15-monatigen Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG von Gesetzes wegen außer Kraft getretenes verwaltungsbehördliches Straferkenntnis, so belastet es dadurch sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts. Die Zustellung an die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde, der nach § 18 VwGVG Parteistellung im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zukommt, bewirkt die rechtswirksame und rechtzeitige Erlassung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts (vgl. zu allem etwa VwGH 20.2.2019, Ra 2018/03/0121, mwN).
11 Im vorliegenden Fall ist die (zulässige und rechtzeitige) Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 3. März 2021 bei dieser am 24. März 2021 eingelangt.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar zur Verjährungsbestimmung des § 43 VwGVG, die durch ihren in Abs. 2 leg. cit. normierten Verweis auf § 34 Abs. 2 VwGVG einen wortgleichen Hemmungstatbestand wie § 31 Abs. 2 Z 4 VStG enthält, bereits ausgesprochen, dass sich diese Bestimmung auf - vom Verwaltungsgericht abzuwartende - (Zwischen-)verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, auch etwa solche nach § 38a VwGG, bezieht (vgl. VwGH 1.2.2024, Ra 2022/12/0057, mwN).
13 Das Verwaltungsgericht ließ jedoch im vorliegenden Fall unberücksichtigt, dass die Frist des § 43 VwGVG von 15 Monaten nicht durch die Wirkungen des nach § 38a VwGG erlassenen Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013, gehemmt war, weil nach der ausdrücklichen Anordnung des § 38a Abs. 3 Z 1 VwGG von den „Sperrwirkungen“ eines Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a VwGG nur solche Rechtssachen erfasst sind, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat. Vorliegend hatte das Verwaltungsgericht aber nicht den im Beschluss vom 27. April 2020 genannten § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG oder die §§ 16 und 64 VStG „im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz leg. cit.“ anzuwenden, sondern den vierten Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG und damit eine andere Rechtsvorschrift als jene, die in dem zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a VwGG genannt war (vgl. VwGH 22.10.2023, Ra 2023/12/0011).
14 Am Tag der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vom 27. Oktober 2022 war die Frist des § 43 VwGVG bereits abgelaufen.
15 Das Straferkenntnis der belangten Behörde war daher im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bereits gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG außer Kraft getreten; das Strafverfahren wäre daher vollumfänglich einzustellen gewesen.
16 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie - wie vorliegend - entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt.
17 Das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts war daher dahin abzuändern, dass das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Revisionswerber einzustellen war, weil das Straferkenntnis im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts bereits außer Kraft getreten war.
18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 18. Juni 2024
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023120069.L00