Verwaltungsgerichtshof
13.06.2024
Ra 2023/11/0114
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und die Hofrätin MMag. Ginthör, den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätinnen Dr.in Oswald und Dr. Kronegger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Janitsch, über die Revision des H R, vertreten durch die Dr. Roland Gabl Rechtsanwalts KG in 4020 Linz, Museumstraße 31a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 21. Juni 2023, Zl. LVwG-AV-1830/001-2023, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz-Land), zu Recht erkannt:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis dahingehend geändert, dass die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 3. März 2023, VerkR21-65-2022/LL, wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes mit Beschluss zurückgewiesen wird.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 1.1. Mit Mandatsbescheid vom 22. November 2022 entzog die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht, dem Revisionswerber die Lenkberechtigung für den Zeitraum von 30 Monaten, gerechnet ab Bescheidzustellung, und sprach aus, dass vor Ablauf der Entziehungsdauer keine Lenkberechtigung erteilt werden dürfe, und dass der Revisionswerber den über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellten Führerschein bei der belangten Behörde abzuliefern habe.
2 Begründend stützte sich die belangte Behörde auf das rechtskräftige Urteil des Landesgerichts Linz vom 26. Juli 2022, mit welchem der Revisionswerber u.a. wegen der Verbrechen nach § 206 Abs. 1 und § 207 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde, was die bestimmte Tatsache des § 7 Abs. 3 Z 8 FSG verwirkliche.
3 1.2. Auf Grund einer vom Revisionswerber erhobenen Vorstellung bestätigte die belangte Behörde mit Bescheid vom 3. März 2023 den Mandatsbescheid vom 22. November 2022 über die Entziehung der Lenkberechtigung und erkannte die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ab.
4 1.3. Mit Beschluss vom 9. Mai 2023 wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers infolge örtlicher Unzuständigkeit als unzulässig zurück und sprach aus, dass die Sache gemäß § 6 AVG iVm. § 31 Abs. 2 VwGVG an das offenbar nicht unzuständige Landesverwaltungsgericht Niederösterreich weitergeleitet werde.
5 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber seinen Hauptwohnsitz in 4063 Hörsching am 23. Dezember 2022 aufgegeben habe. Zwischen 26. Jänner 2022 und 11. Jänner 2023 habe er sich in Untersuchungshaft in der Justizanstalt Linz befunden. Seit 12. Jänner 2023 befinde er sich in der Justizanstalt Sonnberg in 2020 Hollabrunn in Strafhaft und habe dort seinen Hauptwohnsitz. Dies ergebe sich beweiswürdigend aus einer Abfrage im Zentralen Melderegister.
6 Rechtlich führte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich aus, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe das Verwaltungsgericht seine sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Maßgeblich sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses bzw. Beschlusses. Im Fall der Änderung der Sach- und Rechtslage im Laufe des Verfahrens sei dieses von dem nach der neuen Situation zuständigen Verwaltungsgericht weiterzuführen, weil dem Verwaltungsverfahren eine perpetuatio fori fremd sei.
7 Das Führerscheingesetz stelle hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit auf den Wohnsitz, allenfalls den Aufenthalt des Beteiligten ab. Der Revisionswerber sei seit Jänner 2023 nicht mehr in Oberösterreich aufhältig, sondern habe seinen Wohnsitz in der Justizanstalt Sonnberg in Niederösterreich. Gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 VwGVG richte sich die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte im Administrativerfahren, wie sich aus dem verwiesenen § 3 AVG ergebe, nach dem Hauptwohnsitz des Betroffenen, dann nach seinem letzten Aufenthalt im Inland.
8 In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes werde zwar die Auffassung vertreten, dass ein zwangsweise begründeter Aufenthalt eines Häftlings kein Wohnsitz sei (Hinweis auf VwGH 13.12.2012, 2010/21/0168), allerdings habe in diesen Fällen in der Haftanstalt keine Hauptwohnsitzmeldung bestanden und sei daneben ein anderer Hauptwohnsitz aufrecht gewesen. Im vorliegenden Fall habe der Revisionswerber seinen Wohnsitz in Hörsching bereits am 23. Dezember 2022 aufgegeben. Zwischen 26. Jänner 2022 und 11. Jänner 2023 habe er sich in U-Haft in Linz befunden. Aktuell sei als einziger Wohnsitz die Justizanstalt Sonnberg gemeldet.
9 Sämtliche örtlichen Anknüpfungspunkte seien im für das verwaltungsgerichtliche Verfahren relevanten Zeitraum in Niederösterreich gelegen. Ginge man davon aus, dass die vorliegende Hauptwohnsitzmeldung nicht relevant sei, wäre gemäß § 3 Abs. 3 Z 3 AVG subsidiär auf den Aufenthalt des Revisionswerbers abzustellen.
10 Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich sei somit nicht zuständig.
11 Dieser Beschluss blieb - soweit aus der Aktenlage ersichtlich - unbekämpft.
12 1.4. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und änderte den angefochtenen Bescheid dahingehend, dass die Entziehungsdauer mit 24 Monaten festgesetzt werde, wobei Haftzeiten (mit hier nicht relevanten Ausnahmen) auf die Dauer der Entziehung nicht anzurechnen seien. Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
13 Das Verwaltungsgericht stellte, soweit hier maßgeblich, fest, der Revisionswerber sei von 16. Jänner 2022 bis 11. Jänner 2023 in der Justizanstalt Linz inhaftiert gewesen. Seit 12. Jänner 2023 verbüße er seine Haftstrafe in der Justizanstalt Sonnberg in 2020 Hollabrunn.
14 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung begründete das Verwaltungsgericht die Entziehung der Lenkberechtigung und die Reduktion der Entziehungszeit.
15 1.5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, in der die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird. Die belangte Behörde teilte im Vorverfahren mit, von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung abzusehen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 2. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, dass nach der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die Zuständigkeit der Berufungsbehörde fixiert sei und dass durch eine Inhaftierung ein bestehender Hauptwohnsitz nicht verloren gehe. Ausgehend davon, dass der Revisionswerber seinen Hauptwohnsitz in Hörsching gehabt habe, sei das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich unzuständig gewesen.
17 Die Revision ist aus den dargelegten Gründen zulässig.
18 3. Die Revision ist auch begründet:
19 3.1. Zuständig zur Entziehung der Lenkberechtigung ist gemäß § 24 Abs. 1 iVm. § 35 Abs. 1 FSG die Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, die Landespolizeidirektion. Örtlich zuständig ist gemäß § 3 Z 3 AVG jene Behörde, in deren Sprengel der Hauptwohnsitz des Besitzers der Lenkberechtigung liegt.
20 3.2. Im Zeitpunkt der Entziehung der Lenkberechtigung mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 22. November 2022 war der Revisionswerber, wie sich aus den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses ergibt, (seit 16. Jänner 2022) in der Justizanstalt Linz inhaftiert. Aus dem Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 9. Mai 2023 ergibt sich allerdings - in Übereinstimmung mit einer aktenkundigen Auskunft aus dem Zentralen Melderegister -, dass er zu diesem Zeitpunkt nach wie vor (seit dem Jahr 1990) mit Hauptwohnsitz in Hörsching angemeldet war. Nach der Melderegisterauskunft war der Revisionswerber überdies seit 26. Jänner 2022 mit einem Nebenwohnsitz in der Justizanstalt Linz angemeldet.
21 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist - wie im Fall eines Untersuchungshäftlings oder Strafhäftlings - ein zwangsweise begründeter Aufenthaltsort kein (Haupt-)Wohnsitz (vgl. VwGH 21.7.1994, 94/18/0279; 15.12.2004, 2001/18/0230; 26.9.2007, 2007/21/0238; 16.12.2008, 2007/18/0794; 28.2.2008, 2008/21/0069; 24.11.2009, 2009/21/0267). Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof in einzelnen Fällen davon ausgegangen, dass bei mehrjähriger Inhaftierung ein vorheriger (Haupt-)Wohnsitz trotz Meldung nicht weiterhin aufrecht war (vgl. etwa VwGH 26.9.2007, 2007/21/0238, nach vier Jahren Haft, sowie - vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in seinem Beschluss vom 9. Mai 2023 bezogen - VwGH 24.11.2009, 2009/21/0267, nach sechs Jahren Haft). Im vorliegenden Fall war der Revisionswerber hingegen - zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides vom 22. November 2022 - erst seit 16. Jänner 2022 in Haft; er hat seinen früheren Hauptwohnsitz in Hörsching sodann mit 23. Dezember 2022 abgemeldet. Es bestehen keine Hinweise dafür, dass Umstände vorgelegen wären, die eine örtliche Zuständigkeit zur Erlassung des Mandatsbescheides in Niederösterreich begründet hätten.
22 3.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass eine Behörde, die einen Mandatsbescheid erlassen hat, der nicht nach § 57 Abs. 3 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft getreten ist, für das weitere Verfahren betreffend die Entscheidung über die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid auch dann zuständig bleibt, wenn sich in der Zwischenzeit die Verhältnisse, die zur Begründung ihrer Zuständigkeit geführt hatten, geändert haben (vgl. VwGH 11.4.1984, 82/11/0358; 12.4.1999, 99/11/0086; 23.4.2008, 2006/03/0172; 23.6.2010, 2009/03/0039; 20.6.2012, 2009/03/0071; 9.6.2021, Ra 2021/03/0042).
23 Angesichts dessen konnte auch die Verlegung des Revisionswerbers in die Justizanstalt Sonnberg in Niederösterreich und seine dortige Hauptwohnsitzmeldung ab 12. Jänner 2023 keine örtliche Zuständigkeit in Niederösterreich begründen.
24 3.4. Der Verwaltungsgerichtshof ging zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass mit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die Zuständigkeit der Berufungsbehörde fixiert ist. Selbst nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen in für die Zuständigkeit der Erstbehörde relevanten Umständen vermögen an der einmal gegebenen funktionellen Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde nichts mehr zu ändern (vgl. VwGH 28.8.2012, 2012/21/0092, mwN).
25 Diese Rechtsprechung ist auf die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gemäß § 3 Abs. 2 VwGVG übertragbar. Die örtliche Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes gemäß § 3 Abs. 2 VwGVG bestimmt sich somit nach den örtlichen Anknüpfungspunkten des § 3 AVG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides. Nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen in den für die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes relevanten örtlichen Anknüpfungspunkten vermögen an der einmal gegebenen Zuständigkeit nichts mehr zu ändern (vgl. VwGH 20.4.2016, Ro 2016/04/0003).
26 In einer Verfahrenskonstellation wie der vorliegenden, in der zunächst ein Mandats- und sodann ein Vorstellungsbescheid erlassen wurde, ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens zwar der Vorstellungsbescheid. Für die Bestimmung des örtlich zuständigen Landesverwaltungsgerichtes kommt es allerdings auf die nach § 3 AVG zuständigkeitsbegründenden Umstände im Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides an. Grundgedanke der zuvor darstellten Rechtsprechung ist nämlich, dass die zuständigkeitsbegründenden Umstände mit der erstmaligen Erlassung eines Bescheides auch für ein folgendes Rechtsmittelverfahren, wozu sowohl das Vorstellungsverfahren vor der belangten Behörde als auch das Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht zählt, fixiert sind.
27 Im Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides vom 22. November 2022 war allerdings, wie bereits ausgeführt, nicht von einer behördlichen Zuständigkeit in Niederösterreich auszugehen. Die nach Erlassung des Vorstellungsbescheides erfolgte Verlegung des Revisionswerbers in eine Justizanstalt im Bundesland Niederösterreich und seine dortige Hauptwohnsitzmeldung waren für die Bestimmung des örtlich zuständigen Landesverwaltungsgerichtes nach § 3 Z 3 AVG ohne Bedeutung.
28 Zuständig zur Entscheidung über die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den (Vorstellungs-)Bescheid vom 3. März 2023 war somit jedenfalls nicht das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich.
29 4. Der Revisionswerber hat zwar lediglich die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 VwGG beantragt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst allerdings nicht antragsbedürftig (vgl. VwGH 21.7.2021, Ra 2021/02/0084, mwN).
30 Da die Sache entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in Stattgebung der Revision dahingehend zu ändern, dass die an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich weitergeleitete Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 3. März 2023 wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes mit Beschluss zurückgewiesen wird.
31 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. Juni 2024
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023110114.L00