Verwaltungsgerichtshof
13.06.2024
Ra 2023/11/0113
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und die Hofrätin MMag. Ginthör, den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätinnen Dr.in Oswald und Dr. Kronegger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Janitsch, über die Revision des S E in W, vertreten durch Mag. Georg Derntl, Rechtsanwalt in 4320 Perg, Hauptplatz 11a/Herrenstraße 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 26. Juni 2023, Zl. LVwG-652697/16/MK, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Anordnung begleitender Maßnahmen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Perg), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme angeordnet wird, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen wird die Revision abgewiesen.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 1.1. Mit (Vorstellungs-)Bescheid der belangten Behörde vom 26. Jänner 2023 wurde dem Revisionswerber gemäß u.a. § 24 Abs. 1 Z 1 und 3, § 26 Abs. 2 Z 2 und § 29 Abs. 4 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Dauer von zwölf Monaten, gerechnet ab der vorläufigen Abnahme des Führerscheins am 14. November 2022, entzogen und für die Dauer der Entziehung der Gebrauch einer ausländischen Lenkberechtigung verboten, sowie gemäß § 24 Abs. 3 FSG und § 14 Abs. 2 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung - FSG-GV die Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme und eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung sowie gemäß § 24 Abs. 3 FSG eine Nachschulung für alkoholauffällige Lenker angeordnet. Überdies sprach die belangte Behörde aus, dass die Entziehung nicht vor Befolgung dieser Anordnungen ende, und schloss die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aus.
2 Die belangte Behörde legte dem Bescheid zu Grunde, der Revisionswerber habe einen dem Kennzeichen nach bestimmten PKW am 14. November 2022 um 17:05 Uhr im Gemeindegebiet von V, K-straße 9, Zufahrtsstraße vor dem Park & Ride-Parkplatz zur Kleingartensiedlung, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Eine um 17:27 Uhr durchgeführte Untersuchung mit einem Alkomat habe einen Alkoholgehalt der Atemluft von 0,91 mg/l ergeben. Der Revisionswerber habe zwar bestritten, das Fahrzeug gelenkt zu haben. Das Beweisverfahren habe jedoch ergeben, dass er das Fahrzeug tatsächlich in alkoholisiertem Zustand gelenkt habe. Zur Entziehungsdauer verwies die belangte Behörde auf die Bestimmung des § 26 Abs. 2 Z 2 FSG und ein „Vordelikt aus dem Jahr 2017“. Die Verpflichtung zur Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme und eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung sowie die Anordnung einer Nachschulung sei „in der im Spruch angeführten Gesetzesstelle festgelegt“.
3 1.2. Gegen diesen Bescheid (zur Gänze) erhob der Revisionswerber Beschwerde, in welcher er im Wesentlichen vorbrachte, er habe das Fahrzeug an besagtem Tag nur von P über E zur Kleingartensiedlung gelenkt, dort Alkohol konsumiert und das Fahrzeug danach nicht mehr in Betrieb genommen. Von der Kleingartensiedlung weg habe A S, der Beifahrer bei der Hinfahrt, gelenkt. Von der belangten Behörde sei auch nicht behauptet worden, dass er bereits bei der Fahrt von P über E zur Kleingartensiedlung das Fahrzeug alkoholisiert gelenkt habe.
4 1.3. Das Verwaltungsgericht führte am 14. April 2023 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Zeuge A S angab, er sei als Beifahrer gemeinsam mit dem Revisionswerber am 14. November 2022 um ca. 15:30 Uhr aus P weggefahren und um ca. 16:15 Uhr in der Schrebergartensiedlung in V angekommen. Die Verhandlung wurde vertagt, um „in Hinblick auf die Entzugsrelevanz der über den gesamten Tag bzw. gegenüber während des Aufenthalts im Bereich der Schrebergartenhütte konsumierten Alkoholmenge ... ein ergänzendes Gutachten zum Zweck der möglichen Ermittlung des Alkoholisierungsgrades zum Zeitpunkt des Eintreffens in der Schrebergartensiedlung“ einzuholen.
5 In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2023 bestätigte der Revisionswerber, dass er am 14. November 2022 um 15:30 Uhr zum Schrebergarten aufgebrochen sei, wo er „3 stärkere Gespritzte und 6 Jagdschloss-Liköre bzw. Schnäpse“ konsumiert habe. Eine vom Verwaltungsgericht beigezogene medizinische Sachverständige rechnete in der Verhandlung ausgehend vom Ergebnis des Alkomattests am Tag des Vorfalls um 17:27 Uhr von 0,91 mg/l, was einem Alkoholgehalt des Blutes von 1,82 Promille entspreche, auf den Alkoholgehalt des Blutes zur Tatzeit um 15:30 Uhr zurück. Ohne Berücksichtigung der Angaben über den Nachtrunk ergebe sich bei Annahme einer wahrscheinlichen Eliminationsrate von 0,15 Promille/Stunde eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,112 Promille. Bei Zugrundelegung der Angaben des Revisionswerbers in dieser Tagsatzung, er habe während des Aufenthaltes im Schrebergarten „3 Gespritzte à 250 ml und 6 Kräuterliköre à 4 cl“ konsumiert, ergebe sich für den Nachtrunk ein Blutalkoholwert von 2,70 Promille, sodass der Blutalkoholwert zur Tatzeit einen Minuspromillwert (minimalster Wert von -0,685 Promille, wahrscheinlicher Wert von -0,588 Promille, maximaler Wert von -0,490 Promille) ergebe. Daraus zog sie den Schluss, dass die Angaben des Revisionswerbers über den Nachtrunk nicht stimmen würden. Bei Zugrundelegung eines „Nachtrunks“ von „5 Gespritzten“, wie „im Polizeiprotokoll“ (gemeint: die Anzeige der Landespolizeidirektion Niederösterreich über den Vorfall vom 14. November 2022) angegeben, ergebe sich ein minimaler Wert von 1,169 Promille, ein wahrscheinlicher Wert von 1,266 Promille und ein maximaler Wert von 1,346 Promille.
6 1.4. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der Beschwerde „mit der Maßgabe Folge“, dass die Entziehungsdauer mit acht Monaten festgesetzt wurde. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe am 14. November 2022 ab 15:30 Uhr den PKW von P bis zur Kleingartensiedlung an der K-straße im Gemeindegebiet von V mit einem Blutalkoholgehalt von zumindest 1,299 Promille gelenkt. Dieser ergebe sich aus einer Rückrechnung des am selben Tag um 17:27 Uhr festgestellten Alkoholgehalts der Atemluft (Alkomattest) von 0,91 mg/l (1,82 Promille) „unter Berücksichtigung eines Nachtrunks von 5 Gspritzten“ in der Zeit zwischen 16:15 und 17:00 Uhr sowie auf Basis der wahrscheinlichsten Abbaurate von 0,15 Promille/Stunde.
8 Dazu führte das Verwaltungsgericht beweiswürdigend aus, der Fahrtantritt werde um 15:30 Uhr angenommen. Der Revisionswerber habe in der mündlichen Verhandlung angegeben, während seines Aufenthaltes im Schrebergarten drei „Gspritzte“ und sechs Schnäpse zu je 4 cl konsumiert zu haben, die als Nachtrunk zu berücksichtigen seien. Unter Zugrundelegung dieser Konsumationsmenge ergebe sich allerdings bei Fahrtantritt ein negativer Blutalkoholwert. Lege man der Rückrechnung hingegen die im Zuge der Erstbefragung durch die Polizeibeamten angegebene Konsumationsmenge von fünf „Gspritzten“ zu Grunde, ergebe sich - je nach Abbaurate - zum Zeitpunkt des Fahrtantritts um 15:30 Uhr ein Blutalkoholwert von 1,169 Promille (minimaler Abbauwert), 1,299 Promille (wahrscheinlichster Abbauwert) bzw. 1,346 Promille (maximaler Abbauwert).
9 Sämtliche Angaben des Revisionswerbers sowie seines Vaters und des Beifahrers A S betreffend die während des Aufenthalts in der Kleingartensiedlung konsumierte Alkoholmenge seien widersprüchlich bzw. nach fachlicher Beurteilung unmöglich. Sie könnten der Entscheidung daher nicht zu Grunde gelegt werden.
10 Ähnlich verhalte es sich bei der Beurteilung der Frage, ob der Revisionswerber nach dem Aufenthalt im Garten den PKW nochmals gelenkt habe (wird beweiswürdigend näher ausgeführt).
11 Demgegenüber stelle sich die Sachlage bezüglich der Fahrt zur Kleingartensiedlung eindeutig dar. Der Revisionswerber habe zugestanden, bereits den ganzen Tag über Alkohol konsumiert zu haben. Die Angaben zum Alkoholkonsum im Garten seien entsprechend dem hohen Wahrheitsgehalt von Erstangaben mit „5 Gspritzten“ glaubhaft, im Hinblick auf den Konsumzeitraum auch plausibel und mit dem Ergebnis der Alkomatmessung bzw. der angestellten Rückrechnung in Einklang zu bringen. Die Anwendung der wahrscheinlichsten Abbaurate stelle vor dem Hintergrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks von der Person des Revisionswerbers die „schonendste“ Feststellungsvariante dar.
12 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, es sei als erwiesen anzusehen, dass der Revisionswerber am 14. November 2022 um 15:30 Uhr ein Kraftfahrzeug in alkoholisiertem Zustand im Sinne des Straftatbestandes des § 99 Abs. 1a StVO 1960 gelenkt habe. Innerhalb des Berücksichtigungszeitraums von fünf Jahren scheine eine Vorentziehung infolge einer Übertretung des § 99 Abs. 1 StVO 1960 am 21. November 2017 auf, weswegen gemäß § 26 Abs. 2 Z 3 FSG eine Mindestentziehungsdauer von acht Monaten zur Anwendung gelange. Da die Fünfjahresfrist nur eine Woche nach dem Zeitpunkt des Vorfalls am 14. November 2022 abgelaufen wäre, sei mit der Mindestentziehungsdauer das Auslangen zu finden.
13 1.5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Im Vorverfahren erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 2. Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage hinsichtlich der Sache des Beschwerdeverfahrens bei einer Entziehung der Lenkberechtigung wegen fehlender Verkehrszuverlässigkeit zulässig.
15 3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG, BGBl. I Nr. 120/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 121/2022, lauten (auszugsweise):
„Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
Paragraph 3, (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),
3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),
...
Verkehrszuverlässigkeit
Paragraph 7, (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Absatz 3,) und ihrer Wertung (Absatz 4,) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen
1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder
2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.
...
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Absatz eins, hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;
...
(4) Für die Wertung der in Absatz eins, genannten und in Absatz 3, beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Absatz 3, Ziffer 14, und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
Allgemeines
Paragraph 24, (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (Paragraph 3, Absatz eins, Ziffer 2, bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß § 13 Abs. 5 ein neuer Führerschein auszustellen.
...
(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen. Die Behörde hat unbeschadet der Bestimmungen des Absatz 3 a, eine Nachschulung anzuordnen:
...
3. wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 oder 1a StVO 1960.
Die Behörde hat unbeschadet der Bestimmungen des Absatz 3 a und sofern es sich nicht um einen Probeführerscheinbesitzer handelt, bei der erstmaligen Übertretung gemäß Paragraph 99, Absatz eins b, StVO 1960 ein Verkehrscoaching zur Bewusstmachung der besonderen Gefahren des Lenkens von Kraftfahrzeugen unter Alkoholeinfluss oder Suchtgiftbeeinträchtigung und dessen Folgen, bei Begehung einer Übertretung gemäß Paragraph 99, Absatz eins b, StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung einer Übertretung gemäß Paragraph 99, Absatz eins, bis 1b StVO 1960 jedoch eine Nachschulung anzuordnen. Im Rahmen des amtsärztlichen Gutachtens kann die Beibringung der erforderlichen fachärztlichen oder einer verkehrspsychologischen Stellungnahme aufgetragen werden. Bei einer zweiten oder weiteren innerhalb von vier Jahren begangenen Übertretung gemäß Paragraph 7, Absatz 3, Ziffer 3, oder einer (auch erstmaligen) Übertretung gemäß Paragraph 99, Absatz eins, StVO 1960 ist unbeschadet der Bestimmungen des Absatz 3 a, zusätzlich die Beibringung eines von einem Amtsarzt erstellten Gutachtens über die gesundheitliche Eignung gemäß Paragraph 8, sowie die Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme anzuordnen; im Fall einer Übertretung gemäß Paragraph 7, Absatz 3, Ziffer 3, kann sich die verkehrspsychologische Untersuchung auf die Feststellung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung beschränken. ... Die Anordnung der begleitenden Maßnahme oder des ärztlichen Gutachtens hat entweder im Bescheid, mit dem die Entziehung oder Einschränkung ausgesprochen wird, oder in einem gesonderten Bescheid zugleich mit dem Entziehungsbescheid zu erfolgen. ...
...
Dauer der Entziehung
Paragraph 25, (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. ...
...
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (Paragraph 7,) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen. ...
...
Sonderfälle der Entziehung
Paragraph 26, ...
(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges
...
2. ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens zwölf Monate zu entziehen,
3. ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1a oder 1b StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens acht Monate zu entziehen,
...“
16 3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung - FSG-GV, BGBl. II Nr. 322/1997, in der Fassung BGBl. II Nr. 267/2021, lauten (auszugsweise):
„Alkohol, Sucht- und Arzneimittel
Paragraph 14, ...
(2) Lenker von Kraftfahrzeugen, bei denen ein Alkoholgehalt des Blutes von 1,6 g/l (1,6 Promille) oder mehr oder der Atemluft von 0,8 mg/l oder mehr festgestellt wurde, haben ihre psychologische Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch eine verkehrspsychologische Stellungnahme nachzuweisen.
...
Verkehrspsychologische Stellungnahme
Paragraph 17, (1) Die Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle gemäß Paragraph 8, Absatz 2, FSG ist im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten insbesondere dann zu verlangen, wenn der Bewerber um eine Lenkberechtigung oder der Besitzer einer Lenkberechtigung Verkehrsunfälle verursacht oder Verkehrsverstöße begangen hat, die den Verdacht
1. auf verminderte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit oder
2. auf mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung erwecken. Mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn einem Lenker innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren die Lenkberechtigung dreimal entzogen wurde, oder wenn ein Lenker wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO 1960 bestraft wurde.
...“
17 3.3. § 99 Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960, BGBl. Nr. 159, in der Fassung BGBl. I Nr. 154/2021, lautet (auszugsweise):
„§ 99. Strafbestimmungen.
(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1600 Euro bis 5900 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von zwei bis sechs Wochen, zu bestrafen,
a) wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,6 g/l (1,6 Promille) oder mehr oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,8 mg/l oder mehr beträgt,
b) wer sich bei Vorliegen der in § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen oder sich vorführen zu lassen, oder sich bei Vorliegen der bezeichneten Voraussetzungen nicht der ärztlichen Untersuchung unterzieht,
c) (Verfassungsbestimmung) wer sich bei Vorliegen der im § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, sich Blut abnehmen zu lassen.
(1a) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1200 Euro bis 4400 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von zehn Tagen bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,2 g/l (1,2 Promille) oder mehr, aber weniger als 1,6 g/l (1,6 Promille) oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l beträgt.
(1b) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 800 Euro bis 3700 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von einer bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt.
...“
18 4. Die Revision ist allerdings nur teilweise begründet:
19 4.1. Vorauszuschicken ist, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis lediglich aussprach, dass der Beschwerde mit der Maßgabe Folge gegeben werde, dass die Entziehungsdauer mit acht Monaten festgesetzt werde. Dieser Spruch kann nur so verstanden werden, dass das Verwaltungsgericht die Entziehung der Lenkberechtigung dem Grunde nach bestätigte, die Entziehungsdauer jedoch neu festsetzte. In diesem Sinne ebenso bestätigt - und die (gegen den Bescheid zur Gänze gerichtete) Beschwerde insoweit abgewiesen - wurden die Anordnung einer begleitenden Maßnahme (Nachschulung für alkoholauffällige Lenker) sowie die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme.
20 Vorab festzuhalten ist weiters, dass es sich bei der Entziehung der Lenkberechtigung und der Anordnung einer Nachschulung sowie der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme jeweils um getrennte Spruchpunkte handelt (vgl. VwGH 10.2.2023, Ra 2022/11/0191).
21 4.2. Die belangte Behörde legte der Entziehung der Lenkberechtigung (sowohl im Mandatsbescheid vom 28. November 2022 als auch im Vorstellungsbescheid vom 26. Jänner 2023) das Lenken des Fahrzeuges durch den Revisionswerber in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand vom gegenständlichen Kleingarten kommend auf der K-straße in V zu Grunde. Diesen Vorfall qualifizierte die belangte Behörde - wie sich insbesondere aus der Feststellung eines Alkoholgehaltes der Atemluft von 0,91 mg/l (entspricht einem Blutalkoholgehalt von 1,82 Promille) und der Zitierung des § 26 Abs. 2 Z 2 FSG ergibt - als Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960, mit der die bestimmte Tatsache des § 7 Abs. 3 Z 1 FSG verwirklicht wird. Hingegen legte das Verwaltungsgericht der Entziehung der Lenkberechtigung das Lenken in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand von P zum Kleingarten in V mit einem Blutalkoholgehalt von 1,299 Promille zu Grunde, wobei sich der Revisionswerber zwischen diesen beiden Fahrten unbestritten für einen bestimmten Zeitraum im Kleingarten aufgehalten hat. Diesen (früheren) Vorfall qualifizierte das Verwaltungsgericht als Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960, mit dem ebenfalls die bestimmte Tatsache des § 7 Abs. 3 Z 1 FSG verwirklicht wird.
22 Das Verwaltungsgericht gründete die Entziehung der Lenkberechtigung somit auf ein anderes straßenverkehrsrechtliches Geschehen (Lenken in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand mit einem anderen Alkoholgehalt des Blutes bzw. der Atemluft in einem anderen Zeitraum auf einer anderen Strecke) als die belangte Behörde.
23 4.3. Es stellt sich somit zunächst die Frage, ob das Verwaltungsgericht die Sache des Beschwerdeverfahrens beachtet hat.
24 4.3.1. „Sache“ des Beschwerdeverfahrens ist jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat (vgl. etwa VwGH 28.6.2022, Ra 2022/11/0051, mwN). Diese „Sache“ kann nicht generell, sondern nur auf Grund der jeweiligen Verwaltungsvorschrift, die die konkrete Verwaltungssache bestimmt, eruiert werden (vgl. zur Entziehung der Lenkberechtigung schon VwGH 28.11.1983, 82/11/0270 = VwSlg. 11.237 A).
25 4.3.2. Gemäß § 24 Abs. 1 FSG ist Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für deren Erteilung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Lenkberechtigung zu entziehen oder die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Zu diesen Voraussetzungen zählt gemäß § 3 Abs. 1 Z 2 iVm. § 7 FSG die Verkehrszuverlässigkeit.
26 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, 82/11/0270 = VwSlg. 11.237 A, zur insoweit vergleichbaren Rechtslage nach dem Kraftfahrgesetz 1967 zur Sache des Berufungsverfahrens bei der Entziehung der Lenkberechtigung ausgeführt, der Grund dafür, dass hinsichtlich einer nach Erteilung der Lenkberechtigung verkehrsunzuverlässig gewordenen Person eine der genannten Verwaltungsmaßnahmen gesetzt werden muss, liege darin, andere Personen (die Allgemeinheit) vor einem Lenker zu schützen, von dem angenommen werden müsse, er werde auf Grund seiner in bestimmten Tatsachen zum Ausdruck kommenden Sinnesart in Hinkunft entweder die Verkehrssicherheit (also die Sicherheit von Personen oder/und Sachen) insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gefährden oder sich wegen der erleichterten Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen (die also nicht unter Gefährdung der Verkehrssicherheit begangen werden) schuldig machen. Die auf diesen Entziehungsgrund gestützte Entziehung der Lenkberechtigung (und nach damaliger Rechtslage: ihre Androhung) sind somit Schutzmaßnahmen im (primären) Interesse anderer Personen und, mögen diese Maßnahmen auch vom jeweiligen Lenker als Strafe empfunden werden, keine Verwaltungsstrafen. Entzieht daher die Behörde erster Instanz die Lenkberechtigung einer Person wegen Verkehrsunzuverlässigkeit, so ist die „in Verhandlung stehende Angelegenheit“ dieser Behörde, und damit der Berufungsbehörde, nicht die angeordnete Verwaltungsmaßnahme als Reaktion auf den angenommenen Wegfall der Verkehrszuverlässigkeit, sondern zumindest dieser von der ersten Instanz angenommene Wegfall, der die Behörde kraft Gesetzes zu einer der genannten Verwaltungsmaßnahmen, die denselben Verwaltungszweck haben, verpflichtet.
27 Daran anknüpfend wurde im Erkenntnis vom 22. Februar 1984, 83/11/0274, 0275, mit näherer Begründung dargelegt, dass Sache eines amtswegig eingeleiteten Verfahrens betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung, unabhängig davon, ob sich nachträglich herausstellt, dass die in einer bestimmten Richtung bestehenden Bedenken der Behörde gerechtfertigt waren oder nicht, der seit der Erteilung der Lenkberechtigung eingetretene Wegfall jeder der maßgeblichen, für die Erteilung der Lenkberechtigung vorgesehenen Eignungsvoraussetzungen ist, insofern die Behörde Bedenken gegen deren weiteren Bestand hat (vgl. auch VwGH 21.5.1986, 86/11/0015).
28 Auf dieser Rechtsprechung aufbauend hat der Verwaltungsgerichtshof den Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens formuliert, nach dem bis zur Erlassung des Entziehungsbescheides verwirklichte Tatsachen, die eine der Eignungsvoraussetzungen betreffen, im Entziehungsbescheid bereits zu berücksichtigen sind. Die wiederholte Entziehung der Lenkberechtigung jeweils nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich einzelner Erteilungsvoraussetzungen ist daher ebenso wenig zulässig wie die wiederholte Entziehung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit auf Grund mehrerer nacheinander (aber vor Bescheiderlassung) begangener strafbarer Handlungen. Erlangt die Behörde erst nach der Rechtskraft eines Entziehungsbescheides von Tatsachen Kenntnis, die sie ohne ihr Verschulden im rechtskräftig abgeschlossenen Entziehungsverfahren nicht verwenden konnte, so stellt dies gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 iVm. Abs. 3 AVG einen Grund für die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens dar (vgl. grundlegend VwGH 3.7.1990, 89/11/0224 = VwSlg. 13.249 A).
29 Der Grundsatz, dass bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit alle relevanten Vorfälle, und zwar auch die im Zuge eines Entziehungsverfahrens verwirklichten, zu berücksichtigen sind, galt auch für die Berufungsbehörden (vgl. VwGH 18.11.1997, 97/11/0309, mwN). Die Berufungsbehörde durfte daher auch die Verkehrsunzuverlässigkeit mit einer anderen bestimmten Tatsache (auf Grund ein und desselben Vorfalls) als die Erstbehörde begründen (vgl. VwGH 15.1.1991, 90/11/0171) oder mit einer erst während des anhängigen Entziehungsverfahrens verwirklichten bestimmten Tatsache (vgl. VwGH 29.6.1993, 93/11/0047; 10.10.1995, 94/11/0178). Die Berufungsbehörde, die im Verfahren zu Entziehung der Lenkberechtigung das Vorliegen sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen zu prüfen hatte, konnte sogar den Entziehungsgrund auswechseln, also anstelle oder zusätzlich zur von der Erstbehörde angenommenen mangelnden Verkehrszuverlässigkeit die fehlende gesundheitliche Eignung heranziehen (vgl. VwGH 22.2.1984, 83/11/0274, 0275; 21.5.1986, 86/11/0015; 3.7.1990, 89/11/0224 = VwSlg. 13.249 A).
30 Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Rechtsprechung im Geltungsbereich des FSG fortgeführt. Auch das Entziehungsverfahren nach dem FSG ist ein einheitliches im oben beschriebenen Sinne (vgl. etwa VwGH 28.5.2002, 2001/11/0284, mwN). Auch die Berufungsbehörden hatten bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit alle relevanten Vorfälle, und zwar auch die im Zuge eines Entziehungsverfahrens verwirklichten, zu berücksichtigen. Dies gilt, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30. Jänner 2020, Ra 2019/11/0090, ausgesprochen hat, auch für die Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012. Die Verwaltungsgerichte haben daher nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens verwirklichte Umstände bereits in ihrer Entscheidung über eine Beschwerde gegen eine Entziehung der Lenkberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit zu berücksichtigen.
31 4.3.3. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens hat der Verwaltungsgerichtshof wegen der Besonderheit der im Gesetz gesondert geregelten Entziehungsmaßnahmen aber in jenen Fällen anerkannt, in denen schon vom Gesetzgeber zwingend die Entziehung mit einer bestimmten Entziehungszeit festgesetzt wurde. In einem solchen Fall kann in einem späteren Entziehungsverfahren der Bescheid auch auf Sachverhaltselemente gestützt werden, die schon vor der Erlassung des (ersten) Entziehungsbescheides verwirklicht waren (vgl. VwGH 17.11.1992, 91/11/0140; 19.4.1994, 92/11/0272).
32 Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof auf jene Fälle des § 26 FSG übertragen, in denen schon vom Gesetzgeber eine bestimmte Entziehungsdauer (bzw. Mindestentziehungsdauer) festgesetzt wird (vgl. VwGH 26.2.2002, 2000/11/0019; 25.4.2006, 2006/11/0042).
33 Im Beschluss vom 17. September 2018, Ro 2018/11/0006, hat der Verwaltungsgerichtshof - diese Rechtsprechung auf das Rechtsschutzsystem nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 übertragend - eine Ausnahme vom Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens in einem Fall angenommen, in dem nach einer Entziehung der Lenkberechtigung wegen eines Alkoholdelikts eine weitere Entziehung wegen einer bestimmten Tatsache (qualifizierte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) erfolgte, die vor dem Alkoholdelikt verwirklicht worden war und für die § 26 Abs. 3 Z 1 FSG eine fixe Entziehungsdauer vorsah. Dazu führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass andernfalls ein vor der Entziehung der Lenkberechtigung verwirklichtes, aber dieser nicht zu Grunde gelegtes Delikt, das in § 26 FSG aufgezählt ist, nur unter den Voraussetzungen der Wiederaufnahme zu einer zusätzlichen Entziehungsdauer führen könnte, was aber mit dem - zwingenden - Charakter der Sonderfälle der Entziehung des § 26 FSG nicht vereinbar wäre.
34 4.3.4. Hintergrund der Ausnahme von Delikten mit fixer bzw. Mindestentziehungsdauer vom Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens sind die strukturellen Unterschiede dieser Entziehungsfälle vom gesetzlichen Regelfall:
35 Nach dem Grundkonzept des FSG hat die Führerscheinbehörde im Rahmen eines Entziehungsverfahrens wegen des Wegfalls der Erteilungsvoraussetzung der Verkehrszuverlässigkeit gemäß § 7 Abs. 4 FSG eine Wertung der erwiesenen bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 FSG vorzunehmen, für welche deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend ist. Nur wenn eine nach diesen Vorgaben durchgeführte Wertung ergibt, dass der Betreffende im relevanten Zeitpunkt verkehrsunzuverlässig ist, darf die Lenkberechtigung gemäß § 24 Abs. 1 FSG entzogen werden. Diese Prognoseentscheidung ist nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens auf Grund aller bis zur Erlassung des Entziehungsbescheides verwirklichten Tatsachen zu treffen (vgl. VwGH 23.11.1993, 93/11/0048).
36 Darüber hinaus ist nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Entziehung der Lenkberechtigung mangels Verkehrszuverlässigkeit zufolge § 25 Abs. 3 erster Satz FSG nur dann rechtmäßig, wenn die Annahme zutrifft, der Betreffende werde im maßgeblichen Zeitpunkt noch für einen Zeitraum von (zumindest) drei Monaten verkehrsunzuverlässig sein (vgl. ausführlich zum Verständnis dieser Bestimmung VwGH 5.10.2021, Ra 2019/11/0181, mwN). Trifft daher diese Annahme nicht (mehr) zu, so darf eine Entziehung der Lenkberechtigung nicht ausgesprochen bzw. vom Verwaltungsgericht nicht bestätigt werden. Unzutreffend ist daher die Auffassung, § 25 Abs. 3 FSG sehe eine „Mindestentziehungsdauer“ in dem Sinne vor, dass schon die Verwirklichung einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 FSG jedenfalls zu einer Entziehung der Lenkberechtigung für diese bestimmte Dauer führen müsse. Letzteres gilt nämlich nur für jene Fälle, für die bereits im Gesetz (vgl. § 26 Abs. 1 bis 3 FSG) eine fixe Entziehungsdauer normiert ist und in denen daher die Wertung der bestimmten Tatsache tatsächlich zu entfallen hat (vgl. etwa VwGH 27.3.2007, 2006/11/0273 = VwSlg. 17.154 A, mwN).
37 Nach ständiger Rechtsprechung ist daher bei Vorliegen der in § 26 Abs. 1 bis 3 FSG umschriebenen Voraussetzungen jedenfalls eine Entziehung der Lenkberechtigung für den jeweils vorgesehenen fixen Zeitraum bzw. Mindestzeitraum auszusprechen (vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/11/0099, mwN).
38 Während also nach dem gesetzlichen Regelfall die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit eine Wertung der bestimmten Tatsachen und die Entziehung der Lenkberechtigung die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für mindestens weitere drei Monate im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt voraussetzen, hat in den in § 26 Abs. 1 bis 3 FSG genannten Fällen die Entziehung zwingend, und zwar für den gesetzlich vorgesehenen fixen bzw. Mindestzeitraum zu erfolgen.
39 4.3.5. Bezogen auf die im Revisionsfall einzig zu beurteilende Konstellation ist daher Folgendes festzuhalten: Das Verwaltungsgericht legte der Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit ein anderes straßenverkehrsrechtliches Geschehen als die belangte Behörde zu Grunde, wobei für beide Delikte (in Verbindung mit einem Vordelikt) gemäß § 26 Abs. 2 Z 2 bzw. 3 FSG jeweils eine - wenn auch unterschiedlich lange - Mindestentziehungsdauer vorgesehen ist. Das Verwaltungsgericht hat mit anderen Worten das als erwiesen angenommene Alkoholdelikt „ausgetauscht“. Auf andere (weitere) Vorfälle hat weder die belangte Behörde noch das Verwaltungsgericht die Entziehung gestützt.
40 Sache des Beschwerdeverfahrens in einem Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung ist, wie eingangs ausgeführt (vgl. Rn. 26 f.), der Wegfall der Erteilungsvoraussetzungen, hier also der Verkehrszuverlässigkeit, und nicht die in Reaktion auf deren Wegfall angeordnete Verwaltungsmaßnahme. Das Verwaltungsgericht hat daher im Revisionsfall nicht die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten, wenn es der Annahme des Wegfalls der Verkehrszuverlässigkeit nicht - wie die belangte Behörde - das Lenken des Fahrzeuges vom Kleingarten kommend auf der K-straße in V in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, sondern das Lenken in einem solchen Zustand von P zum Kleingarten nach V zu Grunde legte.
41 4.4. Vor diesem Hintergrund geht zunächst das Revisionsvorbringen, welches sich gegen die Annahme der belangten Behörde wendet, der Revisionswerber und nicht der Beifahrer habe das Fahrzeug vom Kleingarten kommend gelenkt, ins Leere. Dass der Revisionswerber aber das Fahrzeug von P zum Kleingarten nach V gelenkt hat, was das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde legte, wird in der Revision nicht bestritten.
42 4.5.1. Die Revision wendet sich aber gegen die auf die Ausführungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung gestützte Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Revisionswerber habe das Fahrzeug auf der zuletzt genannten Strecke in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Damit bekämpft die Revision die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes.
43 4.5.2. Es ist im Verfahren weder hervorgekommen noch aus den Akten ersichtlich, dass hinsichtlich des vom Verwaltungsgericht als erwiesen angesehenen Alkoholdelikts auf der Fahrt zur Kleingartensiedlung eine verwaltungsstrafbehördliche Entscheidung vorliegen würde. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hat die mit der Entziehung der Lenkberechtigung befasste Behörde, wenn im Zeitpunkt ihrer Entscheidung (noch) keine sie bindende, rechtskräftige, über die Begehung der als Grundlage der Entziehung angenommenen, eine bestimmte Tatsache darstellenden Übertretung absprechende Strafentscheidung vorliegt, die Frage, ob das in Rede stehende Delikt begangen wurde, als Vorfrage nach § 38 AVG selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen. Nichts anderes gilt für das im Beschwerdeweg angerufene und deshalb zur Sachentscheidung berufene Verwaltungsgericht (vgl. etwa VwGH 26.7.2018, Ra 2018/11/0085, mwN, ebenfalls zu einem Alkoholdelikt).
44 Die Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. VwGH 6.12.2022, Ra 2020/11/0069, mwN).
45 Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies bereits ausgesprochen, dass die Berufungsbehörde, die einen anderen Entziehungsgrund als die erstinstanzliche Behörde heranzieht, dazu ein Ermittlungsverfahren durchführen und dem Betroffenen das Parteiengehör gewähren muss (vgl. VwGH 21.5.1986, 86/11/0015). Das gilt ebenfalls für ein Verwaltungsgericht, das - wie im vorliegenden Fall - der Entziehung der Lenkberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit ein anderes Delikt zu Grunde legt als die Führerscheinbehörde.
46 4.5.3. Der Revisionswerber bringt vor, er habe wörtlich ausgeführt, dass er sechs „teilweise auch größere Schnäpse“ getrunken habe. In der Niederschrift der Verhandlung sei das als „Schnäpse à 4 cl“ dargestellt worden, wobei der Vater des Revisionswerbers als Zeuge ausgesagt habe, dass die Gläser ein Fassungsvermögen „zwischen 2 cl und 3 cl“ hätten. Es wäre daher zu berücksichtigen gewesen, dass die Gläser unterschiedliche Größen hätten und bei privatem Konsum eine gemessene Abgabe nicht erfolge. Die Berechnungen der Amtssachverständigen seien daher „völlig unbrauchbar“, sodass von keiner Alkoholisierung des Revisionswerbers bei Ankunft in der Kleingartensiedlung auszugehen gewesen wäre. Auch habe der Zeuge A S bestätigt, dass ein Alkoholkonsum des Revisionswerbers vor der Ankunft in der Kleingartensiedlung nicht erfolgt sei.
47 Damit zeigt die Revision schon deswegen keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung auf, weil die vom Verwaltungsgericht zu Grunde gelegte Rückrechnung auf den Alkoholisierungsgrad des Revisionswerbers durch die Amtssachverständige gar nicht vom Konsum von Schnäpsen, sondern lediglich von „Gspritzten“ ausging. Das Verwaltungsgericht, welches diese Annahme übernahm, stützte sich dafür auf die in der polizeilichen Anzeige des gegenständlichen Vorfalls festgehaltenen Aussagen des Revisionswerbers. Dies liegt auf einer Linie mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nach der Erstaussagen zu einem Nachtrunk in der Regel ein höheres Ausmaß an Glaubhaftigkeit innewohnt (vgl. VwGH 27.9.2019, Ra 2019/02/0059, mwN).
48 Wenn die Revision auf die Zeugenaussage des A S, der Revisionswerber habe vor der Ankunft in der Kleingartensiedlung keinen Alkohol konsumiert, hinweist, ist ihr zu entgegen, dass der Zeuge in der mündlichen Verhandlung vom 8. Mai 2023 selbst angab, der Revisionswerber habe ihn vor der Fahrt zur Kleingartensiedlung abgeholt. Dass dieser Zeuge aber eine Wahrnehmung über das Konsumverhalten des Revisionswerbers vor diesem Zeitpunkt gehabt hätte, behauptet die Revision nicht. Auch bringt die Revision sonst nichts vor, das den Schluss zuließe, dem Revisionswerber wäre das Parteiengehör zu dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Delikt nicht in ausreichendem Maß gewährt worden.
49 Dass aber das Verwaltungsgericht einen Blutalkoholgehalt von 1,299 Promille feststellte, während die ärztliche Sachverständige laut Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 8. Mai 2023 einen solchen Wert von 1,266 errechnete, ändert an der Verwirklichung des Deliktes gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 nichts.
50 4.6. Die Revision macht geltend, selbst unter Zugrundelegung der Feststellungen des Verwaltungsgerichtes liege weder ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960, noch ein solches gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 vor, weswegen die Anordnung einer Nachschulung für alkoholauffällige Lenker nicht rechtmäßig gewesen wäre.
51 Ausgehend von der Feststellung, der Revisionswerber habe das Fahrzeug am Vorfallstag mit einem Blutalkoholgehalt von zumindest 1,299 Promille gelenkt, was das Verwaltungsgericht zutreffend als Begehung des Deliktes gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 qualifizierte, war nach dem eindeutigen Wortlaut des § 24 Abs. 3 Z 3 FSG auch die vom Verwaltungsgericht bestätigte Verpflichtung zur Anordnung einer Nachschulung rechtmäßig.
52 4.7. Begründet ist die Revision hingegen, soweit sie sich gegen die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme wendet.
53 § 24 Abs. 3 erster Satz FSG sieht vor, dass bei einer Entziehung oder nachträglichen Einschränkung einer Lenkberechtigung die Behörde begleitende Maßnahmen (wie eine Nachschulung) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung des Betreffenden im Rahmen einer Ermessensübung anordnen kann, letzteres freilich nur dann, wenn Anhaltspunkte für eine nicht uneingeschränkte gesundheitliche Eignung bestehen. Für bestimmte Konstellationen (Begehung einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960) gibt § 24 Abs. 3 fünfter Satz FSG zwingend vor, dass die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme anzuordnen ist (vgl. VwGH 25.1.2019, Ra 2018/11/0233; 10.2.2023, Ra 2022/11/0191). Gemäß § 14 Abs. 2 FSG-GV haben Lenker, bei denen ein Alkoholgehalt des Blutes von 1,6 Promille (Alkoholgehalt der Atemluft von 0,8 mg/l) oder mehr festgestellt wurde, ihre psychologische Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch eine verkehrspsychologische Stellungnahme nachzuweisen. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist somit auch nach dieser Bestimmung zwingend eine verkehrspsychologische Stellungnahme vorzulegen (vgl. VwGH 20.2.2001, 2000/11/0287), wie auch bei mangelnder Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, die gemäß § 17 Abs. 1 letzter Satz FSG-GV jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn einem Lenker innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren die Lenkberechtigung dreimal entzogen wurde, oder wenn ein Lenker wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO 1960 bestraft wurde.
54 Im Revisionsfall liegen die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 fünfter Satz FSG für die zwingende Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens und des § 14 Abs. 2 oder des § 17 Abs. 1 letzter Satz FSG-GV für die Anordnung der Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme nicht vor. Das angefochtene Erkenntnis, welches der Entziehung der Lenkberechtigung nicht mehr (wie der Bescheid der belangten Behörde) ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960, sondern ein solches gemäß § 99 Abs. 1a StVO 1960 zu Grunde legte, geht auf die vom Verwaltungsgericht bestätigte Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme auch gar nicht ein. Es enthält keine Feststellungen zu Anhaltspunkten für eine nicht uneingeschränkte gesundheitliche bzw. psychologische Eignung des Revisionswerbers, welche die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme als Ermessensübung im Sinne des § 24 Abs. 3 erster Satz FSG erweisen könnte.
55 In diesem Umfang entzieht sich das Erkenntnis somit der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes, weswegen es insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
56 4.8. Im Übrigen war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
57 5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
58 6. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 13. Juni 2024
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023110113.L00