Verwaltungsgerichtshof
18.06.2024
Ra 2023/11/0011
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Janitsch, über die Revision des Dr. W Z in K, vertreten durch Mag. Lukas Leszkovics, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 24. November 2022, Zl. LVwG-AV-687/010-2015, betreffend Gewährung der Invaliditätsversorgung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Ärztekammer für Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 1. Zur Vorgeschichte wird auf die hg. Erkenntnisse vom 23. März 2017, Ro 2016/11/0016, vom 30. Juli 2018, Ra 2018/11/0032, und vom 8. Februar 2022, Ro 2019/11/0016, verwiesen.
2 Mit Bescheid vom 10. Juni 2015 wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers vom 8. Oktober 2014 auf Gewährung der Invaliditätsversorgung per 1. Dezember 2013 gemäß § 100 Ärztegesetz 1998 iVm. § 30 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich (im Folgenden: Satzung) ab.
3 2. Mit dem hier angefochtenen, im vierten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Revisionswerbers dahingehend Folge, „als die Invaliditätsversorgung per 1. August 2014 im Ausmaß einer Grundrente in der Höhe von monatlich € 262,38 brutto und einer Zusatzleistung in der Höhe von monatlich € 249,09 brutto gewährt und 14mal jährlich ausbezahlt wird“. Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab (Spruchpunkt 1.). Unter einem sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.).
4 2.1. Das Verwaltungsgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
5 Der Revisionswerber habe im Zeitraum vom 1. März 1980 bis 30. April 1984 aufgrund eines Dienstverhältnisses zu einem näher genannten Landesklinikum in Niederösterreich, in den Zeiträumen vom 1. Mai 1997 bis 30. September 1999 und vom 1. Jänner 2000 bis 30. November 2004 aufgrund seiner Eintragung als Wohnsitzarzt in K sowie in den Zeiträumen vom 1. Mai 1987 bis 20. Februar 1995, vom 13. Februar 1996 bis 30. April 1997 und vom 1. Oktober 1999 bis 31. Dezember 1999 sowie von 1. Dezember 2004 bis 30. Juni 2014 aufgrund der Führung seiner Ordination in K dem Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich angehört. Seit dem 1. Juli 2014 sei der Revisionswerber außerordentliches Kammermitglied der Ärztekammer für Niederösterreich.
6 Für den Zeitraum vom 1. Mai 1987 bis 30. April 1988 sei dem Revisionswerber „eine Ermäßigung des Beitrages zur Grund- und Ergänzungsleistung (nunmehr ‚Grundrente‘) auf 0 ATS gewährt“ worden. Für den Zeitraum vom 1. Jänner 1988 bis 1. Jänner 2004 sei dem Revisionswerber „(rückwirkend) eine 100%ige Ermäßigung der Beiträge u.a. für Grund- und Ergänzungsleistung (nunmehr ‚Grundrente‘) gewährt“ worden. Für den Zeitraum vom 1. Jänner 2004 bis 31. Dezember 2008 sei dem Revisionswerber „eine Ermäßigung des Beitrags zur Grund- und Ergänzungsleistung (nunmehr ‚Grundrente‘) auf 25% des Pflichtbeitrags gewährt“ worden.
7 Der Revisionswerber habe mit Schreiben vom 8. Oktober 2014 bei der belangten Behörde beantragt, ihm „mit Wirksamkeit vom 01.12.2013 die maximale Invaliditätsversorgung mit einem ziffermäßig zu bestimmenden Betrag durch Bescheid zuzuerkennen“. Mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt für gewerbliche Wirtschaft vom 20. Juni 2017 sei das Bestehen der Erwerbsunfähigkeit des Revisionswerbers seit 1. Dezember 2013 festgestellt worden.
8 Weiters gab das Verwaltungsgericht Tabellen zu den vom Revisionswerber geleisteten Beiträgen zur Grundrente und Zusatzleistung sowie zu der den Revisionswerber betreffenden individuellen Unterdeckung im Sinne des Anhangs II der Satzung wieder. Im Übrigen stellte das Verwaltungsgericht ein Schreiben der Ärztekammer für Niederösterreich vom 3. November 2002 fest, in welchem dem Revisionswerber sein „Zusatzleistungskontostand per 31.03.2009“ mitgeteilt wurde.
9 2.2. Diesen Sachverhalt würdigte das Verwaltungsgericht rechtlich - im Wesentlichen - wie folgt:
10 Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 der Satzung seien erfüllt. Es liege sowohl ein Antrag auf Gewährung der Invaliditätsversorgung als auch ein die Invalidität des Revisionswerbers feststellender Bescheid eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers vor. Zudem seien auch alle Beitragsvorschreibungen zum Wohlfahrtsfonds gedeckt.
11 Hinsichtlich der konkreten Berechnung der Grundrente und Zusatzleistung verweist das Verwaltungsgericht auf zwei weitere - in das angefochtene Erkenntnis eingefügte - Tabellen.
12 Insoweit der Revisionswerber die Auffassung vertrete, dass mit den vom ihm im Dezember 2003 geleisteten Zahlungen alle pensionsrelevanten Zeiten vom 1. März 1980 bis 31. Dezember 2003 gedeckt worden seien, verkenne er, dass aufgrund der „ihm in diesem Zeitraum gewährten Beitragsbefreiung auf die Grundrente“ keine Beitragsrückstände hätten erwachsen können, die mit den obengenannten Zahlungen hätten beglichen werden können.
13 Der Leistungsanspruch des Revisionswerbers sei gemäß § 64 Abs. 3 der Satzung (erst) mit 1. August 2014 zu gewähren, weil eine „Rückwirkung für maximal drei Monate ab Antragstellung“ vorgesehen sei. Für die vom Revisionswerber beantragte Verzinsung iHv 4% ab dem jeweiligen Fälligkeitsstichtag bestehe keine Rechtsgrundlage.
14 3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision; die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
15 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
16 4.1. Der Revisionswerber macht zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision unter anderem geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen tragende Verfahrensgrundsätze und damit gegen näher genannte Judikatur verstoßen, und führt dazu unter anderem Folgendes aus:
17 Das Verwaltungsgericht habe in nicht nachvollziehbarer Weise die (in der Zusatzleistung) auf einen Betrag von lediglich EUR 1.594,95 beschränkte Pensionswirksamkeit der beiden vom Revisionswerber im Dezember 2003 geleisteten Zahlungen angenommen. Dem angefochtenen Erkenntnis könne nicht entnommen werden, aufgrund welcher Vorschreibungen an den Revisionswerber die Zahlungen bei der belangten Behörde verbucht und verwendet worden seien. Ohne Darlegung, auf welche allfälligen (sonstigen) Beitragsrückstände des Revisionswerbers diese Zahlungen angerechnet worden seien, sei nicht verständlich, warum diese Zahlungen vom Verwaltungsgericht als nicht (zur Gänze) pensionswirksam qualifiziert worden seien. Auch die bloß in das angefochtene Erkenntnis „hineinkopierten“ Tabellen und Urkunden würden nicht erkennen lassen, warum die geleisteten Zahlungen keinen Eingang in die Berechnung der Invaliditätsversorgung gefunden hätten. Bei entsprechender Pensionswirksamkeit der beiden Zahlungen wäre dem Revisionswerber eine höhere Versorgungsleistung zuzuerkennen gewesen.
18 4.2. Die Revision ist bereits aus diesem Grund zulässig; sie ist auch begründet.
19 4.3. Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrundegelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens wiederstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa VwGH 25.2.2019, Ra 2018/20/0039, mwN).
20 Das angefochtene Erkenntnis genügt diesen Anforderungen nicht. Es ist dem Verwaltungsgerichtshof anhand der oben dargelegten Begründung des Verwaltungsgerichts nicht möglich, dessen Schlussfolgerung, von den vom Revisionswerber im Dezember 2003 an die belangte Behörde getätigten Zahlungen seien lediglich EUR 1.594,95 in der Zusatzleistung „pensionswirksam“ geworden, nachzuprüfen. Weder erlaubt es die bloße Ausführung des Verwaltungsgerichts, dies ergebe sich aus einer näher genannten ergänzenden Urkunde der belangten Behörde iVm. entsprechenden „Buchungsvermerken aus dem Beitragsverwaltungsprogramm“, noch das Einfügen von nicht weiter erläuterten Tabellen, nachzuvollziehen, wie die festgestellten Zahlungen von der belangten Behörde verwendet (zugerechnet) wurden und auf welchen rechtlichen Überlegungen die betreffende Anrechnung oder Nichtanrechnung basiert. Für die rechtliche Beurteilung, ob und inwiefern obengenannte Zahlungen bei der gegenständlichen Berechnung der Grundrente und Zusatzleistung gemäß Satzung zu berücksichtigen sind, bedarf es jedoch entsprechender, sich aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergebender Feststellungen unter Zugrundelegung einer nachvollziehbaren rechtlichen Beurteilung. Das angefochtene Erkenntnis kann mangels nachvollziehbarer Darstellung der Errechnung der Pensionsansprüche keiner nachprüfenden Kontrolle unterzogen werden.
21 4.4. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
22 4.5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 18. Juni 2024
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023110011.L00