Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

14.05.2024

Geschäftszahl

Ro 2023/08/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, über die Revision des J H in W, vertreten durch die Orsini und Rosenberg & Striessnig Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Annagasse 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2022, W167 2237936-1/9E, betreffend Behandlungsbeitrag nach dem B-KUVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, vertreten durch Mag. Maximilian Kocher, Rechtsanwalt in 2345 Brunn am Gebirge, Bahnstraße 43), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1             Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeweg ergangenen Erkenntnis wurden dem Revisionswerber gemäß § 63 Abs. 4 B-KUVG Behandlungsbeiträge für die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe im Jahr 2020 vorgeschrieben.

2             Der Revisionswerber bezog seit dem 7. Dezember 2016 eine Invaliditätspension nach dem ASVG. Er war Mitarbeiter der Wiener Linien GmbH & Co KG und bis zur mit 1. Jänner 2020 erfolgten Auflösung der Betriebskrankenkassen durch das Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG), BGBl. I Nr. 100/2018, bei der Betriebskrankenkasse der Wiener Verkehrsbetriebe krankenversichert. Seit dem 1. Jänner 2020 unterlag der Revisionswerber auf Grund der durch das SV-OG geschaffenen neuen Rechtslage der Krankenversicherung nach dem B-KUVG.

3             Das Bundesverwaltungsgericht hielt die Übergangsbestimmung des § 255 Abs. 10 B-KUVG, wonach abweichend von § 63 Abs. 4 B-KUVG von den nach § 1 Abs. 1 Z 37 B-KUVG Versicherten, die am 31. Dezember 2019 bei der Betriebskrankenkasse der Wiener Linien versichert sind, bis zum 31. Dezember 2024 ein Behandlungsbeitrag nicht zu entrichten ist, für nicht auf den Revisionswerber anwendbar, weil er kein Bediensteter im Sinn des § 1 Abs. 1 Z 37 B-KUVG, sondern Bezieher einer Pension im Sinn des § 1 Abs. 1 Z 29 B-KUVG sei.

4             Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei, weil zu der Rechtsfrage, ob ehemalige Mitarbeiter der Wiener Linien GmbH & Co KG, die eine von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau ausgezahlte Pension nach dem ASVG bezögen, unter die Z 29 oder die Z 37 des § 1 Abs. 1 B-KUVG zu subsumieren seien, noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorhanden sei.

5             Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Im vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Vorverfahren wurde von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht) eine Revisionsbeantwortung erstattet.

6             Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7             Die Revision ist aus dem vom Bundesverwaltungsgericht genannten Grund, auf den auch die Revision zurückkommt, zulässig. Sie ist auch berechtigt.

8             § 255 Abs. 10 B-KUVG lautet:

„(10) Abweichend von Paragraph 63, Absatz 4, ist von den nach Paragraph eins, Absatz eins, Ziffer 37, Versicherten, die am 31. Dezember 2019 bei der Betriebskrankenkasse der Wiener Linien versichert sind, bis zum 31. Dezember 2024 ein Behandlungsbeitrag nicht zu entrichten.“

9             § 1 Abs. 1 Z 29 und Z 37 B-KUVG lautet:

„§ 1 (1) In der Kranken- und Unfallversicherung sind, sofern nicht eine Ausnahme nach den Paragraphen 2, oder 3 gegeben ist, versichert:

[...]

29. Bezieher/innen einer Pension aus einer Pensionsversicherung nach dem ASVG, wenn die Pension von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau ausgezahlt wird, sowie für jene Personen, denen von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau ein Rehabilitationsgeld zuerkannt wird und für Bezieher/innen einer laufenden Geldleistung aus der zusätzlichen Pensionsversicherung bei einem der im Paragraph 479, ASVG genannten Institute;

[...]

37. die Bediensteten der WIENER LINIEN GmbH & Co KG sowie die dieser Gesellschaft zur Dienstleistung zugewiesenen, in einem bis 31. Dezember 2000 durch Vertrag begründeten Dienstverhältnis zur Gemeinde Wien stehenden Beschäftigten;

[...]“

10           Strittig ist die Frage, ob von § 255 Abs. 10 B-KUVG iVm § 1 Abs. 1 Z 37 B-KUVG nur die Personen erfasst sind, die am 31. Dezember 2019 in einem aktiven Dienstverhältnis zur Wiener Linien GmbH & Co KG standen (und weiterhin stehen), oder ob darunter auch bestimmte Pensionsbezieher fallen.

11           § 255 Abs. 10 B-KUVG wird in den ErlRV 329 BlgNR 26. GP, 32, wie folgt erläutert:

„Für einen Übergangszeitraum von fünf Jahren ist abweichend von allen anderen im B-KUVG Versicherten für die bislang bei der Betriebskrankenkasse der Wiener Linien krankenversicherten Personen bis zum 31. Dezember 2024 kein Behandlungsbeitrag zu entrichten. In Aussicht genommen wird, dass die vorhandenen Behandlungsbeiträge stufenweise angepasst werden.“

12           Demnach sollen von der Ausnahmebestimmung alle bis zur Organisationsänderung bei der Betriebskrankenkasse der Wiener Linien krankenversicherten Personen erfasst sein. Das waren aber gemäß § 26 Abs. 1 Z 3 ASVG in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung nicht nur die (aktiven) Bediensteten der Wiener Linien GmbH & Co KG (nach § 26 Abs. 1 Z 3 lit. a ASVG), sondern auch die Bezieherinnen und Bezieher einer Pension aus einer Pensionsversicherung, die nicht von der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau ausgezahlt wurde, wenn die Betriebskrankenkasse vor dem Entstehen des Pensionsanspruchs für die Krankenversicherung zuständig war (§ 26 Abs. 1 Z 3 lit. b ASVG) sowie die Bezieherinnen und Bezieher einer Pension aus der Pensionsversicherung der Angestellten, wenn die Betriebskrankenkasse für die Krankenversicherung in der letzten Beschäftigung vor dem Entstehen des Pensionsanspruchs zuständig war (§ 26 Abs. 1 Z 3 lit. c ASVG). Von lit. b und c waren insbesondere alle Pensionsbezieher erfasst, die schon im Aktivstand der Betriebskrankenkasse der Wiener Verkehrsbetriebe zugehörig waren (vgl. die ErlRV zur Novelle BGBl. I Nr. 99/2001, 624 BlgNR 21. GP, 15).

13           Wenn nun zufolge den Erläuterungen zu § 255 Abs. 10 B-KUVG die Übergangsbestimmung allen bisher bei der Betriebskrankenkasse der Wiener Linien krankenversicherten Personen zugutekommen soll, so muss der Verweis auf § 1 Abs. 1 Z 37 B-KUVG so verstanden werden, dass nicht nur die am 31. Dezember 2019 und darüber hinaus in einem aktiven Dienstverhältnis zur Wiener Linien GmbH & Co KG stehenden Bediensteten erfasst sind, sondern auch alle im Pensionsbezug stehenden ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für deren Krankenversicherung am 31. Dezember 2019 die Betriebskrankenkasse zuständig war. Ein anderes Ergebnis wäre auch nicht sachlich zu rechtfertigen, da kein Grund dafür ersichtlich ist, Personen, die bis zur Neuorganisation der Krankenversicherung durch das SV-OG derselben Betriebskrankenkasse zugehörig waren, in Bezug auf die befristete Ausnahme vom Behandlungsbeitrag nach dem B-KUVG anders zu behandeln, je nachdem, ob die Krankenversicherung auf einem aktiven Dienstverhältnis oder einem Pensionsbezug beruht.

14           Der Wortlaut des verwiesenen § 1 Abs. 1 Z 37 B-KUVG steht dieser Auslegung nicht entgegen. So stand etwa der mit dem SV-OG aufgehobene Abschnitt IIa des 9. Teils des ASVG unter der Überschrift „Krankenversicherung der öffentlich-rechtlichen Bediensteten, die der WIENER LINIEN GmbH & Co KG zur Dienstleistung zugewiesen sind“, er enthielt aber auch Regelungen über die Krankenversicherung der Personen, die schon im Bezug eines Ruhegenusses standen. Dementsprechend ist auch in den Erläuterungen zum SV-OG im Zusammenhang mit der Aufhebung dieses Abschnitts von der Übertragung der „bislang in den §§ 479a bis 479e ASVG geregelten Bediensteten der Wiener Linien“ die Rede (vgl. 329 BlgNR 26. GP, 20).

15           Auch in den Erläuterungen zu (u.a.) § 1 Abs. 1 Z 25 bis 39 B-KUVG wird der Ausdruck „Bedienstete der Wiener Linien“ verwendet, um sowohl die aktiven als auch die pensionierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu umschreiben, die bis zum Inkrafttreten des SV-OG der Betriebskrankenkasse zugehörig waren (vgl. insbesondere die tabellarische Darstellung auf S 27 f der ErlRV 329 BlgNR 26. GP, wo alle Tatbestände des ehemaligen § 26 Abs. 1 Z 3 ASVG - sowohl die aktiven Bediensteten als auch die Pensionsbeziehenden betreffend - dem neuen § 1 Abs. 1 Z 37 B-KUVG zugeordnet werden).

16           Insgesamt besteht daher kein Zweifel, dass die in § 255 Abs. 10 B-KUVG geregelte befristete Ausnahme vom Behandlungsbeitrag auch für Personen wie den Revisionswerber gilt, deren Zugehörigkeit zur Betriebskrankenkasse der Wiener Verkehrsbetriebe zum Stichtag 31. Dezember 2019 (und nunmehr zur Krankenversicherung nach dem B-KUVG) sich nicht auf ein aktives Dienstverhältnis, sondern auf einen Pensionsbezug gründet.

17           Da das Bundesverwaltungsgericht das verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

18           Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

19           Von der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 1 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 14. Mai 2024

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2024:RO2023080004.J00