Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

20.06.2024

Geschäftszahl

Ra 2022/12/0073

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und Senatspräsidentin Mag.Nussbaumer-Hinterauer sowie Hofrätin Dr. Holzinger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision des M D in U in der Tschechischen Republik, vertreten durch MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 11. April 2022, LVwG-413358/31/KH, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Perg), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass der Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 14. März 2019, BHPEPol-2017-46291/24-KG, Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen des Paragraph 52, Absatz eins, Ziffer eins, viertes Tatbild in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz 4, GSpG in Verbindung mit Paragraph 9, VStG gemäß Paragraph 45, Absatz eins, Ziffer 2, VStG eingestellt wird.

Das Land Oberösterreich hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1             Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 14. März 2019 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe als der zur Vertretung nach außen Berufene der U s.r.o. Verwaltungsübertretungen nach § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild Glücksspielgesetz (GSpG) begangen, weil sich die U s.r.o. vom 1. Februar 2017 bis zum Tag der Kontrolle am 3. Februar 2017 mit vier näher bezeichneten, in einem von einem bestimmt bezeichneten Verein betriebenen Lokal betriebsbereiten Glücksspielgeräten dadurch unternehmerisch beteiligt habe, indem sie gegen Entgelt die Glücksspielgeräte zur Verfügung gestellt habe, um fortgesetzt Einnahmen aus den mit den Eingriffsgegenständen veranstalteten Glücksspielen in Form von verbotenen Ausspielungen, an denen vom Inland aus habe teilgenommen werden können, nämlich in Form von Walzenspielen, zu erzielen. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde verhängte über den Revisionswerber nach § 52 Abs. 2 vierter Strafsatz GSpG wegen wiederholter Übertretung des Glücksspielgesetzes mit mehr als drei Glücksspielgeräten Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 30.000,- sowie Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 168 Stunden und schrieb ihm einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor.

2             Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich.

3             Mit Erkenntnis vom 13. Juni 2019 gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der Beschwerde des Revisionswerbers statt, hob das Straferkenntnis der belangten Behörde auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein.

4             Dieses Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Februar 2021, Ra 2019/17/0079, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil das Verwaltungsgericht die Aufforderung zur Rechtfertigung und das Straferkenntnis vom 1. Oktober 2018 in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wegen deren nicht wirksamer Zustellung an den Revisionswerber nicht als Verfolgungshandlung zur Wahrung der Frist des § 31 Abs. 1 VStG beurteilt habe. Damit habe es jedoch die Rechtslage verkannt und sei zu Unrecht vom Eintritt der Verfolgungsverjährung ausgegangen.

5             Im fortgesetzten Verfahren setzte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. April 2021 gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG und § 38 AVG das Beschwerdeverfahren „bis zur Kundmachung der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im dg. zu C-231/20 (zur Klärung der Frage, ob § 52 Abs. 2 dritter Strafrahmen GSpG dem Unionsrecht widerspricht) anhängigen Vorabentscheidungsverfahren“ aus.

6             In weiterer Folge wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erlegte dem Revisionswerber einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auf. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7             Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

8             Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9             Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das angefochtene Erkenntnis stehe im Widerspruch zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Strafbarkeitsverjährung, weil die Rechtsmittelentscheidung nicht innerhalb der in § 31 Abs. 2 VStG genannten Frist erlassen worden sei. Daran änderten auch der Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. April 2021 und der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 38a Abs. 2 VwGG vom 27. April 2020 im Verfahren zu Ra 2020/17/0013 nichts.

10           Die Revision ist bereits aufgrund des Vorbringens zum Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Strafbarkeitsverjährung zulässig. Sie ist auch berechtigt.

11           Gemäß § 31 Abs. 2 VStG erlischt die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, in dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat. Nicht eingerechnet in die Verjährungsfrist werden unter anderem die Zeit, während derer das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist (Z 3), und die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH (Z 4).

12           Durch die Hemmung wird die Verjährungsfrist um so viele Tage verlängert, als der die Hemmung bewirkende Zustand bestanden hat. Mit Ablauf des hemmenden Ereignisses läuft daher die Verjährungsfrist weiter. Sie ist so zu berechnen, als ob sie um die Dauer des Hemmungszeitraumes verlängert worden wäre (vgl. VwGH 15.9.2021, Ra 2021/17/0092, mwN).

13           Hinsichtlich des Beginns und des Endes der Fristenhemmung nach § 31 Abs. 2 Z 4 VStG sind einerseits der Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof bzw. der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und andererseits der Zeitpunkt der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses an die belangte Behörde und nicht an den Revisionswerber maßgebend (vgl. erneut VwGH 15.9.2021, Ra 2021/17/0092, mwN).

14           Unstrittig ist, dass das strafbare Verhalten des Revisionswerbers am 3. Februar 2017 aufgehört hat, sodass Strafbarkeitsverjährung nach Ablauf der Dreijahresfrist grundsätzlich am 3. Februar 2020 eingetreten wäre. Nicht eingerechnet in die Verjährungsfrist wird im vorliegenden Fall jedoch gemäß § 31 Abs. 2 Z 4 VStG die Zeit des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof im ersten Rechtsgang von 29. August 2019 bis 4. März 2021, sodass sich die Frist zunächst um 554 Tage verlängert.

15           Soweit der Revisionswerber vorbringt, der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. April 2021 über die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens bis zur Entscheidung der mit Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 14. Oktober 2021, MT, C-231/20, geklärten Vorlagefrage entfalte keine Hemmungswirkung im Sinne des § 31 Abs. 2 Z 3 VStG, weil ihm dieser nur in deutscher Sprache zugestellt worden sei, ist ihm Folgendes zu entgegnen:

16           Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Vorliegen von Anhaltspunkten dafür, dass der Zustellungsempfänger der deutschen Sprache unkundig ist, die Verfahrensurkunde - oder zumindest deren wesentlicher Inhalt - in die Sprache des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Empfänger sich aufhält, zu übersetzen. Wird dies unterlassen, ist die Zustellung der Verfahrensurkunde nicht rechtswirksam. Eine Heilung dieses Zustellmangels kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht (vgl. VwGH 3.2.2022, Ra 2020/17/0095, mwN).

17           Es trifft zwar zu, dass dem Revisionswerber der genannte Beschluss lediglich in deutscher Sprache zugestellt wurde, obwohl schon aufgrund der von der belangten Behörde vorgenommenen Zustellung des Straferkenntnisses in tschechischer Sprache evident war, dass der Revisionswerber der deutschen Sprache unkundig war und somit eine Zustellung an den Revisionswerber nicht rechtswirksam erfolgt ist. Der Revisionswerber übersieht aber, dass ein in einem Mehrparteienverfahren gegenüber einer Partei erlassener Bescheid (hier: Beschluss) dadurch seine rechtliche Existenz erhält, auch wenn er gegenüber den anderen Parteien - solange er ihnen gegenüber nicht erlassen wurde - keine rechtlichen Wirkungen äußert (vgl. etwa VwGH 6.9.2023, Ra 2023/05/0063, mwN). Im vorliegenden Fall trat der - unbekämpft gebliebene - Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. April 2021 daher nach der Aktenlage mit Zustellung an die Amtspartei am 16. April 2021 in rechtliche Existenz, sodass damit auch die Wirkungen des § 31 Abs. 2 Z 3 VStG eintraten (vgl. dazu auch VwGH 27.9.2022, Ra 2022/11/0069). Ausgehend davon war die Strafbarkeitsverjährung auch in der Zeit von 16. April 2021 bis zur Erlassung des Urteils des EuGH am 14. Oktober 2021 und sohin für weitere 182 Tage gehemmt.

18           Trotz Hinzurechnung von somit insgesamt 736 Tagen, an denen die Strafbarkeitsverjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 Z 3 und Z 4 VStG gehemmt war, lief die Verjährungsfrist jedoch bereits am 8. Februar 2022 und sohin vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ab.

19           Daran ändert auch der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013, nichts. Nach der ausdrücklichen Anordnung des § 38a Abs. 3 Z 1 VwGG sind von den „Sperrwirkungen“ eines Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a VwGG nur solche Rechtssachen erfasst, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat. Vorliegend hatte das Verwaltungsgericht aber nicht den im Beschluss vom 27. April 2020 genannten § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG oder die §§ 16 und 64 VStG „im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz leg. cit.“ anzuwenden. Vielmehr hatte das Verwaltungsgericht den vierten Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG und damit eine andere Rechtsvorschrift als jene anzuwenden, die in dem zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach § 38a VwGG genannt war (siehe zu einer vergleichbaren Konstellation auch VwGH 22.10.2023, Ra 2023/12/0011).

20           Da die Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses an den Revisionswerber erst nach Ablauf der in § 31 Abs. 2 VStG geregelten Frist und somit nach Eintritt der Strafbarkeitsverjährung erfolgte, hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet (vgl. erneut VwGH 22.10.2023, Ra 2023/12/0011, mwN).

21           Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 4 VwGG dahin abzuändern, dass der Beschwerde gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 14. März 2019, BHPEPol-2017-46291/24-KG, Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen des Glücksspielgesetzes gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt wird.

22           Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Juni 2024

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2024:RA2022120073.L00