Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

06.06.2024

Geschäftszahl

Ro 2022/07/0004

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

Ro 2022/07/0005

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler, Mag. Haunold, Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tichy, über die Revisionen 1. des B S und 2. des J M, beide in S, beide vertreten durch Dr. Gernot Gasser und Dr. Sonja Schneeberger, Rechtsanwälte in 9900 Lienz, Beda-Weber-Gasse 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 5. November 2021, LVwG-2021/44/0918-24, betreffend einen Antrag auf Auflösung einer Wassergenossenschaft nach dem WRG 1959 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Lienz; mitbeteiligte Partei: Wassergenossenschaft G), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1             Mit Bescheid vom 3. Februar 2017 genehmigte die Bezirkshauptmannschaft Lienz die Satzung der mitbeteiligten freiwilligen Wassergenossenschaft G. Ihr Zweck ist nach § 1 der Satzung die Versorgung ihrer Mitglieder mit Trink- und Nutzwasser. Mitglieder sind als Eigentümer von Liegenschaften unter anderem die Revisionswerber.

2             Von der Wassergenossenschaft G. wurde im Juni 2017 um die wasserrechtliche Bewilligung einer Wasserversorgungsanlage angesucht. Im Zuge eines gemäß § 17 WRG 1959 durchgeführten Widerstreitverfahrens wurde von der Wasserrechtsbehörde mit rechtskräftigem Bescheid vom 16. Mai 2019 jedoch einem konkurrierenden Projekt der Vorzug eingeräumt.

3             Am 16. Jänner 2019 beantragten die Revisionswerber bei der Wasserrechtsbehörde, die Wassergenossenschaft G. gemäß § 83 Abs. 1 lit. b WRG 1959 aufzulösen, weil diese ihrem Genossenschaftszweck nicht mehr nachkommen könne. Das geplante Projekt einer Wasserversorgungsanlage könne nicht mehr realisiert werden.

4             Mit Bescheid vom 26. Februar 2021 wies die Bezirkshauptmannschaft Lienz den Antrag als unbegründet ab. In ihrer Begründung führte die Verwaltungsbehörde aus, die Voraussetzungen der Auflösung der Genossenschaft nach § 83 Abs. 1 lit. b WRG 1959 seien nicht erfüllt, weil es der Wassergenossenschaft G. offenstehe, ein anderes Projekt für eine Wasserversorgung ihrer Mitglieder zu realisieren.

5             Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Antrag der Revisionswerber auf Auflösung der Wassergenossenschaft G. als unzulässig zurückgewiesen werde. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.

6             Nach Wiedergabe des Verfahrensgangs führte das Verwaltungsgericht begründend aus, nach § 83 Abs. 1 WRG 1959 sei eine Auflösung einer Genossenschaft entweder aufgrund eines Beschlusses der Genossenschaftsversammlung (lit. a) oder amtswegig durch die Wasserrechtsbehörde, wenn der Weiterbestand keine Vorteile mehr erwarten lasse, (lit. b) vorgesehen. Den einzelnen Genossenschaftsmitgliedern werde durch das WRG 1959 dagegen keine Antragslegitimation hinsichtlich der Auflösung der Genossenschaft eingeräumt. Soweit der Verwaltungsgerichtshof (Hinweis auf VwGH 23.9.2004, 2001/07/0150) entschieden habe, dass im Zuge eines Auflösungsverfahrens den einzelnen Genossenschaftern Parteistellung zukomme, sei damit nicht die Frage der Antragslegitimation angesprochen worden. Entgegen dem Vorbringen der Revisionswerber bedeute dies auch nicht, dass die Genossenschafter „Gefangene“ der Wassergenossenschaft wären. Es stehe ihnen nämlich die Möglichkeit offen, ihre Ausscheidung als Mitglieder zu begehren, wozu die Genossenschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 82 Abs. 2 WRG 1959 verpflichtet sei. Der Antrag auf Auflösung der Wassergenossenschaft G. sei daher aufgrund des Fehlens der Antragslegitimation der Revisionswerber zurückzuweisen gewesen.

7             Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Antragslegitimation einzelner Genossenschaftsmitglieder nach § 83 Abs. 1 lit. b WRG 1959 fehle.

8             Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die (ordentliche) Revision. Im vom Verwaltungsgericht durchgeführten Revisionsverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9             Die Revision ist aus dem vom Verwaltungsgericht genannten Grund, auf den auch die Revision zurückkommt, zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

10           § 74 Abs. 1, § 82 Abs. 1 und 2 sowie § 83 Abs. 1 und 2 WRG 1959 lauten samt Überschriften auszugsweise:

„Einteilung und Bildung der Wassergenossenschaften.

Paragraph 74, (1) Eine Wassergenossenschaft wird gebildet

a)     durch Anerkennung einer freien Vereinbarung der daran Beteiligten (freiwillige Genossenschaft),

b)     durch Anerkennung eines Mehrheitsbeschlusses der Beteiligten und gleichzeitige Beiziehung der widerstrebenden Minderheit (Genossenschaft mit Beitrittszwang, § 75),

c)     durch Bescheid des Landeshauptmannes (Zwangsgenossenschaft, § 76).

Paragraph 82, (1) Einzelne Liegenschaften oder Anlagen können im Einvernehmen zwischen ihren Eigentümern (Berechtigten) und der Genossenschaft wieder ausgeschieden werden. [...]

(2) Die Genossenschaft ist verpflichtet, einzelne Liegenschaften oder Anlagen auf Verlangen ihres Eigentümers (Berechtigten) auszuscheiden, wenn ihm nach Ablauf einer zur Erreichung des erhofften Erfolges genügenden Zeit aus der Teilnahme am genossenschaftlichen Unternehmen kein wesentlicher Vorteil erwachsen ist und der Genossenschaft durch das Ausscheiden kein überwiegender Nachteil entsteht.

Paragraph 83, (1) Die Auflösung einer freiwilligen Genossenschaft oder einer Genossenschaft mit Beitrittszwang ist von der Wasserrechtsbehörde nach Sicherstellung der Verbindlichkeiten gegenüber Dritten auszusprechen, wenn

a)     die Genossenschaftsversammlung mit der für Satzungsänderungen erforderlichen Mehrheit (§ 77 Abs. 5) die Auflösung beschließt oder

b)     der Weiterbestand der Genossenschaft im Hinblick auf die gegebenen Verhältnisse keine besonderen Vorteile mehr erwarten läßt.

(2) Die Auflösung einer Zwangsgenossenschaft ist von der Wasserrechtsbehörde unter der Voraussetzung des Absatz eins, Litera b, zu verfügen.“

11           Nach § 74 Abs. 1 lit. a und b WRG 1959 ist für die Gründung sowohl einer freiwilligen Genossenschaft als auch einer Genossenschaft mit Beitrittszwang eine (freiwillige) Vereinbarung der Interessenten erforderlich (vgl. Berger in Oberleitner/Berger, WRG-ON 4.00 § 74 Rz 1); bei der freiwilligen Genossenschaft (§ 74 Abs. 1 lit. a WRG 1959) erfolgt eine Zustimmung aller Mitglieder, bei der Genossenschaft mit Beitrittszwang (§ 74 Abs. 1 lit. b und § 75 WRG 1959) wird die widerstrebende Minderheit durch Bescheid der Wasserrechtsbehörde einbezogen.

12           Für freiwillige Genossenschaften sowie Genossenschaften mit Beitrittszwang sieht § 83 Abs. 1 WRG 1959 (siehe dagegen zu Zwangsgenossenschaften § 83 Abs. 2 WRG 1959) zwei Fälle vor, in denen die Wasserrechtsbehörde nach Sicherstellung der Verbindlichkeiten gegenüber Dritten mit Bescheid die Auflösung der Genossenschaft auszusprechen hat. Nach lit. a leg. cit. erfolgt die Auflösung, wenn sie von der Genossenschaftsversammlung - worunter die Mitgliederversammlung zu verstehen ist (vgl. Bumberger/Hinterwirth, WRG3 [2020] K1 zu § 83) - mit der für Satzungsänderungen erforderlichen Mehrheit beschlossen wird. Der Auflösungstatbestand stellt letztlich einen contrarius actus zu der auf einer Vereinbarung der Mitglieder beruhenden Gründung der Genossenschaft dar. Nach lit. b leg. cit. kann die Wasserrechtsbehörde die Auflösung - anders als nach lit. a leg. cit. - auch ohne einen Beschluss der Mitgliederversammlung aussprechen, wenn der Weiterbestand der Genossenschaft im Hinblick auf die gegebenen Verhältnisse keine besonderen Vorteile mehr erwarten lässt.

13           Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Aufsicht der Wasserrechtsbehörde über die Wassergenossenschaften gemäß § 85 Abs. 1 WRG 1959, dass diese grundsätzlich von Amts wegen auszuüben ist; ein subjektives Recht auf eine aufsichtsbehördliche Entscheidung besteht nur in solchen Fällen, in denen das Gesetz der Genossenschaft oder einer anderen Person eine Antragslegitimation zuerkennt (vgl. grundlegend VwGH 29.6.2000, 98/07/0182; sowie aus der ständigen Judikatur etwa VwGH 25.10.2017, Ro 2016/07/0014, mwN).

14           Nichts anderes gilt auch für die Auflösung der Wassergenossenschaften durch die Wasserrechtsbehörde nach § 83 Abs. 1 WRG 1959. Die Genossenschaft selbst ist nach § 83 Abs. 1 lit. a WRG 1959 durch Fassung eines Beschlusses mit der für Satzungsänderungen vorgesehenen Mehrheit berechtigt, ihre Auflösung zu begehren. Dagegen ist den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu entnehmen, dass den einzelnen Genossenschaftern ein subjektives Recht darauf zukäme, dass die Wasserrechtsbehörde nach § 83 Abs. 1 lit. b WRG 1959 eine Auflösung der Genossenschaft verfügt. Eine Antragslegitimation der Genossenschafter besteht daher nicht (vgl. idS Raschauer Wasserrecht [1993], § 83 WRG 1959 Rz 1).

15           Dem Verwaltungsgericht ist auch darin Recht zu geben, dass bei dieser Auslegung keine unbillige Bindung der einzelnen Genossenschafter an die Wassergenossenschaft eintritt. Die Genossenschafter haben zum einen die Möglichkeit, an einer Beschlussfassung der Mitgliederversammlung über Auflösung der Genossenschaft im Sinn von § 83 Abs. 1 lit. a WRG 1959 mitzuwirken. Unabhängig davon wird durch § 82 Abs. 2 WRG 1959 den einzelnen Mitgliedern unter den dort genannten Voraussetzungen gegenüber der Genossenschaft das Recht auf Ausscheiden eingeräumt.

16           Da das Verwaltungsgericht somit die Anträge der Revisionswerber auf Auflösung der Genossenschaft nach § 83 Abs. 1 lit. b WRG 1959 im Beschwerdeverfahren zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat, erweist sich die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet.

17           Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der Parteien und die Akten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und das Verwaltungsgericht, ein Tribunal im Sinne der EMRK, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, womit dem Entfall der Verhandlung auch Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht (vgl. etwa VwGH 22.9.2022, Ra 2022/07/0023, mwN).

Wien, am 6. Juni 2024

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2024:RO2022070004.J00