Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

28.06.2021

Geschäftszahl

Ra 2021/22/0054

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger sowie Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des E G in W, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 14. Mai 2020, Zl. VGW-151/094/1491/2020-36, betreffend Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1             Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, beantragte am 19. November 2018 beim Landeshauptmann von Wien - gestützt auf seine Ehe mit einer ungarischen Staatsangehörigen, die in Österreich unselbständig erwerbstätig sei - die Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß Paragraph 54, Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

2             Die Behörde ersuchte aufgrund des Verdachts einer Aufenthaltsehe die zuständige Landespolizeidirektion mit Schreiben vom 2. Oktober 2019 um Überprüfung gemäß Paragraph 37, Absatz 4, NAG.

3             Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2019 (eingelangt am 16. Dezember 2019) erhob der Revisionswerber Säumnisbeschwerde.

4             Das Verwaltungsgericht Wien führte am 4. Mai 2020 eine mündliche Verhandlung durch. Der Revisionswerber führte aus, dass seine Ehegattin wegen „Corona“ derzeit nicht arbeite, aber ab dem 15. Mai 2020 wieder in einem näher bezeichneten Lokal tätig sein werde. Die als Zeugin befragte Ehegattin des Revisionswerbers gab an, dass sie ab 15. Mai 2020 in Wien als Kellnerin in dem genannten Lokal neuerlich zu arbeiten beginnen werde (monatliches Nettoeinkommen ca. € 1.200,--; Trinkgeld ca. € 800,-- bis 900,-- pro Monat).

5             Mit Schreiben vom 4. Mai 2020 ersuchte das Verwaltungsgericht die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) um Übermittlung der Abmeldebestätigung betreffend das letzte Beschäftigungsverhältnis der Ehegattin des Revisionswerbers und forderte den Revisionswerber auf, u.a. einen Nachweis über die unfreiwillige Arbeitslosigkeit seiner Ehegattin sowie deren letzten Arbeitsvertrag zu übermitteln. Am 5. Mai 2020 teilte das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber unter Setzung einer einwöchigen Frist für eine Stellungnahme mit, dass in der zwischenzeitlich eingegangenen Abmeldebestätigung der ÖGK als Grund für die Abmeldung eine einvernehmliche Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses angeführt sei.

6             Der Revisionswerber nahm mit Eingabe vom 12. Mai 2020 Stellung, übermittelte eine Kopie des Arbeitsvertrages seiner Ehegattin sowie der einvernehmlichen Auflösung deren Beschäftigungsverhältnisses mit 23. März 2020 und führte aus, dass der Arbeitsvertrag seiner Ehegattin mit der römisch zehn GmbH am 7. November 2019 abgeschlossen worden sei. Das unbefristete Arbeitsverhältnis habe am 8. November 2019 begonnen. Das Lokal, in dem die Ehegattin des Revisionswerbers beschäftigt gewesen sei, sei aufgrund der Covid-19 Pandemie sowie infolge einer Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz per 16. März 2020 geschlossen worden. Es sei noch am selben Tag eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses mündlich vereinbart worden. Eine Kündigung sei deshalb nicht ausgesprochen worden, weil eine neuerliche Einstellung bei Wiedereröffnung des Lokals zugesichert worden sei. Als Beweis dafür bot der Revisionswerber die zeugenschaftliche Befragung seiner Ehegattin sowie eines informierten Vertreters der römisch zehn GmbH an.

7             Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den verfahrenseinleitenden Antrag des Revisionswerbers gemäß Paragraph 54, NAG ab. Die Revision nach Artikel 133, Absatz 4, B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig.

8             Das Gericht stellte fest, dass der Revisionswerber am 30. Oktober 2018 eine ungarische Staatsangehörige in Wien geheiratet habe. Dabei handle es sich nicht um eine Aufenthaltsehe. Das Ehepaar lebe in Wien. Der Revisionswerber sei in Österreich strafgerichtlich unbescholten und es lägen keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen vor. Seiner Ehegattin sei am 27. März 2013 eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin ausgestellt worden. Sie sei zuletzt von 8. November 2019 bis 23. März 2020 bei der römisch zehn GmbH als Arbeiterin beschäftigt gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis sei mit Arbeitsvertrag vom 7. November 2019 nach vierzehntägiger Probezeit für eine unbefristete Dauer eingegangen und am 23. März 2020 einvernehmlich aufgelöst worden. Im Übrigen wurden näher angeführte Beschäftigungszeiten der Ehegattin seit dem Jahr 2011 bei diversen Arbeitgebern sowie mit mehrfachen Unterbrechungen festgestellt.

9             Das Verwaltungsgericht legte dar, weshalb es von einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde ausging. Weiters führte das Gericht aus, dass die ungarische Ehegattin des Revisionswerbers in Österreich weder Arbeitnehmerin noch Selbständige im Sinn von Paragraph 51, Absatz eins, Ziffer eins, NAG sei; sie sei derzeit arbeitslos gemeldet. Es sei nicht vorgebracht worden, dass sie aufgrund von Paragraph 51, Absatz eins, Ziffer 2, und 3 NAG aufenthaltsberechtigt sei, und es gebe dafür auch keine Hinweise. Da das Arbeitsverhältnis freiwillig aufgelöst worden sei, liege keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit im Sinn von Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 2, und 3 NAG vor. Selbst wenn man jedoch vom Vorliegen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit ausginge, wäre Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 2, NAG gegenständlich nicht anwendbar, weil die Ehegattin des Revisionswerbers bei der römisch zehn GmbH nicht mehr als ein Jahr beschäftigt gewesen sei. Abgesehen vom Fehlen einer ordnungsgemäßen Bestätigung über die unfreiwillige Arbeitslosigkeit sei Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 3, NAG auch deshalb nicht einschlägig, weil es sich bei dem in Rede stehenden Arbeitsverhältnis nicht um ein auf weniger als ein Jahr befristetes gehandelt habe und die Arbeitslosigkeit auch nicht im Laufe der ersten zwölf Monate eingetreten sei. Dass die Ehegattin des Revisionswerbers aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig sei oder eine Berufsausbildung begonnen habe, sei nicht vorgebracht worden. Dafür bestünden auch keine Hinweise. Die Ehegattin des Revisionswerbers sei daher im Bundesgebiet nicht unionsrechtlich aufenthaltsberechtigt. Folglich sei der gegenständliche Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte abzuweisen.

10           Der Revisionswerber erhob Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 22. September 2020, E 2188/2020-6, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

11           In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision erhoben.

12           Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13           Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wird in der Revision ausgeführt, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Ehegattin des Revisionswerbers die Eigenschaft als Arbeitnehmerin verloren habe. Die temporäre Arbeitslosigkeit der Ehegattin des Revisionswerbers sei durch die Covid-19 Pandemie sowie durch eine Verordnung des zuständigen Bundesministers bedingt gewesen, die im März 2020 zur Schließung des Lokals geführt habe. Dazu habe der Revisionswerber in seiner Stellungnahme von 12. Mai 2020 die Aufnahme diverser Beweise beantragt. Zu den betreffenden Rechtsfragen fehle Rechtsprechung.

14           Im Hinblick darauf ist die Revision zulässig.

15           Paragraphen 51 und 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Nr. 100 aus 2005, (Paragraph 51, in der Fassung BGBl. römisch eins Nr. 56/2018; Paragraph 54, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 145 aus 2017,), lauten auszugsweise:

„Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate

Paragraph 51, (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.     in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

...

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Absatz eins, Ziffer eins, bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.     wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.     sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.     sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.     eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Absatz eins, Ziffer eins, bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Absatz 2, Ziffer 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.

...

Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers

Paragraph 54, (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (Paragraph 51,) sind und die in Paragraph 52, Absatz eins, Ziffer eins, bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. Paragraph eins, Absatz 2, Ziffer eins, gilt nicht.“

16           Eine Verordnung betreffend nähere Bestimmungen für die Bestätigung gemäß Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 2, und 3 NAG wurde durch den Bundesminister für Inneres bisher nicht erlassen.

17           Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Richtlinie 2004/38/EG) lautet auszugsweise:

„Artikel 7

Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a)     Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

...

(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.

(3) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a) bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nicht mehr ausübt, in folgenden Fällen erhalten:

a)     Er ist wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig;

b)     er stellt sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung;

c)     er stellt sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten;

d)     er beginnt eine Berufsausbildung; die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft setzt voraus, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

...

Artikel 14

Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts

(1) Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach Artikel 6 zu, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen.

(2) Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen. In bestimmten Fällen, in denen begründete Zweifel bestehen, ob der Unionsbürger oder seine Familienangehörigen die Voraussetzungen der Artikel 7, 12 und 13 erfüllen, können die Mitgliedstaaten prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Prüfung wird nicht systematisch durchgeführt.

(3) Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger oder einen seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat darf nicht automatisch zu einer Ausweisung führen.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 und unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels römisch VI darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn

a)     die Unionsbürger Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder

b)     die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.“

18           Das Verwaltungsgericht Wien verneinte eine unionsrechtliche Aufenthaltsberechtigung der Ehegattin des Revisionswerbers und das Vorliegen der Voraussetzungen nach Paragraph 51, Absatz 2, NAG insbesondere deshalb, weil diese infolge der einvernehmlichen Auflösung ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht unfreiwillig arbeitslos geworden sei. Im Übrigen sei sie nicht länger als ein Jahr bei der römisch zehn GmbH beschäftigt gewesen. Das betreffende Arbeitsverhältnis sei zudem weder auf weniger als ein Jahr befristet gewesen noch sei die Arbeitslosigkeit im Laufe der ersten zwölf Monate eingetreten. Die dieser Begründung zugrundeliegende Rechtsauffassung erweist sich als unzutreffend:

19           Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in den Rn 43 bis 49 seines Urteils vom 11. April 2019, Neculai Tarola gegen Minister for Social Protection, C-483/17, zu Artikel 7, Absatz 3, der Richtlinie 2004/38/EG Folgendes festgehalten:

„43 Ferner garantiert Artikel 7, Absatz 3, der Richtlinie jedem vorübergehend nicht erwerbstätigen Unionsbürger die Aufrechterhaltung seiner Erwerbstätigeneigenschaft und infolgedessen seines Rechts auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat, indem er bei den Voraussetzungen dieser Aufrechterhaltung ebenfalls eine Abstufung vornimmt, die - wie der Generalanwalt in Nr. 33 seiner Schlussanträge ausgeführt hat - zum einen vom Grund seiner Untätigkeit, im vorliegenden Fall je nachdem, ob er wegen einer Krankheit oder eines Unfalls arbeitsunfähig ist, unfreiwillig arbeitslos ist oder sich in einer Berufsausbildung befindet, und zum anderen von der ursprünglichen Dauer seiner Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat, d. h. je nachdem, ob diese Dauer länger oder kürzer als ein Jahr ist, abhängt.

44 Somit bleibt dem Unionsbürger, der im Aufnahmemitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger ausgeübt hat, die Erwerbstätigeneigenschaft zeitlich unbegrenzt erhalten, wenn er erstens gemäß Artikel 7, Absatz 3, Buchst. a der Richtlinie 2004/38 wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist, zweitens gemäß Artikel 7, Absatz 3, Buchst. b der Richtlinie über ein Jahr lang im Aufnahmemitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger ausgeübt hat und dann unfreiwillig arbeitslos wird (Urteil vom 20. Dezember 2017, Gusa, C-442/16, EU:C:2017:1004, Rn. 29 bis 46), oder drittens gemäß Artikel 7, Absatz 3, Buchst. d der Richtlinie eine Berufsausbildung begonnen hat.

45 Dagegen bleibt dem Unionsbürger, der weniger als ein Jahr lang im Aufnahmemitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger ausgeübt hat, die Erwerbstätigeneigenschaft nur für einen Zeitraum erhalten, dessen Dauer der Mitgliedstaat festlegen darf, wobei sie nicht weniger als sechs Monate betragen darf.

46 Der Aufnahmemitgliedstaat darf nämlich die Dauer der Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft des Unionsbürgers, der im Aufnahmemitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger ausgeübt hat, begrenzen, doch darf er sie gemäß Artikel 7, Absatz 3, Buchst. c der Richtlinie 2004/38 nicht auf weniger als sechs Monate verkürzen, wenn dieser Bürger aus von seinem Willen unabhängigen Gründen arbeitslos wird, bevor er ein Jahr Erwerbstätigkeit zurücklegen konnte.

47 Ausgehend von dem in dieser Bestimmung genannten ersten Fall ist dies der Fall, wenn die Erwerbstätigkeit des Arbeitnehmers nach Ablauf eines befristeten Vertrags mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr endet.

48 Ausgehend von dem in dieser Bestimmung genannten zweiten Fall muss dies auch in all den Situationen der Fall sein, in denen ein Erwerbstätiger aus von seinem Willen unabhängigen Gründen gezwungen war, seine Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat vor Ablauf eines Jahres zu beenden, unabhängig von der Art der ausgeübten Erwerbstätigkeit und der Art des hierzu geschlossenen Arbeitsvertrags, d. h. unabhängig davon, ob er eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger ausgeübt hat und ob er einen befristeten Vertrag mit einer Laufzeit von über einem Jahr, einen unbefristeten Vertrag oder jede andere Art von Vertrag geschlossen hat.

49 Diese Auslegung entspricht dem mit der Richtlinie 2004/38 in erster Linie verfolgten Ziel, das - wie in Rn. 23 des vorliegenden Urteils ausgeführt - darin besteht, das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu stärken, und dem speziell mit ihrem Artikel 7, Absatz 3, verfolgten Ziel, das darin besteht, durch die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft das Aufenthaltsrecht der Personen zu sichern, die ihre Berufstätigkeit wegen eines Mangels an Arbeit aufgegeben haben, der auf von ihrem Willen unabhängigen Umständen beruht vergleiche in diesem Sinne Urteile vom 15. September 2015, Alimanovic, C-67/14, EU:C:2015:597, Rn. 60, vom 25. Februar 2016, García-Nieto u. a., C-299/14, EU:C:2016:114, Rn. 47, und vom 20. Dezember 2017, Gusa, C-442/16, EU:C:2017:1004, Rn. 42).“

20           Zur Frage der Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit im Sinn des Paragraph 51, Absatz 2, NAG hat der Verwaltungsgerichtshof bezogen auf die Kündigung durch einen Arbeitnehmer bereits ausgesprochen, dass nicht in allen Fällen, in denen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer initiiert wurde, von der „Freiwilligkeit“ der Arbeitslosigkeit im Sinn der genannten Bestimmung auszugehen ist, sondern auch entscheidend ist, aus welchen Gründen der Arbeitnehmer gekündigt hat (VwGH 22.4.2015, 2012/10/0218).

21           Fallbezogen legte der Revisionswerber eine Bescheinigung betreffend die einvernehmliche Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses seiner Ehegattin bei der römisch zehn GmBH vor und führte aus, dass das Lokal, in dem seine Ehegattin als Kellnerin tätig gewesen sei, im März 2020 infolge der Covid-19 Pandemie sowie aufgrund einer Verordnung des zuständigen Bundesministers vorübergehend geschlossen worden sei und die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur im Hinblick auf die Zusage einer neuerlichen Einstellung bei Wiedereröffnung des Betriebs erfolgt sei. Mit diesem Vorbringen hat sich das Verwaltungsgericht in keiner Weise auseinandergesetzt. Träfe es jedoch zu, dass das betreffende Beschäftigungsverhältnis de facto nicht infolge eines freien Willensentschlusses der Ehegattin des Revisionswerbers beendet wurde, sondern dass diese zum Zeitpunkt der Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses bei lebensnaher Betrachtungsweise veranlasst war, anzunehmen, dass das Beschäftigungsverhältnis angesichts der pandemiebedingten Umstände auch ohne ihr Einverständnis, nur allenfalls unter anderen Rahmenbedingungen beendet worden wäre (sodass bei Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse aus der Perspektive der Arbeitnehmerin ohnehin keine realistische Möglichkeit bestand, das Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen), dann folgte aus der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht das Fehlen einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit im Sinn von Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 2, und 3 NAG (zur Aufgabe einer Erwerbstätigkeit durch einen Selbständigen, die auf von dessen freien Willen unabhängigen Umständen beruht, EuGH 20.12.2017, Florea Gusa gegen Minister of Social Protection, C-442/16, Rn 42; sowie nochmals EuGH 11.4.2019, C-483/17, Rn 46 und 48).

22           Ob sich die Ehegattin des Revisionswerbers (nach Eintritt der Arbeitslosigkeit unverzüglich; siehe VwGH 30.4.2019, Ra 2017/10/0050) der zuständigen regionalen Stelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellte und ob sie dieser Stelle zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach wie vor zur Verfügung stand, wurde durch das Gericht nicht näher ermittelt. Dem im Akt befindlichen Versicherungsdatenauszug vom 27. April 2020 ist zu entnehmen, dass zum damaligen Zeitpunkt ein laufender Arbeitslosengeldbezug seit 27. März 2020 bestand. Im angefochtenen Erkenntnis wurde lediglich festgehalten, dass die Ehegattin des Revisionswerbers arbeitslos gemeldet sei (und deshalb die Voraussetzungen nach Paragraph 51, Absatz eins, Ziffer eins, NAG nicht erfüllt seien).

23           Aus den dargelegten Erwägungen wäre das Verwaltungsgericht, um das Vorliegen einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit im Sinn von Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 2, oder 3 NAG beurteilen zu können, gehalten gewesen, die in der Stellungnahme des Revisionswerbers vom 12. Mai 2020 beantragten Beweise betreffend die näheren Umstände der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses seiner Ehegattin im Rahmen einer fortgesetzten mündlichen Verhandlung aufzunehmen und allenfalls erforderliche weitere Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen.

24           Die Frage, ob in der gegenständlichen Konstellation - so wie in der Revision ausgeführt - auch jene bereits einige Jahre zurückliegenden Zeiträume zu berücksichtigen wären, in denen die Ehegattin des Revisionswerbers durchgehend länger als ein Jahr in Österreich erwerbstätig war vergleiche Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 2, NAG), ist im Ergebnis für die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung. Selbst wenn nämlich nur die Bestimmungen des Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 3, zweiter Fall NAG zum Tragen kämen und die Erwerbstätigeneigenschaft der Ehegattin des Revisionswerbers nur für mindestens sechs Monate (und nicht wie im Fall des Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 2, NAG für die Zeit des Vorliegens der dort genannten Voraussetzungen ohne zeitliche Einschränkung; siehe EuGH 11.4.2019, Rs C-483/17, Rn 44) erhalten geblieben wäre, wäre diese Eigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (ca. zwei Monate nach Beendigung des letzten Beschäftigungsverhältnisses) noch aufrecht gewesen.

25           Jedenfalls kommt es in dem in Artikel 7, Absatz 3, Litera c, geregelten zweiten Fall der Richtlinie 2004/38/EG vergleiche Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 3, zweiter Fall NAG) nicht darauf an, ob der Erwerbstätige einen befristeten Vertrag mit einer Laufzeit von über einem Jahr, einen unbefristeten Vertrag oder eine andere Art von Vertrag geschlossen hat (nochmals EuGH, C-483/17, Rn 48). Dass die Ehegattin des Revisionswerbers über einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der römisch zehn GmbH verfügte, stünde folglich der Anwendbarkeit des Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 3, NAG zweiter Fall NAG grundsätzlich nicht entgegen (zur Wortfolge „im Laufe der ersten zwölf Monate“ erneut EuGH, C-483/17, Rn 53, wonach der Unionsgesetzgeber die - gegebenenfalls auf sechs Monate begrenzte - Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft auf Personen erstrecken wollte, die unfreiwillig arbeitslos wurden, nachdem sie anders als aufgrund eines befristeten Vertrages weniger als ein Jahr erwerbstätig waren; siehe in derselben Rechtssache auch die Schlussanträge des Generalanwalts vom 15. November 2018, Rn 27 und 28).

26           Abgesehen davon wäre aber vorliegend selbst für den Fall, dass die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft der Ehegattin des Revisionswerbers nach Paragraph 51, Absatz 2, NAG zu verneinen wäre, auch ein ihr als Arbeitssuchende zukommendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu prüfen (siehe VwGH 30.8.2018, Ra 2018/21/0049; 14.11.2017, Ra 2017/21/0130; 23.2.2012, 2010/22/0011; zu Artikel 45, AEUV und Artikel 14, Absatz 4, Litera b, der Richtlinie 2004/38/EG EuGH 17.12.2020, G.M.A. gegen État belge, C-710/19, Rn 33 ff; 15.9.2015, Alimanovic, C-67/14, Rn 55 ff; 4.6.2009, Athanasios Vatsouras ua gegen Arbeitsgemeinschaft Nürnberg 900, Rs C-22/08 und C-23/08, Rn 39 und 40; zu Fällen der Arbeitssuche nach Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitnehmer Kadelbach in Wollenschläger [Hrsg.], Europäischer Freizügigkeitsraum - Unionsbürgerschaft und Migrationsrecht, 205).

27           An dieser Stelle sei im Übrigen darauf hingewiesen, dass in der mündlichen Verhandlung sowohl seitens des Revisionswerbers als auch seiner Ehegattin betont wurde, dass durch diese eine Wiederaufnahme ihrer Beschäftigung am 15. Mai 2020 beabsichtigt gewesen sei. Das angefochtene Erkenntnis wurde am 14. Mai 2020 ausgefertigt; die Zustellung der Entscheidung an die Parteien erfolgte einige Tage später. Ob die Ehegattin des Revisionswerbers - wie geplant - Mitte Mai 2020 die von ihr in der mündlichen Verhandlung beschriebene Erwerbstätigkeit wieder ausübte (was nicht zuletzt im Hinblick auf die am 13. Mai 2020 kundgemachte Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 207 aus 2020,, der Novelle zur Covid-19-Lockerungsverordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 197 aus 2020,, durchaus denkbar gewesen wäre) und ihr damit ohne jeden Zweifel die Eigenschaft als Arbeitnehmerin im Sinn von Paragraph 51, Absatz eins, Ziffer eins, NAG zugekommen wäre, wurde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren infolge der genannten zeitlichen Abfolge nicht erhoben.

28           Überdies wäre gegenständlich zu klären gewesen, ob der Ehegattin des Revisionswerbers, die sich nach ihren Angaben seit acht Jahren im Bundesgebiet aufhielt, die über eine im Jahr 2013 ausgestellte Anmeldebescheinigung und über durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen in Österreich verfügte, nicht ohnehin bereits das Recht auf Daueraufenthalt nach Paragraph 53 a, NAG zukam, sodass der Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte auch unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen gewesen wäre. Dazu ist im Hinblick auf den vom Verwaltungsgericht eingeholten Versicherungsdatenauszug ergänzend anzumerken, dass die Erwerbstätigeneigenschaft im Sinn des Paragraph 51, Absatz eins, Ziffer eins, NAG gemäß Paragraph 51, Absatz 2, Ziffer 2, und 3 NAG unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen aufrecht bleibt, wenn sich der arbeitslos gewordene EWR-Bürger der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, unabhängig davon, ob er Arbeitslosengeld oder nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nur mehr Notstandshilfe bezieht (ebenfalls im Zusammenhang mit der Prüfung eines Daueraufenthaltsrechts nach Paragraph 53 a, NAG VwGH 16.7.2020, Ra 2019/21/0247).

29           Aus den dargelegten Erwägungen belastete das Verwaltungsgericht, indem es ausgehend von einer unzutreffenden Rechtsansicht die im Revisionsfall erforderlichen Ermittlungsschritte unterließ, das angefochtene Erkenntnis mit - vorrangig wahrzunehmender - inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieses war daher gemäß Paragraph 42, Absatz 2, Ziffer eins, VwGG aufzuheben.

30           Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß Paragraph 39, Absatz 2, Ziffer 5 und 6 VwGG abgesehen werden.

31           Die Kostenentscheidung stützt sich auf die Paragraphen 47, ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Juni 2021

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220054.L00