Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

27.06.2024

Geschäftszahl

Ra 2021/21/0340

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des römisch eins S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. August 2021, W251 2214597-1/11E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1             Der 1986 geborene Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, wies sich im Oktober 2014 im Rahmen einer im Bundesgebiet durchgeführten fremdenpolizeilichen Kontrolle mit gefälschten bulgarischen Identitätsdokumenten aus. Nach seiner Festnahme stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21. Jänner 2015 vollinhaltlich abgewiesen wurde. Unter einem wurde ausgesprochen, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt werde, es wurde gegen ihn nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Kosovo zulässig sei, und ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

2             Der Revisionswerber reiste im Februar 2015 fristgerecht in den Kosovo aus und kehrte - nach seiner im März 2015 im Kosovo erfolgten - Eheschließung mit einer ungarischen Staatsangehörigen wieder nach Österreich zurück, wo er sich seither durchgehend aufhält. Ihm wurde eine bis Anfang Juli 2020 gültige Aufenthaltskarte ausgestellt, deren Verlängerung er Ende Juni 2020 beantragte. Die Ehe des Revisionswerbers wurde Ende Dezember 2018 im Kosovo wieder geschieden.

3             Der Revisionswerber führt mit einer rumänischen Staatsangehörigen eine Lebensgemeinschaft in Österreich, mit der er allerdings nicht im gemeinsamen Haushalt lebt; er ist hier als Arbeiter erwerbstätig.

4             Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Steyr vom 9. Oktober 2017 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass sich der Revisionswerber bei der in Rn. 1 erwähnten fremdenpolizeilichen Kontrolle mit einem totalgefälschten bulgarischen Führerschein und mit einem totalgefälschten bulgarischen Personalausweis ausgewiesen habe. Im Rahmen der Strafbemessung wurden sein Geständnis und seine bisherige Unbescholtenheit vom Strafgericht als mildernd, hingegen das Zusammentreffen von zwei Vergehen als erschwerend gewertet.

5             Mit dem weiteren rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Linz vom 12. Dezember 2018 wurde der Revisionswerber wegen der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs. 3 zweiter Fall, Abs. 4 Z 1 und 3 lit. a StGB sowie nach § 207a Abs. 1 Z 2 StGB zu einer - unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren - bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Diesem Schuldspruch lag zugrunde, dass der Revisionswerber etwa von Anfang Juni 2018 bis 8. Juli 2018 eine Videodatei, in der zwei männliche mündige Minderjährige aufeinander folgend geschlechtliche Handlungen an einem unmündigen Minderjährigen vollziehen, besessen und diese Datei am 8. Juli 2020 an einen Freund übermittelt habe. Im Rahmen der Strafbemessung wertete das Strafgericht das umfassende Geständnis des Revisionswerbers als mildernd, das Zusammentreffen zweier Vergehen hingegen als erschwerend. In Anbetracht des Gesinnungsunwerts und der vom Revisionswerber gezeigten Tendenz einer unangebrachten Bagatelllisierung der Tat kam für das Strafgericht ein diversionelles Vorgehen nicht in Betracht. Von einem Widerruf der dem Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichts Steyr vom 9. Oktober 2017 gewährten bedingten Strafnachsicht wurde - unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre - abgesehen.

6             Daraufhin erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 18. Jänner 2019 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot und gewährte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung.

7             Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. August 2021 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8             Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung einer an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde und deren Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 5.10.2021, E 3680/2021-5) - fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

9             Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt, weil das BVwG - wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision der Sache nach zutreffend aufgezeigt wird - bei der Erstellung der Gefährdungsprognose von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

10           Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erstellung einer für jedes Aufenthaltsverbot - am jeweils anwendbaren Maßstab - zu treffenden Gefährdungsprognose eine unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens des Fremden vorzunehmende einzelfallbezogene Beurteilung darstellt, die - abgesehen von Verfahrensmängeln - nur dann revisibel ist, wenn sie sich als unvertretbar erweist (vgl. etwa VwGH 26.11.2020, Ro 2020/21/0013, Rn. 9).

11           Das trifft im gegenständlichen Fall zu, weil das Fehlverhalten des Revisionswerbers schon nicht den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) erfüllt.

12           Das Bundesverwaltungsgericht kam im Rahmen seiner Erwägungen zur Gefährdungsprognose unter Einbeziehung des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass für den Revisionswerber aufgrund des den beiden strafgerichtlichen Verurteilungen jeweils zugrunde liegenden Fehlverhaltens, wobei insbesondere dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornographie ein besonders hoher Stellenwert auf nationaler und internationaler Ebene zukomme, (noch) nicht von einem Wegfall der Gefährdung ausgegangen werden könne. Dabei berücksichtigte es zum Nachteil des Revisionswerbers auch, dass er keine Therapie absolviert und im Rahmen der Beschwerdeverhandlung versucht habe, die der zweiten Verurteilung zugrunde liegende Tat „herunter zu spielen“.

13           Zwar ist dem BVwG darin beizupflichten, dass das Delikt nach § 207a StGB nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in Ansehung der hohen Bedeutung, die dem Schutz der körperlichen und sexuellen Integrität Minderjähriger zukommt, nicht als Straftat minderen Grades zu qualifizieren ist. Damit steht die Auffassung des BVwG grundsätzlich im Einklang, wonach ein großes öffentliches Interesse daran bestehe, den Markt für Kinderpornographie einzudämmen, und es daher besonders wichtig sei, dass zur Verhinderung der dabei Kindern zugefügten Qualen den Konsumenten von Kinderpornographie „der Boden entzogen werde“ (vgl. VwGH 16.8.2022, Ra 2020/21/0321, Rn. 14, mwN).

14           Allerdings handelte es sich - anders als in der dem zitierten Erkenntnis zugrunde liegenden, deutlich drastischeren Konstellation - im vorliegenden Fall, auch wenn das Fehlverhalten des Revisionswerbers im Zusammenhang mit dem Besitz und der Weitergabe pornographischer Darstellungen unmündiger und mündiger minderjähriger Personen nicht verharmlost werden kann, jedoch nur um einen vereinzelt gebliebenen Vorfall in Bezug auf nur eine Videodatei, die der Revisionswerber für ungefähr einen Monat besessen und einem einzigen Freund weitergeschickt hat. Diese Umstände hätte das BVwG - ebenso wie die Tatsache, dass sich die Höhe der vom Strafgericht verhängten Freiheitsstrafe im untersten Bereich des in § 207a Abs. 1 StGB idF BGBl. I Nr. 117/2017 normierten Strafrahmens (zwei Monate bedingt bei möglichen drei Jahren Freiheitsstrafe) bewegte - als entscheidungswesentlich in die Gefährdungsprognose einzubeziehen gehabt (vgl. zur Maßgeblichkeit auch der verhängten Strafe bei Anwendung der Freizügigkeitsrichtlinie VwGH 11.11.2021, Ra 2021/21/0250, Rn. 10, unter anderem mit dem Hinweis auf EuGH [Große Kammer] 23.11.2010, Tsakouridis, Rs C-145/09, Rn. 50). Auf die vom BVwG weiters ins Treffen geführte verbale Bagatellisierung des Fehlverhaltens im Rahmen der Beschwerdeverhandlung sowie auf den Vorwurf der Unterlassung einer Therapie kommt es in Anbetracht des im Entscheidungszeitpunkt mittlerweile bereits mehr als dreijährigen Wohlverhaltens des Revisionswerbers - dem das BVwG zu Unrecht gar keine Bedeutung beigemessen hat - jedenfalls nicht wesentlich an. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit eines Fremden (selbst nach Absolvierung einer Therapie) in erster Linie das - fallbezogen vom Revisionswerber ausreichend - gezeigte Wohlverhalten (in Freiheit) maßgeblich (vgl. etwa VwGH 19.1.2023, Ra 2022/21/0159, Rn. 15, mwN).

15           Soweit das BVwG zu Lasten des Revisionswerbers auch noch auf die Verurteilung wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden rekurriert, hat es nicht ausreichend darauf Bedacht genommen, dass aus dem lange zurückliegenden, bereits im Jahr 2014 begangenen Urkundendelikt im Entscheidungszeitpunkt des BVwG schon deshalb keine Gefährdung mehr abgeleitet werden konnte, weil der Revisionswerber der in der Folge ergangenen Rückkehrentscheidung durch fristgerechte Ausreise entsprochen hat und sich nunmehr seit März 2015 rechtmäßig in Österreich aufhält.

16           Zusammengefasst zeigt sich somit, dass das BVwG seine Gefährdungsprognose auf unvollständige Erwägungen gründete und deshalb verkannte, dass das dem Revisionswerber angelastete Fehlverhalten schon am Maßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht gerechtfertigt hatte. Vor diesem Hintergrund ist nicht entscheidungserheblich, dass der Revisionswerber bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht erworben haben dürfte (vgl. VwGH 20.12.2021, Ro 2020/22/0020, Rn. 15, mwN) und folglich der strengere Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG heranzuziehen gewesen wäre.

17           Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat aufzuheben.

18           Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Juni 2024

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2024:RA2021210340.L00