Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

17.06.2024

Geschäftszahl

Ra 2021/16/0040

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der H A in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 11. März 2021, Zl. RV/7100267/2021, betreffend Familienbeihilfe ab November 2018 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Österreich, Dienststelle Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1             Mit Bescheid vom 11. Jänner 2019 wies das Finanzamt den Antrag der Revisionswerberin auf Familienbeihilfe für ihren im Juli 2017 geborenen Sohn ab November 2018 ab.

2             Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom 12. November 2019 als unbegründet ab. Das Finanzamt führte zur Begründung aus, die Revisionswerberin verfüge derzeit über keinen gültigen Aufenthaltstitel. Zudem beziehe sie Leistungen aus der Grundversorgung.

3             Die Revisionswerberin beantragte, die Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht vorzulegen.

4             Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde der Revisionswerberin gemäß § 279 BAO als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5             Das Bundesfinanzgericht führte nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens aus, die Revisionswerberin, eine Drittstaatsangehörige, habe am 6. Juli 2017 ihren Sohn, der deutscher Staatsbürger sei, zur Welt gebracht. Ab 3. Jänner 2018 habe die Revisionswerberin für sich und ihren Sohn einen Hauptwohnsitz in Österreich angemeldet. Der Antrag der Revisionswerberin auf internationalen Schutz vom 17. Jänner 2015 sei zur Gänze abgewiesen worden. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG sei gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig. Am 14. August 2018 sei der Revisionswerberin eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG erteilt worden. Am 14. August 2019 sei für sie die „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ ausgestellt worden. Der Revisionswerberin stehe laut einer Bestätigung des Bezirksgerichts W (zumindest) seit 9. August 2018 das Recht zu, ihren Sohn zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und ihn zu vertreten. Dem Sohn der Revisionswerberin sei am 31. Oktober 2018 eine „Anmeldebescheinigung“ für EWR Bürger/innen und Schweizer Bürger/innen gemäß § 51 Abs. 1 Z 2 NAG erteilt worden. Die Caritas habe am 15. November 2018 bestätigt, dass die Revisionswerberin (mit ihrem Sohn) im Rahmen der Grundversorgung in einem näher bezeichneten Haus der Caritas untergebracht sei und Grundversorgungsleistungen beziehe. Der Sohn der Revisionswerberin scheine nicht in der Grundversorgungsdatenbank auf und habe noch nie Leistungen aus der Grundversorgung bezogen.

6             Nach Wiedergabe der rechtlichen Bestimmungen führte das Bundesfinanzgericht weiter aus, der Revisionswerberin sei am 14. August 2018 eine bis zum 13. August 2019 geltende „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt worden. Der am 14. August 2019 bis zum 14. August 2020 erteilte Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ berechtige die Revisionswerberin zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG. Betreffend den Sohn der Revisionswerberin sei auszuführen, dass dieser die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG nicht erfülle. Der zu Beginn des beschwerdegegenständlichen Zeitraums rund eineinhalbjährige Sohn sei mit seiner Mutter, der Revisionswerberin, im Rahmen der Grundversorgung in einem Haus der Caritas untergebracht gewesen. Aufgrund der von der Mutter bezogenen Leistungen aus der Grundversorgung sei bewiesen, dass der Sohn weder für sich noch für seine Mutter über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt habe, sodass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichzulage in Anspruch hätten nehmen müssen. Demgemäß sei der Sohn der Revisionswerberin nicht berechtigt, sich länger als drei Monate in Österreich aufzuhalten. Die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts in Form einer „Anmeldebescheinigung“ für EWR-Bürger wirke lediglich deklarativ. Aus dem Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer solchen könne keine verbindliche Aussage über das Vorliegen der Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts abgeleitet werden. Verfüge aber der Sohn der Revisionswerberin über kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht, könne auch die Mutter von ihm kein solches ableiten. Damit sei das Schicksal der Beschwerde entschieden.

7             Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung eines Vorverfahrens - das Finanzamt erstattete keine Revisionsbeantwortung - erwogen hat:

8             Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, die Revisionswerberin habe sich zunächst als Asylwerberin und ab 14. August 2018 aufgrund der ihr erteilten Aufenthaltstitel rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Daraus sei zu schließen, dass sich auch ihr 2017 geborener Sohn rechtmäßig in Österreich aufhalte. Eine Aufenthaltsbeendigung würde das Kindeswohl gefährden und sie in ihren Rechten nach Art. 8 EMRK verletzen. Weiters sei der Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nicht jede Bescheidwirkung abzusprechen. Vielmehr vermittle diese nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen rechtmäßigen Aufenthalt. Das Bundesfinanzgericht hätte daher die Ausstellung der Anmeldebescheinigung für das Kind, die trotz der Grundversorgung der Revisionswerberin erfolgt sei, als rechtmäßig und den Aufenthalt des Kindes nicht als bezugsschädlich ansehen dürfen. Schließlich fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob Eltern, die Drittstaatsangehörige seien, aufgefordert werden dürften, sich im Mitgliedstaat des Kindes anzusiedeln und demgemäß in einem anderen Mitgliedstaat keine Sozialleistungen erhielten.

9             Die Revision erweist sich als zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

10           Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

11           § 3 FLAG, BGBl. Nr. 376/1967 in der im Revisionsfall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 35/2014, lautete auszugsweise:

„(1) Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach Paragraphen 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, oder nach Paragraph 54, des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012,, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

(2) Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach Paragraphen 8 und 9 NAG oder nach 54 AsylG 2005 rechtmäßig in Österreich aufhalten.

[...]“

12           § 54 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, lautet auszugsweise wie folgt:

„(1) Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werden Drittstaatsangehörigen erteilt als:

1.     ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AusBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,

[...]“

13           § 8 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (bzw. BGBl. I Nr. 145/2020), lautete auszugsweise:

„(1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:

1.     [...]

2.     Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus‘, der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß §§ 17 AuslBG berechtigt;

[...]“

14           § 9 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011, lautet auszugsweise:

„Zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate werden auf Antrag ausgestellt:

1.     eine ‚Anmeldebescheinigung‘ (§ 53) für EWR-Bürger, die sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten, [...]

[...]“

15           Aus § 8 und § 9 NAG ergibt sich die gesetzliche Unterscheidung in Aufenthaltstitel und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Das unionsrechtlich begründete Recht auf Aufenthalt entfaltet unmittelbare Wirkung und wird nach dem NAG nicht verliehen oder konstitutiv verschafft, sondern lediglich dokumentiert (vgl. VwGH 22.10.2015, 2013/16/0217, mwN).

16           Für die nach § 3 Abs. 1 und 2 FLAG erforderliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts kommt es somit nicht auf eine konstitutive Verleihung durch die Niederlassungsbehörde an (vgl. nochmals VwGH 22.10.2015, 2013/16/0217).

17           Demgemäß ist aber auch bei einer (allenfalls unrichtigen) Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nicht zwingend von der Erfüllung der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 FLAG auszugehen.

18           Das Bundesfinanzgericht hat daher im angefochtenen Erkenntnis zu Recht geprüft, ob der Sohn der Revisionswerberin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum die in § 51 Abs. 1 Z 2 NAG genannten Kriterien für das Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts erfüllt hat (vgl. zu dieser Prüfung etwa VwGH 22.10.2019, Ra 2019/10/0023).

19           Entgegen dem Revisionsvorbringen lässt sich aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Mai 2019, Ro 2019/21/0004, für den revisionsgegenständlichen Fall nichts gewinnen, hat der Verwaltungsgerichtshof dort doch lediglich ausgesprochen, dass eine unrichtige Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts einen rechtmäßigen Aufenthalt iSd § 31 Abs. 1 Z 2 FPG vermittelt. Auf den Bestand eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts hat die unrichtige Dokumentation eines solchen jedoch keinen Einfluss.

20           Dem Bundesfinanzgericht ist daher nicht entgegen zu treten, wenn es mangels Erfüllung der Kriterien des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG trotz entsprechender Dokumentation das Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des Sohns der Revisionswerberin und damit die Erfüllung der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 FLAG verneint hat.

21           Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Wien, am 17. Juni 2024

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2024:RA2021160040.L00