Verwaltungsgerichtshof
07.11.2022
Ra 2021/07/0060
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 21. Mai 2021, Zl. LVwG 46.1-3491/2015-36, betreffend Feststellung gemäß Paragraph 6, Absatz 6, AWG 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Steiermark; mitbeteiligte Parteien: 1. S GmbH & Co. KG und 2. Wasserverband „R“, beide in G, beide vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Sporgasse 2), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2019, Ro 2017/05/0003, verwiesen.
2 Dabei ist wesentlich, dass die erstmitbeteiligte Partei am Standort G. eine Großindustrieanlage zur Produktion von Papier und Zellstoff betreibt. Das dabei anfallende industrielle Abwasser wird von einer ebenso am Standort G. von der erst- und der zweitmitbeteiligten Partei gemeinsam betriebenen Kläranlage übernommen und zusammen mit kommunalem Abwasser aufbereitet. Im Zuge der Abwasseraufbereitung fällt Klärschlamm an, der aufgrund des vergleichsweise höheren Feststoffgehalts des industriellen Abwassers zu 97 % aus diesem und zu lediglich 3 % aus dem kommunalen Abwasser resultiert. Nach einer mechanischen Entwässerung wird der Klärschlamm in der Verbrennungsanlage der erstmitbeteiligten Partei (Kessel 11) und der Reststoffverbrennungsanlage der zweitmitbeteiligten Partei (RVA) verbrannt. Die bei der Verbrennung entstehende Wärme wird in Form von Dampf für die Energieversorgung der Papier- und Zellstoffproduktion der erstmitbeteiligten Partei verwendet.
3 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 2. November 2015 wurde gemäß § 6 Abs. 6 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) festgestellt, dass Änderungen am Kessel 11 als auch an der RVA der Genehmigungspflicht gemäß § 37 Abs. 1, 3 und 4 AWG 2002 unterlägen.
4 Der dagegen erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gab das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2016 statt. Es änderte den Spruch des Bescheids der belangten Behörde vom 2. November 2015 dahingehend ab, als gemäß § 6 Abs. 6 AWG 2002 festgestellt werde, dass Änderungen am Kessel 11 und an der RVA der Genehmigungspflicht gemäß § 37 Abs. 1, 3 und 4 AWG 2002 nicht unterlägen.
5 Dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichts hob der Verwaltungsgerichtshof über Revision der Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus mit dem oben zitierten Erkenntnis vom 27. Februar 2019, Ro 2017/05/0003, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf.
6 Dazu führte er begründend aus, in § 2 Abs. 3a AWG 2002 seien im Einklang mit Art. 5 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (Abfallrahmenrichtlinie) die Voraussetzungen dafür festgelegt, dass ein Stoff oder Gegenstand, der zwar das Ergebnis eines Herstellungsverfahrens, aber nicht dessen Hauptziel sei, als Nebenprodukt und nicht als Abfall qualifiziert werden könne. Aus dem Einleitungssatz dieser Bestimmung ergebe sich, dass es sich um einen Stoff bzw. Gegenstand handeln müsse, der im Zuge eines Herstellungsverfahrens anfalle.
7 Die revisionswerbende Bundesministerin weise zutreffend darauf hin, dass der in Rede stehende Klärschlamm bei der gemeinsamen Reinigung von betrieblichem und häuslichem/kommunalem Abwasser in der Kläranlage der mitbeteiligten Parteien entstehe. Abwasser und damit auch das betriebliche Abwasser der erstrevisionswerbenden Partei stelle gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 keinen Abfall dar.
8 Ab dem Zeitpunkt, da Inhaltsstoffe aus dem Abwasser herausgefiltert worden seien und sich nicht mehr im Abwasser befänden, könne jedoch nicht mehr von Abwasserinhaltsstoffen im Sinn des § 3 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 gesprochen werden. Die Ausnahme gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 komme für solche Stoffe nicht mehr zum Tragen. Wenn bei der gemäß dem Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG 1959) gebotenen Reinigung von Abwässern als Abwasserinhaltsstoff Klärschlamm anfalle, liege kein Produktionsrückstand aus einem Herstellungsprozess vor, weil die Abwasserreinigung, sei es nun in einer Kläranlage des Betriebs oder in einer kommunalen Kläranlage, nicht als Teil eines Herstellungsprozesses angesehen werden könne. Die Abwasserreinigung stelle vielmehr ein Behandlungsverfahren dar, um eine den Schutzzielen des WRG 1959 entsprechende Ableitung von Abwasser in Gewässer zu sichern. Dass der bei der Abwasserreinigung anfallende Klärschlamm nach einer mechanischen Entwässerung mittels Verbrennung in den genannten Verbrennungsanlagen für den Produktionsbetrieb der erstrevisionswerbenden Partei genützt werde (er also verwertet und nicht beseitigt werde), sage nichts darüber aus, ob dieser so verwendete Klärschlamm davor im Rahmen eines Herstellungsverfahrens als Nebenprodukt angefallen sei.
9 Eine maßgebliche Voraussetzung für das Vorliegen eines Nebenproduktes im Sinn des § 2 Abs. 3a AWG 2002 liege somit nicht vor. Das Verwaltungsgericht sei beim verfahrensgegenständlichen Klärschlamm zu Unrecht vom Vorliegen eines Nebenproduktes gemäß der genannten Bestimmung ausgegangen und habe darauf aufbauend unzutreffend die Nichtanwendung des § 37 AWG 2002 auf die verfahrensgegenständlichen Verbrennungsanlagen festgestellt.
10 Im fortgesetzten Verfahren ersuchte das Verwaltungsgericht den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um Vorabentscheidung zur Frage, ob Klärschlamm als „Abfall“ im Sinn näherer Bestimmungen des Unionsrechts anzusehen sei.
11 Der Tenor des daraufhin ergangenen Urteils des EuGH vom 14. Oktober 2020, Sappi Austria Produktions-GmbH & Co. KG und Wasserverband „Region Gratkorn-Gratwein“, C-629/19 (in der Folge: Rs Sappi), lautet wie folgt:
„Art. 2 Absatz 2, Buchst. a, Artikel 3, Nr. 1 und Artikel 6, Absatz eins, der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien sind dahin auszulegen, dass Klärschlamm, der bei der gemeinsamen Behandlung von betrieblichem und häuslichem oder kommunalem Abwasser in einer Kläranlage anfällt und in einer Reststoffverbrennungsanlage zur Energierückgewinnung durch Dampferzeugung verbrannt wird, nicht als Abfall einzustufen ist, wenn die Voraussetzungen von Artikel 6, Absatz eins, der Richtlinie 2008/98 bereits vor seiner Verbrennung erfüllt sind. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.“
12 In Folge dieses Urteils des EuGH holte das Verwaltungsgericht zur Klärung der Frage, ob der zur Energierückgewinnung durch Verbrennung eingesetzte Klärschlamm die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Abfallrahmenrichtlinie erfülle, ein Gutachten eines abfalltechnischen Amtssachverständigen vom 23. April 2021 ein.
13 Der Amtssachverständige befasste sich darin mit dem von den mitbeteiligten Parteien in Auftrag gegebenen Privatgutachten des Hon.-Prof. (FH) DI Dr. R. vom 1. März 2021. Der Privatgutachter führte (unter anderem) aus, in einem Vergleich der Schadstoffgehalte des gegenständlich zu beurteilenden Klärschlamms mit den Grenzwerten der Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über Qualitätsanforderungen an Komposte aus Abfällen, BGBl. II Nr. 292/2001 (Kompostverordnung), habe festgestellt werden können, dass die Messwerte für die Gesamtgehalte des zu beurteilenden Klärschlamms jeweils eine Größenordnung unter den Grenzwerten für Ausgangsmaterialien für Qualitätsklärschlammkompost sowie auch wesentlich unter jenen für die Endprodukte der Kompostierung entsprechend der Kompostverordnung lägen. Hinsichtlich des konkreten Falls der energetischen Verwertung in den auf Basis der Gewerbeordnung genehmigten Verbrennungsanlagen der mitbeteiligten Parteien seien keine rechtlichen Vorschriften für die Beschaffenheit des Brennstoffinputs vorgesehen. Aus diesem Grund könne lediglich die in der Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft und des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend über die Verbrennung von Abfällen (Abfallverbrennungsverordnung - AVV) definierten Grenzwerte für Ersatzbrennstoffe bzw. Ersatzbrennstoffprodukte „orientierend zum Vergleich“ herangezogen werden. Für den Privatgutachter ergab sich daraus, dass der Klärschlamm die technischen Anforderungen auch für die energetische Verwertung erfülle und - „soweit zutreffend“ - auch den bestehenden Rechtsvorschriften entspreche.
14 Ausgehend davon gelangte der abfalltechnische Amtssachverständige in seinem Gutachten vom 23. April 2021 zum Ergebnis, der Privatgutachter habe schlüssig dargelegt, dass der Klärschlamm die technischen Anforderungen nach den Bestimmungen der Kompostverordnung erfülle und es seien hinsichtlich der Verbrennung auch keine Grenzwertüberschreitungen durch den Einsatz von Klärschlamm festgestellt worden. Durch eben diese nachgewiesene Einhaltung der Emissionsgrenzwerte sei davon auszugehen, dass der Einsatz des Klärschlamms insgesamt nicht zu schädlichen Umwelt- und Gesundheitsfolgen führe.
15 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien Folge. Es änderte den Spruch des Bescheids der belangten Behörde vom 2. November 2015 dahingehend ab, als gemäß § 6 Abs. 6 AWG 2002 festgestellt werde, dass die Änderungen am Kessel 11 sowie an der RVA, insbesondere durch die (Mit-)Verbrennung des in der Kläranlage Wasserverband „R.“ anfallenden Klärschlamms, keiner Genehmigungs- bzw. Anzeigepflicht nach § 37 Abs. 1, 3 und 4 AWG 2002 unterlägen. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
16 Im Hinblick auf das Urteil des EuGH in der Rs Sappi führte das Verwaltungsgericht begründend aus, es sei zu prüfen gewesen, ob im Gegenstandsfall die Voraussetzungen für den Eintritt des Abfallendes gemäß Art. 6 Abs. 1 Abfallrahmenrichtlinie bereits vor der Verbrennung des Klärschlamms erfüllt seien.
17 Nach Art. 6 Abs. 4 Abfallrahmenrichtlinie sei dann, wenn wie im Gegenstandsfall weder auf unionsrechtlicher, noch nationaler Ebene Kriterien gemäß Abs. 2 und 3 leg. cit. festgelegt worden seien, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen und seien in diesem Zusammenhang auch die einschlägigen Regelungen unionsrechtskonform zu interpretieren gewesen.
18 Aus dem Inhalt des gegenständlichen Verfahrensaktes, insbesondere aus den Eingaben der rechtsfreundlichen Vertretung der mitbeteiligten Parteien vom 3. Mai 2019 und 17. Mai 2021 sowie den gutachterlichen Äußerungen ergebe sich in nachvollziehbarer Weise, dass der gegenständliche Klärschlamm, für den auch eine Nachfrage bzw. ein Markt (zur Substitution von Brennstoffen bzw. zur Kompostherstellung) bestehe, für bestimmte Zwecke, nämlich für dessen gesicherte Weiterverwendung in Form der Verbrennung im Rahmen eines kontinuierlichen 24-Stunden-Betriebs im Kessel 11 sowie in der RVA eingesetzt werde. In weiterer Folge werde die bei der Verbrennung entstehende Wärme in Form von Dampf für die Energieversorgung der Zellstoff- und Papierproduktion der erstmitbeteiligten Partei verwendet und würden somit Alternativbrennstoffe substituiert. Im Fall der - so das Verwaltungsgericht - „Nichtverfügbarkeit der Verbrennungsanlagen“ erfolge die Übergabe des Klärschlamms an Dritte zum Zweck der Kompostierung und Herstellung von Qualitätsklärschlammkompost.
19 Aus dem Gutachten des beigezogenen Amtssachverständigen ergebe sich überdies, dass der gegenständliche Klärschlamm auch die technischen Anforderungen nach den Bestimmungen der Kompostverordnung erfülle und es durch die Verbrennung des Klärschlamms gesichert zu keiner Überschreitung der mit Bescheiden vom 20. August 1985 sowie vom 23. April 1987 vorgeschriebenen Grenzwerte in den jeweiligen Anlagen komme. Auch führe die nachgewiesene Einhaltung der Emissionsgrenzwerte nicht zu schädlichen Umwelt- bzw. Gesundheitsfolgen.
20 Auf Grund des durchgeführten verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens und des eingeholten abfalltechnischen Gutachtens sei festzustellen gewesen, dass die Voraussetzungen des Art. 6 Abfallrahmenrichtlinie für das Abfallende des eingesetzten Klärschlamms bei Einhaltung der Kriterien bzw. Grenzwerte der Kompostverordnung spätestens vor dem Einsatz des Klärschlamms als Ersatzrohstoff für die Dampferzeugung erfüllt seien und somit bis spätestens zu diesem Zeitpunkt kein Abfall im Sinn des § 2 AWG 2002 vorliege.
21 Es sei der Beschwerde daher Folge zu geben und der Spruch des angefochtenen Bescheids entsprechend abzuändern gewesen.
22 Die Revision sei nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu lösen gewesen sei, insbesondere weil nunmehr Rechtsprechung des EuGH zur Abfalleigenschaft von Klärschlamm aus unterschiedlichen Abwasserteilströmen, die gemeinsam verwendet würden, vorliege.
23 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts.
24 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem nach Paragraph 12, Absatz eins, Ziffer 2, VwGG gebildeten Senat - erwogen:
25 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision werden zwei Rechtsfragen aufgeworfen, zu denen nach Ansicht der revisionswerbenden Partei Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle:
„(...) Darf die Kompostverordnung, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 292 aus 2001,, als maßgebende Abfallenderegelung für Klärschlamm herangezogen werden, wenn der Klärschlamm nicht kompostiert, sondern verbrannt werden soll?
Sind die Abfallendebestimmungen der Abfallverbrennungsverordnung (AVV), Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 389 aus 2002, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 127 aus 2013, (tw BG), für das Abfallende von Klärschlamm, der verbrannt werden soll, vollständig anzuwenden, oder genügt eine ‚orientierende Betrachtung‘?“
26 Das Verwaltungsgericht habe sich im angefochtenen Erkenntnis nicht auf die für Ersatzbrennstoffprodukte einschlägige AVV gestützt. Der dem Verfahren beigezogene Amtssachverständige habe lediglich eine „orientierende Betrachtung“ der AVV-Grenzwerte vorgenommen. Die Voraussetzungen für ein Abfallende seien aber vollständig einzuhalten, weshalb auch alle Grenzwerte der AVV im Fall der Verbrennung nachweislich eingehalten werden müssten. Abfallendeverordnungen ermöglichten das Abfallende nur für die jeweiligen beschriebenen Anwendungsbereiche. Es sei unzulässig, für einen Abfall das Abfallende nach der Kompostverordnung festzustellen und ihn dann - ohne vollständige Erfüllung der Voraussetzungen der AVV - als Nichtabfall zu verbrennen. Von übergreifender Bedeutung sei hier, dass Abfallendeverordnungen nicht frei wählbar seien, sondern das Abfallende nur in Bezug auf die Anwendungsbereiche der jeweiligen Abfallendeverordnung erreicht werden könne.
27 Das angefochtene Erkenntnis weiche weiters von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Abfallende ab. Demnach könne ein Ende der Abfalleigenschaft nur unter den in § 5 Abs. 1 AWG 2002 normierten Voraussetzungen eintreten (Hinweis auf VwGH 24.4.2018, Ra 2018/05/0034). Im konkreten Fall sei vom Verwaltungsgericht nicht § 5 AWG 2002, sondern Art. 6 Abs. 1 Abfallrahmenrichtlinie angewendet worden, um das Ende der Abfalleigenschaft beim konkreten Klärschlamm zu deklarieren. Bei richtiger Anwendung der nationalen Abfallende-Bestimmungen hätte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis kommen müssen, dass im gegenständlichen Fall das Abfallende beim Klärschlamm nicht vor der Verbrennung in der Anlage eingetreten und die Anlage sohin als Behandlungsanlage für Abfälle gemäß AWG 2002 zu qualifizieren sei.
28 Die Revision ist zulässig und begründet.
29 Mit den für die Lösung des vorliegenden Revisionsfalls relevanten Rechtsfragen hat sich der Verwaltungsgerichtshof - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH und jene des Verwaltungsgerichtshofes zum Ende der Abfalleigenschaft - bereits in seinem Erkenntnis vom 20. Oktober 2022, Ra 2021/07/0068, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich auseinandergesetzt.
30 Wie bereits das Landesverwaltungsgericht Kärnten, dessen Entscheidung mit dem genannten hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2022, Ra 2021/07/0068, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben wurde, ist auch das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall - ohne nähere Begründung - davon ausgegangen, dass der österreichische Gesetzgeber von der Möglichkeit des Art. 6 Abs. 4 Abfallrahmenrichtlinie, wonach ein Mitgliedstaat im Einzelfall entscheiden oder geeignete Maßnahmen treffen kann, um zu überprüfen, ob bestimmte Abfälle (aufgrund näherer Voraussetzungen) keine Abfälle mehr sind, wenn weder auf Unions- noch auf nationaler Ebene gemäß Art. 6 Abs. 2 oder 3 leg. cit. Kriterien festgelegt wurden, Gebrauch gemacht habe.
31 Dieser Ansicht hat der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis eine Absage erteilt, weil - worauf auch die revisionswerbende Partei in den Revisionsgründen hinweist - sie sich schon mit dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 AWG 2002 nicht in Einklang bringen lässt. Diese Bestimmung knüpft das Ende der Abfalleigenschaft allein an die Erfüllung generell umschriebener - allenfalls in einer Verordnung nach Art. 6 Abs. 2 Abfallrahmenrichtlinie oder § 5 Abs. 2 AWG 2002 aufgestellter - Voraussetzungen ohne Hinzutreten einer (oder alternativ zu einer) Entscheidung im Einzelfall. Weiters enthält § 5 Abs. 2 AWG 2002 nach seinem eindeutigen Wortlaut die „allgemeinen Bedingungen“ des Art. 6 Abs. 1 Abfallrahmenrichtlinie ausschließlich als Determinanten für allfällige Verordnungen und ermöglicht daher (unabhängig von der Frage, ob sie sich dafür unmittelbar eignen) nicht, diese als Maßstab für eine individuelle Entscheidung heranzuziehen (vgl. VwGH 20.10.2022, Ra 2021/07/0068, Rn 24).
32 Dem Verwaltungsgericht ist somit zu entgegnen, dass § 5 Abs. 1 AWG 2002 keinen Raum für den (vorzeitigen) Eintritt des Endes der Abfalleigenschaft in Abweichung von der Erfüllung bestimmter Typen genereller Voraussetzungen bietet und daher von der Option der Einzelfallentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 Abfallrahmenrichtlinie gerade keinen Gebrauch macht (vgl. VwGH 20.10.2022, Ra 2021/07/0068, Rn 26).
33 In diesem Zusammenhang hielt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 20. Oktober 2022, Ra 2021/07/0068, auch fest, dass die dargestellte österreichische Rechtslage, nach der das Ende der Abfalleigenschaft nur bei Erfüllung bestimmter, generell festgelegter Voraussetzungen eintritt (sei es gemäß einer unionsweiten oder nationalen Abfallendeverordnung, sei es durch unmittelbares Verwenden als Substitut oder den Abschluss der Vorbereitung zur Wiederverwendung), auch mit der unionsrechtlichen Rechtslage, insbesondere Art. 6 Abfallrahmenrichtlinie, in Einklang steht (vgl. VwGH 20.10.2022, Ra 2021/07/0068, Rn 27 ff).
34 Dabei betonte er, dass angesichts des vom EuGH hervorgehobenen Ermessensspielraums in der Frage, für gewisse Abfallarten gar kein (vorzeitiges) Abfallende vorzusehen (vgl. EuGH 28.3.2019, Tallinna Vesi AS gegen Keskkonnaamet, C-60/18 [in der Folge: Rs Tallina Vesi]), daher auch die Annahme von planwidrigen Lücken zur Begründung einer analogen Anwendung bestehender Abfallendeverordnungen auf Sachen oder Verwendungszwecke, die von diesen Verordnungen per se nicht erfasst sind, nicht geboten ist (vgl. VwGH 20.10.2022, Ra 2021/07/0068, Rn 29).
35 Ausgehend davon bringt die revisionswerbende Partei in den Revisionsgründen zutreffend vor, dass das Verwaltungsgericht zur Prüfung des Endes der Abfalleigenschaft des gegenständlichen Klärschlamms, der zur energetischen Nutzung im Kessel 11 sowie der RVA verbrannt werden soll, nicht die Kompostverordnung heranziehen durfte, weil diese auf einen solchen Vorgang unzweifelhaft keine Anwendung findet. Auch ist mit der revisionswerbenden Partei davon auszugehen, dass ein (vorzeitiges) Abfallende entsprechend der AVV nur bei Erfüllen sämtlicher Anforderungen, wie etwa den Anforderungen der Anlage 9 und der Deklaration auf Basis eines gültigen Beurteilungsnachweises gemäß § 18a AVV, erfolgen könnte. Eine derartige Deklaration ist nach der Aktenlage aber unstrittig nicht erfolgt. Daher liegen die Voraussetzungen eines (vorzeitigen) Endes der Abfalleigenschaft des gegenständlichen Klärschlamms nach der AVV nicht vor, weshalb es für deren Anwendung im vorliegenden Fall - entgegen den Annahmen der dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigezogenen Gutachter - jedenfalls nicht ausreichte, bloß deren Grenzwerte „orientierend zum Vergleich“ heranzuziehen.
36 Zudem ist das Verwaltungsgericht auf die näher begründeten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes zum Urteil des EuGH in der Rs Sappi zu verweisen, wonach dieses Urteil - um einen Widerspruch zum Urteil des EuGH in der Rs Tallinna Vesi zu vermeiden - nur so verstanden werden kann, dass dem vorlegenden Gericht die Prüfung der allgemeinen Bedingungen nach Art. 6 Abs. 1 Abfallrahmenrichtlinie im Rahmen der konkreten innerstaatlichen Umsetzung dieser Bestimmung aufgetragen wurde, und nicht, dass die Prüfung - in nicht weiter begründeter Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung - unmittelbar anhand des Art. 6 Abs. 1 Abfallrahmenrichtlinie ohne weitere Beachtung allfälliger unionsweiter Kriterien nach Abs. 2 oder der tatsächlichen Umsetzung im nationalen Recht (nach Abs. 3 und 4) erfolgen solle. Aus dem Urteil des EuGH in der Rs Sappi lässt sich somit - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes - nicht ableiten, dass die Feststellung des Endes der Abfalleigenschaft bei Fehlen einer Abfallendeverordnung unmittelbar anhand der allgemeinen Bedingungen nach Art. 6 Abs. 1 Abfallrahmenrichtlinie (bzw. § 5 Abs. 2 AWG 2002) zu erfolgen hätte, wenn das nationale Recht - wie bereits oben dargelegt - eine Einzelfallentscheidung im Sinn des Art. 6 Abs. 4 Abfallrahmenrichtlinie gerade nicht vorsieht (vgl. VwGH 20.10.2022, Ra 2021/07/0068, Rn 34 ff, insbesondere Rn 44 und 45).
37 Das Verwaltungsgericht hat somit das angefochtene Erkenntnis mit seiner Ansicht, dass abweichend von der bisherigen - mit dem Unionsrecht insofern weiterhin vereinbaren - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Abfalleigenschaft von Klärschlamm mit der Annahme eines entgegen § 5 Abs. 1 AWG 2002 eingetretenen (vorzeitigen) Abfallendes verneint werden könne, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Sohin war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 7. November 2022
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021070060.L00