Verwaltungsgerichtshof
22.04.2022
Ra 2020/13/0025
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Wien 2/20/21/22 in Wien, Dr. Adolf Schärf-Platz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. Jänner 2020, Zl. RV/7101905/2018, betreffend u.a. Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 (mitbeteiligte Partei: D GmbH in W, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Steuerberater in 1220 Wien, Stadlauer Straße 39/1/Top 12), zu Recht erkannt:
Das Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Das Finanzamt nahm nach einer Außenprüfung die Verfahren der mitbeteiligten Partei hinsichtlich Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 wieder auf und setzte die Körperschaftsteuer für diese Jahre neu fest.
2 Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde, in der u.a. eine mangelhafte Begründung moniert wurde. Mit Beschwerdevorentscheidung wies das Finanzamt die Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren als unbegründet ab, weil die neuen Tatsachen im Rahmen der Bescheidbegründungen zu den Körperschaftsteuerbescheiden 2011 bis 2015 dargelegt worden seien. Die mitbeteiligte Partei stellte einen Vorlageantrag.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Bundesfinanzgericht die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der oben genannten Körperschaftsteuerverfahren auf. Begründend führte es aus, im Revisionsfall verwiesen die Wiederaufnahmsbescheide zur Begründung der Verfahrenswiederaufnahmen auf die Niederschrift über die Schlussbesprechung und den Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung. Der Niederschrift über die Schlussbesprechung sei zu entnehmen, dass der Fremdleistungsaufwand zweier Firmen steuerlich nicht anerkannt werde und dass 50 % der Zahlungen im Schätzungswege als Lohnaufwand anerkannt würden. Die Kürzungsbeträge stellten verdeckte „Gewinnausschüttungen“ dar. Im Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung werde zur Begründung der Verfahrenswiederaufnahmen bei der Körperschaftsteuer auf die Textziffer 5 verwiesen. Die Textziffer 5 beinhalte lediglich eine Darstellung der Auswirkung der Feststellungen auf den Gewinn der Mitbeteiligten. Das Finanzamt habe somit die Verfahrenswiederaufnahmen nicht entsprechend begründet, weil es im Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung lediglich auf die Textziffer 5 verweise, diese Textziffer jedoch keine der Versagung der steuerlichen Anerkennung von Fremdleistungsaufwand zugrunde liegenden Tatsachen (Sachverhaltsumstände), sondern nur Berechnungen beinhalte. Die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 seien daher mangels Bekanntgabe der neu hervorgekommenen Tatsachen aufzuheben gewesen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, die Ausführungen des Bundesfinanzgerichts seien aktenwidrig, weil sich durch den Verweis auf die Tz 3 und 4 in der Tz 5 der Tatsachenkomplex entnehmen lasse, auf den sich das Finanzamt bei der Wiederaufnahme gestützt habe.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und begründet.
7 Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. VwGH 26.11.2015, Ro 2014/15/0035).
8 Bei einer Beschwerde gegen einen Bescheid betreffend Wiederaufnahme von Amts wegen durch das gemäß § 305 Abs. 1 BAO zuständige Finanzamt ist „Sache“ die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jenen wesentlichen Sachverhaltsmomenten, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, wird durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der vom Finanzamt als neu hervorgekommen herangezogen wurde (vgl. VwGH 27.6.2013, 2010/15/0052, mwN).
9 Das Finanzamt kann zur Begründung des Wiederaufnahmebescheides auch auf den Betriebsprüfungsbericht oder die Niederschrift verweisen (vgl. VwGH 29.1.2015, 2012/15/0030; 22.11.2012, 2012/15/0172).
10 Das Finanzamt hatte, wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, in der Begründung der Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2015 auf die Niederschrift und den Betriebsprüfungsbericht verwiesen. Im Betriebsprüfungsbericht wird zur Begründung der Wiederaufnahme auf die Tz 5 verwiesen, die eine Berechnung der Gewinnauswirkungen auf die Körperschaftsteuer beinhaltet. In der Tz 5 wird hinsichtlich der Gewinnauswirkungen auf die Tz 3 und die Tz 4 weiterverwiesen. Durch diesen Verweis kommt mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, worauf sich das Finanzamt stützen wollte. Entscheidend ist im Revisionsfall somit, ob unter den genannten Tz 3 und 4 Umstände dargetan werden, die als Wiederaufnahmegrund geeignet sind.
11 In der Tz 3 wird ausgeführt, dass die in den Jahren 2011 und 2013 geltend gemachten Fremdleistungsaufwendungen von zwei Scheinfirmen „verursacht“ worden seien. In der Tz 4 wird hinsichtlich der Jahre 2012, 2014 und 2015 ausgeführt, dass die Betriebsprüfung davon ausgeht, dass Arbeiten nicht von den behaupteten Gesellschaften, sondern (zu einem geringeren Entgelt) von Schwarzarbeitern der Mitbeteiligten erbracht worden seien.
12 In den Tz 3 und 4 des Prüfungsberichtes werden daher mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (Geltendmachung tatsächlich nicht angefallener Betriebsausgaben) angesprochen, die Tatsachen im Sinne des § 303 BAO darstellen. Dass das Finanzamt die Wiederaufnahmebescheide nicht begründet habe, trifft somit nicht zu.
13 Da das Bundesfinanzgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass den Begründungsverweisen des Finanzamtes kein Tatsachenkomplex zu entnehmen war, der sich für eine Sachentscheidung eignen würde, war das angefochtene Erkenntnis im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 22. April 2022
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130025.L00