Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

24.03.2021

Geschäftszahl

Ra 2018/13/0062

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des T in römisch eins, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. Juli 2018, Zl. RV/3100581/2017, betreffend Antrag auf Akteneinsicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass es lautet:

Der Bescheid des Finanzamts vom 7. Juni 2017 wird aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1             Mit Eingabe vom 15. Mai 2017, gerichtet an die belangte Behörde, beantragte der Revisionswerber, ihm „Akteneinsicht zu gewähren, und zwar bezogen auf alle Unterlagen, die die Amtshandlung ‚Kontrolle 12.9.2016 um 20.05 Uhr‘ betreffend [Objekt, Anschrift, Revisionswerber]“ betreffen.

2             Mit Bescheid vom 7. Juni 2017 wies die belangte Behörde diesen Antrag zurück. In der Begründung wurde ausgeführt, die Kontrollhandlung am 12. September 2016 sei nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), dem ASVG, Paragraph 366, Absatz eins, Gewerbeordnung, dem Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) und Paragraph 143, BAO durch Organe der Finanzpolizei erfolgt. Aus dieser Kontrollhandlung habe eine Strafanzeige wegen einer Übertretung des AuslBG resultiert. Abgabenrechtliche Konsequenzen aus dieser Kontrollhandlung seien nicht aktenkundig. Da es sich bei der Kontrollhandlung um eine „ordnungspolitische Maßnahme“ gehandelt habe, sei für das Verfahren - und damit auch für die Akteneinsicht - die Bezirkshauptmannschaft römisch zehn und nicht das Finanzamt römisch zehn (belangte Behörde) zuständig. Aktenführende Behörde sei die Bezirkshauptmannschaft römisch zehn. Der Antrag auf Akteneinsicht an das Finanzamt römisch zehn sei daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Hingewiesen werde noch darauf, dass der Antrag auf Akteneinsicht, hätte dieser ein Abgabenverfahren betroffen, abzuweisen gewesen wäre, weil das für eine Akteneinsicht notwendige abgabenrechtliche Interesse im Antrag nicht dargelegt worden sei (Paragraph 90, BAO).

3             Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er machte u.a. geltend, dass ein abgabenrechtliches Interesse gegeben sei. Hätte sich bei der Kontrolle ergeben, dass ein Beschäftigungsverhältnis vorliege, wäre der Revisionswerber als Arbeitgeber in Betracht gekommen; er hätte für dieses Dienstverhältnis auch Abgaben zu zahlen gehabt. Darauf komme es aber vorerst nicht an, weil zunächst ein Verfahren nach dem AuslBG eingeleitet worden sei, welches nach dem AVG bzw. dem VStG geführt werde. Die Finanzpolizei habe Strafanzeige wegen Übertretung des AuslBG eingebracht. Das Akteneinsichtsrecht nach Paragraph 17, AVG müsse sich auch auf jenen Teil des Verfahrens beziehen, der bei der Finanzpolizei geführt werde, und nicht nur auf jenen, der bei der Bezirksverwaltungsbehörde geführt werde. Wie sich aus den Verfahren anderer geprüfter Arbeitgeber ergeben habe, lege die Finanzpolizei bei ihrer Anzeigeerstattung an die Strafbehörde nicht immer den vollständigen Akt vor, sondern halte zunächst Aktenteile zurück. Erst dann, wenn der Angezeigte im dortigen Verfahren seinerseits konkrete Behauptungen aufstelle und Beweismittel vorlege, versuche die Finanzpolizei mitunter, manche ihrer zunächst zurückgehaltenen Beweismittel zur Widerlegung der Angaben des Beschuldigten vorzulegen. Aus diesem Grund sei eine Akteneinsicht auch bei der Finanzpolizei zur Wahrung des rechtlichen Gehörs geboten.

4             Mit Beschwerdevorentscheidung vom 28. Juni 2017 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Es führte insbesondere aus, die Finanzpolizei sei keine selbständige Behörde, sondern ein Organ, welches für die jeweiligen Verwaltungsbehörden (Abgabenbehörden, Bezirksverwaltungsbehörden) tätig werde. Aktenführende Behörde sei aufgrund der Zuständigkeit nach dem AuslBG die Bezirksverwaltungsbehörde. Das Verfahren werde daher von dieser geführt; Gesuche um Akteneinsicht seien an die zuständige Behörde zu richten. Der Abgabenbehörde komme in jenem Verfahren lediglich Parteistellung zu.

5             Der Revisionswerber beantragte, die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

6             Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig sei.

7             Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, Organe der Finanzpolizei hätten am 12. September 2016 im Betrieb des Revisionswerbers (einer Pizzeria) eine Kontrolle nach dem AuslBG, dem ASVG, Paragraph 366, Absatz eins, GewO und Paragraph 143, BAO durchgeführt. Das als „Information über die durchgeführte Kontrollhandlung“ bezeichnete Schreiben, in dem die Rechtsgrundlagen für die Kontrolle aufgelistet seien, sei von dem im Betrieb anwesenden G nicht übernommen worden. Feststellungen, die zu einem Abgabenverfahren geführt hätten, seien im Rahmen der Amtshandlung nicht getroffen worden. In Bezug auf das AuslBG seien keine Personen angetroffen worden, die den Kontrollorganen Auskünfte erteilen und Einblick in die Unterlagen hätten gewähren können. Die Finanzpolizei habe daher am 20. September 2016 bei der Bezirksverwaltungsbehörde eine Anzeige wegen Verletzung der Verpflichtungen nach Paragraph 26, Absatz eins, AuslBG erstattet.

8             Mangels Vorliegens eines Abgabenverfahrens im Zusammenhang mit der gegenständlichen Kontrollhandlung scheide eine Akteneinsicht nach Paragraph 90, BAO aus.

9             Das Vorbringen, wonach im Falle eines von der Finanzpolizei festgestellten Beschäftigungsverhältnisses der Revisionswerber als Arbeitgeber in Betracht käme und hierfür Abgaben zahlen müsse, gehe ins Leere, da bei der Bezirksverwaltungsbehörde nicht ein illegales Beschäftigungsverhältnis zur Anzeige gebracht worden sei. Dem Revisionswerber werde vielmehr die Verletzung seiner aus Paragraph 26, Absatz eins, AuslBG resultierenden Verpflichtungen vorgeworfen. Der Revisionswerber habe auch kein konkretes, sich aus der Kontrollmaßnahme ergebendes Abgabenverfahren benennen können.

10           Nach Paragraph 17, Absatz eins, AVG könnten Parteien, soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt sei, bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen. Nach Paragraph 24, VStG gälten die Bestimmungen über die Akteneinsicht des AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren.

11           Die Akteneinsicht setze danach ein Verwaltungsverfahren bei der Behörde, der gegenüber die Einsicht begehrt werde, voraus, in dem der Auskunftswerber Parteistellung habe, also vermöge eines Rechtsanspruchs oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sei.

12           Das den Revisionswerber betreffende Verwaltungsverfahren (Verwaltungsstrafverfahren wegen Nichterfüllung der Verpflichtungen nach Paragraph 26, Absatz eins, AuslBG) sei bei der Bezirkshauptmannschaft römisch zehn geführt worden. Das Recht auf Akteneinsicht könne daher auch nur bei dieser Behörde bzw. bei dem im Instanzenzug befassten Verwaltungsgericht geltend gemacht werden und umfasse auch die Ermittlungsergebnisse der Finanzpolizei. Dass die Finanzpolizei organisatorisch ein Organ der Abgabenbehörde sei, ändere an der im konkreten Fall für die Akteneinsicht zuständigen Behörde nichts.

13           Allfällige Verletzungen von Verfahrensvorschriften und damit auch eine allfällige unvollständige Zurverfügungstellung von Akten und Aktenteilen wären im betreffenden Verwaltungsstrafverfahren bei der Bezirksverwaltungsbehörde geltend zu machen. Ein darüber hinaus gehendes zusätzliches Recht auf Akteneinsicht beim Finanzamt bzw. bei der Finanzpolizei bestehe mangels einer dem Paragraph 51, StPO vergleichbaren Regelung im AVG nicht.

14           Die Zurückweisung des Antrags auf Akteneinsicht durch das Finanzamt „wegen Unzuständigkeit“ sei daher zu Recht erfolgt.

15           Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision. Zur Zulässigkeit der Revision wird u.a. geltend gemacht, es gebe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob ein Recht auf Akteneinsicht beim Finanzamt hinsichtlich jener Unterlagen bestehe, die die „Finanzpolizei des Finanzamtes“ im Rahmen einer Kontrolle nach dem AuslBG angelegt habe.

16           Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Das Finanzamt hat sich am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.

17           Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

18           Die Revision ist zulässig und begründet.

19           Wie aus der in den vorgelegten Verfahrensakten einliegenden „Information über [die] durchgeführte Kontrollhandlung“ hervorgeht, erfolgte am 12. September 2016 eine Kontrollhandlung durch die Finanzpolizei für das Finanzamt römisch zehn. Diese stützte sich auf das AuslBG, das ASVG, Paragraph 366, GewO, das AlVG sowie Paragraph 143, BAO.

20           Die Finanzpolizei ist (nunmehr: war) eine besondere Organisationseinheit gemäß Paragraph 9, Absatz 3, AVOG 2010 in der Fassung vor BGBl. römisch eins Nr. 23/2020; vergleiche Paragraph 10 b, Absatz eins, AVOG 2010 - DV, in der Fassung vor Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 579 aus 2020,). Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben (etwa allgemeine Aufsichtsmaßnahmen gemäß Paragraphen 143, f BAO oder Unterstützungstätigkeiten in Vollziehung des AuslBG; vergleiche Paragraph 10 b, Absatz 2, AVOG 2010 - DV) werden die Organe als solche der Abgabenbehörden tätig (Paragraph 9, Absatz 3, AVOG 2010). Nach Paragraph 12, Absatz 5, AVOG 2010 können u.a. die zur Aufdeckung einer illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung notwendigen Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen von allen Finanzämtern vorgenommen werden. In diesen Fällen steht jenem Finanzamt, das die Kontroll- und Beweissicherungsmaßnahmen durchgeführt hat, die Parteistellung in den Verwaltungsstrafverfahren zu, wobei sich dieses Finanzamt zur Wahrnehmung der Parteistellung auch durch Organe anderer Abgabenbehörden vertreten lassen kann.

21           Paragraph 143, BAO betrifft - nach seiner Überschrift - „allgemeine Aufsichtsmaßnahmen“. Nach Paragraph 143, Absatz eins, BAO ist die Abgabenbehörde zur Erfüllung der im Paragraph 114, BAO bezeichneten Aufgaben berechtigt, Auskunft über alle für die Erhebung von Abgaben maßgebenden Tatsachen zu verlangen. Die Auskunftspflicht trifft jedermann, auch wenn es sich nicht um seine persönliche Abgabepflicht handelt. Nach Paragraph 114, Absatz eins, BAO haben die Abgabenbehörden darauf zu achten, dass alle Abgabepflichtigen nach den Abgabenvorschriften erfasst und gleichmäßig behandelt werden, sowie darüber zu wachen, dass Abgabeneinnahmen nicht zu Unrecht verkürzt werden. Sie haben alles, was für die Bemessung der Abgaben wichtig ist, sorgfältig zu erheben und die Nachrichten darüber zu sammeln, fortlaufend zu ergänzen und auszutauschen.

22           Nach Paragraph 26, Absatz eins, AuslBG sind Arbeitgeber u.a. verpflichtet, den Abgabenbehörden (nunmehr: dem Amt für Betrugsbekämpfung) auf deren Verlangen Anzahl und Namen der im Betrieb beschäftigten Ausländer bekanntzugeben. Die Arbeitgeber haben auch die notwendigen Auskünfte zu erteilen und in die erforderlichen Unterlagen Einsicht zu gewähren. Bei Abwesenheit von der Betriebsstätte oder Arbeitsstelle haben sie dafür zu sorgen, dass eine dort anwesende Person den genannten Behörden die erforderlichen Auskünfte erteilt und Einsicht in die erforderlichen Unterlagen gewährt.

23           Gemäß Paragraph 28, Absatz eins, Ziffer 2, Litera c, AuslBG begeht (sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet) eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen, wer seinen Verpflichtungen gemäß Paragraph 26, Absatz eins, AuslBG nicht nachkommt. Nach Paragraph 28 a, Absatz 2, Ziffer 2, AuslBG hat eine Abgabenbehörde (nunmehr: das Amt für Betrugsbekämpfung) an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde Strafanzeige zu erstatten, wenn sie eine Übertretung u.a. nach Paragraph 28, Absatz eins, Ziffer 2, Litera c, AuslBG feststellt, wenn die Übertretung die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes durch die Abgabenbehörde (das Amt für Betrugsbekämpfung) betrifft. In diesen Verwaltungsstrafverfahren hat die Abgabenbehörde (das Amt für Betrugsbekämpfung) Parteistellung (Paragraph 28 a, Absatz eins, AuslBG).

24           Paragraph 28 a, Absatz 2, AuslBG dient der Sicherung der Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen gegen Verletzungen der Vorschriften des AuslBG. Eine Möglichkeit der Organpartei zur Einflussnahme auf den weiteren Gang des Verfahrens kann daraus aber nicht abgeleitet werden vergleiche z.B. VwGH 15.12.2011, 2009/09/0237, VwSlg. 18288/A; 26.1.2012, 2009/09/0283).

25           Nach Paragraph 111 a, Absatz eins, ASVG haben die Abgabenbehörden des Bundes (oder - nunmehr - das Amt für Betrugsbekämpfung), deren Prüforgane Personen betreten haben, die entgegen Paragraph 33, Absatz eins, ASVG nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden, in den Verwaltungsstrafverfahren nach Paragraph 111, ASVG Parteistellung.

26           Der Revisionswerber beantragte im Hinblick auf die Kontrollhandlung vom 12. September 2016 Akteneinsicht, wobei im Antrag die Rechtsgrundlage hierfür nicht spezifiziert wurde. In seiner Beschwerde stützte sich der Revisionswerber vorrangig auf Paragraph 17, AVG.

27           Nach Artikel römisch eins Absatz 2, Ziffer eins, EGVG ist das AVG auf das behördliche Verfahren von Verwaltungsbehörden anzuwenden. Nach Artikel römisch eins Absatz 3, Ziffer eins, EGVG sind die Verwaltungsverfahrensgesetze hingegen in den Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben und Beiträge, die von den Abgabenbehörden erhoben werden, nicht anzuwenden.

28           In Übereinstimmung hiermit normiert Paragraph eins, Absatz eins, BAO, dass die Bestimmungen der BAO (u.a.) in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind, gelten.

29           Dem Bundesfinanzgericht obliegen Entscheidungen über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins bis 3 B-VG in Rechtssachen in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und Gemeinden) und des Finanzstrafrechts sowie in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten, soweit die genannten Angelegenheiten unmittelbar von den Abgaben- oder Finanzstrafbehörden des Bundes besorgt werden.

30           Zu den sonstigen Angelegenheiten zählen gemäß Paragraph eins, Absatz 3, Ziffer 2, BFGG (eingefügt mit dem 2. Abgabenänderungsgesetz 2014, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 105 aus 2014,) u.a. Entscheidungen über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer 2, B-VG gegen Abgabenbehörden des Bundes (oder das Amt für Betrugsbekämpfung), soweit nicht Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben oder Beiträge betroffen sind. Nach Paragraph 24, Absatz eins, vierter Satz BFGG ist für Beschwerden nach Paragraph eins, Absatz 3, Ziffer 2, BFGG das Verfahren im VwGVG geregelt. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (360 BlgNR 25. GP 24) stelle diese neue Ziffer 2, sicher, dass für Maßnahmenbeschwerden gegen Amtshandlungen von Abgabenbehörden in Angelegenheiten finanzpolizeilicher Befugnisse auch dann das Bundesfinanzgericht zuständig ist, wenn die Angelegenheit keine Abgaben, sondern „ordnungspolitische Maßnahmen (zB nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, Glücksspielgesetz)“ betreffe.

31           Auch wenn es sich im vorliegenden Fall nicht um ein Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde handelt, so erfolgt das Begehren auf Akteneinsicht im Hinblick auf eine derartige ordnungspolitische Maßnahme, für die nach der Absicht des Gesetzgebers die Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichts bestehen soll. Die Parteien des Verfahrens und das Bundesfinanzgericht gingen daher zutreffend von der Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichts für die vorliegende Beschwerde aus. Zu beachten ist aber, dass auf das Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht hier die Bestimmungen des VwGVG anzuwenden sind.

32           Das Recht zur Akteneinsicht steht nur den Parteien zu, die an einem bestimmten Verwaltungsverfahren beteiligt sind vergleiche VwGH 22.2.1999, 98/17/0355; 28.3.2008, 2007/02/0325, VwSlg. 17415/A; 27.5.2009, 2009/04/0104 bis 0106; 18.8.2017, Ra 2017/04/0048). Es steht nur gegenüber jener Behörde zu, die ein konkretes Verwaltungsverfahren führt vergleiche VwGH 9.6.1995, 95/02/0146); hierzu zählen auch aufsichtsbehördliche Verfahren vergleiche VwGH 7.10.2010, 2006/17/0123, VwSlg. 17973/A).

33           Damit ein Verfahren als behördliches Verfahren qualifiziert werden kann, in dem gegebenenfalls Akteneinsicht zu gewähren ist, muss es individuelle Verwaltungsakte der Hoheitsverwaltung zum Gegenstand haben vergleiche VwGH 17.3.2016, Ro 2014/11/0012; 4.12.2019, Ra 2019/12/0065). Ausgeschlossen sind demnach etwa Akte, die der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen sind vergleiche VwGH 26.6.2012, 2011/11/0005, VwSlg. 18446/A). Auch Schritte, die lediglich die Einleitung eines behördlichen Verfahrens (durch eine andere Behörde) anregen sollen vergleiche VwGH 17.3.2016, Ro 2014/11/0012), können eine Akteneinsicht nicht begründen. Ein Verfahren, welches der Behörde Sachverhaltsgrundlagen zur Prüfung der Frage liefern soll, ob bescheidförmige Maßnahmen zu setzen sind oder aber ob solche zu unterbleiben haben, ist hingegen ein derartiges behördliches Verfahren vergleiche VwGH 27.2.2009, 2008/17/0019 und 0022, VwSlg. 17639/A).

34           Aufsichtsmaßnahmen nach Paragraph 143, BAO dienen dazu, Informationen darüber zu gewinnen, ob ein Abgabenverfahren einzuleiten, weiterzuführen oder abzuschließen ist vergleiche Stoll, BAO-Kommentar, Paragraph 143,, 1598). Diese Maßnahmen erfolgen sohin in einem Verfahren zur Prüfung der Frage, ob bescheidförmige Maßnahmen zu setzen sind. Schon damit liegt ein behördliches Verfahren vor, zu dem (an sich) Akteneinsicht zu gewähren ist.

35           Die Verweigerung der Akteneinsicht in einem anhängigen Verfahren kann im Allgemeinen nur mit dem Rechtsmittel gegen den das Verfahren abschließenden Bescheid bekämpft werden vergleiche VwGH 29.5.2018, Ro 2017/15/0021). Dieser Grundsatz kommt aber dann nicht zum Tragen, wenn ein die Angelegenheit abschließender Bescheid nicht in Betracht kommt. In solchen Verfahren hat über die Verweigerung der Akteneinsicht ein im Instanzenzug anfechtbarer Bescheid zu ergehen vergleiche z.B. VwGH 23.5.2000, 2000/11/0100, mwN; 28.1.2004, 2003/12/0173; 1.9.2010, 2009/17/0153).

36           Die Kontrollhandlung vom 12. September 2016 diente - wie bereits oben ausgeführt - u.a. der Prüfung, ob bescheidförmige Maßnahmen zu setzen wären. Derartige Abgabenbescheide wurden im Hinblick auf diese Kontrollhandlung nicht erlassen; dass derartige Abgabenbescheide im Hinblick auf diese Kontrollhandlung noch zu erwarten wären, ist ebenfalls nicht erkennbar. Damit ist aber im vorliegenden Fall die Verweigerung der Akteneinsicht mit einem anfechtbaren Bescheid auszusprechen vergleiche VwGH 22.6.2001, 2000/13/0037, VwSlg. 7624/F).

37           Soweit die Kontrollhandlung vom 12. September 2016 der Prüfung der Frage diente, ob etwa Bestimmungen des AuslBG oder des ASVG eingehalten wurden, so handelte es sich hierbei um Nachforschungen oder vorbereitende Anordnungen im Hinblick auf nach diesen Bestimmungen allenfalls zu führende Verfahren anderer Behörden. Insoweit waren von der Abgabenbehörde keine Bescheide zu erlassen, die Abgabenbehörde hatte vielmehr gegebenenfalls Anzeige an die zuständige Behörde (Verwaltungsstrafbehörde) zu erstatten. Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zum damaligen Artikel römisch fünf EGVG; vergleiche Artikel 9 des Fremdenrechtspakets 2005, BGBl. römisch eins Nr. 100, und dazu die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 952 BlgNR 22. GP 154, wonach Artikel römisch fünf EGVG im Hinblick auf die Neuregelung des strafprozessualen Vorverfahrens durch das Strafprozessreformgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 19 aus 2004,, gegenstandslos geworden ist), dass auch im Verfahren über derartige Nachforschungen und vorbereitende Anordnungen (dort: im Dienste der Strafjustiz) über die Verweigerung der Akteneinsicht ein anfechtbarer Bescheid zu ergehen hat vergleiche VwGH 31.3.1993, 92/01/0402; 25.2.2005, 2005/05/0022, VwSlg. 16562/A; vergleiche auch - zu Akteneinsichtsbegehren von Zulassungsbesitzern in Aufforderungsverfahren nach Paragraph 103, Absatz 2, KFG 1967 - VwGH 22.2.2018, Ra 2017/11/0313, mwN).

38           Die vorliegende Kontrollhandlung ist eine den Revisionswerber individuell betreffende Maßnahme der Hoheitsverwaltung, die allenfalls zu einer Anzeige an eine andere Behörde führt (bei einer derartigen Anzeige handelt es sich um keinen Bescheid; vergleiche VwGH 18.4.1985, 83/16/0090, VwSlg 5988/F). Über ein Begehren des von einer derartigen hoheitlichen Kontrollhandlung individuell Betroffenen auf Einsicht in die im Zusammenhang mit dieser Kontrollhandlung bei der Behörde vorliegenden Aktenbestandteile ist mit Bescheid zu entscheiden (anderes gilt etwa bei fehlender Parteistellung im aufsichtsbehördlichen Verfahren; vergleiche VwGH 17.3.2016, Ro 2014/11/0012).

39           Auch deshalb war im vorliegenden Fall - soweit die Akteneinsicht nicht tatsächlich gewährt wurde - über die Verweigerung der beantragten Akteneinsicht mit Bescheid inhaltlich abzusprechen.

40           Der den Antrag stattdessen als unzulässig zurückweisende Bescheid des Finanzamts und das angefochtene Erkenntnis, das diesen Bescheid bestätigt, erweisen sich somit als rechtswidrig.

41           Gemäß Paragraph 42, Absatz 4, VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Da der maßgebliche Sachverhalt feststeht, war in der Sache (die hier nur in der Zurückweisung des Antrags besteht) zu entscheiden und der Bescheid des Finanzamts (ersatzlos) aufzuheben.

42           Das Finanzamt wird entweder die Einsicht in beim Finanzamt zu dieser Kontrollhandlung vorliegende Verfahrensakten zu gewähren oder mit Bescheid über die inhaltliche Berechtigung des Akteneinsichtsbegehrens abzusprechen haben. Soweit es sich um Aktenbestandteile handelt, die sich (nur) aus Erhebungen im Zusammenhang mit Paragraph 143, BAO ergeben, wird das Begehren auf Akteneinsicht nach Paragraph 90, BAO zu beurteilen sein. Hiebei ist - entgegen der im Bescheid vom 7. Juni 2017 dargelegten Rechtsansicht - zu berücksichtigen, dass es auf ein gesondertes abgabenrechtliches Interesse der Partei nicht ankommt. Rein interne Dokumente sind hingegen von der Akteneinsicht auszunehmen vergleiche VwGH 29.5.2018, Ro 2017/15/0021, mwN). Im Übrigen wird das Akteneinsichtsbegehren nach Paragraph 17, AVG zu beurteilen sein.

43           Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die Paragraphen 47, ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 24. März 2021

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018130062.L00