Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

23.11.2016

Geschäftszahl

Ra 2014/15/0006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision des Finanzamtes Feldkirch in 6800 Feldkirch, Reichsstraße 154, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 26. März 2014, Zl. RV/1100460/2013, betreffend u. a. Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer und hinsichtlich Feststellung des Einkommens des Gruppenmitgliedes für die Jahre 2008 bis 2010, sowie betreffend Umsatzsteuer und Feststellung des Einkommens des Gruppenmitgliedes für die Jahre 2008 bis 2010 (mitbeteiligte Partei: H GmbH in D, vertreten durch die RTG Dr. Rümmele Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 6850 Dornbirn, Marktstraße 30), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im bekämpften Umfang, somit hinsichtlich der Spruchpunkte A und B, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Schreiben vom 20. Dezember 2006 ersuchte die H Bank das Finanzamt um Rechtsauskunft zu folgendem Sachverhalt:

"Die (H Bank) plant die umfassende Sanierung ihrer Zentrale in (B). Zu diesem Zweck räumt die (H Bank) der im Konzernverbund stehenden (T GmbH) ein auf 60 Jahre befristetes Baurecht am gegenständlichen Grundstück ein und erhält als Gegenleistung einen jährlichen fremdüblichen Bauzins auf Basis des Grundwertes zuzüglich des Abgeltungsbetrages für das Altgebäude. Dieser Abgeltungsbetrag entspricht dem Wert des Rohbaues nach Abbrucharbeiten. Auf Grund der zwischen (der H Bank und der T GmbH) getroffenen Vereinbarung, wonach die Abbrucharbeiten von der T GmbH durchzuführen sind, wird der Abgeltungsbetrag noch um diese Kosten verringert.

Die (T GmbH) übernimmt den Abbruch bis zum weiterhin verwendbaren Rohbau und die Sanierung des Gebäudes. Anschließend erfolgt die Vermietung des sanierten Gebäudes an die (H Bank) in der Form eines Immobilienrestwertleasings mit einem fixen, nominell unverzinsten Depot in Höhe von 50% des Investitionsvolumens. Durch die Depotleistung reduzieren sich durch den Zinsvorteil in weiterer Folge die laufenden Leasingraten. Der dem Leasingvertrag zugrunde liegende Kalkulationszinssatz wird aus dem in den Tabellen der Statistiken Daten & Analysen der OeNB verlautbarten Euro-Zinsswap-Satz für 10 Jahre abgeleitet. Die vorläufige Miete wird auf Basis eines Finanzierungskostensatzes in Höhe des Fixzinssatzes EURIRS von 4,043% (Stand 18. Dezember 2006) zuzüglich eines Aufschlages von 0,9570%-Punkten (d.s. 5%) berechnet vergleiche Entwurf Leasingvertrag Pkt. römisch VII.4 ff). Der Restwert bei einer angenommenen Leasingdauer von 15 Jahren wird voraussichtlich und vorbehaltlich genauer Kalkulationen rund 62,5% des Investitionsvolumens betragen. Eine Kaufoption wird der (H Bank) nicht eingeräumt.

Hintergrund dieser Gestaltung ist der Wunsch der (H Bank) sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren und die Immobilien über Projektgesellschaften zu bewirtschaften. Mit gegenständlicher Gestaltung werden sämtliche (B)Immobilien in der (T GmbH) gebündelt. Dies erfolgt auch aus dem Wunsch, langfristig die Gebäude in einen Immobilienfonds einzubringen und so einer weiteren Verwertung zuzuführen. Auch die Nähe und bereits existierende bauliche Verbindung mit der (H Zentrale) sprechen für eine gemeinsame Bewirtschaftung der Objekte. Zudem tritt dadurch eine Verkürzung der Bilanzsumme im Einzelabschluss ein, die die Eigenkapitalquote der (H Bank) verbessert. Nicht zuletzt verfügt die (T GmbH) mittelbar über die ihr in Form einer Personalgestellung von der (römisch eins GmbH) überlassenen Ressourcen über die notwendige Erfahrung in der Abwicklung und späteren Verwaltung eines solchen Projektes.

Die Durchführung des Bauprojektes erfolgt durch die (T GmbH) in Abstimmung mit dem Vorstand und dem Bauausschuss der (H Bank). Die Refinanzierung der (T GmbH) erfolgt durch die (H Bank) im Rahmen ihres regulären Bankgeschäfts.

Die Entwürfe des Baurechtsvertrages und des Immobilienleasingvertrages liegen diesem Ersuchen um Rechtsauskunft bei."

2 Die H Bank nahm sodann im Auskunftsersuchen selbst eine rechtliche Beurteilung an Hand der Einkommensteuerrichtlinien 2000 vor und erklärte, den dort aufgestellten Kriterien zur Zurechnung eines vom Leasinggeber auf dem Grund des Leasingnehmers errichteten Gebäudes beim Leasinggeber wie folgt zu entsprechen:

3 Mit Schreiben vom 22. Dezember 2006 bestätigte das Finanzamt - unter Vorbehalt der zutreffenden und vollinhaltlichen Darstellung des Sachverhaltes - die Rechtsansicht der H Bank.
4 In den Jahren 2012 und 2013 fanden Außenprüfungen sowohl bei der H Bank als auch bei der T GmbH (der nunmehrigen Revisionswerberin) statt. Dabei kamen die Prüfer zur Beurteilung, dass das Leasingobjekt nicht der T GmbH als Leasinggeberin, sondern der H Bank als Leasingnehmerin zuzurechnen sei.
5 Das Finanzamt schloss sich dieser Ansicht an und erließ nach Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer sowie Feststellung des Einkommens Gruppenmitglied 2008 bis 2010 entsprechend geänderte neue Abgaben- bzw. Feststellungsbescheide. Das Finanzamt stützte die Wiederaufnahme auf die Ausführungen im Prüfungsbericht, wonach
6 Gegen diese Bescheide erhob die Revisionswerberin Berufung, in der sie zum einen betonte, dass die Wiederaufnahme der Verfahren zu Unrecht erfolgt sei, und zum anderen die Ansicht vertrat, dass das Leasingobjekt bei richtiger rechtlicher Beurteilung ohnedies ihr als Leasinggeberin zuzurechnen sei.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der (nunmehrigen) Beschwerde durch Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide Folge (Spruchpunkt A). In Spruchpunkt B wurden die Beschwerden gegen die Sachbescheide gemäß Paragraph 260, Absatz eins, Litera a, BAO als unzulässig zurückgewiesen. Spruchpunkt C betrifft das Jahr 2011 und ist nicht Gegenstand der vorliegenden Revision.
Das Finanzamt habe die Wiederaufnahme der Verfahren auf drei Wiederaufnahmegründe gestützt, welche sich allesamt als untauglich erweisen würden.
Es sei daher den Beschwerden gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren Folge zu geben. Damit würden die mit den Wiederaufnahmebescheiden verbundenen Bescheide ex lege aus dem Rechtsbestand ausscheiden und die Verfahren in die Lage zurücktreten, in der sie sich vor der Wiederaufnahme befunden haben. Die Beschwerde betreffend Umsatzsteuer und Einkommen Gruppenmitglied 2008 bis 2010 richte sich demnach gegen nicht mehr existente Bescheide. Sie sei daher gemäß Paragraph 260, Absatz eins, Litera a, BAO in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 14 aus 2013, als unzulässig zurückzuweisen.
Weiters sprach das Bundesfinanzgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig sei, weil zum Vorliegen tauglicher Wiederaufnahmegründe eine umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes existiere. Auch die Frage der Ermessensübung sei höchstgerichtlich hinlänglich geklärt. Es lägen auch hinsichtlich der weiteren Spruchpunkte keine Rechtsfragen vor, deren Lösung von grundsätzlicher Bedeutung wäre.
8 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Finanzamtes legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
9 Der Verwaltungsgerichtshof leitete gemäß Paragraph 36, VwGG das Vorverfahren ein; die mitbeteiligte Partei brachte eine Revisionsbeantwortung ein.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Gemäß Paragraph 34, Absatz eins a, VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (Paragraph 28, Absatz 3, VwGG) zu überprüfen.
13 Das revisionswerbende Finanzamt erachtet die außerordentliche Revision in Spruchpunkt A u. a. deshalb als zulässig, weil das Bundesfinanzgericht von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Neuerungstatbestand (Eigenfinanzierung) abgewichen sei. Mit Spruchpunkt B habe das Bundesfinanzgericht die anzuwendende Verfahrensrechtslage nach Paragraph 261, Absatz 2, BAO verkannt, nach welchem die Bescheidbeschwerde (allenfalls) als gegenstandslos zu erklären und nicht zurückzuweisen gewesen wäre.
14 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet. 15 Gemäß Paragraph 303, Absatz eins, BAO in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 14 aus 2013, ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen u. a. zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
16 Tatsachen im Sinne des Paragraph 303, Absatz eins, Litera , BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften vergleiche VwGH vom 21. November 2007, 2006/13/0107).
17 Eine Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können vergleiche mit weiteren Nachweisen VwGH vom 17. Dezember 2008, 2006/13/0114).
18 Das revisionswerbende Finanzamt hat als Wiederaufnahmegrund u. a. den Umstand herangezogen, dass ihm erst im Rahmen der Außenprüfung bekannt geworden sei, dass die zur Realisierung des Bauprojektes erforderlichen Mittel zur Gänze durch die Leasingnehmerin bereit gestellt worden seien. Die Leasingnehmerin habe nicht nur die (in der Anfrage bekanntgegebene) Kaution geleistet, sondern auch den restlichen Investitionsbedarf, indem sie der Leasinggeberin einen (mit 2 % jährlich verzinsten) Kontokorrentkredit eingeräumt habe, welcher ab 2. November 2011 in einen auf die Laufzeit des Leasingvertrages abgestellten Kredit umgeschuldet worden sei.
19 Das Bundesfinanzgericht hat dazu die Ansicht vertreten, dass es "nach der Faktenlage schon im Zeitpunkt der Anfrage an das Finanzamt den damit befassten Amtsorganen möglich gewesen (wäre), diesen Punkt aufzugreifen und mit detaillierten Informationen unterlegen zu lassen".
20 Zu Recht hat das Bundesfinanzgericht den Hinweis auf eine "Refinanzierung" der Leasinggeberin "im Rahmen ihres regulären Bankgeschäftes" im Ersuchen um Rechtsauskunft nicht als Offenlegung der in wirtschaftlicher Betrachtungsweise beabsichtigten vollständigen Eigenfinanzierung des Bauprojektes durch die Leasingnehmerin beurteilt, lässt das Wort "Refinanzierung" doch Interpretationen in verschiedene Richtungen zu. Das Unterbleiben näherer Nachfragen - sei es vor Beantwortung des Auskunftsersuchens oder auch nur vor Ergehen der wiederaufzunehmenden Bescheide - stand der späteren Wiederaufnahme jedoch nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es für die amtswegige Wiederaufnahme nämlich unmaßgeblich, ob die neuen Tatsachen im Erstverfahren verschuldet oder unverschuldet nicht berücksichtigt worden sind. Das bedeutet, dass auch ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen bzw. Beweismittel im Erstverfahren die Wiederaufnahme von Amts wegen nicht ausschließt vergleiche VwGH vom 26. Juli 2000, 95/14/0094).
21 Insofern hat das Bundesfinanzgericht die Rechtslage verkannt. Die im Revisionsfall gewählte Form der Finanzierung des Leasingobjektes durch die Leasingnehmerin kann für die Frage der Zurechnung des Leasingobjektes entscheidungsrelevant sein. Ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht hat es das Bundesfinanzgericht unterlassen, die für und die gegen das Vorliegen eines wirtschaftlichen Eigentums der Leasingnehmerin sprechenden Umstände festzustellen und einer zusammenfassenden Bewertung zu unterziehen.
22 Das angefochtene Erkenntnis war daher im bekämpften Umfang gemäß Paragraph 42, Absatz 2, Ziffer eins, VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 23. November 2016