Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

18.11.2009

Geschäftszahl

2008/13/0015

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde des Finanzamtes Waldviertel in 3500 Krems an der Donau, Rechte Kremszeile 58, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 17. Dezember 2007, Zl. RV/1958-W/06, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen (mitbeteiligte Partei: J H in O), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als der Berufung des Mitbeteiligten nicht Folge gegeben wurde (Zeitraum Jänner bis März 2005), wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte bezog für seinen im Juli 1979 geborenen Sohn bis einschließlich März 2005 die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag. Der Sohn des Mitbeteiligten hatte im Juni 2004 sein Jusstudium abgeschlossen, im August 2004 mit der Gerichtspraxis als Rechtspraktikant begonnen und diese im März 2005 unterbrochen, um eine ihm angebotene Stelle bei der Wirtschaftskammer anzunehmen.

Mit Bescheid vom 7. Juli 2006 verpflichtete das Finanzamt den Mitbeteiligten zur Zurückzahlung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum von Oktober 2004 bis März 2005. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, für die Tätigkeit bei der Wirtschaftskammer sei die Ableistung der Gerichtspraxis - anders als für den Beruf eines Richters, Staatsanwaltes, Rechtsanwaltes oder Notars - nicht Voraussetzung. Die Gerichtspraxis des Sohnes des Mitbeteiligten sei daher nicht als Teil seiner Berufsausbildung im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Litera b, Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) anzusehen. Für die Monate Juli bis September 2004 sei der Mitbeteiligte jedoch gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Litera d, FLAG anspruchsberechtigt gewesen.

Diese Entscheidung orientierte sich - unter teilweiser Wiedergabe seines Inhaltes - an einem Erlass des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 28. November 2003. In dem Erlass hieß es, im Hinblick auf die Änderung der Zuverdienstgrenze in Paragraph 5, Absatz eins, FLAG sei die Frage nach der Einstufung der Gerichtspraxis als Berufsausbildung im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Litera b, FLAG aufgetreten, und es wurde unter Hinweis darauf, dass die Berechtigung zur Berufsausübung nur bei angehenden Richtern (Staatsanwälten), Rechtsanwälten und Notaren die Absolvierung der Gerichtspraxis voraussetze, der Standpunkt vertreten, die Gerichtspraxis sei nur "im Zusammenhang" mit einer nachfolgenden Ausbildung zum Richter, Rechtsanwalt oder Notar eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG. Die Familienbeihilfe sei daher "rückwirkend erst dann zu gewähren, wenn der erforderliche Ausbildungsweg zweifelsfrei beschritten worden ist. Es ist also die Vorlage einer Bestätigung zwingend notwendig, aus der hervorgeht, dass eine Ausbildung zum Richter, Rechtsanwalt bzw. Notar tatsächlich erfolgt."

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten gegen die Entscheidung des Finanzamtes insoweit Folge, als sie die Rückforderung auf den Zeitraum Jänner bis März 2005 einschränkte. Sie vertrat die Auffassung, es genüge, dass die Gerichtspraxis für die Ausübung des Richterberufes vorgeschrieben sei. Dass dieser in der Folge auch ausgeübt werde, sei hingegen nicht erforderlich. Die Voraussetzungen des Paragraph 2, Absatz eins, Litera b, FLAG habe der Sohn des Mitbeteiligten daher während des gesamten Rückforderungszeitraumes erfüllt. Hinsichtlich der Monate Jänner bis März 2005 liege jedoch der Ausschlussgrund des Paragraph 5, Absatz eins, FLAG "in der für das Jahr 2001 geltenden Fassung" vor, weil der Sohn des Mitbeteiligten im Kalenderjahr 2005 ein zu versteuerndes Einkommen im Sinne des Paragraph 33, Absatz eins, EStG 1988 in der den maßgeblichen Betrag von EUR 8.725,-- übersteigenden Höhe von EUR 12.947,96 bezogen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, deren Begründung - nach der einleitenden Formulierung, die Gerichtspraxis sei "für sich alleine" keine Berufsausbildung, sondern nur als Teil der Berufsausbildung zu werten, wenn sie "als zwingende Voraussetzung für eine weitere Berufsausbildung" absolviert werde - zunächst dem schon erwähnten Erlass entnommen ist.

Für den Fall, dass der belangten Behörde entgegen dem in der Amtsbeschwerde vertretenen Standpunkt in der Bejahung des Vorliegens einer Berufsausbildung zu folgen wäre, macht die Amtsbeschwerde aber als "weitere Rechtswidrigkeit" geltend, die

Familienbeihilfe wäre, "wenn schon, ... auch in der Zeit von

Jänner bis März 2005" zu gewähren gewesen. Die belangte Behörde habe übersehen, dass gemäß Paragraph 5, Absatz eins, Litera a, FLAG das im betreffenden Kalenderjahr vor oder nach den Zeiträumen, für die Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe, erzielte Einkommen außer Betracht zu bleiben habe.

Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er beantragt, "die Berufungsentscheidung des UFS inhaltlich zu bestätigen, jedoch den Anspruchszeitraum auf Oktober 2004 bis März 2005 auszudehnen".

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie u.a. den Standpunkt vertritt, aus Paragraph 5, Absatz eins, Litera a, FLAG gehe "nicht hervor, dass die Einkünfte nach Beendigung der Berufsausbildung im gegenständlichen Fall außer acht zu lassen wären".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Anspruchsvoraussetzung einer Berufsausbildung:

Im vorliegenden Fall ist strittig, ob es sich beim Sohn des Mitbeteiligten während des Rückforderungszeitraumes im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Litera b, FLAG um ein volljähriges Kind handelte, das "für einen Beruf ausgebildet" wurde.

Eine nähere Umschreibung des Begriffes "Berufsausbildung" enthält das Gesetz nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich damit im Zusammenhang mit sogenannten Praktika in dem Erkenntnis vom 18. November 1987, Zl. 87/13/0135, FJ 1988,99, auseinandergesetzt und ausgeführt, zur Berufsausbildung seien "sicher alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung zu zählen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen

vermittelt wird. ... Ihren Abschluss findet eine Berufsausbildung

jedenfalls mit dem Beginn der Ausübung eines bestimmten Berufes, auch wenn für den konkreten Arbeitsplatz noch eine spezifische Einschulung erforderlich sein mag". Dabei sei es nicht entscheidend, ob die Tätigkeit des Praktikanten außerhalb eines arbeitsrechtlichen Dienstverhältnisses und ohne Anspruch auf spätere Anstellung ausgeübt und von dritter Seite, wie durch Gewährung einer Beihilfe seitens der Arbeitsmarktverwaltung, entlohnt werde. Hinsichtlich des zu beurteilenden Maturantenpraktikums sei vielmehr hervorzuheben, dass sich die Tätigkeit "inhaltlich nicht von der eines am Beginn der konkreten Berufsausübung stehenden Dienstnehmers unterscheidet, der für seinen Arbeitsplatz ungeachtet seiner vorangegangenen Berufsausbildung praktischer Einschulung bedarf". Das Maturantenpraktikum sei "eine spezifische praktische Einschulung, die nur aus Gründen der mangelnden Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen nicht wie sonst üblich im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet, und die auch nicht als Voraussetzung für eine einschlägige Berufsausübung vorgeschrieben ist".

Unter Berufung auf dieses Erkenntnis wurde im Erkenntnis vom 23. Oktober 1990, Zl. 87/14/0031, ausgeführt, ein im Anschluss an eine abgeschlossene Ausbildung zur Volksschullehrerin mangels entsprechender Anstellung zunächst absolviertes Praktikum in einem Kindergarten gehöre nicht mehr zur Berufsausbildung. Möge es auch pädagogisch wertvoll sein, so erlaube es doch nicht, "eine andere Laufbahn - etwa als Kindergärtnerin - einzuschlagen".

Dem Erkenntnis vom 20. Februar 2008, Zl. 2006/15/0076, lag ein Fall zu Grunde, in dem die Tochter der Beschwerdeführerin nach der Reifeprüfung auf der Warteliste für die Aufnahme in ein Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe stand und gegen geringe Entlohnung Hilfstätigkeiten in einer Einrichtung zur Förderung von jungen Menschen mit Körperbehinderungen verrichtete. Im angefochtenen Bescheid wurde ausgeführt, ein Praktikum gehöre nur dann zur Berufsausbildung, "wenn es z.B. eine unbedingte Voraussetzung für die Aufnahme an einer Lehranstalt" sei. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte diesen Bescheid, weil nicht dargetan worden sei, dass das Praktikum "darauf ausgerichtet gewesen wäre, die Tochter auf die Ergreifung eines bestimmten Berufes oder die Aufnahme in einem schulischen Lehrgang vorzubereiten".

Im Erkenntnis vom 27. August 2008, Zl. 2006/15/0080, wurde schließlich ausgesprochen, ein Unterrichtspraktikum im Sinne des Unterrichtspraktikumsgesetzes, Bundesgesetzblatt Nr. 145 aus 1988,, gehöre nicht zur Berufsausbildung. Der Verwaltungsgerichtshof führte aus, nach den Materialien zu dem genannten Gesetz sei das Praktikum Teil einer "zweigliedrigen Ausbildung", in der auf die "wissenschaftliche Ausbildung" eine "Einführung in das praktische Lehramt" folge, wobei der erfolgreiche Abschluss des Unterrichtspraktikums eine Ernennungs- bzw. Anstellungsvoraussetzung sei. Nach dem zitierten Erkenntnis vom 18. November 1987 komme es jedoch auf den Inhalt der Tätigkeit an, und das Unterrichtspraktikum stelle sich seinem Inhalt nach "als typischer Fall einer Einschulung am Arbeitsplatz dar". Ob die vom Beschwerdeführer "behauptete Verwaltungspraxis in Bezug auf Rechtspraktikanten" - nämlich die Bejahung der Anspruchsberechtigung im Fall der anschließenden Tätigkeit als Richteramts- oder Rechtsanwaltsanwärter oder als Notariatskandidat - mit der Gesetzeslage im Einklang stehe, könne dahingestellt bleiben.

Im vorliegenden Fall zeigt die Amtsbeschwerde nicht auf, dass es sich bei der Tätigkeit eines Rechtspraktikanten ihrem Inhalt nach im Sinne des zuletzt erwähnten Erkenntnisses um eine "Einschulung am Arbeitsplatz" handle. Paragraph eins, Absatz eins, des Rechtspraktikantengesetzes, Bundesgesetzblatt Nr. 644 aus 1987,, spricht von einer Fortsetzung der "Berufsvorbildung", wohingegen in Paragraph eins, Absatz eins, des Unterrichtspraktikumsgesetzes von einer Einführung in das Lehramt die Rede ist. Dieser Unterschied ist, im Gegensatz zu den gleichlautenden Bezugnahmen auf die Begründung nicht eines Dienst- , sondern eines "Ausbildungsverhältnisses" (Paragraph 2, Absatz 4, Rechtspraktikantengesetz; Paragraph eins, Absatz 3, Unterrichtspraktikumsgesetz) ausschlaggebend. Dass Rechtspraktikanten - deren Tätigkeit nach damaliger Rechtslage von derjenigen nach geltendem Recht nicht grundsätzlich verschieden war - in Berufsausbildung stehen, hat der Verwaltungsgerichtshof schon in dem Erkenntnis vom 23. März 1983, Zl. 82/13/0063, implizit bestätigt.

Zu beantworten bleibt nur, ob dies im Sinne des in der Amtsbeschwerde vertretenen Standpunktes von der weiteren Berufslaufbahn abhängen kann. Dafür bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt, weshalb die belangte Behörde diese Frage mit Recht verneint hat.

Die Amtsbeschwerde war daher insoweit, als sie sich gegen die teilweise Stattgebung der Berufung des Mitbeteiligten richtet, gemäß Paragraph 42, Absatz eins, VwGG als unbegründet abzuweisen.

2. Zur Anspruchsschädlichkeit des im Jahr 2005 erzielten Einkommens:

Für den Fall, dass das Vorliegen einer Berufsausbildung von der belangten Behörde mit Recht bejaht worden sei, macht die Amtsbeschwerde als "weitere Rechtswidrigkeit" geltend, dass der Anspruch dann - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - auch für die Monate Jänner bis März 2005 bestanden hätte.

Die belangte Behörde hat sich in ihrer Entscheidung auf die "für das Jahr 2001 geltende Fassung" des Paragraph 5, Absatz eins, FLAG bezogen, obwohl im vorliegenden Fall - anders als im Fall der unangefochten gebliebenen Entscheidung der Außenstelle Innsbruck vom 5. November 2003, Zl. RV/0412-I/03, an der sich die belangte Behörde orientiert hat - Anspruchszeiträume der Jahre 2004 und 2005 zu beurteilen waren. Paragraph 5, Absatz eins, Litera a, FLAG sah und sieht jedoch sowohl in der für das Jahr 2001 geltenden als auch in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung vor, dass das in dem jeweiligen Kalenderjahr "vor oder nach" den Zeiträumen, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, erzielte Einkommen "außer Betracht" bleibt. Da die belangte Behörde das Einkommen des gesamten Jahres herangezogen hat, das nach März 2005 erzielte Einkommen aber außer Betracht zu bleiben gehabt hätte, war der angefochtene Bescheid insoweit, als der Berufung nicht Folge gegeben wurde, gemäß Paragraph 42, Absatz 2, Ziffer eins, VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 18. November 2009