Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

22.01.1992

Geschäftszahl

91/13/0241

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Fellner und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über den Antrag des A in Y, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der FLD für Wien, NÖ und Bgld, Berufungssenat römisch VII, vom 4. Oktober 1991, GZ 6/4-4230/90-05, betreffend Einkommensteuer 1987 und 1988, zu bewilligen, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Dem Antrag wird Folge gegeben.

Begründung

Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag gemäß Paragraph 46, Absatz eins, VwGG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Im vorliegenden Fall wurde der im Spruch bezeichnete Bescheid dem Vertreter des Antragstellers nach dessen Ausführungen am 14. Oktober 1991 zugestellt, sodaß die Beschwerdefrist im Sinne des Paragraph 26, Absatz eins, VwGG am 25. November 1991 abgelaufen ist. Entgegen der Auffassung des Antragstellers steht dem nicht entgegen, daß der Bescheid der belangten Behörde mit einem weiteren Bescheid vom 17. Oktober 1991 gemäß Paragraph 293, BAO berichtigt worden ist. Bereits durch den ursprünglichen Bescheid vom 4. Oktober 1991 ist es nämlich zu einem Eingriff in seine Rechte gekommen, während der Berichtigungsbescheid zu seinen Gunsten - nämlich durch Verminderung des Leistungsgebotes - ergangen ist. Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde ist somit der Umstand, daß der angefochtene Bescheid gemäß Paragraph 293, BAO berichtigt worden ist, nicht von Bedeutung.

Unter einem (eine Fristeinhaltung hindernden) Ereignis im Sinne des Paragraph 46, Absatz eins, VwGG ist jedes Geschehen, also nicht nur ein Vorgang in der Außenwelt, sondern auch ein psychischer Vorgang wie Vergessen, Verschreiben, Sichirren usw. zu verstehen. Ein die Fristeinhaltung hinderndes Ereignis liegt demnach auch dann vor, wenn die Verfahrenshandlung auf Grund eines Irrtums über das Fristende erst nach objektivem Ablauf der Frist vorgenommen wird. Eine Partei (ihr Bevollmächtigter) ist also auch dann gehindert, die Frist einzuhalten, wenn sie (er) irrtümlich ein - gegenüber dem objektiven - späteres Fristende annimmt vergleiche das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Mai 1984, Slg. 11.439/A, und die dort zitierte weitere Rechtsprechung).

Im Antragsfall hat der Antragsteller vorgebracht und durch Vorlage einer schriftlichen Äußerung der Kanzleiangestellten seines Vertreters bewiesen, daß dieser verfügt hat, die sechswöchige Beschwerdefrist mit Ablauf des 25.11.1991 in das Vormerkbuch einzutragen und den Handakt etwa fünf Tage zuvor wieder vorzulegen, daß aber die Kanzleiangestellte gegen diese Verfügung verstieß und damit die Fristversäumnis verursachte.

Solange ein Rechtsanwalt mit einem ordnungsgemäßen Kanzleibetrieb nicht durch Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht und zu Kontrollmaßnahmen genötigt ist, darf er sich dabei darauf verlassen, daß sein Kanzleipersonal eine ihm aufgetragene Weisung auch tatsächlich befolgt. Da die in Rede stehende Fristversäumung somit auf einem weisungswidrigen Verhalten der Kanzleiangestellten des anwaltlichen Vertreters beruhte und dieser nach dem vorgelegten Beweismittel ansonsten der ihm obliegenden Überwachungspflicht nachgekommen ist, kann ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden des Vertreters des Antragstellers - das dem Verschulden der Partei gleichzusetzen wäre - nicht angenommen werden vergleiche z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 1985, 85/16/0032).

Der Antrag erweist sich damit als begründet, sodaß die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen war.