Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

31.03.1987

Geschäftszahl

86/14/0165

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Hnatek, Dr. Pokorny und Dr. Karger als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Dorner, über die Beschwerde des WS in F, vertreten durch Dr. Wolf-Dieter Arnold, Rechtsanwalt in Wien römisch eins, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom 15. September 1986, Zl. 248 - 3/86, betreffend Lohnsteuer 1985, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1942 geborene Beschwerdeführer, dessen Familienwohnsitz in Kärnten gelegen ist, ist als Monteur Arbeitnehmer der römisch zehn AG Österreich. Diese Firma setzte den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Monteur seit 1970 mit einer Unterbrechung in den Jahren 1971 und 1972 (Arbeitsstelle in Wien) bei der Firma Y AG in G ein.

Der Beschwerdeführer machte für das Streitjahr die Aufwendungen für Familienheimfahrten von Graz nach Kärnten als Werbungskosten geltend. Er brachte im Verwaltungsverfahren vor, daß sein Arbeitgeber jederzeit die Möglichkeit hätte, ihn an einer Baustelle seiner Wahl einzusetzen. Es sei ihm nie bekannt, wie lange er an der jeweiligen Baustelle arbeiten dürfe.

Der Arbeitgeber bestätigte, daß der Beschwerdeführer jederzeit von der Grazer Baustelle abberufen werden könne. Im Hinblick auf diese Möglichkeit erachtete es der Beschwerdeführer für unzumutbar, den Familienwohnsitz nach Graz zu verlegen.

Die belangte Behörde berücksichtigte mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid die Aufwendungen des Beschwerdeführers für die Familienheimfahrten nicht als Werbungskosten. Werde nämlich der Familienwohnsitz durch eine Reihe von Jahren in unüblicher Entfernung vom Ort der beruflichen Tätigkeit aufrecht erhalten, so rechtfertige dies grundsätzlich die Annahme, daß für die Beibehaltung vorwiegend private Gründe maßgebend seien, zumal die Ehegattin des Beschwerdeführers nicht erwerbstätig sei. Erfolge aber die Beibehaltung des Wohnsitzes aus rein persönlichen bzw. familiären Gründen, weil z.B. der Steuerpflichtige wie im Beschwerdefall ein Eigenheim besitze und seine Angehörigen dort lebten, so fielen die durch die Trennung verursachten Aufwendungen in den Bereich der privaten Lebensführung. Im Beschwerdefall sei der Familienwohnsitz ganz offensichtlich aus rein persönlichen und familiären Gründen beibehalten worden, weil bei einer Beschäftigungszeit von über fünfzehn Jahren in Graz angenommen werden müsse, daß der bisherige Wohnsitz aus "privater Veranlassung" beibehalten werde. Daran ändere auch die vom Beschwerdeführer eingewendete Abberufungsmöglichkeit von der Baustelle in Graz nichts, da bei einer Beschäftigungsdauer von nahezu sechzehn Jahren (unterbrochen nur in den Jahren 1971 und 1972 durch eine Arbeit in Wien) nicht mehr von einer vorübergehenden Beschäftigung gesprochen werden könne.

Vorliegende Beschwerde macht sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides als auch dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf steuerliche Anerkennung der Kosten der Familienheimfahrten und im Recht auf Eintragung eines entsprechenden Freibetrages in seiner Lohnsteuerkarte verletzt.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und beantragte darin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen zutreffend davon aus, daß Aufwendungen für Familienheimfahrten Werbungskosten darstellen können (siehe z. B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Jänner 1985, Zl. 84/14/0074, und vom 22. Jänner 1986, Zl. 84/13/0159, sowie die dort erwähnte Literatur). Die belangte Behörde schließt jedoch aus der langjährigen Beschäftigung des Beschwerdeführers an der Arbeitsstelle in Graz, daß er seinen Familienwohnsitz in Kärnten aus privaten (familiären) Gründen beibehalten habe und die Familienheimfahrten daher nicht beruflich bedingt wären.

2. Der belangten Behörde ist zuzubilligen, daß eine langjährige Beibehaltung des Familienwohnsitzes in unüblicher Entfernung vom Arbeitsplatz vermuten läßt, daß der Wohnsitz aus privaten (familiären) Gründen beibehalten wurde. Diese Vermutung ist aber nicht unwiderlegbar (hg. Erkenntnis vom 25. November 1986, Zl. 86/14/0065). Die für die steuerliche Anerkennung von Familienheimfahrten entscheidende Frage, ob bzw. ab wann dem Steuerpflichtigen die Verlegung seines Wohnsitzes zumutbar ist (hg. Erkenntnis vom 23. November 1983, Zl. 81/13/0163), kann also nicht schematisch vom Ablauf eines bestimmten Zeitraumes abhängig gemacht werden. Vielmehr sind Verhältnisse des Einzelfalles zu berücksichtigen (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. April 1986, Zl. 84/14/0198).

3. Nun hat der Beschwerdeführer, durch eine Bestätigung seines Arbeitgebers belegt, dargetan, daß er jederzeit von der Grazer Baustelle hätte abberufen werden können. Mußte aber der Beschwerdeführer in der Tat mit einer solchen Abberufung rechnen, dann wäre es für ihn unzumutbar gewesen, den Familienwohnsitz nach Graz zu verlegen. Hätte der Beschwerdeführer doch dann in Kauf nehmen müssen, daß die Wohnsitzverlegung nach Graz schon nach kurzer Zeit (im Falle der ja jederzeit möglichen Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz) wieder überholt ist.

4. Es reicht allerdings nicht schon die abstrakte Möglichkeit, von Graz abberufen zu werden, hin, um die Beibehaltung des Familienwohnsitzes in Kärnten zu rechtfertigen. Es muß sich vielmehr um eine konkret, ernsthaft und latent drohende Möglichkeit einer solchen Abberufung handeln. Von einer solchen konkret, ernsthaft und latent drohenden Möglichkeit könnte beispielsweise nicht die Rede sein, wenn der Beschwerdeführer mit der Abberufung von der Grazer Baustelle nicht mit größerer Wahrscheinlichkeit rechnen mußte als im allgemeinen Arbeitnehmer privatwirtschaftlicher Unternehmen mit einem Verlust des Arbeitsplatzes zu rechnen haben. Bei der Art des vom Beschwerdeführer ausgeübten Berufes als Monteur eines großen Unternehmens der Elektrobranche, von dem allgemein bekannt ist, daß es seine Monteure wechselnd auf verschiedenen Arbeitsplätzen in ganz Österreich und im Ausland einsetzt, ist die konkret, ernsthaft und latent drohende Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels jedenfalls ohne nähere Prüfung nicht auszuschließen.

5. In der Gegenschrift - noch nicht aber im angefochtenen Bescheid - hat die belangte Behörde auch sichtlich erkannt, worauf es ankommt, wenn es dort heißt, die grundsätzliche Versetzbarkeit werde einen Arbeitnehmer im allgemeinen nicht daran hindern, den Familienwohnsitz nach einer gewissen Zeit an den Dienstort verlegen zu wollen, wenn für ihn die Wahrscheinlichkeit bestehe, daß er an diesem Ort auch weiterhin tätig sein werde, und an anderer Stelle, es wäre eine tatsächlich drohende jederzeitige Versetzbarkeit maßgebend. Die Gegenschrift sieht es weiters durchaus zutreffend als wesentlich an, ob für den Beschwerdeführer eine Beendigung seiner Tätigkeit in Graz in absehbarer Zeit (tatsächlich) in Aussicht stand, bzw., ob er konkret mit einer Versetzung an einen anderen Ort zu rechnen hatte. Die belangte Behörde meint in diesem Zusammenhang nur, der Beschwerdeführer hätte solches nicht behauptet. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer deutlich die Möglichkeit jederzeitiger Abberufung ins Treffen führte, womit nunmehr weitere Schritte zur Klärung des Sachverhaltes der belangten Behörde oblegen wären. Die Annahme in der Gegenschrift, daß mit der fortwährenden Beschäftigung an einem Ort die Wahrscheinlichkeit einer plötzlichen, unbeeinflußbaren Versetzung abnehme, beruht nicht auf entsprechenden Sachverhaltsfeststellungen.

6. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei noch bemerkt, daß sich die Unzumutbarkeit, den Familienwohnsitz zu verlegen, nicht aus Umständen ergeben kann, die lediglich in der Privatsphäre des Steuerpflichtigen liegen. Es ist also die Verlegung des Familienwohnsitzes im hier maßgeblichen Sinn nicht schon deshalb unzumutbar, weil der Steuerpflichtige am Familienwohnsitz ein Eigenheim errichtet hat, die Kinder dort die Schule besuchen und dgl. mehr. Es muß vielmehr die Unzumutbarkeit Folge von Umständen sein, die mit der Berufstätigkeit bzw. mit dem Ort der Berufstätigkeit in Zusammenhang stehen, wie z.B. die Tatsache, daß an diesem Ort keine zur Begründung des Familienwohnsitzes geeignete Wohnung zu beschaffen ist (siehe z.B. die hg. Erkenntnisse vom 29. April 1963, Zl. 2028/62, und vom 22. April 1986, Zl. 84/14/0198), oder eben die Tatsache, daß keine die Begründung eines Familienwohnsitzes rechtfertigende dauernde Arbeitsstelle vorliegt. Denn nur solche Umstände können im Sinne des Paragraph 16, EStG 1972 mit der Einnahmenerzielung in Zusammenhang gebracht werden.

7. Zur Frage der "Erwerbstätigkeit" der Ehegattin wird gemäß Paragraph 43, Absatz 2, zweiter Satz VwGG auf Punkt 2.6 des hg. Erkenntnisses vom 25. November 1986, Zl. 86/14/0065, verwiesen.

8. Insgesamt beruht jedoch der angefochtene Bescheid auf einer unzutreffenden Rechtsauffassung der belangten Behörde. Der Bescheid war daher gemäß Paragraph 42, Absatz 2, Ziffer eins, VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Paragraphen 47, ff VwGG und die Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, Bundesgesetzblatt Nr. 243.

Wien, am 31. März 1987