Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

25.09.2017

Geschäftszahl

G403/2016 ua

Sammlungsnummer

20188

Leitsatz

Abweisung der - zulässigen - Parteianträge auf Aufhebung von Bestimmungen des ABGB über die subsidiäre Bestellung eines Rechtanwaltes oder Notars zum Sachwalter und die vorgesehene Ablehnungsmöglichkeit; kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot der EMRK und gegen den Gleichheitsgrundsatz; keine Unsachlichkeit in Bezug auf Sachwaltervereine

Spruch

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

römisch eins.           Anträge

Mit den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Anträgen begehren die Antragsteller, "der Verfassungsgerichtshof möge §279 Abs3 2. Satz ABGB und §274 Abs2 ABGB (jeweils in der Fassung BGBl römisch eins 2006/92) wegen Verfassungswidrigkeit aufheben".

römisch II.         Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):

§274 und §279 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, JGS 946/1811 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 92 aus 2006,, – ABGB, lauten:

"§274. (1) Derjenige, den das Gericht zum Sachwalter (Kurator) bestellen will, hat alle Umstände, die ihn dafür ungeeignet erscheinen lassen, dem Gericht mitzuteilen. Unterlässt er diese Mitteilung schuldhaft, so haftet er für alle dem Pflegebefohlenen daraus entstehenden Nachteile.

(2) Ein Rechtsanwalt oder Notar kann die Übernahme einer Sachwalterschaft (Kuratel) nur ablehnen, wenn ihm diese unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann. Dies wird bei mehr als fünf Sachwalterschaften (Kuratelen) vermutet.

[…]

§279. (1) Bei der Auswahl des Sachwalters ist besonders auf die Bedürfnisse der behinderten Person und darauf Bedacht zu nehmen, dass der Sachwalter nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung zu einer Krankenanstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung steht, in der sich die behinderte Person aufhält oder von der sie betreut wird. Wünsche der behinderten Person, insbesondere solche, die sie vor Verlust der Geschäftsfähigkeit und Einsichts- und Urteilsfähigkeit geäußert hat (Sachwalterverfügung), und Anregungen nahe stehender Personen sind zu berücksichtigen, sofern sie dem Wohl der behinderten Person entsprechen.

(2) Einer behinderten Person ist eine geeignete, ihr nahe stehende Person zum Sachwalter zu bestellen. Wird eine behinderte Person volljährig, so ist ein bisher mit der Obsorge betrauter Elternteil zum Sachwalter zu bestellen, sofern dies dem Wohl der behinderten Person nicht widerspricht.

(3) Ist eine geeignete, nahe stehende Person nicht verfügbar, so ist ein geeigneter Verein mit dessen Zustimmung zum Sachwalter zu bestellen. Kommt auch ein Verein nicht in Betracht, so ist auch nach Maßgabe des §274 Abs2 ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) oder eine andere geeignete Person mit deren Zustimmung zu bestellen.

(4) Ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) ist vor allem dann zum Sachwalter zu bestellen, wenn die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ein geeigneter Verein vor allem dann, wenn sonst besondere Anforderungen mit der Sachwalterschaft verbunden sind.

(5) Eine Person darf nur so viele Sachwalterschaften übernehmen, wie sie unter Bedachtnahme auf die Pflichten eines Sachwalters, insbesondere jene zur persönlichen Kontaktnahme, ordnungsgemäß besorgen kann. Es wird vermutet, dass eine Person – ausgenommen ein geeigneter Verein – insgesamt nicht mehr als fünf, ein Rechtsanwalt oder Notar nicht mehr als 25 Sachwalterschaften übernehmen kann; Sachwalterschaften zur Besorgung einzelner Angelegenheiten bleiben dabei außer Betracht."

§119 und §120 Außerstreitgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, 111 aus 2003,, lauten:

"§119. Ist das Verfahren auf Grund der Ergebnisse der Erstanhörung fortzusetzen, so hat das Gericht für einen Rechtsbeistand der betroffenen Person im Verfahren zu sorgen. Hat die betroffene Person keinen gesetzlichen oder selbstgewählten Vertreter oder widerstreiten einander dessen Interessen und diejenigen der betroffenen Person, so hat ihr das Gericht einen Sachwalter für das Verfahren (Verfahrenssachwalter) zu bestellen; dadurch wird die betroffene Person in ihren Rechtshandlungen an sich nicht beschränkt. Der Verfahrenssachwalter ist zu entheben, sobald die betroffene Person einen geeigneten Vertreter gewählt hat. Stimmen Anträge, die die betroffene Person, ihr gesetzlicher Vertreter und der Verfahrenssachwalter gestellt haben, nicht überein, so sind bei der Entscheidung alle Anträge inhaltlich zu berücksichtigen.

§120. Erfordert es das Wohl der betroffenen Person, so hat ihr das Gericht zur Besorgung dringender Angelegenheiten längstens für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Sachwalter mit sofortiger Wirksamkeit zu bestellen. Die betroffene Person wird durch die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters in ihren Rechtshandlungen nur insofern beschränkt, als es das Gericht ausdrücklich anordnet. Die Bestellung kann nur dann vor der Erstanhörung geschehen, wenn sonst ein erheblicher und unwiederbringlicher Nachteil für die betroffene Person zu besorgen wäre und die Erstanhörung unverzüglich nachgeholt wird. Für die einstweilige Sachwalterschaft gelten die Regelungen über die Sachwalterschaft für behinderte Personen. §§123 Z1 bis 4 und 126 sind sinngemäß anzuwenden."

römisch III.       Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.           Dem Antrag im zu G403/2016 protokollierten Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1.       Der antragstellende Rechtsanwalt wurde durch Beschluss des Bezirksgerichtes Linz vom 28. Oktober 2016, 13 P 24/16a, zugestellt am 8. November 2016, zum Verfahrenssachwalter und zum einstweiligen Sachwalter für einen Betroffenen in bestimmten dringenden Angelegenheiten gemäß §120 AußStrG bestellt. Der Betroffene sei derzeit obdachlos und nicht in der Lage, seine finanziellen Angelegenheiten selbst zu regeln. Der Verein "VertretungsNetz" verfüge derzeit über keine freien Kapazitäten. Daher – und mangels geeigneter nahestehender Personen – sei ein Rechtsanwalt zu bestellen. Der antragstellende Rechtsanwalt sei der nächste aus der beim Bezirksgericht Linz geführten Liste gemäß §86 Abs2 Geo, daher sei er im Sinne dieser Bestimmung als Verfahrens- und einstweiliger Sachwalter heranzuziehen. Eine Unzumutbarkeit der Bestellung iSd §274 Abs2 ABGB liege nicht vor, da der antragstellende Rechtsanwalt derzeit nur in einem anderen Verfahren als Sachwalter bestellt worden sei.

1.2.       Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller am selben Tag, an dem er auch den (Partei-)Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG stellte, Rekurs an das Landesgericht Linz.

1.3.       Der Antragsteller behauptet in seinem auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten – als "Beschwerde" bezeichneten – Antrag, dass er bereits im Verfahren vor dem Bezirksgericht Linz einen Verstoß gegen die Reihungskriterien bemängelt und die Unzumutbarkeit der Übernahme der Sachwalterschaft behauptet habe. Im vorliegenden Fall bedürfe es eines Sozialarbeiters, nicht aber sei die Notwendigkeit der Vertretungstätigkeit durch einen Rechtsanwalt gegeben. Auf Grund der fehlenden Auseinandersetzung mit diesen Punkten habe der Antragsteller Rekurs erhoben.

2.           Dem zu G57/2017 protokollierten Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1.       Der antragstellende Rechtsanwalt wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Linz vom 8. März 2017, 6 P 18/17v, zugestellt am 10. März 2017, für ein Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft wird, zum Verfahrenssachwalter sowie zum einstweiligen Sachwalter für bestimmte dringende Angelegenheiten gemäß §120 AußStrG bestellt. In einer Zusatzbegründung führt das Bezirksgericht Linz u.a. aus, dass der Betroffene im Falle der Feststellung einer geistigen Abnormität und Gefährlichkeit im Strafverfahren in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht würde, bis sich seine Gefährlichkeit reduziere. Die Arbeit "mit oder für" geistig abnorme Rechtsbrecher sei für Richter und Rechtsanwälte auch im Zusammenhang mit Pflichtverteidigungen ein übliches Berufsrisiko.

2.2.       Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller am selben Tag, an dem er auch den (Partei-)Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG stellte, Rekurs an das Landesgericht Linz.

2.3.       Der Antragsteller behauptet in seinem auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten – als "Beschwerde" bezeichneten – Antrag, dass er dem Bezirksgericht Linz die Unzumutbarkeit der Übernahme der Sachwalterschaft mitgeteilt habe, und zwar mit dem Verweis auf persönliche Umstände und seine übermäßige Arbeitsbelastung. Von der betroffenen Person gehe eine erhebliche Gefährdung des Antragstellers, seiner Ehefrau, seiner Mitarbeiter und seines Eigentums aus. Laut Strafantrag handle es sich um einen geistig abnormen Rechtsbrecher. Im Zusammenhang mit der einstweiligen Sachwalterschaft bedürfe es keinerlei Kenntnis eines Rechtsanwalts zur Betreuung der betroffenen Person; vielmehr bedürfe es eines Sozialbetreuers, Psychologen oder Psychiaters. Es sei auf die fehlende Notwendigkeit der Vertretungstätigkeit durch einen Rechtsanwalt ausdrücklich hingewiesen worden. Es sei nicht erhoben worden, ob nahe Angehörige bereit und geeignet seien, die Sachwalterschaft zu übernehmen. Eine nähere Auseinandersetzung mit den vom Antragsteller vorgebrachten Gründen für die Unzumutbarkeit sei unterlassen worden, weshalb auch Rekurs erhoben worden sei.

3.           Zur Zulässigkeit bringen beide Antragsteller vor, dass sie jeweils Partei einer von einem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache seien und die Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof gleichzeitig mit der Erhebung des Rekurses erfolgt sei. Auf Grund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 26. November 2015, G197/2015, mit der ein Antrag des nunmehrigen Antragstellers zu G403/2016 wegen zu engen Anfechtungsumfanges zurückgewiesen worden sei, hätten die Antragsteller den Antrag nun weiter gefasst. Die behauptetermaßen verfassungswidrige Diskriminierung könne durch eine Aufhebung von §279 Abs3 zweiter Satz ABGB beseitigt werden.

4.           Ihre Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §279 Abs3 zweiter Satz und §274 Abs2 ABGB legen die Antragsteller jeweils – auszugsweise – wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"6. Begründung der Verfassungswidrigkeit:

6.1.1. §279 Abs3 ABGB verpflichtet Rechtsanwälte Sachwalterschaften, die ihnen zwangsweise vom Gericht übertragen werden, zu übernehmen. Da Rechtsanwälte einer Disziplinarordnung unterliegen, die auch Geldstrafen und Berufsverbote umfasst, sind Anwälte unbestritten kraft Gesetzes zur Übernahme verpflichtet. Dies wurde auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Verfahren Bsw 31950/06 […] nicht bestritten.

6.1.2. Es liegt eine unterschiedliche Behandlung von Rechtsanwälten im Vergleich zu sonstigen Personen (wie z.B. auch Richtern, Regierungsmitgliedern, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, Versicherungsmitarbeitern, Bankmitarbeitern, etc) vor: Während alle anderen geeigneten Personen nur mit deren Zustimmung bestellt werden können (§279 Abs3 letzter Satz ABGB) sind Rechtsanwälte hierzu verpflichtet. Eine Zustimmung ist nicht erforderlich.

Entscheidend ist nunmehr die Aussage des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Verfahren Bsw 31950/06:

'Der GH wiederholt, dass die Verpflichtung für Rechtsanwälte und Notare, als Sachwalter tätig zu sein nur dann maßgeblich wird, wenn der jeweilige Fall Rechtskenntnis erfordert oder wenn keine Verwandten oder Mitglieder des Vereins für Sachwalterschaft für eine solche Tätigkeit verfügbar sind.'

Nur ausgehend von dieser Prämisse kommt daher der Gerichtshof zu seiner Schlussfeststellung:

'Der GH stellt somit zusammenfassend fest, dass im Hinblick auf eine Sachwalterschaft in Fällen, in denen eine Vertretung notwendig ist, die Berufsgruppe der Rechtsanwälte und Notare einerseits und die anderer Personen mit einer juristischen Ausbildung andererseits sich nicht in ähnlichen Situationen befinden.'

[Die Zitate in der Übersetzung entstammen der Zeitschrift Newsletter Menschenrechte NL 2011, 303, abrufbar auf der Datenbank des österreichischen Instituts für Menschenrechte, Salzburg.]

6.1.3. Das Gesetz unterscheidet bei der Bestellung in §279 Abs3 ABGB nicht, ob im konkreten Fall Rechtskenntnisse erforderlich sind. Dieser Fall wird ohnehin in §279 Abs4 ABGB geregelt. §279 Abs3 ABGB legt generell fest, dass Rechtsanwälte zu Übernahme der Vertretung verpflichtet sind und zwar auch dann, wenn keine Rechtskenntnisse erforderlich sind. In diesem Punkt besteht überhaupt kein Anlass zu einer unterschiedlichen Behandlung zwischen Rechtsanwälten und sonstigen Personen. Auch der Beschwerdeführer stimmt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu, dass in all jenen Fällen, wo die spezielle[n] Kenntnisse eines Rechtsanwalts erforderlich sind, auch ein Anwalt zum Sachwalter bestellt werden soll und dies gleichsam mit der Wahl des Berufes mit gewählt wurde. In allen Fällen, in denen aber gerade keine speziellen Rechtskenntnisse vorhanden sein müssen, sondern generell eine Vertretung erfolgen soll, ohne dass spezielle Behördenverfahren, Gerichtsverfahren notwendig sind, stellt es eine unzulässige Diskriminierung dar.

§279 Abs3 2. Satz ABGB stellt daher eine unzulässige Diskriminierung dar. Die Aufhebung des §279 Abs3 2. Satz ABGB hätte auch nicht zur Folge, dass bei Nichtverfügbarkeit einer geeigneten, nahestehenden Person immer ein geeigneter Verein als Sachwalter zu bestellen wäre, da für eine derartige Bestellung weiterhin die Zustimmung des Vereins gem. §279 Abs3 1. Satz ABGB notwendig wäre.

6.1.4. Entsprechend ist aus den gleichen Gesichtspunkten §274 Abs2 ABGB in der Fassung BGBI römisch eins 2006/92) aufzuheben.

6.1.5. Da Gerichte an die verfassungskonforme und nicht diskriminierende Auswahl der Sachwalter gebunden sind – und dies auch in der Regel so handhaben –, kann durch die Aufhebung von §279 Abs3 2. Satz ABGB die Diskriminierung beseitigt werden.

Durch Aufhebung dieser Bestimmung kommt es dann in Fällen, in denen eine bloße Personenbetreuung zu übernehmen ist, zu einer gleichmäßigen Verteilung dieser Bürgerpflicht auf alle Bürger und nicht auf eine spezielle Gruppe, was ohnehin ein unzulässiges Sonderopfer wäre.

6.2. Verletzung in Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG):

Ein Gesetz entspricht dann nicht dem Gleichheitssatz, wenn die in Betracht kommende Regelung sachlich nicht gerechtfertigt ist. Jede unsachliche Unterscheidung ist, unter dem Winkel des Gleichheitssatzes, verfassungswidrig vergleiche VfSlg 11.013/1986).

6.2.1. Die zwangsweise Bevorzugung von Rechtsanwälten bei der Bestellung von Sachwaltern ohne Rücksicht darauf, ob die Besorgung der Angelegenheiten besondere Rechtskenntnisse erfordert, ist eine unzulässige Benachteiligung. Dass eine normale Personenbetreuung von einer Vielzahl von Staatsbürgern durchführbar ist, ist ohnehin unstrittig. In vielen besonderen Betreuungsfällen werden sogar sonstige Personen befähigter sein als ein Rechtsanwalt. Besondere Persönlichkeitsmerkmale von zu betreuenden Personen können hier auch besondere Betreuer erfordern, wie dies auch §279 Abs4 ABGB zum Ausdruck bringt, in dem dieser normiert, dass ein geeigneter Verein vor allem dann zu bestellen ist, wenn sonst besondere Anforderungen mit der Sachwalterschaft verbunden sind. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung zu Recht ausführt, liegt der bedeutende Unterschied darin, ob aufgrund einer besonderen Situation die besonderen Kenntnisse des Rechtsanwalts einzusetzen sind. Diese Fälle sind hier außer Betracht zu lassen, da dies in §279 Abs4 ABGB ohnehin geregelt wird.

Ist dies aber nicht der Fall, ist es eine unsachliche Behandlung, wenn Anwälte bestellt werden, obwohl eine Vielzahl von sonstigen Bürgern in gleicher Weise hierzu in der Lage sind und dies vielleicht sogar besser machen können. Warum werden sonstige fähige Personen dieser Republik nicht in gleicher Weise hier herangezogen? Eine sachliche Begründung lässt sich hierfür nicht finden.

6.2.2. Es stellt ebenso eine unsachliche undifferenzierte Behandlung dar, wenn die in §279 Abs3 1. Satz ABGB genannten Vereine nur mit Zustimmung derselben zum Sachwalter bestellt werden können, Rechtsanwälte hingegen ohne Zustimmung zum Sachwalter bestellt werden. Während die Vereine ohne sachliche Begründung die Zustimmung verweigern können, können Rechtsanwälte nur in den sehr engen Grenzen des §274 Abs2 ABGB eine Unzumutbarkeit der Sachwalterschaft darlegen. Warum wird den Vereinen eine grundlose Verweigerung der Zustimmung ermöglicht, dem Anwalt jedoch nur innerhalb sehr enger Grenzen eine Unzumutbarkeit der Sachwalterschaft zugebilligt? Wenn schon der Grundsatz lautet, dass Lasten gleichmäßig nach sachlichen Gesichtspunkten zu verteilen sind, müssen entweder sowohl Rechtsanwälte als auch der Verein für Sachwalterschaften die Möglichkeit haben, Bestellungsanträge (grundlos) abzulehnen oder beide haben diese Möglichkeit nicht. Diese unterschiedliche Behandlung ist sachlich nicht zu rechtfertigen, weshalb §279 Abs3 2. Satz ABGB aufzuheben ist.

6.3. Willkür bei der Auswahl der Rechtsanwälte als Sachwalter, Verletzung von Art14 EMRK:

Eine Diskriminierung gem. Art14 EMRK setzt voraus, dass Personen in vergleichbaren Situationen ungleich behandelt werden. Nach der Rsp des OGH (3 Ob 55/16h; vergleiche auch RS0129266 und RS0123440 [T10]) ist eine iSd §86 Geo geführte Liste nur als Vorschlag anzusehen. Rechtsanwälte, welche als Sachwalter zu bestellen sind, befinden sich alle in vergleichbaren Situationen, da alle zur Bestellung als Sachwalter gleich geeignet sind. Durch den Umstand, dass nach dem OGH die iSd §86 Geo geführte Liste bloß als Vorschlag zu verstehen ist und ansonsten keinerlei Kriterien bestehen, welche zur Bestellung eines Rechtsanwalts als Sachwalter heranzuziehen sind, kann die Bestellung eines Rechtsanwalts als Sachwalter willkürlich erfolgen, wodurch Personen in vergleichbaren Situationen ungleich behandelt werden.

[…]

Da somit Personen in vergleichbaren Situationen ungleich behandelt werden, liegt eine Diskriminierung gem. Art14 EMRK vor."

5.           Die Bundesregierung hat zu beiden Verfahren ihre im Verfahren G197/2015 erstattete Äußerung vorgelegt, in der sie jeweils die Zurückweisung des Antrags, in eventu seine Ablehnung bzw. Abweisung beantragt.

5.1.       Im Verfahren G197/2015 bestritt die Bundesregierung zunächst die Zulässigkeit des Antrags, da dieser – bloß auf einzelne Worte bezogen – zu eng gefasst war.

5.2.       In der Sache brachte die Bundesregierung im Verfahren G197/2015 Folgendes vor:

"Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist vergleiche zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung geht davon aus, dass diese Rechtsprechung auch auf den Parteiantrag auf Normenkontrolle gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG übertragbar ist und beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art4 EMRK (Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit) in Verbindung mit Art14 EMRK:

1.1. Der Antragsteller behauptet auf das Wesentliche zusammengefasst eine unterschiedliche Behandlung von Rechtsanwälten und sonstigen Personen, weil letztere nur mit deren Zustimmung zum Sachwalter bestellt werden könnten, während Rechtsanwälte hingegen gemäß §279 Abs3 ABGB zur Übernahme einer Sachwalterschaft auch ohne ihre Zustimmung grundsätzlich verpflichtet seien. Dies stelle in jenen Fällen eine ungerechtfertigte Diskriminierung dar, in denen die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person nicht iSd. §279 Abs4 ABGB vorwiegend Rechtskenntnisse erfordere.

1.2. Der Antragsteller wendet sich nicht gegen die Verpflichtung von Rechtsanwälten zur Übernahme von Sachwalterschaften an sich. Die Bundesregierung weist dennoch darauf hin, dass diese Verpflichtung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht als Zwangs- und Pflichtarbeit iSd. Art4 Abs2 EMRK gilt, sondern eine 'aus der sozialen Verantwortung der Gesellschaft für besonders schutzbedürftige Personen abgeleitete Bürgerpflicht im Sinne des Art4 Abs3 litd EMRK' (VfSlg 19.532/2011). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat — auf Grund einer Beschwerde des Antragstellers auch des vorliegenden Verfahrens — ausgesprochen, dass die Verpflichtung, als Sachwalter tätig zu sein, keine Verletzung von Art4 Abs2 EMRK darstellte (EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2011, Graziani-Weiss gegen Österreich, Appl. 31950/06, Rz. 41). In diesem Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch ausgesprochen, dass für die Zwecke der Bestellung zum Sachwalter in Fällen, in denen eine rechtliche Vertretung der behinderten Person erforderlich ist, die Berufsgruppe der Rechtsanwälte und Notare einerseits und die anderer Personen mit einer juristischen Ausbildung andererseits sich nicht in ähnlichen Situationen befinden, sodass auch keine Verletzung des Art4 Abs2 in Verbindung mit Art14 EMRK vorlag (Rz 65).

1.3. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass vergleichbare Überlegungen auch für jene Fälle gelten, in denen die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person nicht iSd. §279 Abs4 ABGB vorwiegend Rechtskenntnis erfordert:

1.3.1. Eine Diskriminierung gemäß Art14 EMRK setzt voraus, dass Personen in vergleichbaren Situationen ungleich behandelt werden. Dient eine differenzierende Behandlung einem legitimen Ziel und besteht zwischen dem angestrebten Ziel und dem eingesetzten Mittel ein angemessenes Verhältnis, so wird Art14 EMRK nicht verletzt (EGMR, Urteil vom 28. Oktober 1987, Inze gegen Österreich, Appl. 8695/79, Rz. 41; Urteil vom 23. Oktober 1990, Darby gegen Schweden, Appl. 11581/85, Rz. 31). Die Konventionsstaaten haben bei der Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß Unterschiede bei sonst gleichen Situationen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, einen gewissen Beurteilungsspielraum (EGMR, Urteil vom 16. September 1996, Gaygusuz gegen Österreich, Appl. 17371/90, Rz. 42).

1.3.2. Rechtsanwälte und Notare sind im Umgang mit Behörden und Ämtern besonders geschult und erfahren. Jeder Rechtsanwalt ist umfassend ausgebildet und kann daher in seiner anwaltlichen Praxis grundsätzlich die gesamte Rechtsordnung 'abdecken'. Folglich ist der für eine allenfalls notwendige Einarbeitung in den Rechtsbereich Kuratel und Sachwalterschaft zu veranschlagende Aufwand an Zeit und Mühe für einen österreichischen Anwalt relativ gering. Rechtsanwälte und Notare sind daher zur Übernahme von Sachwalterschaften unabhängig davon besonders geeignet, ob die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person vorwiegend Rechtskenntnis erfordert oder nicht. Das zeigt auch der Anlassfall, in dem der antragstellende Rechtsanwalt zum Sachwalter zur Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie zur Vertretung bei Ämtern, Gerichten und Sozialversicherungsträgen sowie gegenüber privaten Vertragspartnern bestellt wurde (der Antragsteller geht selbst davon aus, dass dafür keinerlei Rechtskenntnisse erforderlich sind; Antrag S 9). Rechtsanwälte und Notare unterstehen überdies einem strengen Disziplinarrecht, was eine ordnungsgemäße Ausübung der Sachwalterschaft gewährleistet.

Es ist auch sichergestellt, dass die Ausübung der Sachwalterschaft durch Rechtsanwälte im Verhältnis zu ihrer sonstigen beruflichen Tätigkeit im Regelfall nur eine relativ untergeordnete Bedeutung einnehmen wird: Zum einen ermöglicht §86 Abs2 Geo., dass Sachwalterschaften innerhalb der Berufsgruppen der Rechtsanwälte und Notare gleichmäßig verteilt werden und für die einzelnen Angehörigen dieser Berufsgruppen folglich nur selten anfallen. Zum anderen kann ein Rechtsanwalt oder Notar gemäß §274 Abs2 ABGB die Übernahme einer Sachwalterschaft ablehnen, wenn ihm diese nicht zugemutet werden kann.

Nach Ansicht der Bundesregierung ist daher die grundsätzliche Verpflichtung von Rechtsanwälten zur Übernahme von Sachwalterschaften auch in jenen Fällen, in denen die Besorgung der Angelegenheit nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, sachlich gerechtfertigt. Eine Verletzung des Art4 in Verbindung mit Art14 EMRK liegt nicht vor.

2. Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz:

2.1. Der Antragsteller behauptet auf das Wesentliche zusammengefasst auch eine unsachliche Ungleichbehandlung, weil Rechtsanwälte zur Übernahme von Sachwalterschaften grundsätzlich verpflichtet seien, obwohl eine Vielzahl von sonstigen Bürgern hierzu in gleicher Weise (oder sogar besser) in der Lage seien. Es stelle auch eine unsachliche Ungleichbehandlung dar, das[s] Sachwaltervereine im Unterschied zu Rechtsanwälten nur mit deren Zustimmung zum Sachwalter bestellt werden könnten.

2.3. Die Bundesregierung verweist zunächst auf ihre Ausführungen zu Pkt. römisch III.1. Hinsichtlich der behaupteten unsachlichen Ungleichbehandlung zwischen Rechtsanwälten und Sachwaltervereinen weist die Bundesregierung ergänzend auf Folgendes hin:

Nach den oben Pkt. 1.5. zitierten Gesetzesmaterialien zum SWRÄG 2006 sind Sachwaltervereine im Gegensatz zu Rechtsanwälten (und Notaren) nicht zur Übernahme von Sachwalterschaften verpflichtet, weil diese Vereine auch andere Aufgaben haben als hauptamtliche Mitarbeiter für Sachwalterschaften namhaft zu machen (wie etwa das Clearing, die Anregerberatung, die Anleitung und die Überwachung ehrenamtlicher Sachwalter; vergleiche §§3 und 4 VSPBG und dazu ErIRV 1420 BIgNR 22. GP 32). Auch hat das Amt eines Sachwalters nach der Rechtstradition der Rechtsanwälte und Notare den Charakter eines 'officium nobile'. Weiters unterliegen Sachwaltervereine — anders als die beiden genannten Rechtsberufe — hinsichtlich der Erfüllung ihrer Berufspflichten nicht einer disziplinarrechtlichen Verantwortung. Die Zustimmung des Vereins zur Bestellung als Sachwalter ist schließlich auch deshalb vorgesehen, weil die Nachfrage nach Vereinssachwalterschaft das diesbezügliche Angebot — auch wegen knapper budgetärer Mittel — seit jeher wesentlich überschreitet. Sachwaltervereine sollen aber keineswegs die gesamte Nachfrage nach Sachwaltern abdecken; vielmehr wird von den Gesetzesmaterialien zum SWRÄG 2006 ein Zielwert von etwa 20-25% angegeben (ErIRV 1420 BIgNR 22. GP 33).

Dies rechtfertigt nach Auffassung der Bundesregierung, dass Rechtsanwälte und Notare im Unterschied zu Sachwaltervereinen auch ohne deren Zustimmung als Sachwalter bestellt werden können.

3. Abschließend weist die Bundesregierung darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität des §274 Abs2 und des §279 Abs3 ABGB bestehen; nach dieser Rechtsprechung verstoßen die besonderen Vorschriften für die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Sachwalter weder gegen Art4 EMRK noch gegen den Gleichheitssatz (zuletzt OGH 29.1.2015, 6 Ob 219/14w mwN).

4. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtenen Bestimmungen nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig sind.

[…]"

römisch IV.         Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO in Verbindung mit §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1.           Zur Zulässigkeit der Anträge

1.1.       Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 78 aus 2016, kann eine Person, die als Partei von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2.       Die vorliegenden Anträge wurden aus Anlass von Rekursen gegen erstinstanzliche Beschlüsse des Bezirksgerichtes Linz gestellt. Mit diesen Beschlüssen wurden Rechtssachen in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden.

1.3.       Die Antragsteller sind Parteien des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit sie zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG berechtigt sind.

1.4.       Dem Erfordernis der Einbringung der Anträge aus Anlass eines Rechtsmittels haben die Antragsteller jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass sie die vorliegenden Anträge und das Rechtsmittel gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Linz jeweils am selben Tag erhoben und eingebracht haben vergleiche VfSlg 20.074/2016).

1.5.       Das Bezirksgericht Linz hat in beiden Verfahren mitgeteilt, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.

1.6.       Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

1.7.       Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf vergleiche VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

1.8.       Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit der Antragsteller solche Normen anficht, die präjudiziell sind und mit präjudiziellen Bestimmungen in untrennbarem Zusammenhang stehen; dabei darf aber nach §62 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua.; vergleiche auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103-104/2016 ua.). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua.).

1.9.       Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des Antragstellers den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfGH 2.12.2016, G105/2015). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle eines ganzen Gesetzes), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua.).

1.10.     Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen vergleiche zB VfSlg 19.939/2014; VfGH 11.10.2016, G418/2015), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.

1.11.     In seiner Entscheidung G197/2015 vom 26. November 2015 hat der Verfassungsgerichtshof einen Antrag desselben Antragstellers wie im zu G403/2016 protokollierten Verfahren in Bezug auf §274 Abs2 ABGB sowie auf die Wortfolge "mit dessen Zustimmung" in §279 Abs3 erster Satz ABGB als zu eng gefasst zurückgewiesen. Nunmehr wird der gesamte §274 Abs2 ABGB angefochten, der die Voraussetzungen regelt, unter denen ein Rechtsanwalt die Bestellung zum Sachwalter ablehnen kann. In §279 Abs3 ABGB wird nunmehr der zweite Satz angefochten, der die Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Sachwalter regelt, wenn ein Verein nicht in Betracht kommt.

1.12.      Die Bundesregierung hat die bereits im Verfahren G197/2015 erstattete Äußerung – zu einem anderen Anfechtungsumfang als in den vorliegenden Anträgen – neuerlich vorgelegt, in der sie ausgeführt hat, dass die Aufhebung des gesamten §279 Abs3 ABGB hätte beantragt werden müssen. Damit ist die Bundesregierung jedoch nicht im Recht, da der erste Satz nur die Bestellung eines geeigneten Vereins zum Sachwalter regelt und erst der zweite Satz die Bestellung eines Rechtsanwaltes oder Notares vorsieht. Der Aufhebungsumfang ist daher in Bezug auf §279 Abs3 zweiter Satz ABGB richtig abgegrenzt.

1.13.     Auch ist die Bundesregierung nicht im Recht, wenn sie vermeint, dass §279 Abs4 ABGB mit anzufechten war. Wie der Verfassungsgerichtshof dargelegt hat, betrifft diese Bestimmung Fälle, in denen die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert (VfGH G197/2015, 26.11.2015). Diese Bestimmung wurde in den Anlassverfahren nicht angewendet.

1.14.     Die Anträge erweisen sich daher insgesamt als zulässig.

2.            In der Sache

2.1.        Die Antragsteller behaupten, dass die angefochtenen Bestimmungen dem Gleichheitssatz widersprächen und eine verfassungswidrige unsachliche Differenzierung vorsähen. Während gemäß §279 Abs3 letzter Satz ABGB alle anderen geeigneten Personen nur mit deren Zustimmung zum Sachwalter bestellt werden könnten, seien Rechtsanwälte ohne ihre Zustimmung verpflichtet. Nach Auffassung der Antragsteller liege eine unzulässige Diskriminierung in allen Fällen vor, in denen aber gerade keine speziellen Rechtskenntnisse vorhanden sein müssten, sondern generell eine Vertretung erfolgen solle, ohne dass spezielle Behördenverfahren, oder Gerichtsverfahren notwendig seien.

2.2.        Eine Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen führe nicht dazu, dass immer ein geeigneter Verein als Sachwalter zu bestellen sei, da hier weiterhin die Zustimmung des Vereins gemäß §279 Abs3 erster Satz ABGB notwendig wäre, sondern es käme zu einer gleichmäßigen Verteilung dieser Bürgerpflicht auf alle Bürger und nicht auf eine spezielle Gruppe, was – den Antragstellern zufolge – ohnehin ein unzulässiges Sonderopfer wäre.

2.3.        Der Antragsteller zu G403/2016 hat wegen einer Bestellung zum Sachwalter im Jahr 2005 bereits eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben.

2.3.1.   In der Beschwerde behauptete er die Verletzung von Art4 und Art14 EMRK in Verbindung mit Art4 EMRK, da die Pflicht zur Tätigkeit als Sachwalter einerseits das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit verletze, andererseits die Begrenzung dieser Tätigkeit auf Rechtsanwälte und Notare und deren Mitarbeiter eine diskriminierende Behandlung sei.

2.3.2.   Im Urteil vom 18. Oktober 2011 (Fall Graziani-Weiss, Appl. 31950/06) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weder eine Verletzung von Art4 EMRK, noch von Art14 EMRK in Verbindung mit Art4 EMRK festgestellt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kam vielmehr zum Ergebnis, dass die Last des Beschwerdeführers, der sich bei seiner Berufswahl im Klaren darüber sein musste, dass er unter bestimmten Umständen zu einer Sachwalterschaft verpflichtet werden könne, nicht unverhältnismäßig erscheine.

2.3.3.   Weiters hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgehalten, dass zwar Art14 in Verbindung mit Art4 EMRK im vorliegenden Fall Anwendung finde, weshalb zu prüfen sei, ob die Begrenzung der Verpflichtung zu einer Sachwalterschaft auf Rechtsanwälte und Notare und deren Mitarbeiter eine diskriminierende Behandlung sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kam zum Schluss, dass diese Verpflichtung nur dann maßgeblich werde, wenn der jeweilige Fall Rechtskenntnis erfordere oder wenn keine Verwandten oder Mitglieder des Vereins für Sachwalterschaft für eine solche Tätigkeit verfügbar seien. In seinem Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weiters ausgeführt, dass es auch einen wesentlichen Unterschied zwischen der Berufsgruppe der praktizierenden Anwälte gebe, deren Rechte und Pflichten durch spezielle Gesetze und Vorschriften geregelt seien, und der Gruppe anderer Personen, die zwar ein rechtswissenschaftliches Studium absolviert und eine juristische Berufsausbildung erhalten hätten, aber nicht als praktizierende Rechtsanwälte arbeiteten.

2.4.        Die Antragsteller sind mit ihrem Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und der daraus gezogenen Schlussfolgerung, dass eine Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Sachwalter nur in jenen Fällen zulässig sei, in denen die speziellen Rechtskenntnisse eines Rechtsanwaltes erforderlich seien, nicht im Recht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat vielmehr in dieser Entscheidung gerade betont, dass die Verpflichtung dann maßgeblich werde, wenn entweder der jeweilige Fall Rechtskenntnis erfordere oder wenn keine Verwandten oder Mitglieder eines Vereins für die Sachwalterschaft verfügbar seien. Der letztgenannte Fall liegt auch den Anträgen zugrunde. Die Vertretung durch einen Sachwalter ist notwendig, allerdings nicht, weil Rechtskenntnisse erforderlich sind, sondern weil keine Verwandten oder Mitglieder eines Vereins verfügbar sind.

Die angefochtenen Bestimmungen verstoßen daher nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art14 EMRK in Verbindung mit Art4 EMRK.

2.5.        Die Antragsteller behaupten auch die Verletzung des in Art7 B-VG geregelten Gleichheitsgrundsatzes durch die angefochtenen Bestimmungen. Eine Vielzahl von Staatsbürgern könnten die Aufgaben des Sachwalters erfüllen. Es würde genügen, in jenen Fällen, in denen besondere Rechtskenntnisse erforderlich seien, eine Verpflichtung von Rechtsanwälten vorzusehen, wie dies in §279 Abs4 ABGB ohnehin geregelt sei. Während Vereine nur mit Zustimmung zum Sachwalter bestellt werden könnten, sei eine Unzumutbarkeit der Übernahme bei Rechtsanwälten nur in den sehr engen Grenzen des §274 Abs2 ABGB möglich.

2.5.1.   Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen vergleiche zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002). Diese Schranken sind im vorliegenden Fall nicht überschritten. Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003).

2.5.2.   Bei der Bestellung eines Sachwalters in Fällen, in denen nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind, soll nach der Bestimmung des §279 Abs3 ABGB erst dann ein Rechtsanwalt bestellt werden, wenn weder eine geeignete, nahe stehende Person verfügbar ist noch ein geeigneter Verein in Betracht kommt.

2.5.3.   §274 Abs2 ABGB sieht die Möglichkeit der Ablehnung der Übernahme der Sachwalterschaft durch einen Rechtsanwalt oder Notar nur dann vor, wenn diese ihm unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann, was bei mehr als fünf Sachwalterschaften vermutet wird. Ob eine derartige Unzumutbarkeit der Bestellung zum Sachwalter vorliegt, ist also jeweils im Einzelfall zu prüfen, wenn der Rechtsanwalt dies behauptet. Die Unzumutbarkeit kann der Rechtsanwalt gegen eine Bestellung zum Sachwalter im Rechtsweg geltend machen, wie es die beiden Antragsteller in den den Parteianträgen zugrunde liegenden Verfahren auch getan haben. Die gesetzliche Vermutung der Unzumutbarkeit liegt bei mehr als fünf Sachwalterschaften vor.

2.5.4.   Der Verfassungsgerichtshof teilt die Auffassung des Obersten Gerichtshofes (zuletzt OGH 29.1.2015, 6 Ob 219/14w mit Verweis auf OGH 1.4.2008, 10 Ob 18/08g, Sz 2008/37), wonach die bloß subsidiäre Bestellung eines Rechtsanwaltes oder Notares und die in §274 Abs2 ABGB vorgesehene Ablehnungsmöglichkeit die angefochtenen Bestimmungen nicht unsachlich erscheinen lassen. Die Bestellung eines Rechtsanwaltes oder Notares in Fällen, in denen keine besonderen Rechtskenntnisse erforderlich sind, ist in zweifacher Weise eingeschränkt. Ein Rechtsanwalt oder Notar kommt erst in jenen Fällen als Sachwalter in Frage, in denen die Vertretung notwendig ist. Rechtsanwälte und Notare sind damit nur subsidiär zu Sachwaltervereinen zum Sachwalter zu bestellen. Darüber hinaus ist für die Übernahme von Sachwalterschaften die Grenze der Zumutbarkeit verbunden mit einer Ablehnungsmöglichkeit vorgesehen. Ob dies vorliegt, ist im Einzelfall zu prüfen, wenn der Rechtsanwalt die Unzumutbarkeit behauptet. Bei mehr als fünf Sachwalterschaften besteht jedenfalls eine gesetzliche Vermutung der Unzumutbarkeit (§274 Abs2 letzter Satz ABGB).

2.5.5.   Im Hinblick auf die behauptete Unsachlichkeit in Bezug auf Sachwaltervereine ist vorauszuschicken, dass die Verpflichtung zur Übernahme der Tätigkeit eines Sachwalters grundsätzlich als eine aus der sozialen Verantwortung der Gesellschaft für besonders schutzbedürftige Personen abgeleitete Bürgerpflicht im Sinne des Art4 Abs3 litd EMRK zu verstehen ist (VfSlg 19.543/2011). Sodann ist festzuhalten, dass Sachwaltervereine vielfältige Aufgaben haben und – anders als Rechtsanwälte und Notare – nicht einer disziplinarrechtlichen Verantwortung unterliegen und die Ausübung der Funktion eines Sachwalters nach der Rechtstradition eine herkömmlich von Rechtsanwälten und Notaren besorgte Tätigkeit mit dem Charakter eines Diensts an der Allgemeinheit und der Rechtspflege ist (zum Selbstverständnis der Berufe des Rechtsanwaltes oder Notars vergleiche auch die unter Punkt 2.5.4. zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes). Überdies kommt dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes eine besondere Rolle bei der Wahrung des Vertrauens in die Rechtspflege zu (s. VfSlg 16.436/2002 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

2.5.6.   Die angefochtenen Bestimmungen des §279 Abs3 zweiter Satz ABGB und des §274 Abs2 ABGB widersprechen daher auch nicht dem Gleichheitsgrundsatz nach Art7 B-VG.

2.5.7.   Mit ihrem Vorbringen, dass die Bestellung zum Sachwalter willkürlich erfolge, weil den Antragstellern auch Rechtsanwälte in Linz bekannt seien, die in den letzten eineinhalb Jahren nicht zum Sachwalter bestellt worden seien, wenden sie sich der Sache nach aber nur gegen die Vorgangsweise der Gerichte bei Anwendung des Gesetzes, machen also der Sache nach lediglich Vollzugsmängel geltend. Solche Bedenken sind indes unzulässig, weil der Verfassungsgerichtshof nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG allein über die "Verfassungswidrigkeit […] von Gesetzen", nicht aber über allfällige Vollzugsfehler befindet. Die Entscheidung eines Gerichtes ist nicht Prüfungsgegenstand in Verfahren nach Art140 B-VG vergleiche VfGH 2.7.2015, G145/2015; 26.2.2016, G179/2015 ua.).

römisch fünf.           Ergebnis

1.           Die ob der Verfassungsmäßigkeit des §279 Abs3 zweiter Satz ABGB und des §274 Abs2 ABGB erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Die Anträge sind daher abzuweisen.

2.           Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2017:G403.2016