Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

24.11.2016

Geschäftszahl

E1085/2016 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Antrags einer aus dem Kosovo stammenden Familie auf internationalen Schutz und Feststellung der Zuständigkeit Sloweniens sowie Anordnung der Außerlandesbringung mangels Auseinandersetzung mit dem Parteivorbringen und der Aktenlage im Hinblick auf das mehrfache Krankheitsbild des Viertbeschwerdeführers und eine Behandlungsmöglichkeit in Slowenien

Spruch

römisch eins. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz Bundesgesetzblatt Nr 390 aus 1973,) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

römisch II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.139,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

römisch eins.           Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.           Im Jahr 2015 reisten der Erstbeschwerdeführer und seine schwangere Ehepartnerin (Zweitbeschwerdeführerin) sowie ihre beiden minderjährigen Kinder (Dritt- und Viertbeschwerdeführer) in das Bundesgebiet ein und beantragten internationalen Schutz. Die allesamt aus dem Kosovo stammenden beschwerdeführenden Parteien begründeten die hier maßgeblichen Anträge im Wesentlichen mit der schwierigen gesundheitlichen Situation des Viertbeschwerdeführers, der seit Geburt u.a. an einem großen Leistenbruch, verkrümmten Füßen und nach innen geneigten Beinen sowie einem Herzfehler leide. Eine medizinische Behandlung sei im Kosovo nicht möglich gewesen. In der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 23. Februar 2016 legte die Zweitbeschwerdeführerin "diverse ärztliche Unterlagen" vor und brachte zum gesundheitlichen Zustand insbesondere vor, dass wegen des Leistenbruchs bereits eine Operation stattgefunden habe; wegen der anderen Leiden des Viertbeschwerdeführers seien noch weitere Operationen notwendig. Hinsichtlich dem "Loch im Rücken" stünde am 2. März 2016 ein Untersuchungstermin an; hinsichtlich der deformierten Beine stünde zunächst für das rechte Bein bereits der Operationstermin mit 10. Mai 2016 fest – zur Einsetzung von Knochenteilen. Medikamente nehme der Viertbeschwerdeführer derzeit keine, habe aber Schienen für die Beine eingesetzt bekommen. Derzeit würde die Familie bei dem in Österreich wohnhaften und aufenthaltsberechtigten Bruder des Erstbeschwerdeführers leben, der sie momentan finanziell erhalte.

Bezüglich der Zuständigkeit für das Verfahren über internationalen Schutz ergab eine "Eurodac"-Abfrage jeweils einen Treffer der "Kategorie 1" mit Slowenien. Diesbezüglich gab das beschwerdeführende Ehepaar an, sich ungefähr einen Monat in Slowenien aufgehalten, dort aber keine ausreichende Heilbehandlung für ihr krankes Kind erhalten zu haben. In Slowenien hätten sie keinen Asylantrag stellen wollen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete ein Konsultationsverfahren mit Slowenien ein und stellte am 18. November 2015 ein Wiederaufnahmeersuchen an Slowenien gestützt auf Art18 Abs1 litb der Verordnung (EU) Nr 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin-III-VO), ABl. 2013 L 180, 31 ff. Der Rückübernahme der beschwerdeführenden Parteien stimmte die slowenische Dublin-Behörde mit Schreiben vom 20. November 2015 gestützt auf Art18 Abs1 litd Dublin-III-VO zu.

2.           Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die Anträge auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 11. April 2016 in einem Spruchpunkt römisch eins. "ohne in die Sache einzutreten gemäß §5 Absatz 1 Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 100 aus 2005, (AsylG) idgF" als unzulässig zurück und stellte die Zuständigkeit Sloweniens fest. In einem Spruchpunkt römisch II. ordnete es "[g]emäß §61 Absatz 1 Fremdenpolizeigesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 100 aus 2005, (FPG) idgF" die Außerlandesbringung an und befand die Abschiebung nach Slowenien für zulässig. Die Begründung stützt sich im Kern auf den "Eurodac"-Treffer, das slowenische Rückübernahmeschreiben sowie einschlägige Länderfeststellungen zu Slowenien. Die Zuständigkeit Sloweniens ergebe sich aus der dortigen Asylantragstellung. Grundrechtsverletzungen verneint die Verwaltungsbehörde mit näherer Begründung. Hinsichtlich der gesundheitlichen Situation des Viertbeschwerdeführers sei zwar festzustellen, dass dieser laut ärztlichen Diagnosen an einer "Deformität der unteren Extremität" sowie "beidseitig an einer Klumpfußstellung leid[e] und der Verdacht auf occulte Spina bifida sowie auf ein caudales Regressionssyndrom besteh[e]". Dass dringliche bzw. unaufschiebbare ärztliche Behandlungen, beispielsweise in Form von Operationen, anstünden, habe sich aber nicht ergeben. Weder sei eine Integrationsverfestigung ersichtlich noch bestehe zum Bruder des Erstbeschwerdeführers, bei dem die Familie vorübergehend wohne, ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis oder eine besonders intensive Beziehung.

3.           Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – ab. Mit näherer Begründung befindet es Slowenien für die inhaltliche Prüfung der Anträge für zuständig und das in Art17 Abs1 Dublin-III-VO vorgesehene Selbsteintrittsrecht für nicht einschlägig, da keine einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehende Grundrechtsverletzung zu befürchten sei. Hinsichtlich Art8 EMRK erkennt das Bundesverwaltungsgericht mangels eines "besondere[n] Abhängigkeitsverhältnis[ses] in finanzieller oder sonstiger Hinsicht" kein zu beachtendes Familienleben zwischen den beschwerdeführenden Parteien und dem erwachsenen Bruder des Erstbeschwerdeführers. Auch sonst deute nichts auf eine außergewöhnliche Integration hin.

Im Hinblick auf das Refoulementverbot seien auf Grund der Länderberichte keine schwerwiegenden Defizite bzw. systemische Mängel im slowenischen Asylverfahren ersichtlich. Auch die Beschwerde habe keine entsprechenden Schwächen glaubhaft machen können. Die beschwerdeführenden Parteien seien lediglich zum Zweck der medizinischen Versorgung des Viertbeschwerdeführers nach Österreich gereist. In diesem Zusammenhang nehme die – näher bezeichnete – höchstgerichtliche Judikatur Verstöße gegen Art3 EMRK durch eine Aufenthaltsbeendigung nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände an. Die Erst- und Drittbeschwerdeführer wären aber überhaupt nicht gesundheitlich beeinträchtigt, die Zweitbeschwerdeführerin sei komplikationslos schwanger und der Viertbeschwerdeführer befinde sich "derzeit weder in stationärer Spitalsbehandlung, noch [sei] sein Zustand als akut lebensbedrohlich einzustufen". Diesbezüglich verweist das Bundesverwaltungsgericht auf eine in der Schilderung des bisherigen Verfahrensherganges erwähnte medizinische Anfrage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 2. März 2016 bezüglich des Viertbeschwerdeführers. Aus dem vom Bundesverwaltungsgericht als "medizinisches Gutachten zur Transportfähigkeit" bezeichneten Dokument sei Folgendes ersichtlich:

"[D]essen Verbringung in die Slowakei (gemeint offenbar Slowenien) [sei] sowohl am Luftweg als auch am Landweg möglich […], dies ohne begleitende Maßnahmen im Falle einer Überstellung. Eine Heilung der Krankheitszustände sei möglich, es seien noch weitere chirurgische Behandlungen geplant."

Hinsichtlich der gesundheitlichen Situation des Viertbeschwerdeführers stellt das Bundesverwaltungsgericht sodann förmlich fest:

"Der Viertbeschwerdeführer leidet an einer Klumpfußstellung. Es besteht weiters der Verdacht au[f] occulte spina bifida und ein caudales Regressionssyndrom. Er wurde wegen eines Leistenbruchs bereits in Österreich operiert. Diese Operation verlief komplikationslos. Weitere Operationen sind geplant. Derzeit befindet sich der Viertbeschwerdeführer weder in stationärer Spitalsbehandlung noch kann festgestellt werden, dass er sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet. Ein Hinweis auf den von den Kindeseltern bei der Erstbefragung angegebenen Herzfehler des Viertbeschwerdeführers kann den zahlreichen vorgelegten medizinischen Befunden nicht entnommen werden."

Ausgehend davon hätten nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes weder Parteivorbringen noch vorgelegte ärztliche Unterlagen eine "schwerwiegende lebensbedrohliche Erkrankung psychischer oder physischer Natur, welche eine Außerlandesbringung der Beschwerdeführer nach Slowenien unzulässig machen würde", dargelegt. Diesbezüglich führt das Bundesverwaltungsgericht schließlich die wiedergegebenen Länderfeststellungen an, wonach um internationalen Schutz ansuchende Personen "in Slowenien jedenfalls das Recht auf medizinische Notversorgung und in Einzelfällen auf medizinische Allgemeinversorgung" zukomme.

4.           Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere auf "Gleichbehandlung von Fremden untereinander"; "Durchführung eines fairen Verfahrens, insbesondere des mündlichen Verfahrens und einer Vertretung durch einen Rechtsbeistand sowie Manuduktion durch das rechtsfindende Organ"; "Schutz vor grausamer oder unmenschlicher Behandlung"; "Schutz vor Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung" sowie "Verbot des Missbrauchs der Rechte" behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Mit der medizinischen Kondition des Viertbeschwerdeführers habe sich die Behörde lediglich oberflächlich auseinandergesetzt. Aus den im Zuge der Einvernahmen vorgelegten und der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beiliegenden medizinischen Befunden ergebe sich, dass dieser unter multiplen medizinischen Defiziten leide, welche in Österreich eine spezielle Behandlung erfordern. Im Falle einer Verbringung stehe zu erwarten, dass sich dessen Gesundheitszustand weiter verschlechtere und unter Umständen auch der Tod eintreten könne. Eine adäquate medizinische Versorgung sei im Kosovo keinesfalls, aber auch in Slowenien kaum möglich. Die Versagung medizinischer Hilfe käme einer "'grausame[n] Behandlung'" im Sinne des Art3 EMRK gleich. Des Weiteren sei mit näherer Begründung die Dublin-III-VO unrichtig angewandt, die asylrechtliche Situation in Slowenien falsch beurteilt sowie eine mündliche Verhandlung und Manuduktion zu Unrecht unterlassen worden.

5.           Das Bundesverwaltungsgericht legte die Bezug habenden Akten vor, ohne eine Gegenschrift zu erstatten.

römisch II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, Bundesgesetzblatt 390 aus 1973,, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht vergleiche zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, Bundesgesetzblatt 390 aus 1973,, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. In Bezug auf den Viertbeschwerdeführer trifft das Bundesverwaltungsgericht zunächst die Feststellung, dass der Viertbeschwerdeführer an mehreren gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet, darunter "eine[…] Klumpfußstellung. Es besteht weiters der Verdacht au[f] occulte spina bifida und ein caudales Regressionssyndrom."

Weiters wird festgestellt, dass – neben einer bereits erfolgten, komplikationslos verlaufenen Operation wegen eines Leistenbruchs – weitere Operationen geplant sind. Der Viertbeschwerdeführer befinde sich derzeit aber weder in stationärer Spitalsbehandlung noch könne ein lebensbedrohlicher Zustand festgestellt werden. In der Beweiswürdigung gibt das Bundesverwaltungsgericht an, dass sich die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Viertbeschwerdeführers aus den im Verfahren vorgelegten medizinischen Befunden ergeben. Weiters hält das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung fest: "Diesbezüglich wurde kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art3 EMRK zu tangieren (siehe Punkt römisch II. 3.3.3.)."

In dem verwiesenen Punkt im Rahmen der rechtlichen Begründung führt das Bundesverwaltungsgericht – nach längerer Wiedergabe allgemeiner Rechtsprechung insbesondere des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Frage, wann durch die Überstellung eines Asylwerbers diesem eine existenzbedrohende Situation drohe und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin-III-VO zwingend auszuüben wäre – im Hinblick auf den Viertbeschwerdeführer folgendes aus:

"Der Viertbeschwerdeführer wurde in Österreich bereits wegen eines Leistenbruchs operiert. Er leidet weiters seit Geburt an einer angeborenen Klumpfußstellung und besteht der Verdacht auf occulte spina bifida und ein caudales Regressionssyndrom. Er befindet sich derzeit weder in stationärer Spitalsbehandlung, noch ist sein Zustand als akut lebensbedrohlich einzustufen (siehe hierzu auch eingeholtes medizinisches Gutachten zur Transportfähigkeit des Viertbeschwerdeführers)."

Daraus zieht das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung, dass in Bezug auf den Viertbeschwerdeführer keine so schwerwiegende Erkrankung vorliege, die seine Außerlandesbringung nach Slowenien unzulässig machen würde. Asylwerber hätten in Slowenien "jedenfalls das Recht auf medizinische Notversorgung und in Einzelfällen auf medizinische Allgemeinversorgung."

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich damit weder im Rahmen der Beweiswürdigung noch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung mit dem konkreten Krankheitsbild des Viertbeschwerdeführers näher auseinander (zur diesbezüglichen Beachtungspflicht vergleiche VfGH 16.9.2013, U496/2013) noch stellt es nähere Erwägungen zur Frage an, ob und inwieweit die geplanten Operationen im Rahmen der in Slowenien angenommenen Möglichkeit der "medizinische[n] Notversorgung" oder der medizinischen Allgemeinversorgung "in Einzelfällen" zugänglich sind und wie sich gegebenenfalls ein Unterlassen dieser Operationen auf den Gesundheitszustand des Viertbeschwerdeführers auswirken würde (zur Beachtlichkeit von bevorstehenden Operationen vergleiche VfGH 19.9.2014, U634/2013 ua.; zur Ermittlungspflicht bezüglich der Behandelbarkeit von Krankheiten vergleiche VfGH 5.3.2014, U95/2013 ua.; 30.6.2016, E381-382/2016).

Insbesondere vermag der Hinweis des Bundesverwaltungsgerichtes auf ein "medizinisches Gutachten zur Transportfähigkeit" des Viertbeschwerdeführers die rechtlichen Schlussfolgerungen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht zu stützen. Aus dem Akt geht hervor, dass es sich dabei um eine vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeholte, teilweise im Multiple-Choice-Stil gehaltene Anfragebeantwortung handelt. Dabei beziehen sich die Anfrage und damit auch die angekreuzten Antworten dem Wortlaut nach auf die "Slowakei". Zwar legt das Bundesverwaltungsgericht nahe, dass offenbar Slowenien gemeint war; es lässt aber Überlegungen dahingehend vermissen, ob auch dem zur Beurteilung ersuchten Arzt das Zielland bekannt war.

Jedenfalls aber bedarf die Anfragebeantwortung auch sonst einer näheren Würdigung. Aus den vorgefertigten Antwortmöglichkeiten und der angekreuzten Antwort ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ersichtlich, dass weitere Behandlungen geplant sind. Jedenfalls geht aus der Anfragebeantwortung erkennbar Behandlungsbedarf hervor, da sie, wenn auch schwer leserlich und allgemein gehalten, Behandlungsmöglichkeiten – in der Slowakei – in Aussicht stellt. Der konkrete Behandlungsbedarf bleibt dabei jedoch genauso unklar wie die Behandlungsmöglichkeiten nicht näher erläutert sind. Es kann dahinstehen, ob dieser Akteninhalt geeignet ist, die Transportfähigkeit des Viertbeschwerdeführers zu begründen. Jedenfalls lässt sich daraus nicht ableiten, dass im Hinblick auf das vom Bundesverwaltungsgericht selbst festgestellte mehrfache Krankheitsbild des Viertbeschwerdeführers eine Behandlungsmöglichkeit in Slowenien gegeben ist oder dass, wenn eine solche nicht oder nur begrenzt zugänglich sein sollte, daraus für den Viertbeschwerdeführer keine im Hinblick auf Art3 EMRK relevante Beeinträchtigung (zu den maßgeblichen Kriterien siehe VfSlg 18.407/2008 und 19.086/2010) folgt.

2.3. Indem das Bundesverwaltungsgericht diesbezüglich jede nähere Auseinandersetzung mit dem Parteivorbringen und der Aktenlage vermissen lässt, hat es hinsichtlich der Situation des Viertbeschwerdeführers in einem wesentlichen Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), Bundesgesetzblatt Teil eins, 100 aus 2005, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012,, auf die Entscheidung betreffend die übrigen beschwerdeführenden Parteien durch (s. VfSlg 19.855/2014), weshalb diese hinsichtlich aller beschwerdeführenden Parteien aufzuheben ist.

Im weiteren Verfahren wird auch eine im verfassungsgerichtlichen Verfahren von den beschwerdeführenden Parteien vorgelegte ärztliche Bestätigung zu würdigen sein, der zufolge der Viertbeschwerdeführer an einer "seltenen und schweren" Behinderung leide, die einer nur an "hoch spezialisierten Zentren" möglichen Behandlung bedürfe, weshalb ein Behandlungsabbruch bzw. eine Entlassung des Viertbeschwerdeführers ins Ausland mit angelegtem Fixateur (diese Behandlung hatte die Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren bereits angekündigt) "aus medizinischer Sicht fahrlässig" wäre.

römisch III. Ergebnis

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung aller Fremden untereinander verletzt worden.

6.           Das angefochtene Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

7.           Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

8.           Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die beschwerdeführenden Parteien gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, war der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag von 20 vH des Pauschalsatzes, zuzusprechen (s. VfGH 26.6.1998, B259/96 ua.; ferner VfSlg 18.836/2009; VfGH 19.6.2013, B125/2011; 22.9.2014, B1244/2013; 3.12.2014, B1503/2013). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 523,20 enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die beschwerdeführenden Parteien Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E1085.2016