Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

01.03.1983

Geschäftszahl

B195/82

Sammlungsnummer

9648

Leitsatz

Parteiengesetz; in die vom Verfassungsgesetzgeber gewährleistete Parteiengründungsfreiheit darf kein Organ der Vollziehung eingreifen; Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Verweigerung der Hinterlegung der Satzung einer politischen Partei durch den Bundesminister für Inneres

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

römisch eins. 1. a) Der Beschwerdeführer übermittelte mit Schreiben vom 4. Dezember 1981 dem Bundesminister für Inneres die Satzung der politischen Partei "Liste gegen Ausländer" zur Hinterlegung gemäß §1 Abs4 des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1975, Bundesgesetzblatt 404, über die Aufgaben, Finanzierung und Wahlwerbung politischer Parteien (ParteienG).

b) Nach §1 der vorgelegten Satzung ist das Programm der Partei, "eine immerwährende Sperre für weitere ausländische Arbeitskräfte in Österreich durchzusetzen".

Dem §2 der Satzung zufolge ist die "Liste gegen Ausländer" eine politische Partei iS des Parteiengesetzes mit dem Sitz in Wien.

§3 der Satzung lautet:

"Zweck der Liste gegen Ausländer ist die Befassung mit politischen und wirtschaftlichen Fragen auf allen Ebenen, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, wobei die Interessen unseres Volkes und unserer Heimat im Mittelpunkt zu stehen haben. Die Liste gegen Ausländer will an der politischen Willensbildung mitwirken und sich an Wahlen beteiligen."

c) Der Bundesminister für Inneres hat mit Bescheid vom 20. Jänner 1982 diese vom Beschwerdeführer begehrte Hinterlegung der Satzung der politischen Partei "Liste gegen Ausländer" gemäß §1 Abs3 ParteienG in Verbindung mit Art9 des Staatsvertrages von Wien, Bundesgesetzblatt 152 aus 1955,, abgewiesen.

Der Bundesminister für Inneres vertritt in der Bescheidbegründung die Meinung, daß er sich vor Hinterlegung der Satzung nicht nur zu überzeugen habe, daß die Formalerfordernisse des §1 Abs4 ParteienG gegeben sind, sondern auch zu prüfen habe, ob die Gründung einer politischen Partei nicht allenfalls gegen bundesverfassungsgesetzliche Bestimmungen verstößt (ArtI, §1 Abs3 leg. cit.).

Nach einer Wiedergabe der §§1 und 3 der vorgelegten Satzung wird in der Bescheidbegründung ausgeführt:

"Bestimmte Leute in Österreich können die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften nicht in Einklang mit ihrer Ideologie bringen. Einer bestimmten Geistesrichtung verpflichtet, werden diese Arbeitskräfte ohne jede Bedachtnahme auf wirtschaftliche Notwendigkeiten, zum Objekt ihrer medialen und rhetorischen Diskriminierungen. Die Arbeiter sind für sie keine 'Gastarbeiter' sondern 'Fremdarbeiter', die mit einem anderen Erbgut behaftet und auf einer weitaus niedrigeren Kulturstufe stehend, nur eine Balkanisierung oder Slawisierung Österreichs bewirken und dadurch zu einer Gefahr der völkischen Substanz werden. Der hier zutage tretende Fremden- und Völkerhaß, ausgehend von der Vorstellung, nur einer bestimmten Nation und Rasse gegenüber allen anderen einen werthaften Vorrang einräumen zu müssen, war jedoch einer der Eckpfeiler der nationalsozialistischen Ideologie. Ob der Parteigründer richtungsmäßig oder organisatorisch einem neonazistischen Personenkreis angehört, braucht hier nicht untersucht zu werden. Er tritt aber diesem Ideengut jedenfalls bei, wenn er undifferenziert und zeitlich unbegrenzt die Durchsetzung einer Sperre für weitere ausländische Arbeitskräfte in Österreich zum einzigen Programmpunkt seiner politischen Partei machen will. Der Sinngehalt dieses Programms ist nicht geprägt von der Sorge um die österreichische Wirtschaft oder um die österreichische Arbeitnehmerschaft, sondern, und diese Annahme wird durch den Parteinamen nur noch unterstrichen, von einer nicht überwindbaren Abneigung gegen jedes ausländische Element.

Österreich hat sich durch den im Verfassungsrang stehenden Artikel 9 des Staatsvertrages von Wien 1955 völkerrechtlich verpflichtet, jede nationalsozialistische Propaganda und jede Organisationsform bereits im Ansatze zu unterbinden.

Die Förderung bzw. Propagierung eines Fremden- und Völkerhasses, wie sie aus dem Programm der 'Liste gegen Ausländer' hervortritt, ist nach Ansicht des Bundesministeriums für Inneres als erkennende Behörde, zweifellos Ausfluß eines nationalsozialistischen Gedankengutes.

Die begehrte Hinterlegung der Satzung der 'Liste gegen Ausländer' war daher durch Bescheid abzuweisen, wobei, da der Sachverhalt klar erschien, die Entscheidung ohne weitere Anhörung (§45 AVG 1950) getroffen werden konnte."

2. Gegen diesen Bescheid des Bundesministers für Inneres wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde des Proponenten, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

römisch II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer trat im Administrativverfahren als Gründer der politischen Partei auf, deren Satzungen zu hinterlegen die belangte Behörde verweigert hat.

Der Bescheid greift sohin in subjektive Rechte des Beschwerdeführers ein. Er ist beschwerdelegitimiert.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Der (als Verfassungsbestimmung erlassene) §1 ParteienG lautet:

"§1. (1) Die Existenz und Vielfalt politischer Parteien sind wesentliche Bestandteile der demokratischen Ordnung der Republik Österreich (Art1 B-VG).

(2) Zu den Aufgaben der politischen Parteien gehört die Mitwirkung an der politischen Willensbildung.

(3) Die Gründung politischer Parteien ist frei, sofern bundesverfassungsgesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Ihre Tätigkeit darf keiner Beschränkung durch besondere Rechtsvorschriften unterworfen werden.

(4) Die politischen Parteien haben Satzungen zu beschließen, die in einer periodischen Druckschrift zu veröffentlichen und beim Bundesministerium für Inneres zu hinterlegen sind. Aus der Satzung hat insbesondere ersichtlich zu sein, welches ihre Organe sind und welche hievon zur Vertretung nach außen befugt sind, sowie welche Rechte und Pflichten die Mitglieder besitzen. Mit der Hinterlegung der Satzung erlangt die politische Partei Rechtspersönlichkeit."

3. a) Nach §1 Abs3 ParteienG ist die Gründung politischer Parteien frei. Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen nur in den vom ParteienG selbst angeführten Fällen. Die absolute Freiheit, politische Parteien zu gründen, ist sohin nur insofern eingeschränkt, als nach §1 Abs2 ParteienG die zu bildende Vereinigung nach ihrer Satzung das Ziel verfolgen muß, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, als dem §1 Abs3 erster Satz zufolge die zu gründende Vereinigung nach ihrer Satzung nicht gegen bundesverfassungsgesetzliche Bestimmungen - wie etwa gegen §3a des auf Verfassungsstufe stehenden Verbotsgesetzes (wonach ua. die Gründung nationalsozialistischer Verbindungen unter Strafsanktion untersagt ist) - verstoßen darf, und als gemäß §1 Abs4 zweiter Satz die Satzung bestimmten Mindestanforderungen zu genügen hat.

b) Weder aus dem Wortlaut des ParteienG noch einer anderen Rechtsvorschrift (die dem §1 Abs3 erster Satz ParteienG zufolge auf Verfassungsstufe zu stehen hätte) ergibt sich aber eine Befugnis des Bundesministers für Inneres oder einer anderen Behörde - aus welchen Gründen immer -, die Hinterlegung der Satzung zu verweigern oder sonstige, auf die Gründung der politischen Partei bezughabende, allgemein verbindliche Verfügungen oder Feststellungen zu treffen.

Die Entstehungsgeschichte des ParteienG führt zu keinem anderen Ergebnis:

Zwar ist dem Bericht des Verfassungsausschusses über den Initiativantrag 158/A betreffend das ParteienG (1680 BlgNR römisch XIII. Gesetzgebungsperiode darüber nichts zu entnehmen. In der über diesen Bericht am 2. Juli 1975 stattgefundenen Nationalratsdebatte führte jedoch zB der Abg. Dr. Heinz Fischer aus (S 14596 des sten. Prot. über die 150. Sitzung des NR, römisch XIII. GP):

"... Sie (die Verfassungsbestimmung des §1 ParteienG) mußte sicherstellen, daß die Rechtsverhältnisse der Parteien einigermaßen klar geregelt werden, aber sie mußte andererseits auch sicherstellen, daß die Parteien nicht einem Eingriff oder einer Administration durch die Bürokratie unterworfen werden. Sie sollte schließlich auch sicherstellen, daß die Parteien zwar als Rechtssubjekte der Rechtsordnung unterworfen sind, aber auch vorsorgen, daß nicht der einfache Gesetzgeber Regelungen zum Nachteil oder zur Einschränkung der Parteien treffen kann.

Das ist uns, glaube ich, geglückt, und es ist wohl auch richtig, daß wir es nicht einem Gericht aufgebürdet haben, wie das im Bonner Grundgesetz geschieht, darüber zu entscheiden, ob Parteien verfassungskonform sind oder nicht, sondern daß wir das dem Verfassungsgesetzgeber selbst vorbehalten haben. ..."

In die gleiche Richtung geht die Wortmeldung des Abg. Dr. Herbert Kohlmaier (S 14601 des sten. Prot. über die 150. Sitzung des NR, römisch XIII. GP):

"... Ich selbst habe bei der Vorberatung des Gesetzes immer wieder den Standpunkt vertreten: Wir sollen uns extrem liberal gegenüber dem Wollen der Staatsbürger, sich politisch zu organisieren, verhalten.

Ich möchte sogar so weit gehen, meine Damen und Herren, zu sagen: Die Sicherung der politischen Freiheit hat für mich einen Vorrang gegenüber der Sicherung der staatlichen Rechtsordnung. Warum, Hohes Haus? Der Bildung des Staates, der Schaffung der Rechtsordnung geht das politische Wollen von Menschen voraus, die Gesinnungsgemeinschaften bilden; das war auch 1945 so. Der stärkste Schutz gegen Diktatur und autoritäre Regime, gegen ein System, wo die Staatsordnung Selbstzweck wird, ist einfach die garantierte volle Freiheit für die Parteien. Der erste Schritt bei jeder Errichtung von autoritären oder diktatorischen Systemen ist bekanntlich die Beseitigung der Vielfalt und der Freiheit der politischen Parteien. Deswegen muß die Verfassung diese extreme Freiheit der Parteigründung und Parteibetätigung garantieren. Nicht der Staat läßt die Parteien zu, sondern die Bürger, die sich in Parteien zusammenschließen, tragen den Staat.

Meine Damen und Herren! Es gibt natürlich die Sorge und den Einwand, es könnten einmal gefährliche Parteien gegründet werden, gewalttätige, anarchistische, brutale Parteien. Das ist sicher möglich, das ist denkbar. Es gibt ja derartige Ansätze zu solchen Erscheinungen. Aber ich glaube, daß dieses Argument nicht so sehr ins Gewicht fallen kann.

Wenn solche Kräfte im politischen Leben auftreten, durch Verbot oder Nichtzulassung von Parteien im Behördenweg wird man ihnen nie beikommen können. Eher muß man sagen: Im Gegenteil, die Ausschaltung solcher Gruppen vom demokratischen Wettbewerb gäbe ihnen unter Umständen die Legitimation, die Spielregeln der Demokratie zu überspringen und unter Berufung auf irgendeinen Volkswillen oder sonst etwas, womöglich die Macht anzustreben und sie sich zu erzwingen.

Wenn die Demokratie nicht so stark ist, daß sie mit solchen Gruppen fertig wird, dann ist sie ohnedies zum Tode verurteilt. Außerdem gibt uns die Rechtsordnung den Zugriff auf den einzelnen Rechtsbrecher, wenn er sich in einer freien Partei organisiert. ..."

Der Bundesverfassungsgesetzgeber hat sohin nicht etwa übersehen, den Bundesminister für Inneres oder eine andere Behörde zu berufen, autoritativ in die Parteigründung einzugreifen. Vielmehr lag es gerade in der Absicht des Bundesverfassungsgesetzgebers, eine derartige Befugnis nicht zu erteilen.

In die vom Verfassungsgesetzgeber gewährleistete Parteiengründungsfreiheit darf demnach kein Organ der Vollziehung, also weder ein Gericht noch eine Verwaltungsbehörde, eingreifen vergleiche Schambeck, Die Stellung der politischen Parteien nach österreichischem Verfassungsrecht, FS-Hermens (1976), S 61 ff.).

Das ParteienG ermächtigt sohin (entgegen Berchtold, Das Parteiengesetz - ein Überblick, ÖVA 1976, S 33 ff.) den Bundesminister für Inneres nicht, die Hinterlegung einer Satzung zu verweigern; das Gesetz ermöglicht (entgegen Ermacora, Verfassungsänderungen 1975, JBl. 1976, S 85 f.) ferner keiner Behörde - auch nicht der Bundesregierung -, die Gründung einer politischen Partei zu verbieten; das Gesetz räumt (entgegen Matzka,

Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Wahlrechtes neofaschistischer Gruppen, in: Am Beispiel der ANR, Neonazismus in Österreich, herausgegeben vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien, S 46) schließlich keiner Behörde - auch nicht dem Bundesminister für Inneres oder der Bundesregierung - die Befugnis ein, allgemeinverbindlich (bescheidmäßig) festzustellen, daß "etwa infolge des faschistischen Charakters einer Organisation, deren 'Versuch', sich durch Vornahme der in §1 Abs4 ParteienG vorgesehenen Handlungen als politische Partei zu konstituieren, 'gescheitert' ist, daß also die Rechtsfolge der Rechtspersönlichkeit als politische Partei nicht eingetreten ist".

c) Zwar trifft es zu, daß, wenn eine Satzung die in der vorstehenden lita aufgezählten Voraussetzungen nicht erfüllt, die Veröffentlichung und Hinterlegung der Satzung beim Bundesministerium für Inneres die in §1 Abs4 letzter Satz ParteienG vorgesehene Rechtsfolge - Erlangen der Rechtspersönlichkeit als politische Partei - nicht bewirkt vergleiche Matzka, aaO, S 45 f.). Aus dem unter römisch II.3.b Gesagten aber folgt, daß - wenn anders den im §1 ParteienG normierten Voraussetzungen für die Gründung einer politischen Partei unter diesen Umständen überhaupt normative Bedeutung zukommen soll - alle Verwaltungsbehörden und alle Gerichte für Zwecke der bei ihnen anhängigen Verfahren incidenter zu beurteilen haben, ob die Behauptung einer dort auftretenden Personengruppe, als politische Partei Rechtspersönlichkeit zu besitzen, zutrifft oder nicht.

d) Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Bundesminister für Inneres durch die bescheidmäßige Verweigerung der Hinterlegung der Satzung einer politischen Partei eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen hat. Der Beschwerdeführer wurde sohin durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt vergleiche zB VfSlg. 8828/1980). Der bekämpfte Bescheid war daher aufzuheben.

e) Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen.