Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

09.06.1988

Geschäftszahl

V2/88

Sammlungsnummer

11684

Leitsatz

Individualantrag auf Aufhebung der "Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz aus dem Jahre 1977, betreffend die Geschwindigkeitsbegrenzung mit 80 km/h für die Fahrt durch den Dalaaser Tunnel (Arlberg-Schnellstraße S 16"; Zumutbarkeit der Ausschöpfung des Instanzenzuges im gegen den Antragsteller eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren - Legitimationsmangel

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 22. Juni 1987, ZX-5739-1987, wurde über den nunmehrigen Antragsteller T M eine Geldstrafe von 1.000 Schilling, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzarreststrafe von 60 Stunden verhängt, weil er als Lenker eines näher bezeichneten Pkw's am 22. April 1987 um 20 Uhr 51 auf der Arlbergschnellstraße S 16 im Dalaaser Tunnel bei km 41,6 die durch das Straßenverkehrszeichen nach §52 lita Z10a StVO kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung nicht beachtet und die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 28 km/h überschritten habe.

Die Vorarlberger Landesregierung wies mit Bescheid vom 26. August 1987, ZIb-182-225/87, den von T M erhobenen und von ihr als Berufung gemäß §49 Abs2 VStG 1950 gewerteten Einspruch als unbegründet ab.

Dagegen richtet sich die zur hg. AZ B1098/87 protokollierte und am 4. Jänner 1988 durch einen als Verfahrenshelfer beigegebenen Rechtsanwalt ausgeführte Verfassungsgerichtshofsbeschwerde des T M, über die bereits gesondert entschieden wurde.

1.2. In dem Beschwerdeschriftsatz vom 4. Jänner 1988 stellte der Einschreiter weiters unter ausdrücklicher Berufung auf Art139 Abs1 B-VG den Antrag, der "VfGH wolle die römisch fünf der Bezirkshauptmannschaft Bludenz aus dem Jahre 1977, betreffend die Geschwindigkeitsbegrenzung mit 80 km/h für die Fahrt durch den Dalaaser Tunnel (Arlberg-Schnellstraße S 16)" wegen Gesetzwidrigkeit aufheben.

Begründend wurde dazu ua. vorgebracht, daß der Antragsteller durch die von einer unzuständigen Behörde erlassene und einer gesetzlichen Grundlage entbehrende römisch fünf in seinen Rechten betroffen sei, weil er wegen Übertretung dieser generellen Norm "von den Unterinstanzen bestraft wurde".

2. Über die Zulässigkeit des Antrages nach Art139 Abs1 B-VG wurde erwogen:

2.1. Gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG in der Fassung Bundesgesetzblatt 302 aus 1975, erkennt der VfGH "über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die römisch fünf ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist; . . . "

2.2.1. Wie der VfGH in ständiger Judikatur - beginnend mit seinen Beschlüssen VfSlg. 8009/1977 zu Art140 B-VG und VfSlg. 8058/1977 zu Art139 B-VG - ausführte, erfordert die Antragslegitimation nicht nur, daß die antragstellende Partei behauptet, unmittelbar durch die als verfassungs-(gesetz-)widrig angefochtene Gesetzes-(Verordnungs-)Bestimmung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sondern sie setzt auch voraus, daß dieses Gesetz (diese Verordnung) für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam wurde. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation bildet dabei der Umstand, daß das angefochtene Gesetz (die angefochtene Verordnung) die Rechtssphäre der betreffenden (natürlichen oder juristischen) Person berührt und - im Fall der Verfassungs-(Gesetz-)widrigkeit - verletzt. Jedoch nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsberechtigung zu; es ist vielmehr auch notwendig, daß unmittel-ar durch das Gesetz (die Verordnung) selbst - tatsächlich - in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen wird. Ein solcher, die Antragslegitimation begründender Eingriff in die Rechtssphäre einer Person muß jedenfalls nach Art und Ausmaß durch das Gesetz (die Verordnung) eindeutig bestimmt sein und die rechtlich geschützten Interessen des Betroffenen nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigen. Ein derartiger "unmittelbarer" Eingriff fehlt dann, wenn dem Antragsteller zur Abwehr der - ihm durch die angebliche Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Gesetzes (Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung) entstandenen - Rechtsverletzung ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung steht. Dazu legte der VfGH bereits in wiederholten Entscheidungen vergleiche etwa VfSlg. 8890/1980 und die dort zitierte Judikatur) dar, daß das mit Art139 Abs1 und Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen Normunterworfenen eingeräumte Rechtsinstrument dafür bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen - gleichsam lückenschließend - nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht in Betracht kommt; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit der grundsätzlichen Aufgabe des Individualantrages, bloß subsidiärer Rechtsbehelf zu sein, keineswegs im Einklang stünde.

2.2.2. Ein solcher - die Antragslegitimation ausschließender - zumutbarer Weg besteht grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normenprüfungsverfahrens beim VfGH anzuregen; eine Ausnahme besteht nur für den Fall, daß besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens trotz der ihr dort offenstehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines Normenprüfungsantrages einzuräumen vergleiche zB VfSlg. 8312/1978, 8552/1979, 10251/1984). Zwar ist es unzumutbar, ein Strafverfahren zu provozieren, um solcherart Gelegenheit zu finden, ein amtswegiges Normenprüfungsverfahren zu initiieren vergleiche zB VfSlg. 8396/1978, 8464/1978); ist ein Strafverfahren aber ohnehin im Gange, so muß es dem Beschuldigten durchaus zugemutet werden, den administrativen Instanzenzug auszuschöpfen und sodann beim VfGH Beschwerde nach Art144 B-VG zu erheben und darin seine Bedenken gegen die generelle Norm vorzubringen vergleiche VfGH 5.10.1987 V18/87).

2.3. Die Bezirkshauptmannschaft Bludenz leitete nun gegen den Antragsteller wegen Übertretung der eine Geschwindigkeitsbeschränkung verfügenden römisch fünf ein Verwaltungstrafverfahren ein, das zur Erlassung der Strafverfügung vom 22. Juni 1987 führte (s. Punkt 1.1.). Dem Einschreiter stand somit die - iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH vergleiche zB VfGH 5.10.1987 V18/87) zumutbarer Weise zu nutzende - Möglichkeit offen, nach Ausschöpfung des administrativen Instanzenzuges im Wege einer Verfassungsgerichtshofsbeschwerde seine Bedenken gegen die der Strafverfügung zugrundegelegte römisch fünf geltend zu machen, um auf diese Weise eine gegebenenfalls von Amts wegen zu veranlassende Überprüfung dieser Norm auf ihre Gesetzmäßigkeit zu erwirken. Damit aber erweist sich der vorliegende (Individual-)Antrag als unzulässig. Daran ändert auch nichts, daß der Bf. die ihm hier gegeben gewesenen administrativen Rechtsverfolgungsmöglichkeiten nicht voll in Anspruch nahm.

Der Antrag war daher zurückzuweisen.

3. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.